Vom Mull in die Moderne |
10.12.2007 13:39 Uhr |
Vom Mull in die Moderne
Von Daniela Biermann
Wunden müssen phasengerecht versorgt werden. Es gibt keine Wundauflage, die für jede Verletzung in jeder Phase gleichermaßen geeignet ist. Alginate, Hydrokolloide, Aktivkohle & Co: Wann wird welche Wundauflage eingesetzt?
Eine Wunde ist laut klinischem Wörterbuch eine Unterbrechung des Zusammenhangs von Körpergeweben mit oder ohne Substanzverlust. Es gilt also, eine Lücke zu schließen. Prinzipiell macht das der Körper von selbst, doch die richtige Wundauflage unterstützt die Selbstheilung.
Normalerweise heilt eine Wunde innerhalb von drei Wochen ab. Unter ungünstigen Verhältnissen wie Nährstoffmangel, Infektionen oder Minderdurchblutung kann sich der Prozess jedoch verzögern. Ist die Wunde nach sechs Wochen noch nicht abgeheilt, spricht man von chronischen Wunden. Dazu zählen zum Beispiel das diabetische Fußsyndrom, Dekubitusgeschwüre und Ulcus cruris, das sogenannte offene Bein. Rund vier Millionen Menschen in Deutschland sind betroffen, teilt der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) mit. Die Behandlung ist oft schwierig, langwierig und damit kostenintensiv; insgesamt vier bis fünf Milliarden Euro pro Jahr laut BVMed. Ein gezielter Einsatz moderner Wundauflagen könnte die Therapiekosten jedoch um 25 Prozent senken, ergab eine Studie im Auftrag des BVMed. Zwar liegen die Anschaffungskosten für moderne Produkte höher, doch diese Verbände müssen seltener gewechselt werden und die Wunde heilt schneller ab. Das spart Krankenhauskosten.
Von passiv bis aktiv
Heute steht eine Vielzahl verschiedener Wundauflagen zur Verfügung. Sie werden in passive, interaktive und aktive Wundauflagen eingeteilt. Die passiven Wundauflagen decken die Verletzung ab und schützen sie vor Schmutz, Keimen und mechanischen Einflüssen. Vor allem müssen sie eine hohe Saugfähigkeit aufweisen, um überschüssiges Sekret aufnehmen zu können. Zu den konventionellen Wundauflagen zählen Verbandmull, Wundschnellverbände (»Pflaster«) und Mull- und Vlieskompressen. In Kombination mit Zellstoff (Zemuko®, Fil-Zellin®) oder Watte (Zetuvit®, Vliwasoft®) erhöht sich die Saugkraft. Um einer Verklebung mit der Wunde vorzubeugen, müssen sie regelmäßig mit Ringer-Lösung befeuchtet werden (das gilt nicht für aluminiumbeschichtete Vlieskompressen). Allerdings nimmt dann ihr Saugvermögen deutlich ab. Alternativ gibt es Salbenkompressen (Grassolind®, Comprigel®) oder hydrophobe synthetische Kompressen (Cutisorb®, Rondopad®).
Interaktive Wundverbände fördern die Wundheilung, indem sie ein optimales feuchtes Milieu bereitstellen. Meist sind sie semipermeabel und ermöglichen einen Gasaustausch, lassen aber weder Keime noch Flüssigkeiten durch. Zu dieser Gruppe zählen Wundauflagen mit Alginaten, Hydrogelen, Hydrokolloiden, Hydropolymeren oder Schaumstoffe. Sie eignen sich besonders für chronische Wunden.
Aktive Verbände stimulieren die Zellen, die für die Wundheilung verantwortlich sind. Beispielsweise enthalten sie Antibiotika (Fucidine® Gaze) oder Antiseptika (Betaisodona® Gaze). Hier besteht die Gefahr, dass sich Allergien und Resistenzen entwickeln, daher sind sie nicht Mittel der Wahl. Andere Wundauflagen enthalten Wachstumsfaktoren (Regranex®) oder eine Protease stimulierende Matrix (Promogran®). Letztere deaktiviert überschüssige Proteasen und schützt die körpereigenen Wachstumsfaktoren. Oft zählen aktive Verbände zu den Arzneimitteln und nicht zu den Medizinprodukten. Darunter fallen auch zellhaltige Wundauflagen wie Keratinozytentransplantate.
Wundheilung Schritt für Schritt
Die Wundheilung läuft in drei Phasen ab, die sich überlappen. In der Reinigungsphase geht es um eine erste Schadensbegrenzung nach einer Verletzung. Das Blut gerinnt und bildet einen provisorischen Wundverschluss. Wasser sammelt sich im Interzellularraum an und dient als Medium für heilungsfördernde Zellen, Antikörper, Vitamine, Wachstumfaktoren und Enzyme. Aber auch Keime, Schmutz und Gewebetrümmer befinden sich im Sekret. Das Verbandmittel muss daher überschüssiges Wundexsudat aufsaugen, denn sonst kann es zu Infektionen, exzessiver Ödembildung und Störung der Wundheilung kommen. Das Entfernen des Sekrets bietet den besten Infektionsschutz. Allerdings darf die Wunde auch nicht trockengelegt werden, wie es früher praktiziert wurde. Denn ein feuchtes Milieu ist wichtig für die Heilung. Wegen ihrer geringen Verklebungstendenz sind moderne Wundauflagen den konventionellen Kompressen vorzuziehen. Zu ihnen zählen Schaumstoffe (UrgoCell®, Epigard®) und Calcium-Alginat-Kompressen (Sorbalgon®, Sorbsan®). Sie eignen sich auch für stark nässende Wunden. Bei der Gelbildung der Alginate werden Calciumionen durch Natriumionen aus dem Wundexsudat ausgetauscht. Sie dürfen nicht bei trockenen oder nekrotischen Wunden angewendet werden.
Manche dieser Wundauflagen enthalten Silberionen, die antimikrobiell wirken (Silvercel®, Urgosorb® Silver, Aquacel® Ag). Die Haut kann sich bei längerer Anwendung irreversibel blaugrau verfärben, was ein kosmetisches Problem darstellt. Ebenfalls für infektiöse Wunden eignen sich Aktivkohlekompressen (Carboflex®, Actisorb® Silver 220). Sie absorbieren große Mengen Wundexsudat, Keime und unangenehme Geruchsstoffe.
Feuchtes Klima bewahren
Um die Immunabwehr aufzubauen, wandern Granulozyten innerhalb weniger Stunden ins Wundgebiet ein. In der anschließenden Granulationsphase lösen Makrophagen sie ab. Diese Fresszellen verdauen zerstörtes Gewebe und Keime. Parallel kommen Fibroblasten hinzu. Sie errichten ein provisorisches Granulationsgewebe aus Matrixproteinen wie Kollagen und Hyaluronsäure. Bei stagnierender Wundheilung können Wundauflagen, die Hyaluronsäureester enthalten, eingesetzt werden (Hyalofill®).
Gerade in dieser Phase darf die Wunde weder zu trocken noch zu feucht sein. Semipermeable Wundauflagen ermöglichen den Gasaustausch und tragen zu einem optimalen Klima bei. Der Sauerstoffpartialdruck sinkt und der pH-Wert verschiebt sich ins leicht saure Milieu, was die Fibroblastentätigkeit positiv beeinflusst. Da das neue Gewebe sehr empfindlich ist, viele feine Blutgefäße enthält und das Sekret sehr eiweißreich ist, neigt es zum Verkleben. Klassische Mull- und Vlieskompressen eignen sich daher weniger.
Zu den modernen Wundauflagen zählen Hydrokolloidverbände (Varihesive®, Comfeel®). Sie sind selbstklebend und auch mit oder ohne Kleberand erhältlich. Sie enthalten stark quellende Partikel wie Gelatine, Pektine oder Cellulosederivate. Durch die Aufnahme von Sekret bildet sich ein gelbliches, zähes Gel, das nicht mit Eiter verwechselt werden darf. Ebenso für wenig bis mäßig sezernierende Wunden sind Hydrogele (Hydrosorb®) geeignet. Neben quellfähigen Substanzen wie Stärke oder Polyurethanen enthalten sie einen sehr hohen Wasseranteil. Daher können sie bei Bedarf auch Feuchtigkeit abgeben und Schorf und Beläge aufweichen. Für stark nässende oder blutende Wunden eignen sie sich dagegen nicht. In Hydropolymerverbände (Tielle®) sind Superabsorber eingelagert, sodass sie große Mengen Exsudat aufnehmen können. Im Gegensatz zu Hydrogel- und Hydrokolloidverbänden lassen sie sich rückstandsfrei entfernen.
Generell sollte entgegen früherer Praxis der Verband nicht zu oft gewechselt werden, um das Granulationsgewebe nicht zu verletzen. Um die Wundheilung besser zu kontrollieren, ist die äußere Schicht einiger Wundauflagen transparent (Ascina® Biofilm transparent).
Erreicht das Granulationsgewebe Hautniveau, beginnt die Epithelisierungsphase. Keratinozyten wandern von den Wundrändern ausgehend amöbenartig ein und verschließen die Wunde. Ist zu viel Sekret vorhanden, schwimmen die Epithelzellen auf. Ist die Wunde zu trocken, bildet sich Schorf. Dieser verzögert die Epithelbildung. Auch für diese Phase ist ein feuchtes Klima, wie es mit den aktiven Wundauflagen erzielt wird, am besten. Ebenso gilt, dass der Verband besonders wundfreundlich sein muss und nicht verkleben darf, um das neue Epithel nicht zu beschädigen.