Alte Bekannte und neue Freunde |
19.11.2014 09:48 Uhr |
Von Sven Siebenand / Mit Fingolimod, Teriflunomid und Dimethylfumarat sind in Deutschland drei orale Arzneistoffe für die Behandlung der Multiplen Sklerose (MS) zugelassen. Eine Reihe weiterer oral wirksamer Therapeutika befinden sich derzeit in klinischen Studien. Professor Dr. Gerd Bendas von der Universität Bonn stellt in »Pharmakon« einige der Kandidaten vor.
In diesem Sommer stellten sich viele der sogenannten Ice Bucket Challenge und gossen sich einen Kübel Eiswasser über den Kopf. Diese Herausforderung sollte auf die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) aufmerksam machen und Spendengelder für deren Erforschung sammeln. Der Wirkstoff Riluzol ist bei dieser Erkrankung zugelassen. In Phase-II-Studien ist die Substanz auch als neuroprotektiver Wirkstoff bei MS beschrieben. Allerdings gießen neue Ergebnisse Wasser in den Wein. Sie legen keinen therapeutischen Nutzen nahe.
Anders die Statine: Auch diese Wirkstoffklasse ist im Gespräch, bei MS wirksam zu sein. So zeigte eine Phase-II-Studie mit Simvastatin neben einer guten Tolerierbarkeit eine gegenüber Placebo signifikante Reduktion der im Magnetresonanztomografen (MRT) sichtbaren Atrophien im Gehirn.
Ähnliche Wirkung wie Fingolimod
Zwei potenzielle neue Arzneistoffe, Siponimod und Ponesimod, haben einen ähnlichen Wirkmechanismus wie Fingolimod, dessen aktiver Metabolit ein Modulator an Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptoren (S1PR) ist. Fingolimod-Phosphat bindet vor allem an die Rezeptorsubtypen 1, 4 und 5. Von besonderer Bedeutung ist dabei die agonistische Aktivität am S1PR1, wodurch der Austritt von Lymphozyten aus den Lymphknoten und damit in ZNS-Entzündungsgebiete verhindert werden kann. Man führt diese Wirkung auf eine Herunterregulierung der S1PR1 und eine Internalisierung dieser Rezeptoren zurück, mit welcher der Körper auf die agonistische Aktivität von Fingolimod-Phosphat reagiert. Die Wirkung des MS-Mittels wird in der Fachinformation daher auch als funktioneller Antagonismus auf die S1PR bezeichnet. Nicht abschließend ist bislang geklärt, ob auch eine remyelinisierende Wirkung von Fingolimod-Phosphat durch einen Agonismus an S1PR5 positiv zur Wirksamkeit bei MS beiträgt.
Siponimod und Ponesimod sind ebenfalls S1PR-Agonisten. Siponimod stammt wie Fingolimod aus dem Hause Novartis. Es soll jedoch im Vergleich zu der zugelassenen Substanz deutlich selektiver die Rezeptor-Subtypen 1 und 5 ansprechen. Derzeit befindet sich Siponimod in Phase III der klinischen Entwicklung. In einer abgeschlossenen Phase-II-Studie konnte im MRT eine signifikante Abnahme von Läsionen im Gehirn gezeigt werden. Ponesimod von Actelion ist ein selektiver S1PR1- Agonist. Auch dieser Wirkstoff wurde in einer Phase-II-Studie erfolgreich getestet und zeigte eine dosisabhängige signifikante Reduktion der geschädigten Areale und Entzündungsherde im Gehirn.
Ähnliche Wirkung wie Natalizumab
Der Arzneistoffkandidat Firategrast von GSK wirkt ähnlich wie der bei MS zugelassene Antikörper Natalizumab. Es ist ein Antagonist von α4-Integrinen, was auf Lymphozyten vorkommende Adhäsionsmoleküle sind. Dadurch soll die vaskuläre Adhäsion und Extravasation von Lymphozyten in Entzündungsgebiete unterbunden werden. Auch diese Substanz konnte in einer Phase-II-Studie eine signifikante Abnahme der im MRT sichtbaren Entzündungsläsionen im Gehirn zeigen.
Die Hoffnungen auf eine baldige Marktzulassung von Laquinimod von Teva, das bereits die Phase III der klinischen Prüfung durchlaufen hat, sind dagegen erstmal dahin. Im August 2014 ist der Immunmodulator an der europäischen Marktzulassung gescheitert. Der Ausschuss für Humanarzneimittel der europäischen Arzneimittelagentur EMA hatte Bedenken, dass der Wirkstoff das Krebsrisiko erhöhen könnte sowie teratogen wirkt und bewertete das Nutzen-Risiko-Verhältnis damit als negativ. Studien mit dem Wirkstoff laufen noch. Möglicherweise kann der Hersteller die geäußerten Sicherheitsbedenken damit entkräften. Der genaue Wirkmechanismus von Laquinimod ist noch unbekannt. Die Substanz vermindert die Infiltration von Makrophagen und T-Lymphozyten in das ZNS, hemmt aber nicht die Lymphozytenproliferation. Potenzielle antientzündliche Effekte lassen sich durch Hemmung des Transkriptionsfaktors NFκB erklären. /
Multiple Sklerose ist der Themenschwerpunkt der aktuellen Ausgabe von »Pharmakon«, der Zeitschrift für Mitglieder der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG). Sie enthält neben dem hier zusammengefassten Beitrag von Professor Dr. Gerd Bendas unter anderem Artikel zur Pathogenese der Erkrankung, zur Basis- und Eskalationstherapie sowie zur Antikörpertherapie und zu Lebensstilstrategien.
»Pharmakon« erscheint sechsmal jährlich. Jede Ausgabe hat einen inhaltlichen Schwerpunkt, der in mehreren Beiträgen aus unterschiedlichen Perspektiven aufbereitet wird. Ein kostenloses Abonnement ist in der DPhG-Mitgliedschaft inbegriffen. Die Zeitschrift ist auch als Einzelbezug erhältlich. Weitere Informationen finden Interessierte auf www.pharmakon.info.