Die unverstandene Krankheit |
17.11.2009 18:06 Uhr |
Von Daniela Biermann / Einschneidende Erlebnisse können jeden aus der Bahn werfen. Doch nicht jeder entwickelt eine Depression. Wie genau diese Krankheit entsteht und warum ist noch unklar. Es gibt jedoch interessante Hypothesen.
Laut Kompetenznetz Depression leiden in Deutschland etwa vier Millionen Menschen an Depressionen. Diese Menschen haben nicht einfach eine schlechte Phase, sondern sind ernsthaft erkrankt. Beim Kompetenznetz Depression ist von zwei Seiten einer Medaille die Rede: Auf der einen die körperlichen Faktoren, auf der anderen die psychosozialen.
Vier Millionen Menschen in Deutschland leiden Schätzungen zufolge an Depressionen. Die Ursachen dieser Erkrankungen sind noch nicht vollständig verstanden.
Foto: Techniker Krankenkasse
Ein offensichtlicher Auslöser ist nicht immer zu finden. In einer US-amerikanischen Studie konnte nur etwa ein Drittel der Depressiven ein belastendes oder einschneidendes Erlebnis vor der Erkrankung nennen (»Psychological Medicine«, 1996; 26(1), 121-133). Nicht nur negative Ereignisse wie der Tod einer nahestehenden Person oder der Jobverlust, auch positive Erlebnisse wie das Bestehen einer wichtigen Prüfung oder die Geburt eines Kindes können einer Depression vorausgehen. Umgekehrt wird wohl jeder Mensch in seinem Leben mit Schicksalsschlägen konfrontiert, doch nicht jeder erleidet eine depressive Episode. Was also macht manche Menschen anfällig und andere nicht?
Da sind zunächst die Gene. So bezifferte eine schwedische Studie im Jahr 2006 ihren Einfluss auf das Auftreten einer Depression auf 42 Prozent bei Frauen und 29 Prozent bei Männern. Die Forscher griffen dabei auf Daten von mehr als 42.000 Zwillingen zurück (»American Journal of Psychiatry«, Doi: 10.1176/appi.ajp.163.1.109). Es gibt jedoch nicht »das eine Depressions-Gen«. Polymorphismen in zahlreichen Genen können eine Rolle spielen, zum Beispiel im Code für Serotonin-Transporter und -Rezeptoren. Dass nicht jeder eineiige Zwilling von Betroffenen erkrankt, zeigt allerdings, dass der genetische Code nicht allein für eine Depression verantwortlich ist.
Die Umwelt beeinflusst, wie die Gene abgelesen werden. So zeigte in diesem Monat eine Gruppe vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie, wie bei Mäusen aus einem frühkindlichen Trauma eine Depression wird (»Nature Genetics«, Doi: 10.1038/nn.2436). Dazu trennten sie die Versuchstiere kurz nach der Geburt von der Mutter. Im Laufe ihres Lebens konnten die Tiere sich nur schlecht an Stresssituationen anpassen; Gedächtnis, Antrieb und Emotionen waren dauerhaft gestört. Die Forscher erklären dies mit einer Überexpression von Vasopressin, was die Spiegel von Stresshormonen in die Höhe treibt. Grund für die Überproduktion ist ein methylierter Genabschnitt, der normalerweise die Expression von Vasopressin hemmt.
Stress als mögliche Ursache
Stress scheint wie bei anderen psychischen Erkrankungen auch eine Rolle bei der Entstehung von Depressionen zu spielen. Bei vielen Depressiven ist der Blutspiegel von Cortisol, einem typischen Stresshormon, erhöht. Nach der Diathese-Stress-Hypothese ist der Regelkreislauf des Hormons gestört. Steigt der Cortisolspiegel, werden normalerweise Glucocorticoid-Rezeptoren im Hippocampus aktiviert, die als negative Rückkoppelung die Ausschüttung von weiterem Corticotropin-freisetzendem Hormon (CRH) unterbinden. So wird der Cortisolspiegel gedrosselt. Depressive exprimieren vermutlich weniger dieser feedbackgebenden Rezeptoren im Hippocampus als Gesunde (»Psychoneuroendocrinology«, Doi: 10.1016/j.psyneen.2008.03.008). Die Ausschüttung von CRH im Hypothalamus wird daher nicht gebremst. Auch hier haben Tierversuche gezeigt, dass Ratten, die als Jungtiere viel mütterliche Fürsorge erfuhren, mehr Glucocorticoid-Rezeptoren exprimieren und im späteren Leben stressresistenter sind als vernachlässigte Tiere.
Die gängigste Theorie zu den Grundlagen der Depression ist die Monoamin-Hypothese. Danach ist das Neurotransmitter-System beispielsweise von Serotonin, Noradrenalin oder Dopamin im Gehirn in eine Schieflage geraten. Wodurch, ist jedoch noch unklar; genauso, ob dies der Auslöser der Depression oder ein Symptom ist. Einen wichtigen Hinweis zum Einfluss der Monoamine gab die Einführung von Reserpin als Blutdruckmittel in den 1960er-Jahren. Das Alkaloid leert die Speicher für Catecholamine und Serotonin. Klinische Folge kann neben der Blutdrucksenkung auch eine psychotische Depression sein. Umgekehrt fanden Forscher einige Jahre zuvor heraus, dass das eigentlich als Tuberkulostatikum entwickelte Iproniazid stimmungsaufhellend wirkt. Der irreversible Monoaminoxidase-Hemmer wurde das erste Antidepressivum.
Die Pharmaforscher schlossen aus diesen Beobachtungen, dass bei einer Depression zu wenig Monoamine im synaptischen Spalt vorliegen. Im Umkehrschluss entwickelten sie Medikamente, die in den Gehirnstoffwechsel eingreifen, nämlich die Monoamin-Wiederaufnahmehemmer, Monoaminoxidase-Hemmer und α2-Antagonisten wie Mianserin und Mirtazapin. Erstaunlich ist, dass diese Arzneistoffe ihre Wirkung erst nach zwei bis vier Wochen entfalten. Daraus lässt sich schließen, dass die direkte, kurzfristige Erhöhung der Neurotransmitter-Konzentration allein für die Stimmungsaufhellung nicht ausschlaggebend sein kann; sonst müssten die Medikamente sofort wirken. Hier lautet eine Hypothese, dass ein langfristiger Umbau im Gehirn stattfindet, einschließlich einer Veränderung der Genexpression. So konnten US-amerikanische Forscher der Universität Yale im Rattenexperiment zeigen, dass Antidepressiva wie Fluoxetin und Desipramin neue Nervenzellen im Hippocampus schützen, Synapsen umformen und diese vor dem Untergang retten (»The International Journal of Neuropsychopharmacology«, Doi: 10.1017/S1461145709990629 sowie Biological Psychiatry, Doi: 10.1016/j.biopsych.2008.09.031).
Die Medikamente könnten auch Neurotrophine, also die Wachstumsfaktoren der Nervenzellen und damit das Neuronenwachstum und die neuronale Plastizität beeinflussen. Dafür spricht folgende Beobachtung: So ist der Wachstumsfaktor BDNF (Brain-derived neurotrophic factor) bei Depressiven erniedrigt, steigt jedoch nach einer antidepressiven Pharmakotherapie an, wie eine Metaanalyse aus dem letzten Jahr belegt (»Biological Psychiatry«, Doi: 10.1016/j.biopsych.2008.05.005). Manche Forscher vermuten zudem einen Zusammenhang zwischen Depressionen und dem Untergang von Nervenzellen beziehungsweise ungenügender Regeneration im Hippocampus und anderen Arealen. Tatsächlich sind Teile des limbischen Systems und des präfrontalen Cortex bei schwer Depressiven oft kleiner als bei Gesunden (»Archives of General Psychiatry«, 2008;65(10):1156-1165). Generell scheint die Vernetzung verschiedener Hirnareale bei Depressiven beeinträchtigt zu sein. Auch hier ist unklar, ob es sich um die Ursache oder ein Symptom handelt.
Auch wenn zum Verständnis des multifaktoriellen Geschehens noch Puzzleteile fehlen, so erklärt es jedoch die Breite der klinischen Symptome einer Depression. Dazu gehören neben Traurigkeit und Antriebslosigkeit auch Schlafstörungen, Kopfschmerzen oder kognitive Störungen. Manchmal treten die körperlichen Symptome auch in den Vordergrund, was dem Arzt die Diagnose erschwert. Trotz der vielen Unbekannten in der Genese lässt die Depression sich mit Pharmako- und Psychotherapie gut therapieren. Das sollte jeder Betroffene wissen. /
Quellen
Bear, Connors, Paradiso: Neurowissenschaften, 3. Auflage 2009, Spektrum Akademischer Verlag
Aktories, Förstermann, Hofmann, Starke: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, 10. Auflage 2009, Urban & Fischer Verlag
www.kompetenznetz-depression.de
sowie die genannten Fachartikel