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Zöliakie

Ein bisschen Gluten ist schon zu viel

15.11.2010  12:17 Uhr

Von Annette Immel-Sehr / Die Zöliakie ist die häufigste Le­bensmittelintoleranz in Europa. Es ist jedoch keine klassische Nahrungsmittelallergie, sondern eine Autoimmunerkrankung. Weizen, Roggen und Gerste lösen bei den Betroffenen Entzün­dungen im Darm aus. Eine ursächliche Behandlung ist nicht möglich. Nur eine streng glutenfreie Ernährung kann die Symptome mildern oder beseitigen.

Zöliakie ist eine chronische Erkrankung des Dünndarms. Sie beruht auf einer Unverträglichkeit von Gluten, einem in vielen Getreidesorten enthaltenen Klebereiweiß. Die Erkrankung schädigt die Dünndarmschleimhaut; es kommt zur Atrophie der Zotten und Einschränkung der Resorptionsfähigkeit.

Früher hatte die Erkrankung zwei Bezeichnungen: Zöliakie oder einheimische Sprue. Man vermutete einen Unterschied, je nachdem, ob die Beschwerden im Kindes- oder im Erwachsenenalter auftraten. Heute ist bekannt, dass das Manifestationsalter keine Rolle spielt – es handelt sich um ein und dieselbe Krankheit. Daher verwendet man heute nur den Begriff Zöliakie. Der frühere Name »einheimische Sprue« bei Erstmanifestation im Erwachsenenalter spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Weitere Synonyme sind Heubner-Herter-Krankheit, glutensensitive Enteropathie oder Glutenunverträglichkeit.

 

Noch ein Irrtum ist heute ausgeräumt: Eine Zöliakie »wächst« sich nicht aus in der Pubertät, sondern bleibt lebenslang bestehen.

 

Viele Erscheinungsformen

 

Die Glutenunverträglichkeit führt zu unterschiedlich ausge­prägten Krankheitsformen und -zeichen (1, 2). Die wichtigsten sind hier aufgeführt.

 

  • Die »klassische« oder typische Zöliakie entwickelt sich im Kindesalter, meist einige Monate nach Einführung einer glutenhaltigen Kost. Typische Symptome sind chronischer Durchfall mit massigen, fettglänzenden, übel riechenden Stühlen, Wachstumsstörungen, Appetitlosigkeit, Übelkeit und vorgewölbter Bauch. Das Kind ist weinerlich und missgelaunt.
     
  • Die stumme oder asymptomatische Zöliakie ist relativ häufig. Symptome fehlen oder sind nur schwach ausgeprägt, obwohl bei einer Biopsie Veränderungen der Darmmucosa nachweisbar sind. Anlass für die Biopsie ist der Nachweis spezifischer Antikörper im Rahmen einer Screening-Untersuchung, die zum Beispiel bei Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1, Down-Syndrom oder Zöliakie in der Familie durchgeführt wird. Auch wenn Menschen mit stummer Zöliakie keine Beschwerden verspüren, kann sich ihre körperliche und geistige Leistungsfähigkeit nach Beginn einer glutenfreien Ernährung bessern (3).
     
  • Die latente Zöliakie ist klinisch asymptomatisch. Spezifische Antikörper sind nachweisbar, die Mucosa ist jedoch unverändert. Da sich die Darmschleimhaut, insbesondere bei höherer Glutenzufuhr, zöliakiespezifisch verändern kann, sollten die Patienten engmaschig kontrolliert werden. Andernfalls kann es zu Folgeerkrankungen kommen. Das Risiko für ein malignes Lymphom ist erhöht (3, 4).
     
  • Die extraintestinal manifestierte Zöliakie ist überwiegend oder ausschließlich durch Symptome außerhalb des Darms gekennzeichnet. Spezifische Antikörper sowie charakteristische Veränderungen der Dünndarmschleimhaut sind dennoch nachweisbar. Die bedeutendste Form ist die sogenannte Dermatitis herpetiformis Duhring, eine chronisch rezidivierende Hauterkrankung mit subepidermaler Blasenbildung. Charakteristisch sind stark juckende, meist rote Papeln vor allem an Ellbogen und Unterarmen, aber auch am Gesäß oder der Vorderseite der Knie. Eine Dermatitis herpetiformis Duhring ist immer mit einer Zöliakie assoziiert, die jedoch oft nur sehr schwach ausgeprägt ist.

 

Nur die Spitze des Eisbergs

 

Die Zöliakie ist die häufigste Lebensmittelintoleranz in Europa. Screening-Untersuchungen haben gezeigt, dass ihre Prävalenz mit 1:100 bis 1:500 deutlich höher liegt als vermutet (5). Allerdings haben die meisten Betroffenen nur wenige oder atypische Beschwerden, viele sind beschwerdefrei. Die typischen klinischen Symptome treten mit einer Häufigkeit von 1:2000 auf (1). Man spricht von einem »Eisbergphänomen« (6): Dies gilt sowohl für das Auftreten der klinisch manifesten Zöliakie als auch für ihre Erscheinungsformen (siehe Grafik). Kinder, deren Eltern oder Geschwister erkrankt sind, haben ein Risiko von circa zehn Prozent, ebenfalls an Zöliakie zu erkranken (7).

Die Zöliakie gehört zu den Autoimmun­erkrankungen. Die Pathologie ist sehr komplex, denn genetische, immunologische und exogene Faktoren spielen bei der Manifestation zusammen.

 

Der menschliche Körper verfügt über HLA-Antigene (Histokompatibilitätsantigene), die zur Steuerung der Immunreaktion beitragen. Bei einer Zöliakie liegen bestimmte HLA-Genotypen vor, die als DR3-DQ2 und DR3-DQ8 bezeichnet werden. Bei mehr als 90 Prozent der Betroffenen findet man HLA-DQ2, fast alle anderen haben HLA-DQ8. Diese genetische Besonderheit muss allerdings nicht zwangsläufig zur Erkrankung führen. Man findet bei 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung den HLA-Typ DQ2, ohne dass bei den meisten dieser Menschen eine Glutenunverträglichkeit auftritt (5).

 

Der genaue Mechanismus, wie Gluten beziehungsweise dessen Gliadinfraktion die Darmschleimhaut schädigt, ist nicht vollständig geklärt. Eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie spielt offenbar das Enzym Gewebetransglutaminase, das die Gliadine deamidiert. Die deamidierten Gliadine docken mit erhöhter Affinität an die HLA-DQ2-Antigene an. Der entstandene Komplex wiederum bindet an Lymphozyten. In der Folge werden vermehrt entzündungsauslösende Stoffe produziert; letztlich kommt es zur Schädigung der Mucosazellen mit Atrophie der Dünndarmzotten. Im weiteren Prozess werden Antikörper gebildet, vor allem IgA-Antikörper gegen Gliadin und Autoantikörper gegen körpereigene Antigene. Das wichtigste Autoantigen ist die Gewebstransglutaminase selbst (8, 9).

Begrifflichkeiten: Kleber oder Gluten

Ursprünglich sind »Kleber« oder »Gluten« lebensmitteltechnologische Begriffe, die bei der Mehlbereitung und beim Backen eine Rolle spielen. Gemeint ist die Proteinfraktion des Weizenkorns. Gluten hat für die Back­eigenschaften von Weizenmehl entscheidende Bedeutung. In Verbindung mit Wasser bildet der Kleber spezifische Polymere. Es entsteht ein dehnbares Gerüst, das das Gärgas hält – der Teig kann aufgehen. Während des Backens wird das Gerüst fest, und das Gebäck hält seine Form.

 

In der medizinischen Fachsprache werden »Kleber« und »Gluten« als Überbegriffe für die Proteinfraktionen in den Brotgetreidearten verwendet, die bei disponierten Personen eine Zöliakie auslösen können. Die wesentlichen krankheitsantreibenden Bestandteile sind Gliadin und Glutenin (Weizen), Secalin (Roggen) und Hordein (Gerste).

Der einzige bisher gesicherte exogene Faktor, der bei Zöliakie eine Rolle spielt, ist Gluten (Kasten). Als mögliche weitere Faktoren werden schwere Magen-Darm-Infektionen, etwa mit Rotaviren diskutiert.

 

Diagnose mit gravierenden Folgen

 

Die Symptomatik und Schwere der Erkrankung sind bei den Betroffenen sehr unterschiedlich. Viele Symptome lassen sich auf die unzureichende Resorption von Nährstoffen zurückführen, denn die stark verkleinerte Resorptionsfläche der atrophierten Dünndarmschleimhaut reicht nicht aus, um die notwendigen Nährstoffe ausreichend aufzunehmen. Häufig sind es Symptome wie Eisenmangelanämie oder Minderwuchs, die den Patienten zum Arzt führen. Sekundär entwickelt sich oft eine Lactose-Intoleranz, da durch die Atrophie der Darmschleimhaut nicht mehr ausreichend Lactase in den Dünndarmepithel­zellen gebildet wird.

 

Die Diagnose ist aufgrund des uneinheitlichen Krankheitsbilds für den Arzt schwierig (Tabelle). Aber sie muss »hieb- und stichfest« sein. Denn sie hat eine lebenslange, stark einschränkende Diät zur Folge. Zur Sicherheit sollte die Diagnose auf vier Grundpfeilern beruhen (1, 2):

 

Anamnese und klinischer Befund,

Antikörpernachweis,

Endoskopie mit Dünndarmbiopsie und

Besserung der Symptomatik sowie Absinken der Antikörpertiter bei glutenfreier Ernährung.

 

Besteht aufgrund der Anamnese und des klinischen Befunds ein Verdacht auf Zöliakie, so ist ein serologischer Test auf zöliakiespezifische Antikörper die erste diagnostische Maßnahme. Sind diese nachweisbar, ist zur Absicherung der Diagnose eine Dünndarmbiopsie mittels Endoskopie nötig. Entsprechend den unterschiedlichen klinischen Formen können auch die histologischen Veränderungen vielfältig sein. Pathologen beschreiben den Befund mit den sogenannten Marsh-Kriterien. Diese reichen von unauffälliger Histologie (Marsh 0) bis zur Zottenatrophie (Marsh 3).

Tabelle: Typische Symptome der Zöliakie

Manifestation Symptome
Magen-Darm-Trakt Durchfall, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Bauchschmerzen, ausladender Bauch
Psychomotorik Müdigkeit, Misslaunigkeit, Weinerlichkeit, Entwicklungsretardierung, muskuläre Hypotonie
somatische Entwicklung Wachstumsretardierung, Kleinwuchs, Gewichtsstillstand/-abnahme, Gedeihstörung
Mangelzustände Infektanfälligkeit, Mangel an Eisen, Folsäure, Vitamin K und D, Calcium, Magnesium, Zink, Phosphat, Protein

Die Diagnostik ist nur aussagekräftig, wenn der Patient sich nicht, aus welchem Grund auch immer, glutenfrei ernährt. Dann nämlich verschwinden die Antikörper und die Dünndarmmucosa regeneriert sich. Der Arzt kann die charakteristischen Merkmale nicht mehr finden.

 

Zöliakie kommt selten allein

 

Die Zöliakie gilt als eine der häufigsten prädisponierenden Ursachen für Osteoporose. Etwa 20 bis 50 Prozent der neu diagnostizierten Zöliakie-Betroffenen haben eine verringerte Knochendichte. Ursache dafür ist nicht allein die reduzierte Aufnahme von Calcium und Vitamin D. Die Darmerkrankung scheint die Knochensubstanz auch direkt zu schädigen, indem ihre Entzündungsmediatoren die Osteoklasten und damit den Knochenabbau stimulieren (13). Auch asymptomatische Patienten sind davon betroffen.

Patienten mit guter Diätcompliance zeigen weniger Knochenverlust. Nach einem Jahr ist die Knochendichte gebessert, erreicht jedoch nicht die Werte von Gesunden. Wird die Zöliakie bereits im Kindesalter diagnostiziert, kann durch konsequente Diät eine normale Knochendichte erreicht werden.

 

Falls die Patienten Milchprodukte, beispielsweise wegen einer Lactose-Intoleranz, nicht vertragen, kann die Apotheke andere wichtige Calciumquellen empfehlen: lactosefreie Milchprodukte, calciumreiche Gemüse und Mineralwässer sowie calcium­angereicherte Sojaprodukte. Bei Bedarf sollte zusätzlich supplementiert werden (5).

 

Es besteht ein überdurchschnittlicher Zusammenhang von Zöliakie mit Trisomie 21. Zudem haben die Patienten häufig mit weiteren Autoimmunerkrankungen wie Diabetes, Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto Thyreoiditis) und autoimmunen Lebererkrankungen zu kämpfen.

Die größte Bedeutung hat dabei Diabetes mellitus Typ 1, der bei drei bis sechs Prozent der Menschen mit Zöliakie auftritt. Umgekehrt liegt die Häufigkeit der Zöliakie bei Diabetikern je nach Alter der Patienten zwischen drei und acht Prozent. Das gemeinsame Auftreten beider Erkrankungen wird offenbar durch eine gemeinsame genetische Prädisposition im HLA-System verursacht. Außerdem zeigen sowohl Typ-1-Diabetiker als auch Zöliakie-Patienten erhöhte Zonulinspiegel (14). Zonulin ist ein Protein, das an der Regulation der interzellulären Kontakte (Tight junctions) in der Darmwand beteiligt ist. Es bindet an einen spezifischen Rezeptor an der Oberfläche der Epithelzellen und aktiviert eine biochemische Kaskade, die zur Öffnung der Tight junctions führt und die Durchlässigkeit der Darmepithelzellen erhöht. Dies könnte die Autoimmunreaktion begünstigen.

Bei einer Zöliakie ist das Risiko für die Entstehung bestimmter Malignomerkrankungen wie lymphoproliferative Tumore als auch für Karzinome im Gastrointestinaltrakt mäßig erhöht (15). Durch eine streng glutenfreie Ernährung gleicht sich das Risiko innerhalb von fünf bis zehn Jahren dem der Gesamtbevölkerung an (16).

 

Diät statt Medikamente

 

Bis heute gibt es keinen spezifischen Arzneistoff zur Behandlung der Zöliakie. Die einzige Therapie ist eine lebenslange, streng glutenfreie Ernährung (17). Verboten sind alle glutenhaltigen Getreidesorten, das heißt Weizen, Roggen und Gerste sowie die alten Getreidesorten Dinkel, Emmer und Kamut. Auch Produkte aus diesen Getreidesorten dürfen nicht verzehrt werden. Hierzu zählen neben Brot, Gebäck und Kuchen auch Nudeln, Mehl, Grieß, Graupen und Paniermehl. Ebenso sind alle Biersorten einschließlich Malzbier sowie Malzkaffee glutenhaltig und damit kontraindiziert.

 

Im Vergleich zu Weizen enthält Hafer wesentlich weniger Gluten. Vermutlich deswegen heißt es gelegentlich, dass Hafer im Rahmen der glutenfreien Ernährung erlaubt sei. In Skandinavien zeigten Untersuchungen, dass ein Teil der Zöliakie-Betroffenen Haferprodukte verträgt. Allerdings wurde in diesen Studien ein speziell gereinigter Hafer verwandt, den es in Deutschland nicht im Handel gibt. Die derzeit hierzulande angebotenen Haferprodukte liegen hinsichtlich des Glutengehalts über dem Grenzwert von 20 ppm. Nach wie vor raten die Fachgesellschaften in Deutschland vom Verzehr von Hafer und daraus hergestellten Produkten ab (1, 5).

 

Darüber hinaus findet sich Gluten in einer Vielzahl von Lebensmitteln. Es wirkt gelierend und emulgierend, bindet Wasser, stabilisiert und ist ein guter Trägerstoff für Aromastoffe. Gluten kann beispielsweise in Fertigsuppen, Fischkonserven, Wurstwaren, Schmelzkäse, Tomatenketchup und Schokolade enthalten sein. Für Zöliakie-Betroffene ist es deswegen wichtig, die Zutatenlisten zu studieren. Seit 2005 sind Lebensmittelhersteller laut Kennzeichnungsverordnung verpflichtet, Gluten zu deklarieren. Doch dieses kann auch unbeabsichtigt bei der Produktion oder Lagerung in Lebensmittel gelangen. Um rechtlich nicht angreifbar zu sein, deklarieren manche Hersteller vorsichtshalber »kann Spuren von Gluten enthalten«.

 

Ausgewogen ernähren

 

Trotz der erheblichen Einschränkung bei der Lebensmittelauswahl kann glutenfreie Kost abwechslungsreich und schmackhaft sein. Denn eine Vielzahl von Lebensmitteln ist von Natur aus glutenfrei. So enthalten Obst, Gemüse, Kartoffeln, Reis, Fleisch und Fisch kein Gluten. Milch und Milchprodukte, Eier, Nüsse und Samen können ebenso verzehrt werden wie Honig, Zucker, Sirup, Marmeladen, Pflanzenöle und Margarine. Alternativen zu glutenhaltigem Getreide sind Kartoffeln, Reis, Mais, Hirse, Buchweizen, Quinoa, Amaranth, Esskastanien und Soja. Als Ersatz für Weizenmehl und -stärke kann man Johannisbrotkern- und Sojamehl sowie Mais-, Kartoffel- und Reisstärke verwenden. Beim Backen können geriebene Nüsse oder Mandeln das Mehl ersetzen.

 

Eine ausgewogene Ernährung, die dem Körper alle wichtigen Nährstoffe liefert, ist sehr gut möglich. Was bei einer glutenfreien Ernährung jedoch oft fehlt, sind Ballaststoffe. Denn die glutenfreien Getreidearten enthalten deutlich weniger davon als Weizen oder Roggen. Eine Folge der ballaststoffarmen Kost ist Obstipation. Neben viel Gemüse und Obst empfehlen Ernährungsberater den Zusatz von Inulin, Rübenfasern oder Flohsamen, um den Ballaststoffanteil zu erhöhen.

In der Küche ist darauf zu achten, glu­tenfreie Zutaten, Brote und Backwaren in dichten Behältnissen und sorgfältig ge­trennt von glutenhaltigen Lebensmitteln aufzubewahren. Bereits Spuren von Glu­ten können den Krankheitsprozess wie­der anstoßen. Daher ist auf große Rein­lichkeit bei Arbeitsflächen und -gerä­ten sowie Küchenutensilien zu achten. Es ist sogar sinnvoll, manche Geräte dop­pelt anzuschaffen, zum Beispiel Toaster und Getreidemühle. Beim Frittieren darf man glutenfreie Lebensmittel nicht im selben Frittierfett wie glutenhaltige Lebensmittel aus­backen (17).

 

Mittlerweile steht für Zöliakie-Patienten ein reichhaltiges Angebot diätetischer Lebensmittel zur Verfügung. Glutenfreie Fertigprodukte findet man heute nicht nur in Reformhäusern und Apotheken, sondern auch in größeren Supermärkten. Sie sind allerdings meist teurer als herkömmliche Produkte. Das Logo der durchgestrichenen Weizenähre auf der Verpackung hilft, glutenfreie Waren zu erkennen.

Die strikte glutenfreie Ernährung bessert das Befinden meist innerhalb von zwei bis vier Wochen. Nach einigen Monaten, spätestens innerhalb eines Jahres ist die Dünndarmschleimhaut vollständig regeneriert. Mit zunehmender Regeneration der Zotten normalisiert sich die Lactaseaktivität; Milch und Milchprodukte werden wieder vertragen. Auch bei der Dermatitis herpetiformis Duhring ist eine streng glutenfreie Ernährung die einzige effektive Behandlung. Bis die Diät Wirkung zeigt, ist in der Regel zusätzlich eine topische Therapie mit Glucocorticoiden erforderlich.

 

Nur selten sprechen Patienten auf eine glutenfreie Ernährung nicht an. Dann können bewusste oder unbewusste Diätfehler oder eine Fehldiagnose zugrunde liegen. Eine diätrefraktäre Zöliakie ist sehr selten. In diesen Fällen wird in der Regel systemisch mit Glucocorticoiden therapiert.

 

Für die Beratung in der Apotheke ist wichtig, dass Gluten auch in einer Reihe von Medikamenten enthalten ist. Weizenstärke ist ein häufiger Hilfsstoff bei der Tablettenherstellung.

 

Die Ernährungstherapie muss von einer versierten Ernährungsfachkraft begleitet werden. Denn es geht nicht nur darum, glutenhaltige und -freie Lebensmittel unterscheiden zu lernen. Betroffene und ihre Eltern/Familien brauchen eine konkrete und praxisnahe Beratung, um die Diät im Alltag umsetzen zu können: am Familientisch, in der Schule, beim Kindergeburtstag, in der Kantine oder im Restaurant. Tipps, Materialien und Schulungen bietet auch die Deutsche Zöliakie-Gesellschaft e. V. (DZG) an. Eine der wichtigsten Aufgaben der Ernährungsberatung ist es, die Compliance der Patienten hoch zu halten. Schon kleinste Glutenmengen können das Entzündungsgeschehen wieder anstoßen, ohne dass der Betroffene dies unbedingt merkt. Zugleich steigen das Osteoporose- und das Malignomrisiko.

 

Ist Prävention möglich?

 

Zurzeit gibt es keine Alternative zur Diät. Wissenschaftler verfolgen jedoch unterschiedliche medikamentöse Therapieansätze (8, 18). So könnten Propylpeptidasen, die Gluten im menschlichen Darm abbauen, die Initiation der Autoimmunreaktion verhindern (19, 20). Auch die Hemmung der Gewebetransglutaminase erscheint aussichtsreich, da die Deamidierung der Gliadinpeptide durch dieses Enzym als Schlüsselreaktion der Autoimmunreaktion gilt (21). Im Mittelpunkt weiterer Forschungen stehen die Blockade der HLA-Bindungsstelle für Gliadinpeptide (22) sowie der Einsatz von Zonulin-Antagonisten, die die gluteninduzierte Schädigung der Tight junctions zwischen den Epithelzellen verhindern (23). Mit Sicherheit wird es noch einige Zeit dauern, bis Zöliakie-Medikamente auf den Markt kommen. Bis dahin gibt es keine Alternative zur Diät. Große Hoffnung wird daher auf die Prävention gesetzt.

 

Verschiedene Studien haben einen möglichen Zusammenhang zwischen der Dauer des Stillens, der Einführung glutenhaltiger Kost und dem Auftreten von Zöliakie gezeigt (10, 11). Vieles deutet darauf hin, dass der ideale Zeitpunkt, Gluten in die Nahrung einzuführen, während der Stillphase zwischen dem 4. und 6. Lebensmonat liegt. Zudem scheint es vorteilhaft zu sein, wenn die eingeführte Glutenmenge sehr gering ist. Das Immunsystem kann dann langsam »lernen«, nicht auf Gluten zu reagieren. Doch lässt sich eine Zöliakie damit wirklich verhindern? Antworten soll eine randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Interventionsstudie bringen, die seit Januar 2007 europaweit läuft. Sie trägt den Namen »PreventCD« (CD: Coeliac Disease). Das deutsche Studienzentrum befindet sich am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München (7, 12).

 

Die Studie fokussiert auf die Gruppe der Zöliakie-Risikokinder. Findet man im Nabelschnurblut von Neugeborenen, deren Eltern oder Geschwister erkrankt sind, die spezifischen Risikogene, kann das Kind in die Studie eingeschlossen werden. Der Säugling wird zunächst voll gestillt. Ab dem 5. Lebensmonat wird täglich über acht Wochen randomisiert und doppelblind entweder 1 g Weizenmehl oder 1 g Placebo in pulverisierter Form zugeführt. Die Ärzte hoffen, mit neuen Empfehlungen für die frühkindliche Ernährung die Zahl der Neuerkrankungen an Zöliakie spürbar senken zu können. /

Die Autorin

Annette Immel-Sehr studierte Pharmazie in Bonn und Frankfurt/Main. Nach der Approbation 1988 wurde sie mit einer Arbeit über ein pharmakologisches Thema am Pharmakologischen Institut für Naturwissenschaftler der Universität Frankfurt promoviert. Von 1992 bis 1999 war Dr. Immel-Sehr als Referentin für Aus- und Fortbildung bei der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände tätig. Seither arbeitet sie freiberuflich als Beraterin für Wissenschafts-PR und als Fachjournalistin.

 

 

Dr. Annette Immel-Sehr

Behringstraße 44

53177 Bonn-Bad Godesberg

ais(at)immel-sehr.de

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