Pharmazeutische Zeitung online
Vermeidung von Interaktionen

Analyse einer Kundenkartei

06.11.2012  12:23 Uhr

Von Beate Becker, Katja Kelm, Anja Kittel, Julia Wagner und Kerstin Weber / Arzneimittelwechselwirkungen können lebensbedrohliche Folgen haben. Daher wäre eine dauerhafte Einführung eines Medikationsmanagements durch Apotheker ein wichtiger Schritt, um die Patientensicherheit zu erhöhen. Ein wesentlicher Teil dieses Konzeptes ist die Erkennung und Vermeidung von Interaktionen. An der Universität Würzburg wurde im Rahmen des Wahlpflichtfachs Klinische Pharmazie diese Problematik durch Analyse der Kundendatei zweier öffentlicher Apotheken genauer betrachtet.

Das Thema Arzneimittelinteraktionen hat heute eine große Bedeutung für die Gesellschaft und das Gesundheitssystem. Bereits jetzt sind 5 Prozent aller Krankenhauseinweisungen arzneimittelbedingt, wovon etwa 30 Prozent durch Arzneimittelinteraktionen herbeigeführt werden. Es wird geschätzt, dass jedes Jahr circa 16 000 Patienten durch Arzneimittelwechselwirkungen sterben (1, 2). Die Hauptrisikofaktoren für das Auftreten von Interaktionen sind Polymedikation, Alter, Anzahl der behandelnden Ärzte und Anzahl unterschiedlicher Apotheken. Ab einem Alter von 60 Jahren nimmt jeder Mensch statistisch gesehen im Durchschnitt drei rezeptpflichtige und beinahe genauso viele apothekenpflichtige Arzneimittel. Im Alter von 75 bis 85 Jahren bekommt jeder Dritte mehr als acht Medikamente verschrieben (2).

Richtigstellung

In diesem Artikel werden bei den häufigsten Interaktionspaaren einige Interaktionen aufgeführt, die so nicht in der ABDA-Datenbank auftauchen und für die es keine wissenschaftlichen Belege gibt. Es handelt sich um die folgenden Interaktionen:

 

ASS 100-Ramipril

Marcumar-Ramipril

Simvastatin-Metoprolol

Thyroxin-Enalapril

 

Die Wechselwirkungspaare und Interaktionspaare für die Analyse wurden per Hand in eine Excel-Tabelle eingegeben. Die Auswertung erfolgte mit der Software Matlab (einem Statistikprogramm). Zu diesem Zweck war es nötig, die Kunden-Daten in Zahlen umzuwandeln, dass heißt, jedem Wirkstoff und jedem Interaktionspaar wurde per Hand eine Zahl zugeordnet. Nach eingehender Prüfung aller vorhandener Daten wurde festgestellt, dass diese falschen Interaktionspaare aufgrund von Fehlern bei der Datenumwandlung entstanden sind. Die Autoren des Beitrags bitten, dies zu entschuldigen.

 

Januar 2013

Um herauszufinden, welche Interaktionen in der Praxis relevant sind, welche Wirkstoffe großes Wechselwirkungspotenzial haben und ob ein Unterschied zwischen den Geschlechtern oder dem Alter der Kunden in Bezug auf Häufigkeit und Schweregrad von Interaktionen auftritt, wurden Kundendateien von zwei öffentlichen Apotheken analysiert. Durch die Einschränkung auf Personen, die 1947 oder früher geboren wurden und mehr als fünf Medikamente gleichzeitig einnehmen müssen, wurde die auszuwertende Datenmenge begrenzt. Insgesamt wurden 250 Datensätze digitalisiert. Es wurden Alter und Geschlecht der Kunden erfasst sowie alle Wirkstoffe, die der Patient in den letzten sechs Monaten erhalten hat. Diese Arzneistoffe wurden anschließend auf Arzneimittelinteraktionen untersucht und in Interaktionsgruppen nach der ABDA-Datenbank-Klassifikation in folgende Kategorien eingeteilt (3):

 

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Schwerwiegende Folgen wahrscheinlich – kontraindiziert

Vorsichtshalber kontraindiziert

Überwachung beziehungsweise Anpassung nötig

In bestimmten Fällen Überwachung beziehungsweise Anpassung nötig

Vorsichtshalber überwachen

In der Regel keine Maßnahmen erforderlich

 

Die 250 Datensätze setzten sich aus Angaben von 155 Frauen und 95 Männern zusammen, wobei insgesamt 1080 Interaktionen auftraten. Das Durchschnittsalter lag bei 75,3 Jahren. Um einen möglichen Unterschied im Interaktionsrisiko für einzelne Altersgruppen festzustellen, wurden die Patienten in drei Altersgruppen eingeteilt. Im Schnitt nahm jeder Patient 7,5 Arzneistoffe ein, die Anzahl der verschriebenen Präparate lag dabei zwischen fünf und 15.

 

Häufigste Interaktionen

 

Die Analyse ergab, dass die 24 häufigsten Wechselwirkungen 30 Prozent aller bedenklichen Arzneistoffkombinationen ausmachen. Kamen verschiedene Interaktionen gleich oft vor, wurde ihnen die gleiche Nummer zugeteilt (Abbildung 1). Bei den in Abbildung 1 aufgeführten Kombinationen handelte es sich immer um Kategorie 3, außer die Wechselwirkung von Diclofenac und Torasemid, welche in die Kategorie 4 fällt. Am häufigsten trat die Interaktion zwischen ASS 100 und Ramipril (2,34 Prozent) auf.

PZ-Originalia

In der Rubrik Originalia werden wissen­schaftliche Untersuchungen und Studien veröffentlicht. Eingereichte Beiträge sollten in der Regel den Umfang von vier Druckseiten nicht überschreiten und per E-Mail geschickt werden. Die PZ behält sich vor, eingereichte Manuskripte abzulehnen. Die veröffentlichten Beiträge geben nicht grundsätzlich die Meinung der Redaktion wieder.

Insgesamt wurden 1080 Interaktionen dokumentiert. Sie teilten sich wie folgt auf die unterschiedlichen Kategorien auf: Wie aus Abbildung 2 ersichtlich wird, war die mit Abstand größte Gruppe die Interaktionskategorie 3 mit 71 Prozent.

 

Insgesamt traten in der Kundendatei 15 unterschiedliche Interaktionspaare der Kategorie 1 auf (Abbildung 3). Wie aus dem Diagramm ersichtlich, kamen dabei am häufigsten Wechselwirkungen zwischen Metformin und Ethanol (19,4 Prozent), Simvastatin und Grapefruit (16,7 Prozent) sowie zwischen ASS 100 und Clopidogrel (16,7  Prozent) vor. Diese drei Wechselwirkungen machten zusammen über 50 Prozent der detektierten Kategorie 1-Interaktionen aus. Auffällig bei den Arzneimittelinteraktionen der ersten Kategorie war auch, dass häufig Grapefruit und Ethanol bei den auftretenden Interaktionspaaren vorkam. Dabei handelte es sich also um mögliche Interaktionen, die auftreten können, falls zu dem jeweiligen Arzneistoff Ethanol oder Grapefruit eingenommen wird. Im Apotheken-Alltag sollte bei diesen Wirkstoffen gezielt darauf hingewiesen werden, dass auf eine gleichzeitige Einnahme von Grapefruit-Saft beziehungsweise Alkohol mit den Arzneistoffen verzichtet werden sollte, da schwerwiegende gesundheitliche Folgen möglich sind.

 

In der Kundenkartei traten 15 unterschiedliche Interaktionspaare der Kategorie 2 auf (Tabelle 1). Es wurde am häufigsten die Arzneimittelwechselwirkung zwischen dem Fluorchinolon-Antibiotikum Ciprofloxacin und Coffein (22,2 Prozent) detektiert. Die restlichen 14 Interaktionspaare traten mit gleicher Häufigkeit (5,6 Prozent) auf. Insgesamt traten 780 Interaktionen der Kategorie 3 auf. Damit war diese Kategorie die am häufigsten vorkommende.

 

Vergleich der Interaktionen bei Männern und Frauen

 

Um zu vergleichen, inwieweit sich aufgrund des Geschlechts das Wechselwirkungsprofil verändert, wurden die Daten sowohl für Männer als auch für Frauen gesondert ausgewertet. Insgesamt wurden die Wirkstoffprofile von 95 Männern und 155 Frauen untersucht. Die Analyse zeigte, dass sowohl bei Männern als auch bei Frauen im Schnitt jeweils 4,5 Wechselwirkungen auftraten. Anhand dieser Werte ließ sich also kein Rückschluss auf Unterschiede bei der Häufigkeit von Wechselwirkungen zwischen den Geschlechtern ziehen.

Bei den analysierten Männern ergab sich folgende Verteilung: In Abbildung 5 wurden die Wechselwirkungen mit den sieben größten Häufigkeiten berücksichtigt. Da manche Interaktionen gleich häufig auftraten, wurde ihnen die gleiche Nummer zugeteilt. Bei den häufigsten Interaktionen der Männer traten nur Wechselwirkungen der Kategorie 3 auf. Der Hauptanteil an Arzneistoffgruppen, die für Wechselwirkungen verantwortlich waren, bildeten hierbei die Antihypertonika, die tendenziell allerdings auch von einem relativ großen Patientenpool angewendet werden (4).

 

Bei den Frauen ergab sich folgender Zusammenhang: In Abbildung 6 wurden die Wechselwirkungen mit den fünf größten Häufigkeiten berücksichtigt. Auch hier waren nur Interaktionen der Kategorie 3 bei den prozentual häufigsten Interaktionen vorhanden. Ebenfalls bildeten hier die Antihypertonika eine sehr große Gruppe an potenziell interagierenden Substanzen. Generell kann man sagen, dass es relativ starke Überschneidungen bei den häufigsten Interaktionen bei Männern und Frauen gab.

 

Auswertung nach Altersgruppen

 

Um einen möglichen Unterschied im Interaktionsrisiko für einzelne Altersgruppen festzustellen, wurden die Patienten in drei Altersgruppen eingeteilt. Der erste Block umfasste das Alter von 64 bis 69 Jahren, der zweite fasste Patienten zwischen 70 und 79 Jahren zusammen, die letzte Gruppe beinhaltete alle, die älter als 80 Jahre waren. Im Schnitt nahm jeder Patient 7,5 Arzneistoffe ein, die Anzahl der verschriebenen Präparate lag dabei zwischen 5 und 15. In Tabelle 2 wurden die Interaktionen aufgelistet, die nur in einer Altersgruppe häufig auftraten. Es ist auffallend, dass sowohl Digitoxin als auch Torasemid, Allopurinol, Marcumar und Citalopram nur in der ältesten Gruppe vorkommen. Das lässt darauf schließen, dass die Arzneistoffe in dieser Altersklasse öfter verschrieben werden als bei den jüngeren Patienten.

Tabelle 1: Auftretende Interaktionen der Kategorie 2 (WS = Wirkstoff)

WS 1 WS 2 WS 1 WS 2
1 Ciprofloxacin Coffein 9 Ciprofloxacin Amiodaron
2 Levofloxacin Prajmaliumbitartrat 10 Domperidon Citalopram
3 Darifenacin Voriconazol 11 Lakritze HCT
4 Morphin Buprenorphin-HCL 12 Torasemid Lakritze
5 Levodopa MCP 13 Grapefruit Nifedipin
6 Citalopram Indapamid 14 Grapefruit Amlodipinbesilat
7 Citalopram Amitriptylin 15 Marcumar ß-Acetyldigoxin
8 Ciprofloxacin ß-Acetyldigoxin

Tabelle 2: Interaktionen aufgetrennt nach Altersgruppen

64 bis 69 Jahre 70 bis 79 Jahre 80 bis 101 Jahre
Interaktion Häufigkeit [%] Interaktion Häufigkeit [%] Interaktion Häufigkeit [%]
Metformin + HCT 1.54 ASS 100 + Ethanol 1.81 Digitoxin + Torasemid 1.35
Diclofenac + Metoprolol 1.45 Ramipril + Torasemid 1.35
Ibuprofen + Bisoprolol 1.27 Ramipril + Allopurinol 1.35
Marcumar + Ramipril 1.35
ASS 100 + Citalopram 1.35

Zusammenfassung

 

Insgesamt konnten aussagekräftige Daten durch die Analyse erhoben werden. Die Datenerhebung kann als Basis für nachfolgende, größer angelegte Untersuchungen dienen, um die allgemeine Gültigkeit zu bekräftigen. Es konnten keine gravierenden Unterschiede im Auftreten der Interaktionen zwischen Männern und Frauen festgestellt werden.

 

Bei dem Vergleich der unterschiedlichen Altersgruppen konnten wir Unterschiede bei den häufigsten Interaktionen feststellen: Durch das sich zunehmende Alter ändert sich auch die benötigte Medikation. Die Beers-Kriterien beziehungsweise die Priscus-Liste umfassen Arzneimittel beziehungsweise Medikamentenklassen, die bei Senioren nicht angewendet werden sollten, weil bei älteren Menschen gehäuft Komplikationen auftreten können (5, 6). Es wäre also interessant, die vorliegende Kundenkartei auch mit den Beers-Kriterien beziehungsweise der Priscus-Liste abzugleichen. Allerdings werden laut einer Studie 61 Prozent der Medikamente, die von der Beers-Liste als ungeeignet eingestuft sind, von Experten im konkreten Einzelfall als unproblematisch angesehen. Daher ist ein bloßer Vergleich der Medikamente mit den Beers-Kriterien, ohne genauere Informationen zur Krankengeschichte, nicht sinnvoll (7).

 

Unsere Untersuchungen bestätigen die große Bedeutung von Arzneimittelinteraktionen im Apothekenalltag und zeigen die Notwendigkeit der Beschäftigung mit diesem Thema ebenso, wie die Erfordernis alltagstaugliche Hilfen für den Umgang mit Wechselwirkungen zu entwickeln und anzuwenden. /

Für die Verfasser

Professor Dr. Petra Högger, Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie Julius-Maximilians-Universität, Am Hubland, 97074 Würzburg, E-Mail: hogger(at)pzlc.uni-wuerzburg.de

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