Die Nieren schützen |
09.11.2010 15:02 Uhr |
Von Iris Hinneburg / Diabetische Nephropathien frühzeitiger erkennen und umfassender behandeln: Die Nationale Versorgungsleitlinie »Nierenerkrankungen bei Diabetes im Erwachsenenalter« ist erschienen.
Schäden an den Nieren gehören zu den gefürchteten Folgeerkrankungen eines Diabetes mellitus. Um künftig solchen Schäden besser vorzubeugen, sie früher zu erkennen und umfassender zu behandeln, wurde in Abstimmung verschiedener Fachgesellschaften im September die Nationale Versorgungsleitlinie »Nierenerkrankungen bei Diabetes im Erwachsenenalter« veröffentlicht.
Gesunde Nieren halten zurück, was der Körper noch benötigt, und scheiden aus, was ihm schaden könnte. Wichtig für Diabetiker: Sie sind auch an der Gluconeogenese beteiligt.
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Obwohl sie sich primär an die behandelnden Ärzte richtet, enthält sie viele nützliche Informationen, die auch im Apothekenalltag die Beratung von Diabetikern unterstützen können.
Aufgepasst bei Eiweiß im Urin
Bei Typ-2-Diabetes können Nierenschäden über verschiedene Pathomechanismen entstehen. Bei allen Formen führt eine unzureichende Behandlung zu einer Niereninsuffizienz, die eine Nierenersatztherapie (Dialyse, Nierentransplantation) erforderlich macht und die Lebensqualität der Patienten spürbar einschränkt. Bei der klassischen diabetischen Nephropathie im engeren Sinne bewirken die dauerhaft erhöhten Blutzuckerwerte strukturelle Veränderungen an den Glomerula der Niere (Läsionen, Sklerosierung), die die Nierenfunktion zunehmend beeinträchtigen. Daneben können Nierenschäden bei Typ-2-Diabetes auch Folge einer Hypertonie oder von eigenständigen Erkrankungen des Filtrationsorgans sein.
Nephropathien entwickeln etwa 30 bis 40 Prozent aller Diabetiker, und Diabetes ist in den Industrieländern die häufigste Ursache einer Niereninsuffizienz. Unbehandelt führt diese zum Tod. Eine Mikroalbuminurie gilt als das erste Anzeichen, dass die Nieren des Diabetikers erkrankt sind (siehe Tabelle 1). In diesem Stadium ist die Nierenfunktion zwar noch stabil, doch steigt das Risiko, eine Makroalbuminurie und eine Niereninsuffizienz zu entwickeln. In der Nationalen Versorgungsleitlinie wird daher ein Screening von Diabetikern auf Albuminurie empfohlen. Typ-2-Diabetiker sollten ab Diagnose jährlich auf Eiweiß im Urin getestet werden.
Stadium | Albuminausscheidung (mg/L) | Glomeruläre Filtrationsrate (ml/min/1,73 m 2) |
---|---|---|
Nierenschädigung mit normaler Nierenfunktion | ||
1a. Mikroalbuminurie | 20-200 | >90 |
1b. Makroalbuminurie | > 200 | |
Nierenschädigung mit Niereninsuffizienz | ||
2. leichtgradige Niereninsuffizienz | >200 | 60-89 |
3. mäßiggradige Niereninsuffizienz | abnehmend | 30-59 |
4. hochgradige Niereninsuffizienz | unterschiedlich | 15-29 |
5. terminale Niereninsuffizienz | unterschiedlich | <15 |
Die Leitlinie empfiehlt, dazu den Albumin-Kreatinin-Quotienten im ersten Morgenurin zu bestimmen. Teststreifen sollten nicht eingesetzt werden, da sie zu wenig sensitiv und spezifisch sind. Körperliche Anstrengung, Harnwegsinfekte, Blutdruckerhöhungen, akute fiebrige Infekte oder starke Blutzuckerschwankungen können auch ohne Nierenerkrankung zu einer erhöhten Albuminausscheidung führen. In diesem Fall sollte der Test auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Zusätzlich zur Albuminbestimmung sollte auch die glomeruläre Filtrationsrate bestimmt werden, da bei Diabetikern Albumin im Urin nicht zwangsläufig auf eine Nierenerkrankung hindeutet und andererseits auch Nierenschäden ohne Eiweißausscheidung auftreten können.
Blutzucker individuell senken
Das Risiko für eine Nierenerkrankung steigt bei Diabetikern, je älter sie werden, je länger sie bereits an Diabetes erkrankt sind und wenn in der Familie bereits Hypertonie oder Nierenerkrankungen aufgetreten sind. Auch sind bei Männern häufiger als bei Frauen die Nieren betroffen. Dennoch ist die Nephropathie kein Schicksal, denn es gibt einige Risikofaktoren, die sich beeinflussen lassen. Dazu gehören etwa erhöhte Blutzuckerwerte, Hypertonie, Übergewicht, erhöhte Blutfettwerte sowie Tabakkonsum. Diese Faktoren sollten frühzeitig erfasst und behandelt werden.
Diabetiker besitzen ein erhöhtes Risiko für Nierenerkrankungen. Nicht nur der hohe Blutzucker ist dafür verantwortlich.
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Untersuchungen haben gezeigt, dass es einen engen Zusammenhang zwischen der diabetischen Stoffwechsellage und dem Auftreten von Nephropathien gibt. Gleichzeitig neigen Diabetiker mit Niereninsuffizienz häufiger zu Hypoglykämien. Da die Nieren auch an der Gluconeogenese beteiligt sind, ist bei Nierenschäden ein wichtiger Mechanismus zur Regulation des Blutzuckers gestört. Daher sollte die Einstellung des Stoffwechsels individuell erfolgen und die jeweiligen Komorbiditäten berücksichtigen. Aktuell werden zur Primärprävention einer Nephropathie HbA1c-Werte zwischen 6,5 Prozent (48 mmol/mol) und 7,5 Prozent (58 mmol/mol) empfohlen. Wenn jedoch bereits makroangiopathische Komplikationen vorliegen und der Patient Hypoglykämien schlecht wahrnimmt, sollte der Zielwert bei 7,0 bis 7,5 Prozent (53 bis 58 mmol/mol) liegen. Um das weitere Fortschreiten einer bestehenden Nierenerkrankung zu verhindern, wird ein HbA1c-Wert unter 7 Prozent (53 mmol/mol) angestrebt, vorausgesetzt, es gibt weder makrovaskuläre Komplikationen noch Wahrnehmungsstörungen von Hypoglykämien.
Nierenschutz durch Blutdrucksenkung
Wenn die Nierenfunktion bereits beeinträchtigt ist, muss die antihyperglykämische Pharmakotherapie sorgfältig ausgewählt werden. Tabelle 2 gibt einen Überblick über den Einsatz von oralen Antidiabetika bei Niereninsuffizienz. Wenn der Blutzuckerspiegel mit oraler Therapie nicht ausreichend eingestellt werden kann, der Patient zu Hypoglykämien neigt oder sein Allgemeinbefinden nachlässt, wird die Umstellung auf Insulin empfohlen, besonders bei stark wechselnder Nierenfunktion.
Wirkstoffe | Zu beachten bei Niereninsuffizienz |
---|---|
Alpha-Glucosidase-Hemmer (Acarbose, Miglitol) | nicht empfohlen wegen spärlicher Studienlage und Nebenwirkungspotenzial (Wasser- und Elektrolytverluste bei Diarrhöen), kontraindiziert bei Kreatinin-Clearance <25 ml/min |
Metformin | Gefahr der Laktatazidose bei Kumulation, Nierenfunktion regelmäßig überprüfen, kontraindiziert bei Kreatinin-Clearance <60 ml/min |
Pioglitazon | Anwendung möglich, vorher Herzinsuffizienz ausschließen |
Sulfonylharnstoffe | kontraindiziert bei Kreatinin-Clearance <30 ml/min, sonst Dosisreduktion (nicht notwendig bei Gliquidon) |
Repaglinid | Dosis-Reduktion bei Kreatinin-Clearance <30 ml/min |
Nateglinid | nicht empfohlen wegen fehlender Erfahrung |
DPP-4-Hemmer (Sitagliptin, Vildagliptin, Saxagliptin) | nicht empfohlen bei Kreatinin-Clearance <50 ml/min |
Exenatid | Dosis-Reduktion bei Clearance 50-30 ml/min, darunter kontraindiziert |
Liraglutid | bei Clearance <60 ml/min nicht empfohlen |
Wenn Diabetiker gleichzeitig unter Hypertonie leiden, steigt das Risiko für kardiale und renale Komplikationen. Untersuchungen haben gezeigt, dass man durch eine Blutdrucksenkung das Fortschreiten der Niereninsuffizienz aufhalten kann. Angestrebt wird ein diastolischer Blutdruck von 80 mmHg, der systolische Blutdruck sollte möglichst unter 140 mmHg liegen, doch sind individuelle Besonderheiten zu berücksichtigen. Den effektivsten Nierenschutz bieten die ACE-Hemmer, die bei hypertonen Patienten mit diabetischer Nephropathie bevorzugt eingesetzt werden sollten. Wenn diese Substanzklasse nicht vertragen wird, kann auf AT1-Antagonisten ausgewichen werden.
Falls eine Kombinationstherapie mit zwei Arzneistoffen notwendig ist, werden als weitere Antihypertonika lang wirksame Calciumantagonisten beziehungsweise Diuretika empfohlen: Bis zu einem Serumkreatin-Wert von 1,8 mg/dl können Thiazide oder Thiazidanaloga eingesetzt werden, bei stärker eingeschränkter Nierenfunktion Schleifendiuretika. Bei Diabetikern mit KHK werden als zweiter Kombinationspartner gerne Betablocker verwendet, da sie präventiv gegen kardiovaskuläre Komplikationen wirken. Daneben kommen Betablocker auch als dritter Kombinationspartner zum Einsatz. Bestehen Kontraindikationen gegen diese Wirkstoffklasse, kann auf Verapamil ausgewichen werden. Zu beachten ist, dass Diuretika und Betablocker die Glucosetoleranz verschlechtern können.
Urämie und unruhige Beine
Zahlreiche Studien haben einen Zusammenhang zwischen erhöhten Blutfettwerten und steigender Albuminausscheidung gezeigt. Daher sollte bei diabetischer Nephropathie der LDL-Wert auf unter 100 mg/dl gesenkt werden. Besonders bei einem frühen Stadium der Niereninsuffizienz sind neben nicht-medikamentösen Therapieansätzen (Ernährung, Bewegung, Gewichtsreduktion) Statine Mittel der ersten Wahl. Zu beachten sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Statinen bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz: Bei Lovastatin, Simvastatin und Rosuvastatin ist eine Dosisanpassung erforderlich, während bei Gabe von Atorvastatin, Fluvastatin und Pravastatin die Dosierung unverändert beibehalten werden kann.
Bei erhöhten Triglyceridwerten werden Fibrate und Nicotinsäure eingesetzt. Auch hier muss die Dosierung bei Niereninsuffizienz angepasst werden. Das Interaktionspotenzial zwischen Statinen und Fibraten mit der Gefahr einer Rhabdomyolyse ist bei Niereninsuffizienz besonders hoch, deshalb sollte auf diese Kombination möglichst verzichtet werden.
Wenn infolge einer Niereninsuffizienz die Konzentration der harnpflichtigen Substanzen im Blut ansteigt, können weitere Beschwerden wie das Restless-Legs-Syndrom (RLS) resultieren. Das RLS tritt bei 20 bis 40 Prozent aller Patienten mit Urämie auf. Zwar sind die klinischen Symptome häufig unterschiedlich stark ausgeprägt, doch leiden alle Patienten unter einem erheblichen Bewegungsdrang der Beine, der mit Parästhesien einhergeht. Besonders ausgeprägt sind die Symptome in den Abend- und Nachtstunden. Sie verschwinden durch Bewegung. Betroffene kommen daher häufig nicht zu einem erholsamen Nachtschlaf, was die Leistungsfähigkeit am Tag stark beeinträchtigt. Die Dialyse kann zur Reduktion der Symptome führen, häufig bleiben die Beschwerden aber weiter bestehen. Bei RLS werden als Mittel der ersten Wahl L-DOPA oder Dopamin-Agonisten empfohlen. Bei der Differentialdiagnostik ist es wichtig, das RLS von einer diabetischen Polyneuropathie abzugrenzen.
Juckreiz bei Niereninsuffizienz
Bei jedem zweiten bis vierten Dialysepatienten und einem hohen Anteil der Patienten mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz (Grad 4 und 5) tritt ein Juckreiz (urämischer Pruritus) in unterschiedlichen Schweregraden auf. Der Pruritus beeinträchtigt bei vielen Patienten Schlaf und Arbeitsleistung. Mögliche Ursachen sind trockene Haut (wie sie bei Diabetikern generell häufig vorkommt), erhöhte Parathormonspiegel und erhöhte Konzentrationen von Aluminium und Magnesium im Blut. Bisher gibt es nur wenige Untersuchungen dazu, welche Therapie den Juckreiz nachhaltig lindert. Wenn in Absprache mit dem Nephrologen eine ursächliche Behandlung nicht möglich ist oder nicht anschlägt, können topische Mittel eingesetzt werden:
Hautcremes mit hohem Feuchtigkeitsgehalt sollten zweimal täglich angewendet werden.
Zur Körperpflege empfiehlt sich der Einsatz von milden Seifen.
Präparate mit Harnstoff oder Glucocorticoiden können die Symptome mildern
Bei unzureichender Wirksamkeit kann versucht werden, Dauer und Frequenz der Dialyse zu steigern oder Medikamente wie Gabapentin einzusetzen. Eine positive Wirkung bei Juckreiz wird auch für Gamma-Linolensäure und eine physikalische Phototherapie mit UV-B-Strahlung diskutiert. Definitiv beseitigen lässt sich der urämische Pruritus nur mit einer Nierentransplantation.
Weitere Beratungstipps
Eine zu hohe Proteinzufuhr kann die Nieren zusätzlich belasten. Diabetiker mit Niereninsuffizienz sollten daher ihre tägliche Eiweißzufuhr auf 0,8 g/kg reduzieren. Rauchen schädigt die Blutgefäße und erhöht das Risiko für eine diabetische Nephropathie und deren Progression. Eine Beratung zur Raucherentwöhnung trägt damit ebenfalls zum Schutz der Nieren bei. Nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) können die Nierenfunktion verschlechtern, daher sollte besonders die Langzeiteinnahme von Mischanalgetika vermieden werden. Wenn bei Diabetikern mit Nierenschäden Harnwegsinfekte auftreten, sollten sie in der Regel antibiotisch behandelt werden, um ein Aufsteigen der Infektion ins Nierenbecken zu verhindern. Ist die Nierenfunktion reduziert, sollte der behandelnde Arzt die gesamte Medikation überprüfen und bei Bedarf die Dosis anpassen.
Fazit für die Apothekenpraxis
Eine sorgfältige Beratung von Diabetikern in der Apotheke kann dazu beitragen, Nierenschäden als diabetische Komplikation zu reduzieren. Diabetiker sollten darauf hingewiesen werden, dass eine gute Einstellung des Blutzuckers die wichtigste Voraussetzung für gesunde Nieren ist. Auch die Senkung von Blutdruck und Blutfettwerten trägt dazu bei, die Nieren zu schützen. Wenn in der Beratung dieser Nutzen für den Patienten explizit formuliert wird, kann sich die Therapietreue verbessern. Auch Beratung zur Ernährung und Hilfen zum Rauchstopp können weitere Nierenschäden verhindern. Wichtig ist auch die Erinnerung an regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen, bei denen die Nierenfunktion überprüft wird. Liegt bereits eine Nephropathie vor, ist bei der Abgabe von NSAR in der Selbstmedikation Vorsicht geboten. /
Die Bundesärztekammer, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften geben gemeinsam die Nationalen Versorgungsleitlinien heraus. Für wichtige Erkrankungen werden nach den Kriterien der Evidenz-basierten Medizin Empfehlungen für die Behandlung erstellt. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Schnittstellen zwischen den verschiedenen Bereichen (etwa niedergelassenen Ärzten, Kliniken und anderen Gesundheitsberufen), damit die Patienten nahtlos versorgt werden können. Aus diesem Grund sind an der Erstellung der Nationalen Versorgungsleitlinien immer mehrere Fachgesellschaften und -verbände beteiligt. Neben der ausführlichen Leitlinienfassung werden auch laienverständliche Ausgaben für Patienten und Kurzversionen erstellt. Wichtiger Bestandteil ist jeweils ein Leitlinienreport, der die Entstehung transparent macht.
Nationale Versorgungsleitlinien gibt es bisher für die Themen Typ-2-Diabetes, Asthma, unipolare Depressionen, COPD, Demenz, Herzinsuffizienz, KHK und Kreuzschmerz. Im Rahmen des Programms für Typ-2-Diabetes sind bisher Leitlinien zu Netzhautkomplikationen, Fußkomplikationen und Nierenerkrankungen erschienen. Die Nationale Versorgungsleitlinie zur Neuropathie bei Typ-2-Diabetes befindet sich gerade in der Kommentierungsphase.