Gewitter in jungen Köpfen |
27.10.2017 12:58 Uhr |
Von Nicole Schuster / Immer häufiger leiden auch Kinder und Jugendliche unter Kopfschmerzen. Bei kleinen Kindern treten Migränevorstufen etwa in Form von Schwindel oder Bauchweh auf. Bei akuten Beschwerden sind oft Arzneimittel angezeigt. Präventiv kommen vor allem nicht-medikamentöse Maßnahmen zum Einsatz.
Das kleine Kind ist zuerst »komisch anders«, erbricht, hält sich den Kopf und zieht sich zurück, um einige Stunden zu schlafen. Womit viele Eltern nicht rechnen: Eine Migräne kann schon bei jungen Kindern die Ursache sein. Sie äußert sich aber anders als bei Jugendlichen und Erwachsenen.
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Kopfschmerzen, insbesondere vom Spannungstyp, und Migräne sind ein zunehmendes Problem bei jungen Menschen. Je nach Studie und eingesetzter Untersuchungsmethodik klagen etwa 40 Prozent der Schüler mindestens einmal wöchentlich darüber. Die Kopfschmerzprävalenz wird bei Schulkindern allgemein auf bis zu 60 Prozent geschätzt; bezogen auf Migräne gehen Wissenschaftler von etwa 8 bis 10 Prozent aus. Mädchen sind fünf Mal häufiger von Kopfschmerzen insgesamt und sogar sieben Mal häufiger von Migräne betroffen (1). Auch andere Studien bestätigen den Anstieg unter Schulkindern (2).
Wie groß das Problem ist, zeigt nicht zuletzt der Arztreport 2017 der Barmer (3). In der Gruppe der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 27 Jahren nahmen die Diagnosen Migräne und Spannungskopfschmerz im Zeitraum von 2005 bis 2015 um 50 Prozent zu. Besser sieht es bei Kindern zwischen drei und zwölf Jahren aus: Laut dem Report sei die Kopfschmerz-Diagnoseprävalenz in dieser Altersgruppe gesunken. Allerdings zeigt die Umfrage auch, dass 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen neun und 19 Jahren regelmäßig Kopfschmerztabletten einnehmen.
Auch Langeweile ist wichtig
Die Gründe für den Anstieg sind den Wissenschaftlern unbekannt. Allerdings gibt es Vermutungen. »Junge Leute müssen heute Entwicklungsschritte unter höherem Druck als früher machen«, sagt Professor Dr. Florian Heinen im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung. Der Neurologe mit Schwerpunkt Neuropädiatrie ist Direktor des Integrierten Sozialpädiatrischen Zentrums (iSPZ) am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München.
Als Beispiel nennt der Arzt den von vielen Kindern als sehr stressvoll erlebten Wechsel auf eine weiterführende Schule. Durch die Verkürzung der Schulzeit auf zwölf Jahre stünden junge Menschen zudem viel früher vor der Entscheidung, was sie im Leben machen wollen, und seien oft innerlich noch nicht dazu bereit. »Heute scheint für junge Menschen alles möglich zu sein. Gleichzeitig ist die Erwartungshaltung da, dass Fehler nicht geschehen dürfen und der Lebensweg durchgehend perfekt zu sein hat«, sagt der Kinder- und Jugendarzt. Auch Faktoren wie eine instabile soziale Umwelt, mangelnde Selbstbestimmung in der sozialen Gemeinschaft, Unsicherheitsgefühle in der Familie und der Schule, ein unregelmäßiger Tagesablauf oder Mobbing sollen Kopfschmerzen begünstigen können.
In seltenen Fällen können Kopfschmerzen ein Signal für ernste und gefährliche Krankheiten sein, etwa Kopfverletzungen nach einem Sturz oder Unfall, eine akute Blutung oder ein Schlaganfall. Eltern sollten ihr Kind sofort und immer einem Arzt vorstellen, wenn der Schmerz sehr plötzlich und heftig einsetzt oder das Kind hohes Fieber hat (4, 7).
Weitere Warnzeichen (jenseits des Kleinkindalters) sind Nackensteife, ungewohnt starkes Erbrechen, starke Benommenheit und Schläfrigkeit, das erstmalige Auftreten eines Krampfanfalls oder von neurologischen Symptomen wie Seh- und Sprachstörungen, Schwäche in Armen und Beinen oder Gangunsicherheit. Eine ärztliche Abklärung ist auch erforderlich, wenn bei einem Kind Aura-Symptome ohne migränetypische Kopfschmerzen auftreten. Auch prolongierte oder sehr kurze Aura-Phasen sollten ärztlich untersucht werden.
Klagen Kinder und Jugendliche über Kopfschmerzen, lassen sich Bagatelle und Notfall oft schwer unterscheiden. Daher gilt immer: bei Zweifeln den Arzt fragen!
Eltern, die aus gutem Willen den ganzen Nachmittag mit Förderprogrammen und anspruchsvollen Vereinsaktivitäten verplanen, tun dem Nachwuchs nicht unbedingt etwas Gutes. Auch Freizeitstress kann Kopfschmerzen auslösen. »Kinder und Jugendliche kennen heute kaum noch das Gefühl von echter, eigentlich positiver, weil notwendiger Langeweile. Unverplante Zeit ist jedoch ganz wichtig, damit sich das Gehirn entwickeln und reifen kann und Kreativität entsteht«, so Heinen.
Primär und sekundär
Zu viel Stress in Schule und Freizeit kann die Kinder so belasten, dass sie krank werden.
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Wie bei Erwachsenen unterscheidet man auch bei Kindern und Jugendlichen primäre und sekundäre Kopfschmerzarten. Während bei den am häufigsten auftretenden primären Formen die Kopfschmerzen selbst die Erkrankung darstellen, sind sekundäre Kopfschmerzen die Begleiterscheinung einer anderen Krankheit (4). Die wichtigsten primären Kopfschmerzarten im Kinder- und Jugendalter sind Migräne und Spannungskopfschmerzen. Bei fast der Hälfte der jungen Betroffenen überlappen sich die diagnostischen Zuordnungen (1).
Sekundäre Kopfschmerzen entstehen bei strukturellen Läsionen des Gehirns. Sie spielen eine untergeordnete Rolle und liegen nur bei etwa 2 Prozent der Kinder vor. Zu dieser Gruppe zählen auch Kopfschmerzen infolge akuter entzündlicher Prozesse, etwa einer Rhinosinusitis (häufig und in der Regel harmlos) oder Meningitis (selten und auch als Verdacht immer ein Notfall).
Ebenso gehört der sogenannte Schmerzmittel-Kopfschmerz zu den sekundären Formen. Diesen Arzneimittel-induzierten Schmerz entwickeln auch Kinder und Jugendliche, wenn sie zu häufig Analgetika oder Migränemittel einnehmen. Vom Symptombild ähneln die Beschwerden den Spannungskopfschmerzen oder leichten Migräneattacken (4).
Kopfschmerzarten wie die Migräne sind oft genetisch bedingt und in einigen Familien besonders häufig. Damit es zu einer Attacke kommt, ist neben der Veranlagung ein Auslöser erforderlich. Wenn ein entsprechender Trigger vorhanden ist, muss aber nicht zwangsläufig Kopfschmerz folgen. Ausschlaggebend ist die momentane Vulnerabilität des zentralen Nervensystems (5). Auch bei Spannungskopfschmerzen gehen Experten von einer genetischen Komponente aus, die jedoch geringer als bei Migräne ist (6).
Migräne: mehr als nur Kopfschmerzen
Die Prävalenz der Migräne im Kindes- und Jugendalter liegt je nach Altersstufe zwischen circa 2 bis 10 Prozent und steigt, je älter die Kinder werden. Ab der Pubertät sind Mädchen deutlich häufiger betroffen (7).
Merkmal | Migräne | Kopfschmerzen vom Spannungstyp |
---|---|---|
Prävalenz | je nach Altersstufe zwischen 2 bis 10 Prozent | bei Kindern unter zehn Jahren nur selten, ab dem 15. Lebensjahr häufigstes Kopfschmerzleiden |
Symptome | pulsierende und pochende Schmerzen, die in der Regel erst ab dem Jugendalter einseitig auftreten (vorher beidseitig), die Seite aber wechseln können | beidseitige Lokalisation Schmerzen im Bereich des gesamten Kopfs, besonders im Nacken, meist weniger stark als Migränekopfschmerz |
Begleitsymptome | verschiedene Begleitsymptome, etwa Tachykardie, Blässe, Rückzugsbedürfnis, Durst, Appetit, Harndrang, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö oder neurologische Aura-Symptome | meist keine |
Dauer | wenige Stunden bis einige Tage (zwei bis 72 Stunden) | halbe Stunde bis eine Woche |
Besonderheit | Bewegung und Alltagsaktivität verschlimmern den Schmerz | keine Verschlimmerung durch körperliche Bewegung |
genetische Veranlagung | vorhanden | vorhanden, aber geringere Bedeutung als bei Migräne |
Akuttherapie | Schmerzmittel, eventuell vorher ein Antiemetikum geben; wichtig: früh und ausreichend dosiert verabreichen | primär nicht-medikamentöse Maßnahmen |
Prophylaxe | nicht-medikamentöse prophylaktische Maßnahmen bevorzugen (Fantasiereisen, kognitive Verhaltenstherapie, Entspannungsübungen), bei chronischer Migräne gegebenenfalls für begrenzte, überwachte Zeit Betablocker wie Propranolol oder Flunarizin (off label) | nicht-medikamentöse prophylaktische Maßnahmen wie Fantasiereisen, Stressmanagement, kognitive Verhaltenstherapie, Entspannungsübungen |
Die Schmerzen, die die Kinder nicht unbedingt als pulsierend empfinden, treten oft beidseitig und auch im Stirnbereich auf (Tabelle 1). Durch Bewegung und Aktivität wird der Schmerz schlimmer. Eine Besonderheit der kindlichen Migräne ist die kürzere Attackendauer. Während die Klassifikation der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft für Erwachsene eine Dauer von mindestens vier Stunden bei unbehandeltem oder erfolglos behandeltem Verlauf fordert, sind es bei Kindern nur zwei Stunden (4, 7, 8).
Häufig wird Migränekopfschmerz von vegetativ autonomen Symptomen wie Tachykardie, Blässe, Durst, Appetit oder Appetitlosigkeit, Harndrang, Müdigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Apathie, Ausfluss aus der Nase, Tränenfluss oder Diarrhö begleitet. Aber auch akute affektive Symptome wie Depressivität und Reizbarkeit, kognitive Einschränkungen (»ich erkenne meine Umwelt nicht mehr«) und sensorische Phänomene wie Kribbelparästhesien (»Ameisenlaufen« in Armen und Beinen) und Photophobie (Lichtscheu) können bei einem Anfall auftreten (4, 7, 8, 9).
Wichtig ist, Analgetika ausreichend hoch zu dosieren, um die Schmerzen rasch zu lindern.
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»Migräne bei Kindern beginnt aber nicht erst beim Symptom Kopfschmerzen«, sagt Heinen. »Auch Beschwerden wie Koliken im Säuglingsalter, kindliche Reisekrankheit, paroxysmaler Schwindel oder die sogenannte abdominelle Migräne, die sich nur mit Magen-Darm-Beschwerden äußert, zählen zum Formenkreis Migräne.« Kinder mit diesen auch als Migräne-Vorstufe oder Migräne-Äquivalent bezeichneten Störungen weisen in der Symptomatik vorerst keine Kopfschmerzen auf. Sie entwickeln jedoch oft in späteren Jahren die typische, von Kopfschmerzen geprägte Migräne (4, 10, 11, 12).
Kopf unter Spannung
Die zweite wichtige primäre Kopfschmerzart, der Spannungskopfschmerz, tritt bei Kindern unter zehn Jahren nur selten auf (Tabelle 1). Ab dem 15. Lebensjahr ist sie allerdings das häufigste Kopfschmerzleiden. Eine Studie mit 1260 Schülern und Schülerinnen der 10. und 11. Klassen im Alter zwischen 14 und 20 Jahren in Bayern ergab 2010, dass fast jeder Zweite mindestens einmal pro Monat unter Spannungskopfschmerzen leidet (13).
Arzneimittel | zugelassene Indikation | Altersgruppen, Dosierung |
---|---|---|
Akutmedikation | ||
Ibuprofen | leichte bis starke Schmerzen | ab sechs Monaten; Dosierung abhängig von Körpergewicht und Alter |
Paracetamol | symptomatische Behandlung leichter bis mäßig starker Schmerzen | ab sechs Monaten beziehungsweise ab 7 kg KG; Dosierung abhängig von Körpergewicht und Alter |
Acetylsalicylsäure | leichte bis mäßig starke Schmerzen | ab zwölf Jahren; Einzeldosis 600 bis 1000 mg, maximale Tagesgesamtdosis 2700 mg |
Bei ungenügender Wirksamkeit und nur bei Migräne | ||
Sumatriptan nasal | für Jugendliche ab zwölf Jahren zur Akutbehandlung von Migränekopfschmerzen | KG < 30 kg: Einzeldosis intranasal 10 mg; maximale Tagesgesamtdosis: 20 mg KG > 30 kg: Einzeldosis intranasal 20 mg; maximale Tagesgesamtdosis: 40 mg |
Zolmitriptan nasal | Einzeldosis intranasal 5 mg; maximale Tagesgesamtdosis 10 mg | |
Bei Spannungskopfschmerzen | ||
Flupirtin | Off-Label-Use bei Kindern und Jugendlichen | drei- bis viermal täglich in möglichst gleichen Zeitabständen 100 mg |
Zu den Merkmalen zählen wie bei Erwachsenen drückende Schmerzen des gesamten Kopfs, besonders im Nackenbereich, die weniger stark als bei Migräne sind. Typischerweise liegen keine Begleitsymptome wie Übelkeit oder Licht- und Lärmempfindlichkeit vor und körperliche Bewegung verschlimmert die Schmerzen nicht.
Zu unterscheiden sind je nach Häufigkeit der episodische Spannungskopfschmerz, der an weniger als 15 Tagen pro Monat auftritt, und die chronische Form, bei der die Betroffenen an mehr als 15 Tagen monatlich daran leiden (14, 15).
Weitere primäre Kopfschmerzarten wie Clusterkopfschmerz kommen bei Kindern äußerst selten vor.
Weniger Lebensqualität, mehr Probleme
Die häufigen Kopfschmerzen können die Kinder und Jugendlichen erheblich belasten und ihre Lebensqualität signifikant beeinträchtigen. Durch wiederholtes Fehlen können sie den Anschluss im Unterricht verlieren; es droht ein allgemeiner Leistungsabfall, womöglich auch das Wiederholen einer Klasse. Viele Freunde haben für die Beschwerden kein Verständnis und reagieren verärgert, wenn das Kind Verabredungen absagen muss.
Betroffene Kinder könnten zudem gefährdet sein, Drogen auszuprobieren. Sie werden von der Hoffnung getrieben, dass die illegalen Mittel die Schmerzen zumindest kurzzeitig ausschalten. Ein Teufelskreis, da Drogen Kopfschmerzen auch induzieren können.
Kopfschmerztagebuch: das richtige Maß finden
Die Diagnose kann bei Kindern erschwert sein, da vor allem die Kleinen noch keine klaren sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten etwa für Migräneattacken haben. Zudem können die Informationen, die der Kinderarzt bekommt, von den Eltern gefiltert sein.
Bei Kleinkindern kann bei einer Migräneattacke das Alice-im-Wunderland-Syndrom auftreten (21, 22). Es ist benannt nach dem bekannten Kinderbuch des Schriftstellers Lewis Carroll und zählt zu den sogenannten Migräne-Äquivalenten.
Als Alice-im-Wunderland-Syndrom bezeichnet man eine verzerrte, für Kinder oft angstmachende und irritierende Wahrnehmung der Umgebung. Dinge und Körper erscheinen plötzlich im Verhältnis zu sich selbst und dem Raum zu groß oder zu klein oder bewegen sich auf unnormale Weise. Es werden auch Gefühlsstörungen in Händen und Armen, Sprachstörungen, Störungen der taktilen Wahrnehmung sowie visuelle Störungen, etwa Flimmersehen oder Lichtblitze vor den Augen, beschrieben. Begleitend können Kopf- und Bauchschmerzen oder Übelkeit auftreten. Die Kinder sind verwirrt, müde und ziehen sich zurück.
Außer bei Migräne kann das Syndrom auch als Vorbote eines epileptischen Anfalls, bei Drogeneinnahme oder bei einer Epstein-Barr-Virus-Erkrankung auftreten.
Für die Diagnose und das Aufspüren von Triggerfaktoren kann ein Kopfschmerztagebuch hilfreich sein. Eine Vorlage extra für Kinder stellt zum Beispiel die Stiftung Kopfschmerz zur Verfügung (www.stiftung-kopfschmerz.de). In dem Tagebuch hält der Nachwuchs oder seine Eltern fest, wann die Beschwerden in welchem Schweregrad auftreten, wie lange sie anhalten und welche Ereignisse ihnen vorausgegangen sind. Auslöser wie Schlafmangel oder ein stressiger Tagesablauf lassen sich damit feststellen (4, 15).
»Wichtig ist, es mit der Dokumentation nicht zu übertreiben«, mahnt Heinen. Es reiche, das Tagebuch erst einmal eine Woche lang zu führen, keinesfalls über Monate hinweg. Bei sehr ängstlichen Eltern sei vielleicht sogar ganz davon abzuraten, damit diese nicht zu Kopfschmerz-Überwachern ihrer Kinder würden. Denn die Fixierung auf die Schmerzen kann diese erst recht hervorrufen oder verstärken und somit das Leiden der jungen Patienten vergrößern oder verfestigen.
Dosierung nach Alter und Gewicht
Viele Eltern sind verunsichert, wann und wie oft sie ihrem Kind Schmerzmittel geben sollen. »In Deutschland ist verglichen mit anderen Ländern eine Zurückhaltung bei der Arzneimittelgabe festzustellen«, sagt Heinen. Dies sei an sich zu begrüßen, könne bei starken Schmerzen aber für unnötiges Leiden sorgen. »Bei einer akuten Migräneattacke sollten Eltern ihrem Kind die schmerzlindernden Mittel nicht vorenthalten«, so der Kinderneurologe.
Entscheidend ist, die Medikamente gleich ausreichend hoch zu dosieren, um die Schmerzen schnell und effektiv zu bekämpfen (Tabelle 2). Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie empfiehlt in ihrer Leitlinie zur Therapie der Migräne (16), dass bei Kindern Ibuprofen nach Gewicht dosiert (10 mg/kg Körpergewicht, KG) werden solle.
Eine Alternative, die sich in Studien als etwas weniger wirksam erwiesen hat und daher nur als Mittel zweiter Wahl gilt, ist Paracetamol (15 mg/kg KG). Jugendliche ab dem zwölften Lebensjahr können auch Acetylsalicylsäure (als Einzeldosis 500 bis 1000 mg) einnehmen. Bei begleitender Übelkeit sollte am besten vor dem Schmerzmittel ein Antiemetikum gegeben werden; die Leitlinie nennt hier Domperidon.
Bei Jugendlichen ab zwölf Jahren können bei Migräne auch Sumatriptan oder Zolmitriptan als Nasenspray eingesetzt werden (Tabelle 2). Bei Kindern unter zwölf Jahren scheinen Triptane weniger wirksam zu sein als bei älteren Jugendlichen oder Erwachsenen; sie sind für diese Altersgruppe auch nicht zugelassen (16).
Einfach mal Pause machen und herumlümmeln: für Kinder ebenso wichtig wir für Erwachsene
Foto: DGUV
Das Apothekenteam sollte darauf hinweisen, dass Kinder Arzneimittel, vor allem Triptane, nur nach Absprache mit dem behandelnden Arzt anwenden sollten. Keinesfalls sollten Eltern dem Nachwuchs ihr eigenes Migränemedikament geben. Eine unkontrollierte Selbstmedikation kann mehr schaden als nutzen (4).
Klagen die Kindern nur über leichtes Unwohlsein, können Eltern es zunächst mit nicht-medikamentösen Maßnahmen versuchen. Zu empfehlen ist, das Kind in einen abgedunkelten Raum zu bringen und es von Reizen abzuschirmen. Ein kalter Waschlappen zur Kühlung auf die Stirn gelegt, kann angenehm sein. Auch einige Tropfen Pfefferminzöl an Schläfe, Scheitel und Nacken tun gut. Dabei sollten sich die Eltern zunächst vergewissern, dass ihr Nachwuchs den Geruch des Öls als angenehm empfindet. Wenn das Kind mag, kann es ein Glas kaltes Wasser trinken. Bestenfalls schläft es in der Ruhe ein und wacht beschwerdefrei wieder auf.
Bei Spannungskopfschmerzen sind nicht-medikamentöse Maßnahmen Mittel der Wahl. Oft reichen schon etwas Bewegung und frische Luft, um Erleichterung zu verschaffen. Bei starken oder persistierenden Schmerzen kann das Apothekenteam Ibuprofen oder Paracetamol in altersabhängiger Dosierung empfehlen. Ebenfalls als wirksam erwiesen hat sich das verschreibungspflichtige nicht-opioide Analgetikum Flupirtin (Off-Label-Einsatz, Tabelle 2). Triptane sind bei Kopfschmerzen vom Spannungstyp kontraindiziert.
Prävention: den Lebensstil ändern
Bei chronischen, also fast täglich auftretenden Schmerzen sind Analgetika kontraindiziert, um eine Chronifizierung zu verhindern. Über den richtigen Schmerzmittelgebrauch sollte das Apothekenteam die Eltern und Patienten unbedingt aufklären.
Eine wichtige Rolle kommt der nicht-medikamentösen Vorbeugung zu. Dabei gelten prinzipiell die gleichen Regeln wie im Erwachsenenalter. Empfehlenswert sind regelmäßige Nahrungsaufnahme und ausreichendes Nahrungsangebot, individuelles »Gewusst-Wie« bei Anstrengung und Stress, regelmäßige Schlafenszeiten und kluger, nicht einfach konsumierender Umgang mit Medien. Bei nachgewiesenen Nahrungsmittelunverträglichkeiten (selten bei Kindern) können auch diätetische Maßnahmen sinnvoll sein (7).
Arzneistoff | Dosierung |
---|---|
Metoprolol | 1,5 mg/kg KG/Tag in einer (bis zwei) Einzeldosen |
Propranolol | 1 bis 2 mg/kg KG/Tag in einer (bis zwei) Einzeldosen |
Flunarizin | 5 mg/Tag als Einzeldosis |
Topiramat | Tagesgesamtdosis 2 bis 3 mg/kg KG (50 bis 100 mg) |
Amitriptylin | Tagesgesamtdosis 1 mg/kg KG |
Vermeiden von identifizierten Auslösern, ausgewogener Tagesablauf, ausreichend Ruhepausen: Das kann die Apotheke den Kindern ebenso empfehlen wie regelmäßige sportliche Betätigung sowie Entspannungsverfahren wie die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson oder Fantasiereisen (4). Ein Cochrane-Review von 2014 bestätigt, dass psychologische Interventionen wie die kognitive Verhaltenstherapie oder Entspannungsmethoden bei Kindern und Jugendlichen die Schmerzstärke und die schmerzbedingten Beeinträchtigungen lindern können (17).
Nicole Schuster studierte zwei Semester Medizin in Bonn, dann Pharmazie und Germanistik in Bonn und später in Düsseldorf. Während ihres Studiums machte sie Praktika bei verschiedenen wissenschaftlichen Verlagen. Nach dem zweiten Staatsexamen und der Approbation 2010 absolvierte Schuster ein Aufbaustudium in Geschichte der Pharmazie in Marburg und wurde 2016 mit ihrer Dissertation »Traditionelle pflanzliche Febrifuga als moderne Phytopharmaka« zum Doktor der Naturwissenschaften promoviert. Die PZ-Leser kennen Dr. Schuster als Autorin zahlreicher Fachbeiträge.
Dr. Nicole Schuster
Zimmererstraße 9
92318 Neumarkt
E-Mail: nicole.m.schuster@gmx.de
Der Nutzen einer medikamentösen Vorbeugung ist hingegen unklar (Tabelle 3). Anfang dieses Jahres zeigte eine Studie, dass Amitriptylin in einer Dosis von 1 mg/kg KG täglich und Topiramat in der Dosis von 2 mg/kg KG täglich in der Prophylaxe von Migräneepisoden bei Patienten im Alter von acht bis 17 Jahren nicht wirksamer sind als Placebo (18). Bei Kindern und Jugendlichen unwirksam sind auch weitere bisweilen eingesetzte Arzneistoffe wie Clonidin, Fluoxetin oder Nimodipin (19).
Ist eine medikamentöse Prophylaxe erforderlich, kann der Arzt (off label bei Kindern) Betablocker wie Propranolol oder Flunarizin erproben und nach drei bis sechs Monaten den Nutzen überprüfen. Bei dem Calcium-Antagonisten ist das Nebenwirkungsprofil zu beachten (19). Ziel der Prophylaxe ist es, die Attackenstärke und -häufigkeit soweit zu reduzieren, dass das Kind seinen Alltag mitsamt Schulbesuch wieder bewältigen kann. /
Weitere Literatur bei der Verfasserin