Opfer von Wettbewerb und Geldmangel? |
02.11.2010 17:30 Uhr |
Von Theresia Blattmann, Berlin / Wie lässt sich Qualität im Gesundheitswesen mit Geldmangel und Wettbewerb vereinbaren? Diese Frage diskutierten Experten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft im historischen Virchow-Haus an der Berliner Charité.
Die Debatte über die bevorstehende Gesundheitsreform ist von Schlagwörtern wie Kostenbewältigung, Finanzierungsfragen und Wettbewerb geprägt. Dabei stellt sich die Frage, wie diese Begrifflichkeiten mit dem Qualitätsanspruch in der Medizin zu verbinden sind.
Die Qualität im Gesundheitssystem darf trotz knapper Kassen und Wettbewerbsdruck nicht zu kurz kommen.
Foto: Fotolia/mapoli-photo
Bei ihrer Eröffnungsrede betonte die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit, Annette Widmann-Mauz (CDU), die dringende Notwendigkeit von Reformen im Gesundheitswesen: »Wenn wir uns nicht mit Mut den Reformen stellen, wird das mit Rückschritten und enormen Verwerfungen verbunden sein. Die knappen Mittel müssen für hochwertige Therapien verwendet werden«.
Trotz knapper finanzieller Ressourcen dürfe die Versorgungsqualität nicht zu kurz kommen, betonte Professor Dr. Thomas Mansky, Leiter des Fachgebietes Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement an der TU Berlin. »Auch wenn die gesundheitliche Versorgung in den Industriestaaten hervorragend ist, muss die Qualität verbessert werden.« Er verwies darauf, dass in den USA jährlich bis zu 98 000 Menschen aufgrund vermeidbarer medizinischer Fehler sterben. Solche Mortalitätsraten gelte es zu verhindern.
Bislang orientiere sich das Qualitätsmanagement in Deutschland stark an Prozessabläufen, sagte Mansky. Er sprach sich stattdessen für eine ergebnisorientierte Qualitätsmessung aus, die sich zum Beispiel auf Überlebensraten beziehen könnte. »Für Patienten ist der Erfolg einer Behandlung entscheidend«, betonte er. »Wenn ich in ein Flugzeug steige, möchte ich schließlich nicht die Baupläne kennen, sondern einfach heil ankommen.«
Thomas Bublitz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Privatkliniken, lenkte die Diskussion in eine andere Richtung. Er machte deutlich, wie sehr das Behandlungsrisiko von der einzelnen Klinik und der Arbeitsbelastung des Personals abhängt: »Um Patienten eine gute Behandlung zu gewährleisten, muss auch das Problem des Ärztemangels angegangen werden. Das Personal ist an seiner Belastungsgrenze angelangt.« Laut einer aktuellen Studie, die das Darmstädter Wifor Institut gemeinsam mit der Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers durchgeführt hat, werden im Jahr 2030 165 000 Ärzte in Deutschland fehlen. »Allein durch den demografischen Wandel wird Gesundheit teurer werden«, prophezeite Bublitz. »Hinzu kommen die steigende Anzahl chronischer Erkrankungen und kostspielige medizinische Innovationen.« Seiner Meinung nach kann der Gesetzgeber diese Entwicklung lediglich abmildern aber nicht aufhalten.
Qualitätsorientierte Vergütung
Um den Patienten trotz zunehmendem Kostendrucks und Wettbewerb eine gute Versorgung zu gewährleisten, wird im Gesundheitsministerium derzeit über die Einführung qualitätsorientierter Vergütungsmodelle diskutiert.
»Wettbewerb darf nicht allein über den Preis geführt werden. Gute Qualität muss gut bezahlt werden«, sagte Widmann-Mauz. Ein Beispiel, wie so etwas funktionieren könnte, ist das Vergütungssystem »Pay For Performance«. Dieses System bezieht die Qualität der erbrachten Leistungen als Kriterium für das Honorar mit ein. Das Bundesministerium für Gesundheit will in Kürze durch eine Studie prüfen, ob »Pay For Performance« auch in Deutschland angewandt werden könnte.
In die Überlegungen sollen Erfahrungen aus Großbritannien einfließen, wo es die qualitätsorientierte Vergütung seit dem Jahr 2004 gibt. Dort orientiert sich die Vergütung auch an der Erfüllung von etwa 150 festgelegten Qualitätsindikatoren, wie etwa der leitliniengerechten Therapie chronischer Erkrankungen oder der regelmäßigen Durchführung von Impfprogrammen.
Mansky hält Systeme wie »Pay For Performance« auch in Deutschland für praktikabel. »Dafür müssen allerdings Routinedaten sektorübergreifend, transparent und mit geringem bürokratischen Aufwand ausgewertet werden.« Dies wäre zunächst mit finanziellem Aufwand verbunden. Ein Aufwand, der sich laut Professor Mansky aber lohnen würde: Denn: »Die Zeit des Lamentierens ist vorbei. Qualität spart langfristig Geld.« /