Pick-up ist kein Umsatzbringer |
28.10.2008 16:21 Uhr |
Pick-up ist kein Umsatzbringer
Von Werner Kurzlechner, Berlin
Vor vier Jahren richtete die Drogeriemarktkette dm ihren ersten »Pharma Punkt« ein. Inzwischen gibt es davon 208. Zur aktuellen Erfolgsbilanz des Unternehmens träg der Arzneimittelversand noch wenig bei. Das strategische Kalkül von dm richtet sich darauf, dass der Europäische Gerichtshof Fremdbesitz von Apotheken zulässt.
Der Drogeriekonzern dm aus Karlsruhe hat seinen Werbeslogan offenbar treffend gewählt: »Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein.« Vergangene Woche präsentierte das Unternehmen recht eindrucksvolle Erfolgszahlen. Es expandiert und kann auf eine beachtliche Zufriedenheit von Kunden und Mitarbeitern verweisen.
In den Ohren von Apothekern indes klingen die zwei Buchstaben seit vier Jahren nicht mehr ganz so gut. Damals richtete das Unternehmen in Düsseldorf seinen ersten »Pharma Punkt« ein. 208 dieser umstrittenen Bestell- und Abholstationen für Versandarzneimittel gibt es nach Angaben von Geschäftsführer Markus Trojansky mittlerweile, Tendenz steigend.
dm will »Erfahrungen sammeln«
Deshalb müssen die eingesessenen Apotheken offenbar noch keine größeren Umsatzeinbußen in Kauf nehmen. Ihre Sorgen scheinen dennoch begründet, denn die Pharma Punkte sind als strategische Plattform gedacht. »Wir wollen vor allem Erfahrungen sammeln«, so Trojansky. Offensichtlich spekuliert dm darauf, dass Brüssel das Mehr- und Fremdbesitzverbot von Apotheken 2009 kippt.
Im Geschäftsjahr 2007/08 hat dm seinen Umsatz in zehn europäischen Ländern nach eigenen Angaben um 13,4 Prozent auf 4,7 Milliarden Euro gesteigert, erwirtschaftet in 2024 Filialen, davon 1012 in Deutschland. Das Unternehmen expandiert beträchtlich in Ost- und Südosteuropa und schließt schrittweise seine Lücken im norddeutschen Filialnetz. Für den Konzernumsatz spiele der Handel mit Medikamenten keine Rolle, betont Trojansky. Man wisse überhaupt nicht, was die Kunden beim niederländischen Kooperationspartner Europa Apotheek Venlo orderten. »Wir kennen nur die Anzahl der Tüten«, sagt der für Expansion zuständige Geschäftsführer. Das seien in der einen Filiale zehn Stück die Woche, in der anderen 100.
Das Angebot erfreut sich bei den Drogeriekunden also keiner überbordenden Beliebtheit. Dennoch will dm Pharma Punkte in weiteren Filialen einrichten, soweit es die vorhandene Fläche zulassen. Rechtlich ist dies seit einem guten halben Jahr zweifelsfrei möglich, denn der Eröffnung der ersten Abholstelle im Sommer 2004 folgte erst einmal ein langwieriger Rechtsstreit mit der Stadt Düsseldorf. Im November 2006 entschied das Oberverwaltungsgericht Münster zugunsten von dm, woraufhin die Drogeriekette zunächst mehr als 80 Märkte in Nordrhein-Westfalen mit Pharma Punkten bestückte. Im März dieses Jahres bestätigte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig das Urteil. Seither hat das Unternehmen sein Konzept auf Baden-Württemberg, Brandenburg und Berlin ausgeweitet. In der Hauptstadt können nach Angaben von Trojansky in 14 von insgesamt 26 Filialen Medikamente bestellt und abgeholt werden.
Dem Vorbild ist inzwischen Konkurrent Schlecker gefolgt. Die Firmengruppe hat nach gleichem Muster wie dm sogenannte Pick-up-Stellen in ihren Läden eingerichtet. Sie werden von der ebenfalls niederländischen Versandapotheke Vitalsana, einer Schlecker-Tochter, bedient. Gegen den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln richten sich mehrere Initiativen in Bundestag und Bundesrat.
Zwar verkündet dm stolz, »Vorreiter auf dem Arzneimittelmarkt« zu sein. Die Aufregung darüber will man gleichwohl nicht verstehen. »Wir nutzen schlicht das Versandhandelsgesetz aus«, sagt Trojansky. Aus dm-Sicht versprächen Medikamente keine besondere Rendite – da setze man lieber auf Eigenmarken.
Hoffnung auf mehr Kunden
Allerdings erhoffe man sich von den Arzneimitteln künftig eine höhere Kundenfrequenz. Das Kalkül: Wer sein Rezept in der Drogerie abgibt, nimmt spontan womöglich ein paar andere Artikel mit, und wer unentschlossen vor der Filiale steht, geht vielleicht wegen des zusätzlichen Angebots hinein. Falls das Fremd- und Mehrbesitzverbot falle, könnten diverse Einzelhändler Medikamente anbieten, so Trojansky da sei es sinnvoll, sich vorzubereiten. Inzwischen wisse man im Gegensatz zu früher, dass bestimmte Arzneimittel gekühlt werden müssten, sei also für Eventualitäten gerüstet. Derzeit gibt es laut Geschäftsführung in Deutschland keine Pläne, selbst ins Apothekengeschäft einzusteigen. Das könnten auch Konkurrenten nicht so einfach tun, falls Brüssel wie erwartet entscheide, sagte Trojansky.
So seien auf dem Arbeitsmarkt die benötigten Pharmazeuten nur sehr schwer zu finden – und auch einen Nacht- und Notdienst könnten Handelsunternehmen schwerlich organisieren.