Kassen erstatten Praxisgebühr |
16.10.2012 18:16 Uhr |
Von Anna Hohle / Die Rücklagen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wachsen weiter – so die aktuelle Prognose des Schätzerkreises des Bundesversicherungsamtes (BVA). Einzelne Kassen wollen nun die Praxisgebühr erstatten und Prämien auszahlen.
Bis Ende 2013 wird der Überschuss im Gesundheitsfonds der GKV voraussichtlich auf mehr als 14 Milliarden Euro ansteigen. Dies gab der Schätzerkreis des BVA in der vergangenen Woche bekannt. Allein 3,2 Milliarden Euro sollen 2012 in die Rücklagen des bereits gut gefüllten Fonds fließen, weitere 1,6 Milliarden Euro im Jahr 2013. Daneben verfügen auch einzelne Kassen über hohe Rücklagen.
Letzte Zweifler überzeugen
Vertreter der FDP forderten angesichts dieser Zahlen nun erneut, die Praxisgebühr abzuschaffen. Man müsse »die Versicherten an der guten Entwicklung teilhaben lassen«, sagte Heinz Lanfermann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP. Er sei »der festen Überzeugung, dass die nun vorgelegten Berechnungen des Schätzerkreises auch die letzten Zweifler überzeugen werden«. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) drängt bereits seit Langem auf die Abschaffung der Gebühr, scheiterte aber bislang am Koalitionspartner CDU/CSU.
Die FDP will die Praxisgebühr abschaffen. Der Widerstand der Union gegen das Vorhaben bröckelt.
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Dies könnte sich nun ändern. Laut Deutscher Presse-Agentur teilte ein Regierungssprecher am vergangenen Freitag mit, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betrachte zurzeit »das Gesamtbild, das sich jetzt im Gesundheitsfonds und auch bei den gesetzlichen Krankenkassen bietet« und denke »intensiv über die Argumente, die da vorgebracht werden, nach«. Bislang hatte Merkel die Abschaffung der Praxisgebühr stets strikt abgelehnt. Auch Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) äußerte in der »Frankfurter Rundschau« am Dienstag erstmals, es sei »denkbar, die Praxisgebühr abzuschaffen«. Andere Unionspolitiker wollen die Zuzahlung beibehalten. Der gesundheitspolitische Sprecher der Union Jens Spahn (CDU) etwa sprach sich dafür aus, die Überschüsse für wirtschaftlich schlechte Zeiten zurückzulegen.
Unterdessen kündigten einige Krankenkassen an, die Überschüsse in Form von Prämienzahlungen bereits im kommenden Jahr an ihre Mitglieder weiterzugeben und die Praxisgebühr unter bestimmten Voraussetzungen zu erstatten. So erhalten Versicherte der Techniker Krankenkasse (TK) 2013 eine Prämie von 80 Euro, bei der Hanseatischen Krankenkasse sind es 75 Euro. TK und KKH-Allianz erstatten außerdem die Praxisgebühr, wenn Versicherte regelmäßig an Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen.
Unsichere Prognosen
Andere Kassen wollen die Zuzahlung für Praxisbesuche jedoch beibehalten. Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbands der Ersatzkassen, sprach sich gegen Prämienzahlungen und Rückerstattungen aus. Die »unsicheren Wirtschaftsprognosen innerhalb der Europäischen Union« machten hohe Rücklagen notwendig.
Auch verschiedene Leistungserbringer des Gesundheitssystems wollen angesichts der aktuellen Zahlen an den hohen Überschüssen beteiligt werden. So forderte etwa der Verband der forschenden Pharmaunternehmen ein Ende des Zwangsrabattes, die Deutsche Krankenhausgesellschaft verlangte einen Kürzungstopp in den Kliniken. /
Unsinn
»Ich war nie Freund der Praxisgebühr, aber Eigenbeteiligung ist nötig für ein Kostenbewusstsein bei Patienten. Bei uns gehen die Menschen häufiger zum Arzt als in allen Nachbarländern.« Das Zitat stammt aus dem Februar von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr. Eigenbeteiligungen sollen Menschen belohnen, die sich gesundheits- und kostenbewusst verhalten. Eigentlich ein kluger Ansatz.
Doch im Wahlkampf für 2013 sind die Prognosen für die FDP derzeit schlecht. Deshalb will Bahr jetzt die Praxisgebühr abschaffen, obwohl damit das zarte Pflänzchen Eigenbeteiligung im Gesundheitswesen stark gerupft wird. Offensichtlich war aber die Verlockung zu groß, bei Ärzten und Patienten parallel zu punkten. Nun heißt es, die Praxisgebühr habe keinen Nutzen. Das stimmt zwar, liegt aber nicht an der Praxisgebühr im Allgemeinen, sondern an ihrer unsinnigen Ausgestaltung im konkreten Fall. Wenn jeder Versicherte im Quartal 10 Euro für Arztbesuche bezahlt, egal wie oft er dort hin geht, dann hat das keine Steuerungswirkung. Wenn aber Patienten bei jedem Arztbesuch einen bestimmten Betrag bezahlen müssten, dann hätte dies schon eher einen steuernden Effekt. Sinnvoller als die Praxisgebühr abzuschaffen, wäre es daher, sie umzugestalten. Das würde der FDP mehr Glaubwürdigkeit bringen und damit vielleicht auch mehr Wählerstimmen.
Daniel Rücker
Chefredakteur