Neue Ziele, neue Technologien |
28.09.2016 09:16 Uhr |
Von Christina Hohmann-Jeddi, Frankfurt am Main / Die Impfstoff-Pipeline in Europa ist voll. Unter den zahlreichen Kandidaten in der klinischen Entwicklung befinden sich auch solche gegen Erreger, für die bisher keine Vakzinen existieren. Auch eine völlig neue Technologie auf Basis von mRNA wird zurzeit klinisch erprobt.
Impfungen sind eine der effektivsten Maßnahmen gegen Infektionskrankheiten. Doch längst nicht gegen jeden Erreger gibt es eine Vakzine. Daher stellen Impfstoffe einen wichtigen Forschungsschwerpunkt in der Biotechnologie dar. Das berichtete Dr. Karl-Heinz Grajer, Mitglied des Vorstands von VFA Bio, der Interessengruppe Biotechnologie im Verband der forschenden Pharmaunternehmen, auf der Jahrestagung des House of Pharma in Frankfurt am Main.
Neue Technologien wie mRNA-Impfstoffe kommen ohne Krankheitserreger oder deren Proteine aus.
Foto: CureVac
Europa ist führend
Der stellvertretende Geschäftsführer von Amgen stellte Daten des Biotech-Reports 2016 vor, wonach Impfstoffe mit einem Anteil von 25 Prozent die größte Gruppe aller zugelassenen Biopharmazeutika ausmachen. Seit dem Jahr 2006 wurden 23 neue Impfstoffe in der EU zugelassen, darunter solche gegen Meningokokken, Pneumokokken und gegen Humane Papillomaviren (HPV).
»Europa ist ein wichtiger Standort für Impfstoff-Forschung und -Entwicklung sowie für deren Produktion«, sagte Grajer. 79 Prozent der gesamten Impfstoff-Produktion fänden in Europa statt. Und auch die Entwicklung läuft auf Hochtouren: Insgesamt 72 Impfstoff-Kandidaten zu unterschiedlichen Indikationen befänden sich derzeit in der klinischen Entwicklung. Das seien zum Teil Weiterentwicklungen von existierenden Vakzinen, etwa Grippe-Impfstoffe, aber zum Teil auch völlig neue Vakzinen gegen Erreger, für die bislang kein Impfstoff existiert.
In der Pipeline sind unter anderem acht Kandidaten von HIV-Impfstoffen, sechs Impfstoffe gegen das Respiratory-Syncytial-Virus (RSV), vier Ebola-Impfstoffe und drei gegen das Cytomegalievirus (CMV) gerichtete Kandidaten. Zudem befinden Vakzine-Kandidaten gegen Clostridium difficile, Malaria, Dengue-Viren, enterotoxische Escerichia coli (ETEC) und Parodontitis in der klinischen Prüfung.
Die Ebola-Epidemie in Westafrika hat deutlich gemacht, wie dringend Impfstoffe gegen das Virus benötigt werden. Mittlerweile befinden sich zwei Kandidaten, rVSV-ZEBOV von New Link Genetics in Kooperation mit MSD und die Vakzine Ad26.ZEBOV zusammen mit einem Booster von Janssen und Bavarian Nordic, in Phase III der klinischen Entwicklung. Ein weiterer Adenovirus-basierter Impfstoff wird VFA Bio zufolge derzeit in einer Phase-II-Studie untersucht.
Auch gegen RSV könnten in den kommenden Jahren Impfstoffe auf den Markt kommen. Der Erreger aus der Familie der Pneumoviridae verursacht Erkältungen, Husten und Mittelohrentzündungen. Bei Senioren und Säuglingen können die Erkrankungen einen schweren Verlauf nehmen, der gerade bei Neugeborenen zum Teil Behandlungen auf der Intensivstation nötig macht. Das US-amerikanische Unternehmen Novavax hat eine RSV-Vakzine entwickelt, die derzeit in verschiedenen klinischen Studien an Kindern, Senioren und Schwangeren untersucht wird. Die RSV-F-Vakzine enthält Nanopartikel aus dem Fusionsprotein des Virus, das in einer gentechnisch veränderten Insektenzelllinie produziert wird. Von einer Phase-III-Studie mit fast 12 000 Senioren veröffentlichte das Unternehmen Mitte September erste Daten. Denen zufolge konnte die Vakzine vor RSV-bedingten Atemwegsinfekten nicht schützen. Eine weitere Studie mit Schwangeren, deren Impfung einen Schutz der Kinder bewirken soll, sowie eine Studie mit Kindern laufen noch. Auch Glaxo-Smith-Kline hat einen RSV-Vakzinekandidaten zur Immunisierung von Müttern in der Pipeline, Astra-Zeneca einen für Senioren.
Die konventionelle Impfstoff-Produktion basiert auf Hühnereiern. Das Verfahren ist aufwendig und dauert relativ lange.
Foto: CDC/Laura R. Zambuto
Antigen-Bauanleitung verimpfen
Eine völlig neue Art von Impfstoff stellte Dr. Franz-Werner Haas von CureVac vor. Das im Jahr 2000 gegründete Tübinger Unternehmen ist weltweit führend in der Forschung an messengerRNA-Impfstoffen. Zwölf Jahre lang habe man die Technologie erforscht, nun entwickele man Produkte. »mRNA-Impfstoffe sind keine Vision mehr, sondern Realität«, so Haas. Derzeit laufen acht klinische Studien mit den neuartigen Vakzinen, ein Produkt befindet sich schon in Phase IIb. Das Prinzip ist einfach: Statt Krankheitserreger oder deren Proteine enthalten die Impfstoffe mRNA, die für das gewünschte Antigen kodiert. Der Impfstoff liefert also die Information zum Bau der Antigene, die Produktion findet dann im Körper des Geimpften selbst statt.
Dieser Ansatz hat verschiedene Vorteile. Zum einen ist keine Anzucht von Pathogenen etwa in Hühnereiern wie beim Grippeimpfstoff oder Produktion in Bakterien oder Zelllinien nötig. Seit 2006 hat CureVac eine eigene GMP-Produktionsanlage, die universell für alle Produkte ist. »In derselben Anlage können alle Produkte, zum Teil sogar parallel produziert werden«, berichtete Haas. Die Produktion ist zudem schnell. Von der Gensynthese bis zum Abfüllen des ersten Produkts seien etwa sechs Wochen nötig.
Ein weiterer Vorteil ist, dass der Impfstoff ohne Kühlung auskommt, was die Logistik vor allem in Entwicklungsländern deutlich vereinfacht. mRNA sei nämlich entgegen einer gängigen Meinung ein äußerst stabiles Molekül, sagte Haas, »wenn man es hoch aufreinigt und von RNA-zersetzenden Enzymen fernhält«. Es ist zudem hitzestabil und hält auch Kältephasen aus.
Praxiserprobter Ansatz
Dass dieser Ansatz funktioniert, haben die Forscher von CureVac bereits gezeigt. Wird die hoch aufgereinigte mRNA unter die Haut gespritzt, wird sie von verschiedenen Zelltypen, unter anderem Leukozyten, aufgenommen, berichten Forscher um Dr. Regina Heidenreich von CureVac im Fachjournal »Vaccine« (DOI: 10.1016/j.vaccine.2016. 05.046). In den Zellen findet dann die Antigenproduktion statt, die nach 24 Stunden ihr Maximum erreicht und dann in den folgenden Tagen absinkt. Diese ruft eine balancierte adaptive Immunantwort hervor. Gegenüber DNA-Vakzinen haben mRNA-Vakzine den Vorteil, dass die Moleküle nicht ins Erbgut integriert werden müssen und sie nur vorübergehend abgelesen werden, so die Autoren. Beides trägt zur Sicherheit bei.
In Untersuchungen mit Mäusen und Schweinen konnte die Impfung mit einem gegen das Hämagglutinin-Molekül von Grippeviren gerichtete mRNA-Vakzine die Tiere vor einer tödlichen Infektion schützen (»Nature Biotechnology«, DOI: 10.1038/nbt.2436). Und auch bei Menschen kamen schon die ersten Vakzinekandidaten zum Einsatz.
So wurde in einer Phase-I-Studie die Sicherheit und Wirksamkeit eines Tollwut-Impfstoffs untersucht. Die Vakzine CV7201 enthält mRNA, die für das Glykoprotein des Tollwut-Virus (RAV-G) codiert. Die Impfung mit dieser Vakzine bewirkte bei 81 Prozent der Probanden Antikörpertiter, die oberhalb der von der Weltgesundheitsorganisation definierten Schwelle für eine Schutzwirkung lagen, berichtete Haas. Am weitesten fortgeschritten sei ein therapeutischer Impfstoffkandidat für Patienten mit Prostatakrebs mit der Bezeichnung CV9104. Dieser befindet sich derzeit in Phase IIb. /