Kritik an Packungsverordnung |
28.09.2010 17:28 Uhr |
Von Stephanie Schersch, Berlin / Das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) sieht eine Änderung der Packungsgrößenverordnung vor. Zudem sollen Präparate künftig austauschbar sein, wenn nur eine Indikation übereinstimmt. Zwei Gutachten zeigen mögliche Konsequenzen dieser Pläne auf.
Die schwarz-gelbe Koalition will die Packungsgrößen neu strukturieren. Bislang war die Normgröße an die enthaltene Stückzahl gekoppelt (also N1 = zum Beispiel 10, N2 = beispielsweise 50 und N3 = 100 Tabletten). Nun soll sie auf die Therapiedauer (N1 = 10, N2 = 30 Behandlungstage und N3 = 100 Behandlungstage) umgestellt werden. Die Messzahlen sollen auf Basis einer therapiegerechten Tagesdosierung ermittelt und auf die Reich- beziehungsweise Behandlungsdauer ausgerichtet werden.
Professor Dr. Hartmut Morck
Foto: PZ/Archiv
Professor Dr. Hartmut Morck vom Fachbereich Pharmazie der Philipps-Universität, Marburg, hält wenig von dieser Umstellung. »Die neue Packungsgrößenverordnung ist in ihrer Umsetzung extrem aufwendig und praktisch nicht konsequent durchführbar«, sagte er in Berlin. Sie biete keine Vereinfachung und keinesfalls mehr Transparenz. »Im Gegenteil: Sie schafft Unsicherheit und wirft mehr Fragen auf, als dass sie Antworten gibt«, sagte Morck, der im Auftrag des Branchenverbandes Progenerika ein Gutachten zu diesem Thema angefertigt hat.
Darin beschreibt er unter anderem, welche Schwierigkeiten auftreten, wenn Präparate für mehr als eine Indikation zugelassen sind. »Man müsste praktisch für jede Indikation eine eigene Packungsgröße festlegen.« Letztendlich sei die neue Verordnung nur sinnvoll für Arzneimittel mit einem Wirkstoff für eine Indikation, eine Patientengruppe und eine Dosierung. Die neue Systematik würde außerdem dazu führen, dass Ärzte künftig Arzneimittelpackungen verordnen könnten, die eventuell bis zu 1200 Tabletten beinhalteten. »Mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Therapietreue und das ärztliche Monitoring«, sagte Morck. Auch die logistischen Konsequenzen für Großhandlungen, Apotheken und Hersteller seien erheblich.
Aus dem Gesetz streichen
Die Patienten würden durch die geplanten Regelungen stark verunsichert. »Sie wurden bei der Ausarbeitung der Pläne auch gar nicht in Erwägung gezogen«, sagte Morck. Denn die Änderung der Packungsgrößenverordnung erfolge nicht aus medizinischen oder pharmakologischen Gründen, sondern diene einzig dazu, die Austauschbarkeit bei den Arzneimittelrabattverträgen zu erhöhen. Morck empfahl dringend, die entsprechende Regelung in Artikel 10 des AMNOG aus dem Gesetz herauszunehmen. »Die neue Verordnung über Packungsgrößen sollte zunächst mit Fachleuten diskutiert werden, bevor man sie festschreibt.«
Eine Übereinstimmung reicht nicht
Auch Professor Dr. Wilhelm Kirch kritisierte »eine nahezu groteske Konsequenz aus dem AMNOG«. Der Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie an der Technischen Universität Dresden lehnt in seinem ebenfalls für Progenerika erstellten Gutachten die geplanten Änderungen zu Paragraf 129, Absatz 1, Satz 2 im SGB V ab. Danach soll der Austausch wirkstoffgleicher Arzneimittel auch dann erfolgen, wenn nur eine Indikation der beiden Präparate übereinstimmt. Diese Ansicht war bislang umstritten. Die Regelung könne dazu führen, dass der Patient vom Apotheker ein Arzneimittel ausgehändigt bekomme, dessen Beipackzettel die individuelle Erkrankung des Patienten gar nicht aufführe, sagte KiRch. »Durch die fehlende Information in der Packungsbeilage besteht die Gefahr, dass der Patient das Arzneimittel unter- oder überdosiert.«
Zudem werde das Verhältnis zwischen Patient und Arzt massiv beschädigt. »Der Patient muss nach dem Lesen des Beipackzettels ja davon ausgehen, dass ihm der Arzt ein falsches Arzneimittel verordnet hat.« Letztendlich könne dies dazu führen, dass der Patient das Präparat gar nicht mehr einnimmt und die Therapie abbricht. Kirch forderte daher, den Referentenentwurf zum AMNOG entsprechend zu korrigieren. »Eine Substitution sollte nur erfolgen, wenn die Indikationsbereiche des verordneten und des abzugebenden Arzneimittels gleich sind.« Das bedeute nicht, dass das abzugebende Präparat die gleiche Anzahl Indikationen aufweisen müsse. »Es muss aber mindestens alle Indikationen des verordneten Arzneimittels abdecken«, so Kirch. /