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Arzneimittelfälschungen

Lukrativer als Rauschgifthandel

16.09.2013  15:07 Uhr

Von Sven Siebenand, Berlin / Der Handel mit gefälschten Arzneimitteln wächst. Für Ermittler und Richter bedeutet das mehr Arbeit. Noch wichtiger sind aber die möglicherweise fatalen Folgen für die Patienten. Apotheker und Pharmahersteller engagieren sich bereits, um Verbraucher vor gefälschten Medikamenten zu schützen.

Jahr für Jahr stellt der Zoll mehr illegale Medikamente sicher. Allein im ersten Halbjahr 2013 waren es 1,4 Millionen gefälschte Tabletten, Pulver und Ampullen – ein Plus von 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Auch die Anzahl der Ermittlungsverfahren im Zollfahndungsdienst bestätigt, dass der Handel mit gefälschter Arznei offenbar immer größere Ausmaße annimmt. Waren es im Jahr 2005 insgesamt 268 Verfahren in Deutschland, so liegt die Zahl im Jahr 2012 mit 1805 Ermittlungsverfahren um ein Vielfaches darüber. In diesem Jahr wird vermutlich ein neuer Rekord aufgestellt. Allein im ersten Halbjahr 2013 gab es schon mehr als 1000 Verfahren.

 

Hohe Gewinnspannen

 

In Berlin haben das Zollkriminalamt, die Polizeiorganisation Interpol, die ABDA sowie die Arzneimittelhersteller Bayer und Pfizer vergangene Woche gemeinsam das Informationsforum Arzneimittelfälschung veranstaltet, das bereits zum zweiten Mal stattfand. Dabei waren sich die Referenten einig, dass Arzneimittelfälschungen ein globales Thema sind.

Hohe Gewinnspannen und ein vergleichsweise geringes Risiko sind die wichtigsten Motive für Täter, sich auf diesem Gebiet zu betätigen, sagte Peter Keller vom Zollkriminalamt. Der Rauschgifthandel werde als bislang lukrativste Einnahmequelle von den gefälschten Medikamenten mittlerweile verdrängt. So liege die Gewinnspanne bei Rauschdrogen bei circa 2500 Prozent, mit gefälschtem Viagra erzielten Händler dagegen Gewinnspannen zwischen sage und schreibe 20 000 und 47 000 Prozent. Hinzu komme ein kalkulierbares Strafbarkeitsrisiko, so Keller. Während Rauschgifthandel weltweit verfolgt werde, fehlten bei Arzneimittelfälschungen vergleichbare internationale Normen. Von einigen Ausnahmen abgesehen, verhängten deutsche Gerichte bislang überwiegend Geldstrafen.

 

Neben in Deutschland nicht zugelassenen Medikamenten, zum Beispiel bestimmten Schlafmitteln, Antidepressiva und HIV-Präparate, ist Keller zufolge auf dem illegalen Markt vor allem zu finden, was »schön, schlank und/oder stark macht«. Auch Professor Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker, bekräftigte, dass Anabolika, Potenz- sowie Schlankheitsmittel unter den gefälschten Mitteln einen großen Anteil ausmachten. Mehr als 50 Prozent aller Potenzmittel im Internethandel seien gefälscht. »Wer hier bestellt, spielt russisches Roulette«, sagte Schulz.

 

Allerdings werden Schulz zufolge bei Weitem nicht nur Lifestyle-Medikamente gefälscht. »Es wird alles gefälscht, was am Ende des Tages lukrativ ist«, betonte er. Das kann für die Verbraucher fatale Folgen haben, wie Schulz an einigen Beispielen deutlich machte. So habe es kürzlich in den USA Fälle gegeben, in denen Krebspatienten eine Behandlung mit dem lebensverlängernden Wirkstoff Bevacizumab versagt blieb, weil das verwendete Mittel gefälscht war und keinen Arzneistoff enthielt. Schulz erinnerte auch an mit übersulfatiertem Chondroitinsulfat verunreinigtes Heparin, das vor einigen Jahren für 81 Todesfälle verantwortlich gewesen war und anaphylaktoide Reaktionen bei Dialysepatienten.

 

Wundermittel gibt es nicht

 

»Patienten wissen oft nicht, welchen hohen gesundheitlichen Risiken sie sich infolge einer Bestellung von Mitteln aus unsicheren Internetquellen aussetzen«, so Schulz. So suchten Männer, die PDE-5-Hemmer wegen bestehender Kontraindikationen nicht einnehmen dürfen, im Internet häufig nach natürlichen Alternativen. Doch auch hier lauern Gefahren. Im März 2013 riet das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) dringend von der Abgabe des Präparats Dexter vital® ab (lesen Sie dazu auch ZL-Warnung: Keine Dexter vital Kapseln abgeben). ZL-Untersuchungen hatten in den als Nahrungsergänzungsmittel deklarierten Kapseln die Beimischung der strukturanalogen nicht zugelassenen PDE-5-Hemmer Thiosildenafil und Hydroxythiohomosildenafil offengelegt. »Sogenannte Wundermittel oder Naturmittel gibt es nicht«, sagte Schulz. Keine Wirkung ohne Nebenwirkung.

 

Eindringlich riet Schulz Verbrauchern zudem davon ab, ihre Reiseapotheke in Ländern mit hohem Fälschungsrisiko aufzufüllen. Sicherer sei dies vor der Abreise in einer deutschen Apotheke. Schließlich sei das Auftreten von Fälschungen in der legalen Vertriebskette im Vergleich zum Internethandel verschwindend niedrig. Doch auch mit einer 99,9-prozentigen Sicherheit dürfe man nicht zufrieden sein, so Schulz. Er fordert eine 100-Prozent-Garantie.

 

Damit liegt Schulz auf einer Linie mit der EU. Um Verbraucher vor Arzneimittelfälschungen stärker zu schützen, hat sie gefordert, zusätzliche Sicherheitsstandards einführen. Dazu zählt ein neues Sicherheitsmerkmal auf Arzneimittelpackungen, mit dem eine Schachtel individuell identifiziert und ihre Echtheit überprüft werden kann. Dieses Vorhaben soll bis 2017 umgesetzt werden.

 

In Deutschland haben Hersteller, Apotheker und Großhändler bereits 2011 die Initiative Securpharm ins Leben gerufen. Sie hat einen Data-Matrix-Code entwickelt, der eine individuelle Packungs-Seriennummer enthält. In der Apotheke wird dieser Code gescannt und über eine Datenbank verifiziert. Bei Unstimmigkeiten wird die Packung nicht an den Patienten abgegeben und der Fälschungsverdacht untersucht. Securpharm-Sprecher Reinhard Hoferichter bezeichnete die Umsetzung der EU-Forderung auf der Veranstaltung als »sehr großes Technologieprojekt mit einem Riesenaufwand«. Nicht alle Fragen lösten sich über Nacht, bis spätestens 2017 sei das Projekt aber am Laufen. /

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