Assistent des Arztes oder Heilberuf? |
16.09.2013 16:39 Uhr |
Von Jochen Pfeifer* / Die ABDA befindet sich zurzeit mit ihrer Leitbilddiskussion in einer sehr schwierigen, aber auch entscheidenden Phase der Neuausrichtung des Berufs des öffentlichen Apothekers. Wie definiert man einen unabhängigen freien Heilberufler und seine neuen Aufgaben?
Die öffentlichen Apotheker sind Superlogistiker und erfüllen ihre Gemeinwohlaufgabe einer ordnungsgemäßen und flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln perfekt. Mit innovativer Software und neuer Kommissioniertechnik sind Apotheken heute auf einem logistischen Niveau, das kaum noch zu übertreffen ist.
Wie kann und soll der Beruf des Apothekers in Zukunft aussehen? Über diese Frage diskutiert die Apothekerschaft zurzeit und sucht nach einem neuen Leitbild.
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Ein neues Leitbild müsste allerdings berücksichtigen, dass durch die Störung der Balance zwischen der eigentlichen apothekerlichen Aufgabe der Arzneimittelherstellung und den aktuellen mehr kaufmännisch orientierten Tätigkeiten ein Statusverlust mit einer Identitätskrise des Apothekerberufs einherging (1). Auch sollte im Rahmen der Leitbilddiskussion geprüft werden, inwieweit die Einbeziehung der Klinischen Pharmazie und neuer Formen der Pharmazeutischen Betreuung zum Erlangen von mehr Autonomie gegenüber den Ärzten führen könnte und damit zu eine Stärkung der Professionalisierung der öffentlichen Apotheker. Sind wir wirklich die Apotheker, die »Arzneimittel können« (2)? Sind wir wirklich die Fachleute für Arzneimittelfragen, die die Arzneimitteltherapiesicherheit erhöhen und die auch das in der neuen Apothekenbetriebsordnung vorgeschriebene Medikationsmanagement übernehmen können? Wie kann es beispielsweise sein, dass wir einerseits »Arzneimittel können« wollen und sollen, andererseits Patienten einer einfachen Medikamentenliste im »Stern« (3) mehr vertrauen als ihrem Apotheker?
Klare Aufgabenverteilung
Analysiert man die Rolle des Apothekers als freier Heilberufler in der Rechtsprechung (4), so fällt eine Besonderheit auf. Die Rollen zwischen Arzt und Apotheker sind so verteilt, dass sie dem Apotheker nicht gerecht werden. Der Arzt benutzt Arzneimittel als Hilfsmittel seiner ärztlichen Kunst. Und was macht der Apotheker? Er garantiert die logistische Aufgabe einer ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung und berät und informiert Patienten und Ärzte über Arzneimittel – aber nur so lange er sich nicht in die heilberufliche Kompetenz des Arztes einmischt.
Ist der Apotheker, wie wir ihn bisher kennen, nur eine Art Assistenzberuf des Arztes, der außer in der Logistik und der Herstellung von Arzneimitteln ohne Genehmigung des Arztes heilberuflich nicht eigenständig tätig sein darf? Professionssoziologisch stellt sich hierbei insbesondere die Frage, ob der Offizin-Apotheker bei seiner heilberuflichen Tätigkeit, insbesondere bei der bisherigen Pharmazeutischen Beratung, so viel professionelle Kompetenz aufbauen konnte, dass er bereits jetzt die volle Autonomie über diese Arbeitsinhalte hat.
Pharmazie ist in Deutschland eine naturwissenschaftliche Disziplin und muss chemisches, biologisches und technologisches Wissen vermitteln, obwohl sich die Apotheker gleichzeitig als Heilberufler sehen (5). Eine heilberufliche Kompetenz kann allerdings nicht allein durch naturwissenschaftlicher Kenntnisse vermittelt werden. Daher bezweckt das Pharmaziestudium weder die Ausbildung zum reinen Naturwissenschaftler noch zum therapierenden Heilberufler. Stattdessen bereitet die Pharmazie in Deutschland Ergebnisse anderer Disziplinen wie Chemie, Botanik und Technologie für deren heilberuflichen Verwendung vor – ohne sie aber selbst zu vollziehen (6).
Obwohl das Studium der Pharmazie einer der anspruchsvollsten Studiengänge ist, kann die Professionalisierung des Apothekers uneingeschränkt nur in den naturwissenschaftlichen Tätigkeiten des Apothekers anerkannt werden (vergleiche etwa Paragraf 15 AMG). Ab dem Moment, in dem der öffentliche Apotheker allerdings heilberuflich tätig wird, unterliegt er einer Art Arztvorbehalt, er hat die Anweisungen des Arztes zeitnah auszuführen und darf sich in dessen Therapiehoheit nicht einmischen (Paragraf 20 ApoBetrO). Auch ist der Apotheker kein Arzneimittelpolizist, der die Verordnungen der Ärzte überwachen soll. Selbst bei OTC-Arzneimitteln, wo der Apotheker weitgehend unabhängig vom Arzt auf Patientenwunsch arbeitet, gilt der Arztvorbehalt. Ein Beispiel hierfür ist die Leitlinie der Bundesapothekerkammer (7), wonach die Selbstmedikation nur dann vom Apotheker verkauft werden darf, wenn die zugrundeliegende Krankheit nicht von einem Arzt behandelt werden muss. Im Medizinrecht findet sich kein vergleichbarer »Apothekervorbehalt«.
Arzt und Apotheker müssen auf Augenhöhe zusammenarbeiten und gemeinsam Verantwortung übernehmen, um den optimalen Therapieerfolg zu erzielen.
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Etwas mehr Kompetenz
Mit der Neufassung der Apothekenbetriebsordnung wurden dem Apotheker auch neue Aufgaben übertragen, wie die Verpflichtung zur Plausibilitätsprüfung. Eine solch eingeschränkte Kompetenzerhöhung reicht jedoch nicht aus, um eine volle Autonomie über sämtliche heilberuflichen Arbeitsbereiche zu erhalten, zumal die Plausibilitätsprüfung unter »Arzneimittelherstellung« zu subsumieren wäre, wo der Apotheker sowieso autonom ist. In anderen Ländern hat der Apotheker dagegen bereits heilberufliche Autonomie und Professionalisierung erlangt.
In Ländern wie Kanada (8), USA, Australien und Großbritannien dürfen Apotheker nicht nur Notfall- und Folge- Verordnungen ausstellen, sondern unter bestimmten Umständen auch eine Therapie mit einem verschreibungspflichtigen Arzneimittel initiieren, bei einem verschriebenen Präparat die Dosierung ändern oder den Wirkstoff austauschen sowie Arzneimittel und Impfstoffe injizieren. Bevor die deutsche Apothekerschaft vergleichbare Befugnisse fordert, sollte geprüft werden, ob ein solches System auch bei uns funktionieren würde. In den meisten Ländern mit einem solchen System, muss der Apotheker in einer Prüfung nachweisen, dass er für die Krankheiten, für die er Rezepte ausstellen will, ausgebildet wurde (9). Hierfür muss der Apotheker eng mit einem Kooperations-Arzt zusammenarbeiten.
Weiterhin muss der Apotheker fortgeschrittene Kenntnisse in Klinischer Pharmazie, Pharmakologie und Pathophysiologie besitzen (10) und in Prüfungen nachweisen. Eine einmal erteilte Approbation als Apotheker oder eine Betriebserlaubnis reichen nicht aus. Zu befürchten ist allerdings, dass viele deutsche öffentliche Apotheker eine solche Kompetenz dennoch einfordern werden ? ausschließlich aufgrund ihrer Approbation und einer irgendwann einmal erhaltenen Betriebserlaubnis, man sei ja schließlich »freier Heilberufler«.
In seinem Interview mit dem »Stern« hat ABDA-Präsident Friedemann Schmidt die gegenwärtige Lage korrekt analysiert (3): »Bei der fachlichen Innovation hat unser Berufsstand einen deutlichen Rückstand [...]. International hängen wir bestimmt zehn Jahre hinterher«. Diese Äußerung wurde in vielen Foren und Leserbriefen von den Kollegen scharf kritisiert (11). Allerdings müssen wir Apotheker lernen, dass eine Tatsache nicht allein dadurch falsch wird, dass wir sie wiederholt negieren, ohne wissenschaftlich fundierte Argumente dagegen zu haben.
Fraglich ist, ob das nach der neuen Approbationsordnung vorgeschriebene Medikationsmanagement die heilberufliche Kompetenz des Apothekers noch weiter steigern könnte. Beim Medikationsmanagement können die drei folgenden Stufen unterschieden werden (12):
Apotheker müssen als Arzneimittel- also Molekülspezialisten auch zu Spezialisten in der Anwendung dieser Arzneimittelmoleküle werden und hierfür gemeinsam mit den Ärzten die Mitverantwortung bei der Heilung oder Linderung der Erkrankung der Patienten übernehmen (15). Solange allerdings weiterhin in der Apothekerausbildung pharmaziehistorische Fächer in den Vordergrund gestellt werden und der Klinischen Pharmazie nicht der nötige Stellenwert gegeben wird, ändert sich an dieser Situation in Deutschland so schnell nichts.
Eine Neuorientierung des Leitbildes des Apothekers setzt zwingend eine Honorierung neuer Leistungen, wie das Medikationsmanagement voraus. Grund für die kontroversen Auseinandersetzungen um eine zusätzliche Honorierung für neue Leistungen ist die in Deutschland unscharfe Trennung von pharmazeutischer Beratung und pharmazeutischer Betreuung (16). Der Begriff der Pharmazeutischen Beratung wird in der Apothekenbetriebsordnung definiert und beinhaltet insbesondere die Anforderungen des § 20 ApoBetrO. Deshalb ist die Argumentation der Krankenkassen auch zum Teil nachvollziehbar. Alle gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen sind mit dem Packungshonorar abgegolten. Leider wurde die Stufe 1 des Medikationsmanagements ohne entsprechende Honorarregeln in die Apothekenbetriebsordnung aufgenommen.
Unklare Definition
PTA könnten bestimmte Aufgaben des Apothekers übernehmen. Dieser hätte dann mehr Zeit, sich der Pharmazeutischen Betreuung zu widmen.
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Die Formen der Pharmazeutischen Betreuung sind aber gesetzlich nicht definiert und werden damit auch nicht von diesem Honorar abgedeckt. Unter Pharmazeutischer Betreuung versteht man die konsequente Mitverantwortung des Arzneimitteltherapiespezialisten mit dem Ziel, therapeutische Ergebnisse zu erzielen, die die Lebensqualität der Patienten verbessern (17). Daher sind das Medikationsmanagement Stufe 2 und 3 und andere neue Formen der Pharmazeutischen Betreuung nicht vom Packungshonorar abgedeckt.
Um diese zusätzliche Honorierung durchzusetzen, sind einheitliche Standards für eine Akkreditierung dieser Leistungen erforderlich. Dies setzt wiederum eine neue Weiterbildung zum »Fachapotheker für Pharmazeutische Betreuung und Arzneimitteltherapiesicherheit« voraus, die es noch nicht gibt. Die ABDA sollte im Rahmen ihrer Leitbilddiskussion hierfür Curricula entwickeln. Ansonsten ergeben die gegenwärtigen Fortbildungen einiger Apothekerkammern in der zweiten Medikationsmanagementstufe keinen Sinn.
Eine aktuelle Tendenz bereitet derzeit Anlass zur Sorge. Überall drängen Kurse und Fortbildungen in Pharmazeutischer Betreuung, Medikationsmanagement und Arzneimitteltherapiesicherheit mit unterschiedlichen Namen und Curricula auf den Markt. Dabei können die erforderlichen Kenntnisse in Pharmazeutischer Betreuung nicht in solchen Abendseminaren oder Wochenendkursen erworben werden. Das kann nicht funktionieren. Solche Angebote können nur der erste Schritt in die richtige Richtung sein, hierüber muss sich der Apotheker auch bewusst sein. Für eine umfassende Schulung, die auch zu einer durch Krankenkassen honorierbaren Akkreditierung führen kann, ist mindestens eine noch zu schaffende Weiterbildung analog der Fachapothekerweiterbildung erforderlich oder Masterprogramme der Universitäten.
Es wäre für uns als Heilberufler schlecht, wenn Kollegen mit gediegenem Halbwissen Ärzten und Patienten aufgrund mangelnder Erfahrung und fehlender klinischer Kenntnisse falsche Empfehlungen gäben. Die ABDA muss sich überlegen, wie sie verhindern will, dass so etwas im »ABDA-KBV-Modell« in Thüringen und Sachsen passiert.
Zur Leitbildfindung gehört auch, internationale Best Practice Modelle aus anderen Ländern auf deutsche Verhältnisse anzupassen. Ein solches Modul wäre die Neudefinition des Leitbildes der Apotheker analog des Model Acts des amerikanische National Boards of Pharmacy in Chicago (18). Viele amerikanische Vorschläge können allerdings in Deutschland (noch) nicht umgesetzt werden, weil die deutschen Kollegen noch nicht entsprechend ausgebildet sind. Dies betrifft die neuen Formen der Kooperationen zwischen Apothekern und Ärzten, Medikationsmanagements der Stufe 3, Drug Utilization Reviews und umfangreiche elektronische Dokumentationen.
Neue Aufgaben für PTA
Wie aber können zusätzliche und aufwendige neue Tätigkeiten des Apothekers in der öffentlichen Apotheke wirtschaftlich sinnvoll umgesetzt werden? Linda Strand, die als eine der Begründerinnen der Pharmazeutischen Betreuung gilt, hat folgenden Vorschlag in ihrem Standardlehrbuchs über Pharmazeutische Betreuung formuliert (17): Aufgrund ihrer umfassenden und kompetenten Ausbildung sollten PTA in Zukunft bestimmte Aufgaben des Apothekers im Tagesgeschäft übernehmen und ihn hierdurch freistellen, damit der Apotheker dann mehr Zeit habe, neue Formen der Pharmazeutischen Betreuung auch umzusetzen, was gegenwärtig wohl noch nicht möglich sei. Dies ist richtig. Hierfür sind allerdings Schulungsmaßnahmen für PTA zwingend erforderlich, die auch ein entsprechendes Fachhochschulstudium einschließen könnten.
In dem neuen Leitbild muss der Apotheker als Heilberufler in enger Zusammenarbeit mit dem Heilberufler Arzt eine Mitverantwortung dafür übernehmen, dass jeder Patient für seine diagnostizierte Erkrankung die medizinisch und unter Kosten-Nutzen-Aspekten optimale Medikation in korrekter Dosierung bekommt. Mit weniger sollten wir uns nicht zufrieden geben. Nur so stellen wir sicher, dass wir nicht als Assistenzberuf angesehen werden können, sondern als die Experten rund um das Arzneimittel, die wir auch sind. /
Literatur:
* Jochen Pfeifer ist Inhaber der Adler-Apotheke in Velbert. Er ist Doctor of Pharmacy (PharmD) der University of Florida, Fellow der American Society of Consulting Pharmacists und Clinical Assistant Professor für Professional Education am College of Pharmacy der University of Minnesota sowie an der University of Florida.
E-Mail: pfeif061(at)umn.edu