Komplizierte Moleküle und bunte Ballons |
11.09.2008 13:46 Uhr |
Komplizierte Moleküle und bunte Ballons
Von Julia Schulters, Münster
Beim 3. Kindertag im Institut für Pharmazeutische Biologie und Phytochemie der Uni Münster: So eine kleine Vorahnung hatte Svenja ja. Aber Photosynthese? »Nie gehört«, schüttelt die Neunjährige ahnungslos den Kopf. Professor Dr. Thomas Schmidt weiß dagegen genau, wie Pflanzen ticken und er kann es den Kindern anschaulich erklären.
Es ist ein eher ungewöhnliches Bild: Statt frischgebackener Abiturienten und gestresster Examenskandidaten drücken 35 Grundschulkinder die Hörsaalbank im Institut. Die kleinen Plastikfläschchen mit Lugolscher Lösung und Tusche sind kunterbunten Arbeitsblättern gewichen und Chloroplasten dürfen heute ausnahmsweise Mal »kleine grüne Ballons« heißen. Weit und breit ist nichts zu sehen von beschrifteten Laubblattquerschnitten, mikroskopischen Aufnahmen und kompliziertem Strukturformel-Wirrwarr. Stattdessen flimmern Mickey Mouse und Goofy über den Beamer und erleben ein etwas anderes Abenteuer. Eines, in dem nicht nach Verbrechern, sondern nach pflanzlichen Wirkstoffen gesucht wird und in dem die Pharmazeutische Biologie die Hauptrolle spielt.
Im Hörsaal ist es ruhig. Die Sechs- bis Elfjährigen spitzen ihre Ohren und hören aufmerksam zu. Kein Rascheln, kein Husten, nur die Fotoapparate und Kameras einiger Eltern surren im Hintergrund. Es herrscht Konzentration pur bei den kleinen Probe-Studenten. Professor Schmidt fragt: »Wisst Ihr, wozu man Pflanzen benutzen kann?« Na klar. Schnipps gehen 30 Finger gleichzeitig in die Luft. »Zum Essen und zum Angucken«, weiß eine kleine Naturforscherin in der ersten Reihe. »Und manchmal sind Pflanzen auch im Hustensaft drin«, tönt es von weiter hinten.
Auch Eltern können noch was lernen
Der pharmazeutische Gedanke ist also angekommen. Trotzdem gar nicht so einfach. Auch Anna-Maria (9) hat da so ihre Probleme mit der Vorstellung. »In meinen Salbeibonbons sollen echte Blumen drin sein?« Skeptisch wirft sie einen Blick Richtung Svenja. Die kann´s auch nur vermuten. »Ich glaube, das habe ich auch schon mal irgendwo gehört«, versichert sie zaghaft und zuckt mit den Schultern.
»Die Vorstellung, dass Wirkstoffe in Arzneimitteln teilweise aus Pflanzen gewonnen werden ist für viele Kinder etwas völlig Neues«, sagt Dr. Matthias Lechtenberg, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lebensmittelchemiker am Pharmazeutischen Institut in Münster. Der Kindertag gebe den Kindern einen ersten Eindruck davon, was die Natur an wertvollen und bedeutenden Substanzen hervorbringe.
Da ist auch Thomas Bauer erstaunt, der gemeinsam mit Tochter Irmina (7) zum Kindertag gekommen ist. »Hier lernt man auch als erwachsener Laie eine ganze Menge«, findet er. Besonders begeistert ist Bauer von der Vorlesung. »Die ist so gut gemacht, dass auch Kinder im Grundschulalter wirklich etwas mitnehmen«, ist er überzeugt.
Damit aber auch Spaß und Bewegung nicht zu kurz kommen, geht es gleich im Anschluss an die Vorlesung in den zwei Hektar großen Arzneipflanzengarten. Hier wird all das ausprobiert, was Professor Schmidt den frischgebackenen Naturdetektiven in der Vorlesung spielerisch beigebracht hat. Zum Beispiel, dass aus sechs Wasserteilchen und sechs Kohlendioxidmolekülen dieses Riesenmolekül entsteht. Aber, wie hieß das doch gleich noch einmal? Henrike (9) runzelt die Stirn. »Ich glaube das war so ein Zucker«, vermutet sie. »Nee, Traubenzucker war das«, verbessert Marie und spielt bei der Pflanzenrallye kurzerhand einmal selber Chloroplast. Mühsam steckt sie die kleinen bunten Kügelchen aus Professor Schmidts Molekülbaukasten zusammen bis das Glucosemolekül Gestalt angenommen hat.
Friederike (9) versucht sich lieber als kleine Apothekerin bei der Arzneipflanzen-Schnitzeljagd. Gar nicht so einfach den Medikamenten die richtige Pflanze zuzuordnen. Was steht da? Matricaria recutita? Ach so. Echte Kamille. Aber wie sieht die denn noch mal aus? »Gelb und weiß«, ruft Sophie und wird schnell im Arzneipflanzengarten fündig.
»Die Spiele machen den Kleinen einen unheimlichen Spaß und sind darüber hinaus pädagogisch sehr wertvoll«, findet Bernd Klose, der seine Tochter Selin (7) zum Kindertag begleitet hat. »In einer von Computern und Fernsehen bestimmten Zeit ist die Bewegung in der Natur für Kinder ganz besonders wichtig«, sagt er. Während viele andere Eltern sich bei einem Stückchen Kuchen und einer Tasse Kaffee erfrischen oder an einer interessanten Führung durch den Garten teilnehmen, entdeckt der Familienvater die Arzneipflanzen auf eigene Faust. »Unglaublich, dass sich hinter den Uni-Gebäuden diese unheimlich schöne Oase befindet«, staunt er und plant, in Zukunft an einer der öffentlichen Sonntagsführungen durch den Arzneipflanzengarten teilzunehmen, die das Institut für Pharmazeutische Biologie und Phytochemie in regelmäßigen Abständen anbietet.
Kindertag gleich Nachwuchsförderung
Aber auch beim Kindertag ist Professor Dr. Thomas Schmidt gerne bereit Kindern und Eltern in die Geheimnisse, Besonderheiten und Tricks der Pflanzen einzuweihen. »Unser Kindertag ist ja auch ein bisschen Nachwuchsförderung«, sagt er. Die Veranstaltung sei für Kinder schließlich eine hervorragende erste Möglichkeit, in die Naturwissenschaften hineinzuschnuppern.
Ob Svenja tatsächlich auch irgendwann einmal Pharmazie studieren will, weiß die Grundschülerin natürlich jetzt noch nicht. Wenn aber das Thema Pflanzen in der Schule auf dem Stundenplan steht, dann ist sie die Erste, die sich meldet. Nach dem Kindertag in Münster ist die Photosynthese schließlich kein Problem mehr für sie. Im Gegenteil: »Das war doch das mit den kleinen grünen Ballons und dem Zucker, oder?«