EuGH urteilt umsichtig |
16.09.2008 15:29 Uhr |
EuGH urteilt umsichtig
Von Lutz Tisch
Eine Klage der Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen ihrer gesetzlichen Bestimmungen zur Arzneimittelversorgung von Krankenhäusern hat der EuGH am 11. September 2008 (C-141/07) zurückgewiesen. Er folgte damit den Schlussanträgen des Generalanwaltes Yves Bot, der mitgliedstaatliche Kompetenzen durch die deutschen Regelungen für gewahrt hielt.
Verfügen deutsche Krankenhäuser nicht über eine eigene Apotheke, können sie sich von einer Apotheke eines anderen Krankenhauses oder einer krankenhausversorgenden öffentlichen Apotheke mit Arzneimitteln versorgen lassen. § 14 Apothekengesetz sah hierzu in seiner ursprünglichen Fassung das Kreisprinzip vor. Danach durften versorgende Apotheken nur im selben oder benachbarten Kreis angesiedelt sein.
Deutsche Krankenhausträgerkonzerne wandten sich beschwerdeführend an die EU-Kommission, die ihrerseits der Bundesrepublik Deutschland einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit vorwarf. Daraufhin änderte der deutsche Gesetzgeber die einschlägige Vorschrift des Apothekengesetzes, indem er vom formalen Kreisprinzip abließ und diejenigen Kriterien für die Krankenhausversorgung gesetzlich festlegte, die er unter qualitativen Gesichtspunkten für erforderlich hielt, um auch Krankenhäuser ohne eigene Apotheke adäquat versorgt zu wissen. Im Ergebnis führen diese Kriterien zur Versorgung aus einer vertraglich mit der Klinik verbundenen, allein verantwortlichen Apotheke, die aufgrund ihrer Nähe zum Krankenhaus auch sämtliche Aspekte der Akutversorgung abdecken kann.
Dies genügte der EU-Kommission nicht, da weiter entfernte Apotheken mit denkbaren Teilleistungen, wie der bloßen Lieferung von Arzneimitteln ausgeschlossen blieben. Die Bundesregierung hingegen verteidigte ihre Neuregelung, worin sie von ABDA, ADKA und BVKA maßgeblich unterstützt wurde. Die von der EU-Kommission beim Europäischen Gerichtshof erhobene Klage wurde nunmehr zurückgewiesen. Zwar hielt auch der EuGH die Regelungen erwartungsgemäß für einen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit. Allerdings hält er sie aus Gründen des Gesundheitsschutzes für gerechtfertigt.
Mitglieder bestimmen das Niveau
Bei der Prüfung, ob entsprechende Regelungen im Bereich der Gesundheit der Bevölkerung verhältnismäßig sind, sei zu berücksichtigen, dass jeder Mitgliedstaat bestimmen kann, auf welchem Niveau er den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten will und wie dieses Niveau erreicht werden soll. Abweichende Regelungen in anderen Mitgliedstaaten führten daher nicht per se zur Unverhältnismäßigkeit der zu überprüfenden Vorschriften. Nachdem die EU-Kommission die deutschen Regelungen für die Arzneimittelversorgung von Krankenhäusern aus eigener Krankenhausapotheke nicht kritisiere, müsse es dem deutschen Gesetzgeber auch freistehen, eine externe Versorgung dergestalt zu reglementieren, dass sie das gleiche Niveau des Gesundheitsschutzes erreiche. Somit übertragen nach der Überzeugung des Europäischen Gerichtshofes die streitigen Bestimmungen in Wirklichkeit Anforderungen auf das System der externen Versorgung, die denen entsprechen, die das System der internen Versorgung kennzeichnen. Sie stellen die Gleichwertigkeit und Vereinbarkeit sämtlicher Bestandteile des Arzneimittelversorgungssystems für Krankenhäuser in Deutschland sicher und garantieren somit die Einheit und das Gleichgewicht dieses Systems.
Die über die europarechtliche Bande gespielte Initiative der deutschen Krankenhausträgergesellschaften ist damit gescheitert. Die qualitativen Anforderungen des deutschen Gesetzgebers an die Arzneimittelversorgung von Krankenhäusern haben Bestand. Damit wahrt der Europäische Gerichtshof ordnungspolitische Beurteilungsspielräume der Mitgliedstaaten auch im Bereich der Arzneimittelversorgung.
Dies bedeutet noch nicht, dass auch das Fremdbesitzverbot an öffentlichen Apotheken, das derzeit einer Prüfung des EuGH (C-171/07) unterzogen wird, seine Rechtfertigung findet. Der Ausgang dieses Verfahrens ist aber nach der vorliegenden Entscheidung wesentlich offener als es professionelle Liberalisierer des deutschen Apothekenwesens glauben machen wollen. Der eine oder andere von ihnen wird nach der mündlichen Verhandlung im Verfahren um das Fremdbesitzverbot am 3. September 2008 nun zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage die bereitgestellten Champagnerflaschen ungeöffnet in den Kühlschrank zurückgestellt haben.
Für die deutschen Apotheken heißt es Ruhe bewahren. Nicht alles, was die Europäische Kommission beanstandet, ist auch rechtswidrig. Nicht alles, was zum Gegenstand gerichtlicher Überprüfungen durch den Europäischen Gerichtshof gemacht wird, fällt automatisch. Auch Apotheker dürfen mit einer umsichtigen und fairen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes rechnen, die von Marktbeteiligten und EU-Kommission inkriminierte Regelungen im Zusammenhang des Versorgungssystems betrachtet und beurteilt.