»Der Patient erhält Kontinuität in der Arzneimittelversorgung« |
16.09.2008 15:29 Uhr |
»Der Patient erhält Kontinuität in der Arzneimittelversorgung«
Von Daniel Rücker
Auch wenn es zurzeit keine Zielpreisvereinbarungen gibt, ist das Konzept noch lange nicht tot, sagt der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbands (DAV), Hermann S. Keller. Daran ändert nach seiner Überzeugung auch das negative Gutachten des Bundesverbands der Arzneimittelhersteller nichts.
PZ: Die AOK hat vor Kurzem für das Jahr 2009 Rabattverträge für 64 Wirkstoffe ausgeschrieben. Bedeutet dies, dass die von den Apothekern entwickelten Zielpreisvereinbarungen endgültig vom Tisch sind?
Keller: Die Zielpreise sind eine Alternative zu den Rabattverträgen. Sie ermöglichen den Ärzten und Apothekern einen größeren Handlungsspielraum, die Patienten mit den notwendigen Arzneimitteln zu versorgen. Die Auswahl der Hersteller bei den einzelnen Wirkstoffen ist breiter und damit patientengerechter als bei Rabattverträgen.
Zurzeit gibt es keine neuen Vereinbarungen über Zielpreise, weil die Krankenkassen sich einseitig auf die bisher wenig ertragreichen Rabattverträge festgelegt haben.
PZ: Warum tun sich die Krankenkassen schwer mit Zielpreisen?
Keller: Es ist eine Frage der Macht über den Arzneimittelmarkt. Die Kassen nutzen die politische Möglichkeit, selbst zu handeln und die Arzneimittelversorgung zu gestalten, ohne die Detailzusammenhänge zu kennen. Bei Rabattverträgen können sie weitgehend autonom agieren. Bei den Zielpreisen müssten sie sich mit den Systembeteiligten, also Ärzten und Apothekern, einigen. Dabei ginge es dann auch um Therapiefreiheit, Wirksamkeit und Compliance und nicht nur um Preise der Industrie.
PZ: Könnten Sie noch einmal kurz erklären, wie die Zielpreisvereinbarungen funktionieren?
Keller: Die landesspezifischen Vertragspartner, also Krankenkassen, Ärzte und Apotheker, stellen je nach Wirkstoff eine Liste der verfügbaren Fertigarzneimittel auf, sortiert nach den Verkaufspreisen. Bei einem Marktanteil von rund 30 Prozent legen sie den Zielpreis für die Präparategruppe fest. Er gilt als erreichbares Limit für die Abrechnung mit den Krankenkassen.
Ärzte und Apotheker können alle Fertigarzneimittel bis zum Zielpreis verordnen und diesen gegebenenfalls auch überschreiten, wenn an anderer Stelle der Zielpreis unterschritten wird. Die Kassen haben dann klare Preisgrenzen, die Heilberufe Wahlfreiheit bei den einzelnen Herstellern. Der Patient bekommt eine Kontinuität in der Arzneimittelversorgung und wird nicht bei jedem Rezept mit einem neuen Präparat belastet.
PZ: Welchen Vorteil haben Zielpreisvereinbarungen gegenüber den Rabattverträgen?
Keller: Der größte Vorteil ist es, dass die Ausschreibung entfallen kann, da eine Vertragslösung möglich ist. Zielpreisvereinbarungen werden regional geschlossen und in einem Vertrag mit Kassenärztlichen Vereinigungen, Krankenkassen und Landesapothekerverbänden beschrieben. Beachtet man die landesweite Arzneimittelliste nach Packungen und Umsatz, kann man landesspezifisch die wichtigsten Wirkstoffe mit einem Zielpreis versehen. Man kann deshalb punktgenau auf den regionalen Arzneimittelverbrauch eingehen.
Für Ärzte und Apotheker entfällt die permanente Diskussion über die Arzneimittelausgaben. Für jeden Wirkstoff gibt es einen vereinbarten Endpreis. Die Ausgaben sind transparent und planbar. Weniger transparent und schwieriger für die Apotheker zu handhaben sind dagegen die Rabattverträge. Sie müssen je Kasse und Wirkstoff den jeweiligen Vertragshersteller suchen. Bei rund 250 Krankenkassen bedeutet dies einen erheblichen Aufwand.
PZ: Den Krankenkassen geht es bei solchen Vereinbarungen im Wesentlichen ums Geld. Bieten Zielpreise ähnliche Einsparungen wie Rabattverträge?
Keller: Da wir die Einsparungen aus Rabattvereinbarungen der Krankenkassen mit der Industrie im Detail nicht kennen, ist ein Vergleich zwischen den beiden Instrumenten nicht möglich. Im Jahr 2007 wären über Zielpreise Einsparungen von 359 Millionen Euro möglich gewesen. Nach den Angaben der Krankenkassen erbrachten die Rabattverträge in dem Jahr knapp 90 Millionen Euro. Bei erheblich weniger Aufwand, Ärger und Überzeugungsarbeit wäre also über Zielpreise ein besseres Ergebnis wahrscheinlich gewesen.
PZ: Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) hat sich gleich mehrfach gegen Zielpreise ausgesprochen. Zuletzt präsentierte er ein Gutachten, wonach diese unzulässig sein sollen (siehe dazu Arzneimittelhersteller: Bundesverband greift Zielpreise an, PZ 34/2008). Was halten Sie davon?
Keller: Ein Gutachten steht immer im Kontext zu einer bestimmten These des Auftragsgebers und soll unterstützende Argumente liefern. Die Industrie hat zu Rabattverträgen und Zielpreisen keine Alternativlösung entwickelt und versucht nun, die Fehler anderen unterzuschieben.
Wer bestimmt denn den Preis eines Arzneimittels? Es kann doch niemanden überraschen, dass sich die Systembeteiligten auch ihre Gedanken dazu machen, dass Hersteller offensichtlich dazu in der Lage sind, ihre Arzneimittelpreise über Nacht um über 50 Prozent zu senken. Wir Apotheker lösen bestimmt keine Abwärtsspirale bei den Preisen aus. Wir sind seit 2004 von der Preisverantwortung abgekoppelt. Das Spiel haben andere eröffnet.
PZ: Die juristischen Bedenken der Industrie gegen Zielpreise macht BAH-Chef Hans-Georg Hoffmann vor allem an einem Bonus von 50 Cent pro Packung für den Apotheker fest. Ist dieser Bonus zwingender Bestandteil der Zielpreise?
Keller: Die Honorierung der Apotheker ist bundesweit in der Arzneimittelpreisverordnung geregelt. Wenn neue Anforderungen gestellt werden, kann es zu vertraglichen Sonderregelungen kommen. Ob wir mit einem Bonus oder einem Anteil an den Einsparungen beteiligt sind, ist zu verhandeln. Dass der BAH aus den 50 Cent daraus den einzigen Angriffspunkt an unserem Konzept entwickelt hat, zeigt, wie wenig substanziell die Kritik ist und dass der Industrie Alternativkonzepte fehlen.
Natürlich sehen wir im Vorgehen des BAH einen massiven Angriff auf uns. Verbandspolitische Kraftakte sind aber noch nie zielführend gewesen. Sie sind wie Versprechen vor Wahlen und dienen eigentlich nur der Stimmungsmache. Der BAH sollte dieses Feld rasch verlassen.
PZ: Der BAH ist ja auch gegen Rabattverträge. Seine Mitgliedsfirmen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die Krankenkassen wenig Freude an den Vereinbarungen hatten. Droht dies auch in dieser Runde?
Keller: Wir werden sehen, wie die Hersteller auf die neuen Rabattverträge, etwa der AOK, ab 2009 reagieren. Sollten auch hier wieder juristische Spielchen losgehen, ist der Patient der Leidtragende. Auf die Apotheken kommen ohnehin Millionen neuer Datensätze und ein erheblicher Mehraufwand zu. Patienten und Apotheker werden dies nicht widerspruchslos akzeptieren. Es muss dann Verhandlungen mit den Beteiligten geben, wie die Vereinbarungen gehandhabt werden sollen. Der reine Blick aufs Geld kann es allein nicht sein.
PZ: BAH und Apotheker haben bei der Selbstmedikation ja durchaus ähnliche Interessen. Glauben Sie, dass der Dissens die Beziehungen langfristig belastet?
Keller: Wer austeilt, muss auch einstecken können. Häufigere Attacken beleben sicher nicht die Beziehung.