Wachstumsdefizit wird nicht aufgeholt |
11.09.2012 17:01 Uhr |
Von Ulrike Viegener / Inhalative Glucocorticoide, die heutzutage bei Kindern als antientzündliche Basistherapie beim Asthma bronchiale eingesetzt werden, können bekanntlich Wachstumsstörungen verursachen. Was man allerdings nicht wusste: Das iatrogene Wachstumsdefizit ist anscheinend endgültig und wird nicht, wie bislang vermutet, später korrigiert. Auswirkungen auf die Therapieempfehlungen hat dies aber dennoch nicht.
Im Schnitt geht es um gut einen Zentimeter. Das scheint auf den ersten Blick nicht dramatisch. Zwar kann im Einzelfall das Wachstumsdefizit, das durch inhalative Glucocorticoide ausgelöst wird, sogar mehrere Zentimeter betragen. Aber selbst das ist hinnehmbar, da sich dies in der Pubertät wieder auswächst. So zumindest dachte man bislang. Retrospektive Querschnittsstudien hatten das nahegelegt. Jetzt liefert eine Folgestudie zum Childhood Asthma Management Program (CAMP) erstmals prospektive Daten und diese belegen das Gegenteil: Ein in der Kindheit etabliertes Wachstumsdefizit wächst sich bis zum Erwachsenenalter nicht wieder aus (doi: 10.1056/NEJMoa1203229).
Überlegenheit unstrittig
Der Forschergruppe um William Kelly ist es gelungen, 943 von 1041 Kindern, die in den frühen 1990er-Jahren am CAMP teilgenommen hatten, bis ins Erwachsenenalter hinein zu beobachten. Im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren waren die Probanden wegen ihres Asthmas unter kontrollierten Bedingungen entweder mit dem Steroid Budesonid, dem Mastzellstabilisator Nedocromil oder Placebo behandelt worden. Dabei schnitt das Glucocorticoid am besten ab: weniger Symptome, weniger akute Asthmaanfälle, weniger Hospitalisierung und eine geringere Hyperreagibiliät der Atemwege. Nedocromil dagegen war nicht besser als Placebo.
Foto: Fotolia/abcmedia
Allerdings hatte die Behandlung mit dem inhalativen Steroid eine Wachstumsverzögerung zur Folge, die sich bereits im ersten Jahr manifestierte, danach aber nicht weiter fortschritt. Am Ende der damaligen Studie nach vier bis sechs Jahren wurde unter Budesonid gegenüber Placebo ein Wachstumsdefizit von im Mittel 1,1 cm festgestellt.
Bei der jetzt veröffentlichen Folgestudie wurden über weitere zwölf Jahre hinweg regelmäßig Körpergröße, Körpergewicht und Lungenfunktion bestimmt. Im Erwachsenenalter – im Schnitt waren die Probanden am Ende 25 Jahre alt – war die Wachstumsdifferenz mit durchschnittlich 1,2 cm nahezu identisch mit dem Ergebnis der Ursprungsstudie. Was zweierlei bedeutet: Das Defizit wächst sich nicht aus, aber es wächst auch nicht kumulativ weiter an. Im Mittel waren die Erwachsenen, die in der Kindheit mit Budesonid behandelt worden waren, am Ende der Folgestudie 171,1 cm groß gegenüber 172,3 cm in der Placebogruppe. Besonders akzentuiert ist das Steroid-bedingte Wachstumsdefizit bei Behandlungsbeginn vor der Pubertät.
Minimal wirksame Dosis austesten
Die von den US-amerikanischen National Institutes of Health geförderte Studie ist aber kein Grund, die aktuellen Therapieempfehlungen zu revidieren. Der Nutzen von Glucocorticoiden bei kindlichem Asthma überwiegt nach Einschätzung der Experten auch trotz dieser neue Daten die Nachteile. Die Entzündung der Bronchialschleimhaut als grundlegendes Pathophänomen sollte bestmöglich bekämpft werden. Inhalative Corticosteroide sind nicht nur hinsichtlich der Asthmakontrolle überlegen, auch Exazerbationen lassen sich so verhindern – das haben verschiedene Studien speziell beim kindlichen Asthma gezeigt.
Der Einfluss der inhalativen Glucocorticoide auf das Wachstum zeigt eine klare Dosis-Wirkungs-Abhängigkeit. Kelly und seine Mitarbeiter konnten erneut belegen, dass die – zum kindlichen Körpergewicht relative – Tagesdosis entscheidend ist für mögliche Wachstumsstörungen. Im CAMP war mit einer – aus heutiger Sicht hohen – fixen Dosis von 400 µg Budesonid täglich behandelt worden. Als Konsequenz aus den neuen Daten betonen die Experten die Notwendigkeit, in jedem individuellen Fall die minimal effektive Dosis auszutesten. Auch sollten Wirksubstanzen und Inhalationssysteme mit hohem therapeutischen Index verwendet werden. Dies sei eine gangbare Strategie, um den erwiesenen Nutzen der inhalativen Corticosteroide auszuschöpfen, gleichzeitig aber ungünstige Effekte auf das Körperwachstum möglichst gering zu halten. /