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Studie

Verbände warnen vor Ärztemangel

07.09.2010  18:47 Uhr

Von Werner Kurzlechner, Berlin / Bundesärztekammer und Kassenärztliche Vereinigung schlagen erneut Alarm wegen des immer dramatischeren Ärztemangels. Eine gemeinsame Studie zeigt aber auch, dass sich die Situation 2009 in Teilen etwas entspannt hat.

In Deutschland sterben die Hausärzte aus – an diesem alarmierenden Befund hat sich nichts geändert. In zehn Jahren gibt es republikweit 7000 Hausärzte weniger als bisher, wenn die Prognose einer vergangene Woche in Berlin vorgestellten Studie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der Bundesärztekammer eintritt. Dass die Lage in Teilen jetzt schon dramatisch ist, symbolisiert der Saalekreis in Sachsen-Anhalt. Im nördlichen Umland von Halle lag der Versorgungsgrad schon im vergangenen Jahr unter 75 Prozent. 2009 fehlten allein in Sachsen-Anhalt 133 Hausärzte.

 

Nun ist die Wehklage über diese Entwicklung zwar berechtigt, aber nicht neu. Deshalb sollten die graduellen Anzeichen einer Linderung in der inzwischen fünften Auflage der Studie nicht übersehen werden. So verringerte sich 2009 die Zahl der Vertragsärzte um 4426 – ein deutlich geringerer Verlust als in den Vorjahren, in denen die Zahl der Ärzte jeweils um mehr als 5000 sank.

Ursache sei die Aufhebung der 68-Jahre-Rege­lung, die älteren Ärzten das Weiterprakti­zieren erlaube, so Dr. Thomas Kopetsch, Autor der Studie. »Wir haben deshalb unsere Prognose für die kommenden Jahre drastisch nach unten korrigiert«, sagte Kopetsch. Ins Ausland wander­ten im vergangenen Jahr 2486 Ärzte ab – auch das sind 600 weniger als im Vorjahr. »Die Vergü­tungsreform ist ein Hoffnungsschimmer gewe­sen«, erklärte Dr. Andreas Köhler, Vorstandsvor­sitzender der KBV.

 

Diese vereinzelten positiven Entwicklungen zei­gen vor allem, dass ein Gegensteuern nicht un­möglich ist. Sie ändern allerdings nichts an der schwierigen Ausgangslage. Ein zentraler Faktor dabei ist die zunehmende Überalterung der Ärzteschaft. 41 137 Ärzte waren Ende 2009 60 Jahre oder älter, 3300 mehr als 2008. Der Anteil dieser Altersgruppe liegt inzwischen bei 12,6 Prozent. 1993 waren es lediglich 6,7 Prozent. Ein niedergelassener Mediziner ist mittlerweile im Durchschnitt 51,9 Jahre alt, ein Krankenhausarzt 41,1 Jahre.

 

Der Nachwuchs fehlt

 

Die demografische Entwicklung machte Dr. Frank Ulrich Montgomery, Vizepräsident der Bundesärztekammer, als eine Hauptursache für den Ärztemangel aus. Zum einen steige in einer älter werdenden Gesellschaft der Bedarf an medizinischer Versorgung. »Zum anderen werden die Ärzte immer älter und es fehlt an Nachschub«, so Montgomery. Für die vergangene Dekade kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass im jährlichen Mittel zwar 10 252 Menschen ein Medizinstudium aufnahmen.

Schon während des Studiums stiegen aber 17,9 Prozent aus, weitere 11,6 Prozent entschieden sich nach dem Examen für den Schritt ins Ausland oder für andere Karrierewege etwa im Medizinjournalismus oder in der Medi­zin­informatik. Übrig blieben am Ende 7444 tatsächlich praktizierende Ärzte.

 

Im Ausland sind laut Studie insgesamt 16 895 deutsche Ärzte tätig – vor allem in der Schweiz und in Großbri­tannien, aber auch in den USA, Öster­reich und Frankreich. Der Trend der Abwan­derung wird zum Teil aufge­fan­gen durch eingewanderte Ärzte. Im vergangenen Jahr kamen 1927 Medi­ziner nach Deutschland, so viele wie seit sechs Jahren nicht. Überhaupt haben die Verbände der Öffentlichkeit das paradoxe Phänomen zu erklären, dass sich trotz absolut steigender Arztzahlen der Ärztemangel verschärft. »Die Medizin wird immer weiblicher«, nennt Montgomery als einen Grund dafür. 42,2 Prozent der Ärzteschaft stellten im vergangenen Jahr Frauen, 1995 waren es erst 35,5 Prozent. Über 63 Prozent der Studienanfänger in Humanmedizin sind mittlerweile weiblich. Dieser Trend zur Feminisierung sei zwar erfreulich, gehe aber mit immer mehr Teilzeitarbeit einher, so Montgomery. So erkläre sich, dass die Zahl der Krankenhausärzte zwischen 2000 und 2007 zwar um 8 Prozent stieg, gleichzeitig aber das Volumen an geleisteten Arbeitsstunden um 0,3 Prozent sank.

 

Bessere Arbeitsbedingungen sind laut Montgomery nötig, um den Medizinerberuf für den Nachwuchs attraktiver zu machen. »80-Stunden-Wochen sollten der Vergangenheit angehören«, so Montgomery. Zugleich müsse die Vergütung stimmen. In diesem Zusammenhang kritisierte er die Bestrebungen von BDA und DGB, einen einheitlichen Krankenhaustarif einzuführen, als »Unverfrorenheit«.

 

Der Ärztemangel spitzt sich vor allem bei den niedergelassenen Medizinern zu. Seit 2005 sank die Zahl der Hausärzte bereits um 1500 auf 51 782, 2020 werden es laut Prognose nur noch 44 903 sein. Versorgungsengpässe drohen darüber hinaus bei Augen-, Frauen-, Haut- und Nervenärzten. /  

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