Gleiches Recht für alle Apotheken |
29.08.2012 16:02 Uhr |
Von Daniel Rücker, Karlsruhe / Für ausländische Versandapotheken brechen schwere Zeiten an. In der vergangenen Woche hat der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe Boni auf rezeptpflichtige Arzneimittel verboten. Auch die Versender müssen sich an deutsche Preisvorschriften halten und verlieren damit ihr Alleinstellungsmerkmal.
Mehr juristische Kompetenz geht in Deutschland nicht. Als am vergangenen Mittwoch der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe unter der Leitung der Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts, Marion Eckertz-Höfer, in Karlsruhe am Bundesgerichtshof zusammentrat, waren die Präsidenten der fünf Bundesgerichte in einem Gerichtssaal versammelt. Einige Stunden später hatten sie ihr Urteil gefällt: Die deutschen Preisvorschriften gelten auch dann, wenn Rx-Arzneimittel von einer Versandapotheke mit Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union an Kunden in Deutschland abgegeben werden.
Der Gemeinsame Senat hat entschieden, dass auch für ausländische Versandapotheken die deutschen Preisvorschriften gelten. Boni auf rezeptpflichtige Arzneimittel sind damit verboten.
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Die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes (AMG) seien eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage dafür, ausländische Versandapotheken, die verschreibungspflichtige Arzneimittel an Endverbraucher in Deutschland abgeben, deutschem Arzneimittelpreisrecht zu unterwerfen, heißt es in der Urteilsbegründung. Der Gemeinsame Senat bezieht sich dabei vor allem auf Paragraf 78 Absatz 1 und 2 des Arzneimittelgesetzes. Dieser Entscheidung stehe weder primäres noch sekundäres Unionsrecht entgegen.
Kein Fall für den EuGH
Die deutsche Regelung verstoße auch nicht gegen die Warenverkehrsfreiheit, so der Gemeinsame Senat. Damit macht er deutlich, dass er keinen Anlass dafür sieht, das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzulegen.
Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe tritt nur zusammen, wenn sich zwei oberste Bundesgerichte uneins sind. Neben den Präsidenten der fünf Bundesgerichte gehören ihm vier Richter der beteiligten Gerichte an. In diesem Fall sind dies das Bundessozialgericht (BSG) und der Bundesgerichtshof (BGH). Das BSG hatte 2008 in einem Verfahren um den Herstellerrabatt entschieden, das deutsche Preisrecht gelte nicht für ausländische Versandapotheken. Der BGH sah dies 2010 anders, konnte aber wegen des BSG-Urteils nicht entscheiden, dass das deutsche Preisrecht auch für ausländische Versender gelte. Der Fall war der Auslöser für das Verfahren vor dem Gemeinsamen Senat.
Geklagt hatte im Jahr 2007 die Besitzerin der Darmstädter Engel-Apotheke. Sie sah einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht, wenn sich deutsche Apotheken an die Arzneimittelpreisverordnung halten müssen, die niederländische Europa-Apotheek ihren Kunden aber ungestraft Boni gewährt.
In der mündlichen Verhandlung am Mittwoch vergangener Woche hatten beide Parteien noch einmal Gelegenheit, ihre Rechtsposition darzulegen. Der Erkenntniswert der Verhandlung war allerdings überschaubar, denn im Grundsatz waren die Positionen ausgetauscht. Die Anwälte der Europa-Apotheek gehen weiterhin davon aus, dass sich ausländische Versandapotheken nicht an die deutsche Preisverordnung halten müssen und deshalb Boni auf rezeptpflichtige Arzneimittel erlaubt sind. Als Begründung führte der Anwalt der Europa-Apotheek, Matthias Siegmann, unter anderem an, die Europa-Apotheek arbeite nicht auf Basis einer deutschen Versandhandelserlaubnis, sondern einer Genehmigung nach niederländischem Recht. Deshalb sei man nicht an die deutschen Preisvorschriften gebunden. Zudem regle das deutsche Preisrecht nur die Abgabe von Arzneimitteln in deutschen Apotheken.
Regulierte Preise rechtens
Das sahen die Anwälte der Darmstädter Apothekerin, Morton Douglas und Professor Dr. Achim Krämer, anders. Zum einen hatten sie keinen Zweifel daran, dass der Gesetzgeber die deutschen Preise für Arzneimittel regulieren dürfe. Zudem stehe eine entsprechende Ergänzung von Paragraf 78 Arzneimittelgesetz kurz bevor. Dort werde voraussichtlich im Oktober der Satz ergänzt, dass die deutschen Preisvorschriften auch für ausländische Versandapotheken gelten.
Die Versender wollen das Urteil des Gemeinsamen Senats noch kippen und setzen auf den Europäischen Gerichtshof.
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Diese Ergänzung hat die Bundesregierung in das vom Bundestag bereits verabschiedete Arzneimittelrechts-Änderungsgesetz geschrieben. Dies mache deutlich, dass der Gesetzgeber keine Ungleichbehandlung deutscher und ausländischer Apotheken wünsche, sagte Douglas. Der in Paragraf 78 AMG vorgeschriebene einheitliche Abgabepreis solle Patienten schützen und eine flächendeckende Versorgung sicherstellen. Es sei nicht zu erkennen, warum ausländische Apotheken davon ausgenommen werden sollten. Die Richter des Gemeinsamen Senats schlossen sich dieser Sicht an und bereiteten mit ihrem Urteil den Rx-Boni ein Ende.
Apotheker begrüßen Urteil
Die Apothekerschaft war mit dem Urteil zufrieden: »Wir begrüßen das Votum des Gerichts, das endlich die Voraussetzungen für fairen Leistungswettbewerb zwischen in- und ausländischen Apotheken schafft«, sagte ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf zur Karlsruher Entscheidung. »Der Wettbewerb der Apotheken findet über Qualität, Leistung und Service statt. Das ist aktiver Verbraucherschutz.« Auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) begrüßte das Urteil, weil es zu mehr Rechtssicherheit führe. Der bayerische Gesundheitsminister Marcel Huber (CSU) forderte erneut, nun müsse auch der Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln verboten werden. Ähnlich äußerte sich Die Linke.
Bemerkenswert offene Urteilsschelte betrieb dagegen der Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, Florian Lanz. Der Apothekerlobby sei es erneut gelungen, verkrustete Strukturen zu verteidigen, sagte er und übte damit für eine Interessenvertretung von Körperschaften öffentlichen Rechts bemerkenswert harsche Kritik an den obersten Richtern der Bundesrepublik und dem Gesetzgeber, freilich ohne diese Institutionen namentlich zu erwähnen.
Der Europäische Verband der Versandapotheken (EAMSP) ist mit dem Urteil nicht zufrieden. Der Verband will die Entscheidung noch kippen und setzt dabei auf EU-Recht. Die EU-Kommission soll nun aufgefordert werden, das Thema vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen. Man warte »mit Spannung auf die endgültige Rechtsprechung vor dem Europäischen Gerichtshof«, heißt es in einer Stellungnahme des Verbands. Ob dies mehr ist als ein Ausdruck von Verzweiflung, wird sich zeigen.
Der Gemeinsame Senat hatte in der Urteilsbegründung deutlich gemacht, er sehe keinen Grund, den EuGH anzurufen. Die Chancen für die Versender dürften deshalb überschaubar sein. Im Jahr 2009 hatte der EuGH in seinem Fremdbesitz-Urteil deutlich gemacht, dass die Ausgestaltung der nationalen Gesundheitsversorgung bei den Mitgliedsstaaten liege. Daran dürfte sich wenig geändert haben.
Bleibt den Versendern noch Trotzigkeit: »Die Mitgliedsapotheken werden auch zukünftig ihren Kunden in Deutschland Preisvorteile anbieten«, kündigte der Verband an. Man sehe »keinen rationalen Grund, warum Boni, die aus dem Gewinn der Unternehmen stammen und das Gesundheitssystem nicht belasten, nicht an Verbraucher ausgeschüttet werden sollten«. Doch dürfte diese offensive Ankündigung eines kollektiven Rechtsbruchs die Unternehmen auf Dauer teuer zu stehen kommen.
70000 Euro Strafe
Das musste gerade die Europa-Apotheek am vergangenen Freitag selbst feststellen. Auf Betreiben des Bayerischen Apothekerverbandes verhängte das Oberlandesgericht München wegen der Gewährung unzulässiger Boni ein Ordnungsgeld von 70 000 Euro gegen den Versender. Die Münchner Richter bezeichneten ihr Urteil sogar als milde und erweckten damit die Vermutung, dass der nächste Verstoß noch teurer werden könnte. /
Beratung, bitte!
Dieses Urteil verpflichtet. Mit der Entscheidung, dass bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln die deutschen Festpreise auch für ausländische Versandapotheken gelten, hat der Gemeinsame Senat den Präsenzapotheken in Deutschland den Rücken gestärkt. Die Richter stellen klar, dass Lockangebote und Dumpingpreise in der Rx-Versorgung nichts zu suchen haben. Statt Patienten mit niedrigen Preisen zu ködern, sollen Apotheken sie mit Freundlichkeit, gutem Service und vor allem exzellenter Beratung für sich als Kunden gewinnen.
Uns Apotheker sollte die Entscheidung daran erinnern, dass die Information zu allen Fragen rund um das Arzneimittel unsere wichtigste Aufgabe ist. Denn als Geschäftsleute genießen wir nur deshalb den besonderen Schutz des Gesetzgebers vor ausländischer Billigkonkurrenz, weil die Waren, mit denen wir handeln, eben auch besondere sind. Vor jeder Abgabe von Arznei- und Hilfsmitteln ist heilberufliche Kompetenz gefragt, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine vorübergehende Anwendung oder eine Dauermedikation handelt. Zumindest ein Beratungsangebot sollte das pharmazeutische Personal in jedem Fall machen.
Kritiker des Urteilsspruchs behaupten, dass chronisch Kranke über ihre Arzneimittel irgendwann selbst so gut Bescheid wüssten, dass sie überhaupt keine Beratung mehr bräuchten. Für sie seien daher die Rabattangebote der ausländischen Versender eine Möglichkeit, gefahrlos Geld zu sparen. Das ist jedoch ein Irrglaube. Auch nach jahrelanger Einnahme kann es zu Komplikationen kommen, beispielsweise als Interaktion mit anderen Arzneimitteln oder durch eine Umstellung der Lebens- oder Ernährungsgewohnheiten. Jedes Mal nachzufragen, ob auch wirklich alles klar ist, auf mögliche Probleme hinzuweisen und bei Verdacht nachzuhaken, ist anstrengend. Aber genau dazu sind wir Apotheker ausgebildet und verpflichtet.
Annette Mende
Redakteurin Pharmazie