Effizient, aber nicht erstattungsfähig |
26.07.2017 10:10 Uhr |
Von Christina Müller / Mit dem Rauchen aufzuhören ist eine der effektivsten Maßnahmen, um die Gesundheit zu verbessern. Am besten gelingt der Rauchstopp mit einer strukturierten Tabakentwöhnung. Weil diese derzeit aber nicht von den Krankenkassen erstattet wird, wollen nun Raucher vor Gericht ziehen.
Wer qualmt, stirbt früher: Etwa zehn Lebensjahre kostet dieses Laster jeden Raucher im Schnitt, informiert die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Die sechs in den Industrienationen häufigsten Todesursachen – koronare Herzkrankheit, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD), Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Schlaganfall und Lungenkrebs – sind demnach maßgeblich durch den Konsum von Tabak bedingt. Fast jeden sechsten Todesfall führt die DHS auf das Rauchen zurück.
Gesundheitliche und volkswirtschaftliche Folgen
Ehemalige Raucher müssen, um abstinent zu bleiben, Gewohnheiten entwickeln, die das Rauchen ersetzen. Das geht auch in einer Gruppe.
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Auch volkswirtschaftlich haben die Folgen des Tabakkonsums erhebliche Bedeutung: Laut einer Analyse des Wirtschaftswissenschaftlers Privatdozent Dr. Tobias Effertz von der Universität Hamburg, die auf Daten der Gesetzlichen Krankenversicherung basiert, ergeben sich in Deutschland pro Jahr tabakbedingte Kosten von mehr als 18 Milliarden Euro (DOI: 10.3726/978-3-653-05272-5).
Fast die Hälfte der Raucher will aufhören (siehe Kasten), doch die meisten schaffen dies nicht aus eigener Kraft. Lediglich etwa 3 bis 6 Prozent der Raucher bleiben nach einem Aufhörversuch mindestens ein Jahr lang abstinent. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologe und Beatmungsmedizin (DGP) sieht daher Handlungsbedarf und setzt die Tabakentwöhnung ganz oben auf ihre Agenda: Jedem Raucher, der an einer Lungenkrankheit wie Asthma, COPD, Lungenkrebs oder Lungenfibrose leidet, sollte der behandelnde Arzt der Fachgesellschaft zufolge eine strukturierte Tabakentwöhnung anbieten. So lautet eine ihrer Empfehlungen im Rahmen der Initiative »Klug entscheiden«, die DGP-Präsident Professor Dr. Berthold Jany Mitte März in Berlin präsentierte (lesen Sie dazu PZ 12/2017, Seite 38). »Je schneller Betroffene das Rauchen aufgeben können, desto mehr verbessern sich Symptome wie Atemnot, Husten und Atemwegsentzündungen«, so Jany.
Eine strukturierte Tabakentwöhnung besteht aus Verhaltenstherapie plus – wenn nötig – medikamentöse Behandlung. Wie eine solche Entwöhnung aussehen sollte, ist in der S3-Leitlinie »Screening, Diagnostik und Behandlung des schädlichen und abhängigen Tabakkonsums« dargelegt. Demnach sind verhaltenstherapeutische Gruppen- und Einzelinterventionen wirksam, um eine Tabakabstinenz zu erreichen. Die Wirksamkeit von anderen Methoden wie der psychodynamischen Therapie, Hypnotherapie oder Aversionstherapie ist dagegen nur unzureichend belegt.
ABDA / 44 Prozent der Raucher in Deutschland wollen sich das Rauchen abgewöhnen. Vor allem junge Frauen (53 Prozent) wollen weg von der Zigarette, bei den Männern planen das nur 37 Prozent. Auch das Alter spielt eine Rolle: Je jünger ein Raucher, desto eher sucht er den Ausstieg: 49 Prozent der Menschen bis 29 Jahren, aber nur 41 Prozent der Über-65-jährigen wollen aufhören. Zu diesen Ergebnissen kommt eine repräsentative Meinungsumfrage im Auftrag der ABDA, für die das infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft telefonisch 3415 Bundesbürger ab 16 Jahren befragt hat. /
Abhängig von Nikotin
Bei den meisten Rauchern besteht eine hohe Nikotinabhängigkeit. Hierfür empfehlen die Autoren eine Nikotinersatztherapie. Diese zielt darauf ab, dem Anwender vorübergehend Nikotin ohne die schädlichen Begleitstoffe des Tabakrauchs in absteigender Konzentration zur Verfügung zu stellen. Die unterschiedlichen Handelspräparate unterscheiden sich vor allem in der Kinetik der Nikotinfreisetzung: Pflaster erzeugen einen konstanten Nikotinserumspiegel, der vor auftretenden Entzugssystemen schützen soll. Kaugummis, Mundsprays, Lutschtabletten oder Inhaler stellen das Nikotin mit einer höheren Anflutgeschwindigkeit bereit und »vermitteln dem Anwender eher das Gefühl der Kontrolle über die Nikotinzufuhr, kommen aber der Geschwindigkeit der Nikotinfreisetzung aus der Zigarette nicht ausreichend nahe«, so die Leitlinie.
Starken Rauchern raten die Autoren zu einer Kombinationstherapie aus Pflaster und einer schnell freisetzenden Darreichungsform über einen Zeitraum von acht bis zwölf Wochen unter allmählicher Dosisreduktion. »Bei gutem Behandlungserfolg, aber fortgesetzter Rückfallgefahr kann die Dauer der Anwendung bei allen zugelassenen Produkten verlängert werden.«
Die Autoren vergeben für die medikamentöse Therapie mit dem Antidepressivum Bupropion (Zyban®) oder dem partiellen Nikotinrezeptor-Agonisten Vareniclin (Champix®) unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls den Evidenzgrad A, also die stärkste mögliche Empfehlung. Patienten, denen der Rauchstopp nicht aus eigener Kraft gelingt und bei denen eine leitliniengerechte Therapie gescheitert ist, sollten mit einem der beiden Wirkstoffe behandelt werden. Beide Substanzen verdoppelten die Erfolgsaussichten auf Abstinenz und seien ähnlich effektiv wie Nikotinersatzpräparate.
Durch eine Kombination medikamentöser und psychotherapeutischer Hilfen sind Abstinenzquoten von bis zu 30 Prozent nach einem Jahr möglich. Laut Daten der ATEMM-Studie könnte die Quote noch höher ausfallen: In dieser Untersuchung mit 544 COPD-Patienten waren ein Jahr nach der Entwöhnung mit einem strukturieren leitlinienbasierten Konzept 52 Prozent der Teilnehmer rauchfrei, nach Intention-to-treat-Analyse, bei der auch Studienabbrecher berücksichtigt werden, 40 Prozent (»Pneumologie« 2017, DOI: 10.1055/s-0037-1598575).
Erstattung ausgeschlossen
Eine strukturierte Entwöhnung ist effizient, aber sie wird nicht von den Krankenkassen bezahlt: Die Kosten für Verhaltenstherapie werden bislang nicht übernommen und die Erstattungsfähigkeit durch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) für Arzneimittel, die der Tabakentwöhnung dienen, schließt der Gesetzgeber in §34 SGB V ausdrücklich aus. Von der Versorgung sind dem entsprechenden Passus zufolge Arzneimittel ausgeschlossen, »bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht«.
Der Wissenschaftliche Aktionskreis Tabakentwöhnung (WAT) hält diese Regelungen für einen Fehler – und will bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um die Erstattungsfähigkeit der Behandlung zu erwirken. »Da die Politik versagt, muss sie rechtlich gezwungen werden«, heißt es in einem Schreiben von 2012, in dem die Initiatoren um Leitlinienautor Professor Dr. Anil Batra ihre Fachkollegen dazu auffordern, den Klage-Fonds zu unterstützen. Sie bemängeln, dass die Entwöhnungstherapie noch immer nicht als Kassenleistung anerkannt sei, sondern die GKV diese lediglich als Präventionsleistung mit etwa 75 Euro pro Jahr bezuschusse. »Dies ist umso unverständlicher, als die Behandlung der Tabakabhängigkeit (Entgiftung und Entwöhnung) zu den mit Abstand kosteneffektivsten Maßnahmen in der gesamten Medizin gehört.«
Ein gewonnenes Lebensjahr durch Tabakentwöhnung verursacht dem WAT zufolge Kosten in Höhe von 300 bis 1200 Euro, während im Vergleich ein gewonnenes Lebensjahr durch medikamentöse Therapie des Bluthochdrucks mit rund 50 000 Euro zu Buche schlägt. Schon im Jahr 2008 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss einen Beschluss gefasst, demzufolge die strukturierte Tabakentwöhnung für COPD-Patienten erstattungsfähig gewesen wäre. Dieser Beschluss wurde vom Bundesgesundheitsministerium aber abgelehnt.
Raucher wollen klagen
Nicht so streng, wie sie es sein könnte, ist auch die Bundesregierung mit der Tabakindustrie. Ein Beispiel für das Laisser-faire: Tabakaußenwerbung ist in Deutschland immer noch nicht verboten.
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Nach einigen Jahren Vorbereitung machen Batra und Kollegen jetzt Ernst: »Inzwischen haben wir zwei Raucher gefunden, die bereit sind, auf Erstattung der Behandlungskosten zu klagen«, informiert er im Gespräch mit der PZ. »Die Klagen werden in Kürze beim Landessozialgericht Sachsen eingehen.« Ziel ist es laut WAT, dass Krankenkassen »nicht nur die Erstattung der Tabakentwöhnung leisten können oder sollen, sondern geradezu müssen, wenn sie verantwortlich wirtschaftlich denken«. Die Initiatoren hoffen, mit ihrem Vorstoß Rechtsgeschichte zu schreiben und die Versorgung von Rauchern in Deutschland erheblich zu verbessern.
Darüber würde sich auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) freuen, in deren aktuellem Bericht zur globalen Tabakepidemie Deutschland relativ schlecht abschneidet. Einige Empfehlungen der WHO werden hierzulande noch nicht berücksichtigt. So gibt es bislang kein Verbot für Tabakaußenwerbung und keine Massenmedien-Kampagnen, die zum Rauchverzicht aufrufen, die Steuerlast auf Tabakprodukte ist im europäischen Vergleich niedrig und die Unterstützung zum Rauchstopp ist nicht angemessen. /