Waffenruhe im Rezeptkrieg |
24.07.2012 18:49 Uhr |
Von Sebastian Becker, Warschau / In Polen droht ein Kampf im Gesundheitswesen. Die Ärzte wehren sich dagegen, dass sie für Fehler auf Rezepten empfindliche Strafen zahlen sollen. Derweil leiden die Apotheken unter massiven Umsatzeinbußen.
Was sich derzeit in Polen ereignet, ist mehr als das übliche Sommertheater, das die Medien oft veranstalten, um die nachrichtenarme Zeit zu überbrücken. Die Ärzte laufen dagegen Sturm, dass sie für falsch ausgestellte Rezepte hohe Strafen bezahlen sollen. Seit Jahresanfang ist dies so in den Verträgen festgelegt, die der staatliche Gesundheitsfonds NFZ, Polens einzige staatliche Krankenkasse, mit den Medizinern geschlossen hat. Einen landesweiten Protest haben diese zwar gerade ausgesetzt, doch ist eine Einigung mit der Regierung noch lange nicht in Sicht. Die Fortführung der spannungsgeladenen Nachverhandlungen wurde nur vertagt.
Kleine Formfehler und schwere Mängel
Im Kern geht es um Rezepte für Arzneien, die vom Staat bezuschusst werden. Die Ärzte müssen für Fehler bei der Erstellung der Dokumente Strafen zahlen – und zwar unabhängig davon, ob es sich um Formfehler oder schwere Mängel handelt. Aus Angst vor der Strafe haben die Mediziner wesentlich weniger Rezepte ausgestellt, worunter auch die Geschäfte der Apotheker zu leiden haben.
Der Streit um fehlerhaft ausgestellte Rezepte könnte auch die polnische Regierung in Warschau in Bedrängnis bringen.
Foto: Fotolia/Tokarski
Diese haben in den ersten fünf Monaten des Jahres massiv Einnahmen eingebüßt, zum Teil im zweistelligen Prozentbereich. Im Januar, dem schlechtesten aller Monate, gab es im Vergleich zum Vorjahreszeitraum einen erdrutschartigen Rückgang um 18,5 Prozent. Nach einem Bericht des Warschauer Markbeobachtungsinstituts Pharma-Expert erholten sich die Geschäfte zuletzt immerhin wieder etwas. Im Mai verringerten sich die Erlöse einer durchschnittlichen Apotheke »nur« um 3,1 Prozent auf 157 000 Zloty (37 400 Euro). Der Wert des gesamten Marktes lag bei etwa zehn Milliarden Zloty (2,4 Milliarden Euro).
Die Verhandlungen zwischen Regierung und Ärzten werden von einem gewichtigen Problem belastet: Schwarze Schafe unter den Medizinern stellen die Rezepte bewusst unklar aus, damit die Patienten auch Zuzahlungen zu Medikamenten erhalten, die besonders teuer sind. Damit sichern sie sich die Treue ihrer Patienten. Die Ärzte schreiben nur allgemeine Informationen über die Krankheit und die Behandlung auf das Rezept, ohne ein konkretes Medikament zu verordnen. Das Arzneimittel wählt dann der Apotheker in Abstimmung mit dem Patienten aus. Der NFZ hat im vergangenen Jahr hundert Kontrollen durchgeführt und einen Schaden für die Kasse von 150 Millionen Zloty (knapp 36 Millionen Euro) festgestellt.
Gesundheitsminister auf der Abschussliste
Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen steht die Chefin des Nationalen Gesundheitsfonds (NFZ), Agnieszka Pachciarz. Der NFZ ist die einzige staatliche Krankenkasse in Polen, ihr gehören alle Bürger an. Pachciarz führt die Verhandlungen und ist die engste Mitarbeiterin von Gesundheitsminister Bartosz Arlukowicz. »Sollte sie sich nicht mit den Betroffenen einigen, dann dürfte Arlukowicz der erste Minister sein, der bei der Regierung auf der Abschussliste steht, die gerade erst im Herbst 2011 gewählt worden ist«, folgert die liberale Tageszeitung »Gazeta Wyborcza«. Damit hätte der Streit Auswirkungen auf das polnische Kabinett rund um Premierminister Donald Tusk.
Die Verhandlungen zwischen NFZ und den Medizinern sind schwierig. »Ein Arzt sollte schon bestraft werden, wenn er bei der Rezepterstellung beispielsweise einen wesentlichen Fehler begeht«, sagten zwar auch die Vertreter der Ärztegewerkschaft OZZL. Dies sei dann der Fall, wenn der Patient nicht das Medikament erhält, das für die Behandlung der Krankheit notwendig sei. »Aber doch nicht für jeden Formfehler – zum Beispiel wenn in einem Namen nicht der Großbuchstabe am Anfang des Wortes gesetzt worden ist«, protestierten sie.
NFZ-Chefin Pachciarz will an der Bestrafung festhalten. In einem ersten Kompromissvorschlag reduzierte sie die anfänglich vorgesehene Strafe von 300 auf 200 Zloty (von 71 auf 48 Euro) je fehlerhaft erstelltes Dokument. »Das ist immer noch zu hoch, wenn man bedenkt, dass ein Arzt pro Tag einige Dutzend Rezepte schreibt«, konterten hingegen wieder die Mediziner. Der Kampf im polnischen Gesundheitswesen dürfte lange noch nicht ausgestanden sein. /