Ruhelose Beine, schlaflose Nächte |
26.07.2013 10:39 Uhr |
Von Maria Pues / Vor mehr als 300 Jahren wurde das Restless-Legs-Syndrom (RLS) zum ersten Mal beschrieben. Heute stellt es hierzulande die häufigste neurologische Erkrankung dar. Dennoch weiß man noch sehr wenig darüber.
Kribbeln, Brennen und Zucken in den Beinen, die einen nicht zur Ruhe kommen lassen – es sollte kein Problem sein, ein Restless-Legs-Syndrom zu diagnostizieren. Doch genau dies bereitet häufig Schwierigkeiten, und das hat mehrere Gründe. So wenden sich die Betroffenen häufig nicht wegen der namensgebenden ruhelosen Beine an ihren Arzt oder Apotheker, sondern weil sie nachts nicht schlafen können und/oder unter starker Tagesmüdigkeit bis hin zur Erschöpfung leiden.
Ständige Bewegungen, Brennen, Kribbeln und Zucken: Ruhelose Beine können den Schlaf rauben.
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Das berichtet auch Ingeborg Krahn aus Frankfurt am Main im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung. Sie sei tagsüber in der S-Bahn einfach eingeschlafen, die Verdachtsdiagnose lautete zunächst Narkolepsie. »Das Kribbeln in den Füßen und die Müdigkeit am Tag habe ich gar nicht miteinander in Verbindung gebracht«, erzählt die 73-Jährige, die seit vielen Jahren die Frankfurter RLS-Selbsthilfegruppe leitet. Dass sie in der Nacht immer wieder fast aufwacht und ihr Nachtschlaf nicht erholsam ist, habe sie selber gar nicht wahrgenommen. Erst Untersuchungen im Schlaflabor haben die Veränderungen im Schlafverhalten und in der Schlafarchitektur sichtbar gemacht. Gut acht Jahre habe es gedauert, bis die Diagnose Restless-Legs-Syndrom (RLS) gestellt wurde.
Dabei ist das Syndrom der ruhelosen Beine keine medizinische Neuheit. 1685 beschrieb der englische Arzt Thomas Willis erstmals die Beschwerden, doch das Krankheitsbild geriet in Vergessenheit. 1861 beschrieb es der deutsche Neurologe Theodor Wittmaack als »Anxietas tibiarum« – und erneut wurde es vergessen. Herrmann Oppenheimer, ebenfalls ein deutscher Neurologe, entdeckte 1923 die familiäre Häufung der Erkrankung. Unter der Bezeichnung »Restless legs« beschrieb sie 1945 erstmals der schwedische Neurologe Karl-Axel Ekbom. 1986 beschrieb Jacques Montplaisir einen ersten Therapieversuch mit L-Dopa.
Vier essenzielle Kriterien
Vier diagnostische Kriterien müssen laut Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN; 1) für die Diagnose RLS obligat erfüllt sein: Es ist ein ununterdrückbarer Bewegungsdrang der Beine,
Dass sich die Intensität der Beschwerden nicht nur im Lauf des Tages verändert, sondern dass diese auch ohne erkennbaren Grund zeitweise – manchmal für Wochen oder Monate – ganz verschwinden, erschwert die Diagnose. Darüber hinaus können die Beschwerden unterschiedlich lokalisiert sein. Beine und Füße sind zwar häufig betroffen, weniger häufig aber auch Oberkörper, Arme und Hände. Nicht zuletzt kommt eine Reihe von Differenzialdiagnosen infrage (Kasten). Bestimmte Erkrankungen (mit ähnlichem Beschwerdebild) können nicht nur gleichzeitig vorliegen, sondern sich auch gegenseitig verstärken. So erkranken Patienten mit einer Depression häufiger als die Durchschnittsbevölkerung an RLS; umgekehrt kann RLS auch die Entwicklung einer Depression fördern.
Als diagnostisches Zusatzkriterium nennt die DGN-Leitlinie außerdem ein positives Ansprechen auf eine dopaminerge Therapie und einen L-Dopa-Test. Bei diesem erhält der Therapie-naive Patient am Abend oder nach Einsetzen der Symptome 100 mg L-Dopa. Verschwinden die Beschwerden ganz oder teilweise, spricht dies für ein RLS. Umgekehrt schließt ein fehlender Effekt ein RLS nicht aus.
Um zu erfassen, wie häufig und wie stark die Symptome bei einem Patienten ausgeprägt sind, gibt es verschiedene Beurteilungssysteme. Die DGN-Leitlinie führt den International RLS Severity Scale (IRLS) an, der auch bei der Verlaufskontrolle einer medikamentösen Therapie Verwendung findet.
Rund 3 bis 10 Prozent der europäischen Bevölkerung leiden an RLS. Damit gehört es zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen; hingegen erkranken zum Beispiel Farbige in den USA eher selten. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer, eine hohe Kinderzahl steigert das Risiko zusätzlich.
Die Prävalenz steigt mit dem Alter, aber auch Kinder und Jugendliche können betroffen sein. Die Abgrenzung zum Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) oder zu Wachstumsschmerzen fällt dann schwer. Hier können Untersuchungen des Schlafprofils sowie polysomnografische und aktimetrische Untersuchungen weiterhelfen. Bei der Aktimetrie werden alle Körperbewegungen des Patienten erfasst. So lassen sich Abweichungen vom Schlaf-Wach-Rhythmus erfassen, aber auch sogenannte periodische Beinbewegungen (periodic limb movements) im Schlaf (PLMS) und im Wachzustand (PLMW). Allerdings treten die Bewegungen bei mehr als der Hälfte der gesunden älteren Menschen und bei anderen Erkrankungen auf, sodass sie bei der Diagnose von RLS bei Erwachsenen allenfalls ergänzend hilfreich sind. Polysomnografische Untersuchungen lassen Aussagen über die Arten von Schlafstörungen zu.
Zwei Arten ruheloser Beine
Mediziner unterscheiden ein primäres (synonym: idiopathisches) und sekundäres (synonym: symptomatisches) RLS. Beim primären RLS lässt sich keine die Beschwerden auslösende Grunderkrankung feststellen.
Viele Patienten wenden sich wegen der Müdigkeit an ihren Arzt oder Apotheker, ohne den Zusammenhang zu den ruhelosen Beinen zu erkennen.
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Anders beim sekundären RLS: Zu den häufigsten Auslösern gehören eine eingeschränkte Nierenfunktion, durch die harnpflichtige Substanzen nicht ausreichend aus dem Blut herausgefiltert werden (Urämie), Eisenmangelanämie und Störungen des Eisenstoffwechsels mit niedrigen Ferritinwerten (auch ohne Eisenmangel) oder hohen Transferrinwerten, Rheumatoide Arthritis sowie Schwangerschaft. Auch Arzneimittel können die Beschwerden hervorrufen oder verstärken. Hier kommen vor allem Dopamin-antagonistisch wirkende Substanzen in Betracht: klassische Neuroleptika, Metoclopramid, tri- und tetracyclische Antidepressiva, Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und gelegentlich auch »atypische« Neuroleptika.
Ingeborg Krahn leidet an einem primären RLS. Ihre Beschwerden – Kribbeln, Brennen bis hin zu Schmerzen – treten hauptsächlich in den Füßen auf. Schuhe und Strümpfe zu tragen, falle ihr dann sehr schwer. Abendeinladungen oder Theater- und Konzertbesuche könne sie kaum genießen, berichtet sie. Oft reagiere ihre Umgebung mit Unverständnis. Nach Möglichkeit schlüpfe sie unbemerkt aus den Schuhen, da die Kühle die Beschwerden ein wenig lindert. Zu Hause helfen ihr – zumindest vorübergehend – kaltes Wasser oder Einreibungen mit Franzbranntwein.
Die Beschwerden seien bei anderen Betroffenen teilweise ganz anders, weiß Krahn aus ihrer Arbeit in der Selbsthilfegruppe. Manche leiden mehr unter Schmerzen als unter dem Bewegungsdrang, bei anderen treten die Beschwerden eher an Händen und Armen auf als in den Beinen (Tabelle 1).
Dass die Beschwerden zum Abend hin zunehmen, beruht vermutlich nicht nur darauf, dass sie den Betroffenen in Ruhephasen stärker auffallen. Die zirkadiane Rhythmik folgt der Körpertemperaturkurve umgekehrt proportional und dem Melatoninanstieg proportional. Bis Mitternacht nehmen die Symptome weiter zu und rauben vielen Patienten den Schlaf. Danach nehmen sie meist von selbst wieder ab. Patienten mit sehr starken Symptomen oder einer sogenannten Augmentation leiden jedoch auch tagsüber teilweise erheblich darunter. Bei der Augmentation handelt es sich um eine paradoxe Reaktion, nicht um eine Toleranzentwicklung auf die Medikation.
Symptome | Häufigkeit (Angaben in Prozent) |
---|---|
Missempfindungen der Beine und anderer Körperteile | 81,6 |
Schlaf gestört, unterbrochen, schlecht | 66,1 |
Durchschlafstörungen | 60,9 |
Bewegungsdrang | 54,6 |
Schmerz | 54,0 |
Zucken, unwillkürliches Bewegen der Beine oder anderer Körperteile | 49,4 |
Einschlafstörungen | 47,1 |
Tagesschläfrigkeit | 34,5 |
Erschöpfung, Müdigkeit | 33,9 |
Ursache ungeklärt
Lange Zeit galten das RLS als »Modekrankheit« und die Betroffenen als »ein wenig überspannt«. Dies habe sich erst geändert, als man Risikogene entdeckt hat, erläuterte Professor Dr. Wolfgang H. Oertel, Direktor der Klinik für Neurologie der Uniklinik Marburg, auf Nachfrage der Pharmazeutischen Zeitung. In genomweiten Assoziationsstudien wurden Mutationen in den Genen MEIS1, BTBD9 und LBXCOR1/MAP2K5 als erbliche Risikofaktoren identifiziert. Variationen in einem Gen erhöhen das RLS-Risiko um 50 Prozent. Sind alle drei Gene verändert, ist das Erkrankungsrisiko theoretisch 20-fach erhöht (3).
Wie sich der Weg von der genetischen Veränderung zum RLS genau gestaltet, ist noch unbekannt. Träger der entsprechenden Genvarianten erkranken jedoch nicht »automatisch« an RLS. Es müssen weitere Faktoren hinzukommen, die aber ebenfalls weitgehend unbekannt sind.
Beim RLS könnte es sich auch um eine Entwicklungsstörung handeln, die unter bestimmten Bedingungen Beschwerden hervorruft, und nicht um späte Veränderungen eines zuvor gesunden Organismus. Darauf weisen Tierversuche hin, bei denen man Veränderungen in der Entwicklung des Nervensystems bereits während der Embryogenese gefunden hat. Die Übertragung der Ergebnisse aus Tierversuchen auf den Menschen müsse aber mit großer Vorsicht erfolgen, betonte Oertel. Für diese These könnte außerdem sprechen, dass die Symptome bei Patienten mit primärem RLS deutlich früher – häufig noch vor dem 30. Lebensjahr – einsetzen als bei sekundärem RLS. Im Vergleich zur sekundären Form schreitet ein primäres RLS deutlich langsamer fort. Laut einer Studie beginnen bei 10 bis 20 Prozent der Patienten die Beschwerden bereits im Kindes- oder Jugendalter (2).
Welche nichtmedikamentösen Maßnahmen helfen, kann nur der Selbstversuch zeigen.
Die Pathomechanismen des RLS sind weitgehend unbekannt. Fehlender Forscherdrang auf diesem Gebiet sei die Kehrseite des schnellen therapeutischen Erfolgs, den man durch die Gabe von L-Dopa feiern konnte, sagte Oertel. So nimmt man heute an, dass es sich um ein komplexes Krankheitsgeschehen handelt, bei dem Veränderungen am Dopaminsystem (Bildung, Freisetzung, Rezeptoren) möglicherweise gar nicht die Hauptrolle spielen. Auch Endorphine und ihre Rezeptoren scheinen beteiligt zu sein. Darauf weist nicht nur die Tatsache hin, dass Opioide die Beschwerden lindern können. Untersuchungen hätten gezeigt, dass RLS-Patienten in Tests mit einer stärkeren Schmerzantwort reagieren als Nicht-RLS-Patienten, berichtete Oertel.
Eine zentrale Rolle könnte dem Eisenstoffwechsel zukommen. Dafür spricht, dass niedrige Eisen- und Ferritin- oder hohe Transferrinwerte häufig mit einem RLS vergesellschaftet sind. In diesen Fällen kann eine intravenöse Gabe von Eisen die Beschwerden rasch lindern. Bei niedrigen Spiegeln ist die Verfügbarkeit von Eisen nicht nur in der Peripherie, sondern auch in verschiedenen Hirnregionen reduziert. Eisen stellt einen Cofaktor in der Dopaminsynthese dar, die auf diese Weise möglicherweise vermindert wird.
Medikamente und mehr
Bevor Medikamente zum Einsatz kommen, sollten nichtmedikamentöse Maßnahmen ausgeschöpft werden (Kasten). Dazu gehört auch die Überprüfung der Medikation auf Wirkstoffe, die möglicherweise ein RLS auslösen oder verstärken können. Dies kann auch in der Apotheke erfolgen, zum Beispiel wenn Patienten (mit bekannter Medikation) nach einem Schlafmittel fragen.
Zur Wirksamkeit nichtmedikamentöser Maßnahmen gibt es laut Oertel keine Studien. Häufig hilft nur der Selbstversuch. Patienten merkten aber sehr schnell, was ihre Beschwerden lindere oder verschlechtere, so der Neurologe.
Der richtige Einnahme- zeitpunkt ist entscheidend: RLS-Patienten müssen die dopaminerge Therapie abends einnehmen, um nächtliche Beschwerden einzudämmen.
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Zur medikamentösen Therapie des RLS stehen heute in erster Linie Arzneimittel mit Wirkung auf das dopaminerge System zur Verfügung. Darüber hinaus werden off-label auch Opioide eingesetzt. In beiden Fällen handelt es sich um eine symptomatische Therapie, die zum Einsatz kommt, wenn andere Maßnahmen keinen ausreichenden Erfolg hatten und Patienten unter starken Beschwerden leiden. Dabei müsse bedacht werden, sagte Oertel, dass die Behandlung zwar die Symptome lindere, aber am RLS ursächlich nichts ändere. Über dessen Verlauf über die Jahre, beispielsweise morphologische Veränderungen am Nervensystem, sei nichts bekannt.
Beim sekundären RLS kann die Behandlung der Grunderkrankung die Symptome häufig zum Verschwinden bringen oder zumindest reduzieren. Dies zeigt sich zum Beispiel nach einer Nierentransplantation. Schwangeren sollte eine Überprüfung des Ferritinwerts bei ihrem Gynäkologen empfohlen werden, betonte Oertel. Ist dieser zu niedrig, könne eine intravenöse Eisensubstitution die Symptome manchmal schlagartig abklingen lassen.
Zugelassene Arzneimittel
Für eine dopaminerge Therapie sind sowohl L-Dopa/Benserazid (Restex®) als auch die Non-Ergot-Dopaminagonisten Pramipexol (Sifrol®), Ropinirol (Adartrel®) und Rotigotin (Neupro®) zugelassen (Grafik).
Im Gegensatz zu den Dopaminagonisten kann L-Dopa in Kombination mit dem peripheren Decarboxylasehemmer Benserazid bereits bei mildem und intermittierendem idiopathischen RLS und den damit verbundenen Schlafstörungen sowie sekundärem RLS infolge dialysepflichtiger Niereninsuffizienz eingesetzt werden (4). Zur Behandlung von Schlafstörungen, die erst spät im Verlauf der Nacht eintreten, eignet sich die Retardform. Ein entscheidender Nachteil von L-Dopa besteht in seiner kurzen Plasmahalbwertszeit von nur einer bis zwei Stunden. Daher ist die Gefahr einer paradoxen Therapieantwort groß. Dosierungen von 200 bis 300 mg L-Dopa sollten deshalb nicht überschritten werden.
RLS-Patienten sollten das Arzneimittel eine Stunde vor dem Zubettgehen mit etwas Flüssigkeit und Gebäck einnehmen. Proteinreiche Mahlzeiten können die Resorption und damit die Wirkung vermindern (4).
Behandlungsmöglichkeiten bei RLS: Im Vordergrund steht die dopaminerge Therapie (1. Wahl). Bei Gegenanzeigen, Unverträglichkeiten oder unzureichender Wirkung kommen Opioide, Antikonvulsiva oder Benzodiazepine zum Einsatz (2. und 3. Wahl). Die Therapie sollte individuell auf den Patienten abgestimmt werden.
Modifiziert nach: Deutsche Restless-Legs-Vereinigung, www.restless-legs.org
Der Non-Ergot-Dopaminagonist Ropinirol ist zur Behandlung eines mittelschweren bis schweren idiopathischen RLS zugelassen, nicht aber für die sekundäre Form (5). Meist sprechen die Patienten schnell darauf an, und die motorischen Symptome nehmen ab. Ropinirol muss wie alle Arzneistoffe zur Behandlung des RLS einschleichend dosiert werden, um die niedrigste Dosis zu finden, die eine zufriedenstellende Wirkung bei möglichst geringen Nebenwirkungen erzielt. Eine Augmentation tritt weniger häufig auf als bei L-Dopa.
Eine fettreiche Mahlzeit kann die Resorption von Ropinirol vermindern (um 25 Prozent) und verzögern. Darüber hinaus sollten Patienten wissen, dass eine Änderung der Rauchgewohnheiten – Beginn oder Entwöhnung – eine Dosisanpassung erfordern kann, da Stoffe im Zigarettenrauch das Cytochrom-P-450-Isoenzym CYP1A2 induzieren, über das auch Ropinirol abgebaut wird. Eine Dosisanpassung kann bei Frauen erforderlich sein, die während der Behandlung mit Ropinirol eine Hormontherapie beginnen oder beenden (5).
Wie Ropinirol ist auch Pramipexol zur Behandlung des mittelschweren und schweren idiopathischen RLS zugelassen. Die Aufdosierung erfolgt einschleichend (6). Ein Ausschleichen ist nicht erforderlich, wenn die Dosierung wie beim RLS üblich unter 0,54 mg Base (0,75 mg Salz) bleibt. Pramipexol sollte zwei bis drei Stunden vor dem Schlafengehen zu oder unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen werden. Die Kombination mit Alkohol oder die Einnahme weiterer sedierender Arzneimittel kann eine ungewollt starke Sedierung auslösen (6).
Als Matrixpflaster wird der dritte Non-Ergot-Dopaminagonist Rotigotin angewendet (7). Auch er ist zur Behandlung des mittelschweren und schweren idiopathischen RLS zugelassen. Bei der Anwendung sollten die auch für andere transdermale therapeutische Systeme geltenden Hinweise beachtet werden. So sollten die Pflaster nicht auf gereizte, gerötete oder verletzte Haut geklebt werden. Beim Aufkleben sollte man die Klebefläche nicht berühren. Häufig drücken Patienten das Pflaster nicht lang genug an: 20 bis 30 Sekunden sind nötig, damit es sicher haftet. Löst sich doch einmal eines verfrüht von der Haut ab, sollte für den Rest des Dosisintervalls ein neues Pflaster aufgeklebt werden. Wärmezufuhr, zum Beispiel durch Sonnen, Saunen oder Heizdecken, sollte unterbleiben.
Rotigotin kann die Verkehrstüchtigkeit erheblich beeinträchtigen; es besteht die Gefahr einer Somnolenz. Auch dass Patienten während alltäglicher Verrichtungen ohne Vorwarnung plötzlich einschlafen, wurde berichtet. Vor allem zu Beginn der Therapie besteht die Gefahr einer Hypotonie. Beginn und Ende der Therapie sollten ein- beziehungsweise ausschleichend erfolgen, um ein Rebound-Phänomen zu vermeiden (7).
Wirkstoff oder -gruppe | Erläuterung |
---|---|
Cabergolin | Vorteil für Patienten mit Beschwerden in der zweiten Nachthälfte, da lange Wirkdauer |
Opioide | bei intermittierendem RLS, kontrollierte Erfahrungen mit Oxycodon, in Anwendung: Tilidin und Tramadol |
Antikonvulsiva | Gabapentin, Pregabalin, Carbamazepin, Valproinsäure bei regelmäßigem schweren RLS |
Benzodiazepine | Clonazepam bei Schlaflosigkeit, eventuell in Kombination mit Dopaminagonisten |
Magnesium | kann bei leichtem RLS möglicherweise helfen, Studienlage dürftig |
Da diese Wirkstoffe – in deutlich höherer Dosierung – auch bei Morbus Parkinson verordnet werden, reagieren manche Patienten mit Vorbehalten auf die Therapie. Da zur RLS-Behandlung jedoch deutlich niedrigere Dosierungen eingesetzt werden als bei Morbus Parkinson, können Ärzte und Apotheker die Patienten meistens beruhigen. Ärzte sollten mit ihren Patienten besprechen, dass dopaminerge Substanzen ein Suchtverhalten auslösen können, das Betroffene häufig zunächst nicht einordnen können. So wurde unter anderem über Ess-, Verschwendungs- oder Spielsucht sowie Libidosteigerung (»Sexsucht«) berichtet. Patienten sollten sich in einem solchen Fall an ihren Arzt wenden.
Eine anfängliche Übelkeit sollte nicht mit Metoclopramid (MCP) behandelt werden, da dieses die Blut-Hirn-Schranke überwinden und zentralnervöse Nebenwirkungen wie eine Verstärkung des RLS verursachen kann. Besser geeignet ist Domperidon, das die Blut-Hirn-Schranke nicht überwindet. Auch Kopfschmerzen und Somnolenz stellen sich zu Beginn der Therapie häufig ein.
Wenn Patienten auch tagsüber unter belastenden RLS-Symptomen leiden, können sie die Medikation nicht nur abends, sondern die Dosis über den Tag verteilt einnehmen.
In Schwangerschaft und Stillzeit sind L-Dopa und Dopaminagonisten kontraindiziert. Zwar gibt es bei den meisten Wirkstoffen keine Hinweise auf Teratogenität beim Menschen. In Tierversuchen haben sich bei allen Substanzen ab bestimmten Dosierungen jedoch Hinweise auf eine embryotoxische Wirkung ergeben. Frauen im gebärfähigen Alter sollten daher sicher verhüten und im Fall einer Schwangerschaft die dopaminerge Therapie nach Anweisung ihres Arztes ausschleichen. Mit dem Stillen verträgt sich die Behandlung aufgrund der prolaktin- und damit die Milchbildung hemmenden Wirkung der dopaminergen Arzneistoffe nicht.
Bei einer Augmentation spüren die Patienten, dass ihre Beschwerden früher und oft stärker auftreten und andere Körperregionen erfassen.
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Für den peripheren Decarboxylasehemmer Benserazid gibt es aus Tierversuchen Hinweise auf degenerative Skelettveränderungen bei heranwachsenden Tieren. Ob er in die Muttermilch übergeht, ist nicht bekannt.
Off-label im Einsatz
Wird mit den zugelassenen Arzneimitteln keine zufriedenstellende Wirkung erzielt, kann off-label ein Versuch mit Antikonvulsiva wie Gabapentin, Pregabalin, Carbamazepin oder Valproat sowie mit Opioidanalgetika wie Dihydrocodein, Morphin oder Fentanyl unternommen werden (Tabelle 2).
Antikonvulsiva werden bei regelmäßigem schweren RLS eingesetzt. Gabapentin und Pregabalin eignen sich für RLS-Patienten, die zugleich an einer Polyneuropathie leiden.
Manche Patienten befürchten bei der Anwendung von Opioiden die Entwicklung einer Sucht, was aber in den meisten Fällen unbegründet ist. Allenfalls Patienten mit einer Suchterkrankung in der Vorgeschichte sollten diese Wirkstoffe möglichst nicht bekommen. Auf welche Weise diese Arzneistoffe bei RLS wirken, ist weitgehend unbekannt. Zurückhaltender sind Ärzte mit dem Einsatz von Benzodiazepinen. Bei leichtem RLS kann Magnesium möglicherweise helfen. Zwar ist die Studienlage auch hier eher dürftig, die Gefahr von Nebenwirkung aber gering.
Augmentation
Die wichtigste Komplikation unter einer Therapie mit L-Dopa oder Dopaminagonisten ist die Augmentation. Man versteht darunter eine paradoxe Therapieantwort. Sie zeigt sich in einem Nachlassen der Arzneimittelwirkung, die sich bei Dosiserhöhung verschlimmert. Ihre Pathomechanismen sind nicht bekannt.
Häufig tritt die Augmentation erst nach einer Therapiedauer von mehr als einem Jahr auf. Patienten bemerken, dass ihre Beschwerden früher beginnen als gewohnt, stärker auftreten und/oder sich auch auf bisher nicht betroffene Körperregionen ausbreiten. Leicht verwechseln sie das Phänomen mit einem Nachlassen der Therapie (Toleranzentwicklung) und erhöhen die Dosis ihres Medikaments, um die gewünschte Wirkung wieder zu erreichen. Dies dürften die Patienten jedoch keinesfalls tun, da es die Augmentation weiter verstärken kann, mahnt Oertel. Das Risiko einer Augmentation sei bei einer pulsatilen Therapie mit kurz wirksamen Arzneistoffen am größten, erläutert er. Wie eine heftige Welle überflute der Wirkstoff die Rezeptoren, doch im darauf folgenden »Wellental« können die Symptome mit Macht zurückkehren.
Patienten sollten sich an ihren Arzt wenden, wenn die Wirkung der Therapie nachlässt. Dann kann ein Wechsel des Wirkstoffs oder eine Verteilung der Dosis über den Tag erwogen werden. Auch eine Umstellung auf Opioide kommt infrage.
Viele offene Fragen
Weiterhin besteht erheblicher Forschungs- und Aufklärungsbedarf zum RLS. Auch Heilberufler wissen häufig wenig über dieses Krankheitsbild. Ursachen und natürlicher Verlauf der Erkrankung sind weitgehend unbekannt, werden aber untersucht (8). Ähnliches gilt für eine Unterscheidung möglicher Patienten-Subgruppen.
Zudem ist von einer hohen Dunkelziffer von Patienten auszugehen, die versuchen, ihre Symptome in Eigenregie oder mit Selbstmedikation in den Griff zu bekommen. Häufig steht ein nicht erholsamer Schlaf im Vordergrund. »Informieren Sie Ihre Patienten mit Schlafmittelwunsch über die vier essenziellen RLS-Kriterien«, rät Oertel. »Und fragen Sie sie: Trifft das auf Sie zu?« Wenn Patienten dies bejahen, sollten Apotheker die Möglichkeit eines RLS in Betracht ziehen und eine ärztliche Untersuchung empfehlen. /
Maria Puesstudierte Pharmazie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Vor dem Volontariat bei der Neuen Apotheken Illustrierten arbeitete sie zehn Jahre in einer öffentlichen Apotheke in Frankfurt am Main. Nach einem Jahr als angestellte Redakteurin arbeitet sie seit 2010 als freie Print- und Online-Redakteurin für Publikums- und Fachmedien.
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