Arzneistoffe helfen beim Abnehmen |
11.07.2011 17:40 Uhr |
Von Bettina Wick-Urban / Die Weltgesundheitsorganisation bezeichnet sie als Epidemie des 21. Jahrhunderts: Übergewicht und Fettsucht. Einige Arzneistoffe sind zur unterstützenden Behandlung von abnehmwilligen Patienten zugelassen. Wie der Körper die Nahrungszufuhr reguliert und wie dieses Wissen zur Entwicklung neuer Medikamente beiträgt, erklärt der Titelbeitrag.
Das Auftreten von Übergewicht und Fettsucht hat sich seit 1980 weltweit verdoppelt. Die Ursachen sind vielfältig. In den meisten Fällen gehen die übermäßigen Pfunde darauf zurück, dass die Betroffenen mehr Kalorien aufnehmen als sie verbrauchen. Der heutige Lebensstil trägt viel dazu bei: hochkalorisches Fastfood und kaum Ballaststoffe sowie wenig Bewegung durch sitzende Tätigkeiten oder Freizeitbeschäftigungen wie Computer und Fernsehen.
Wann spricht man von Übergewicht beziehungsweise Fettsucht? Zur Bestimmung des Normalgewichts wird der Body-Mass-Index (BMI; Körpergewicht in kg geteilt durch Körpergröße in m2) herangezogen. Gemäß der Klassifizierung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gilt das Körpergewicht als normal, wenn der BMI zwischen 20 und 25 liegt. Bei BMI-Werten über 25 spricht man von Überwicht. Bei Personen mit einem BMI über 30 liegt eine Adipositas vor. Nur bei alten und gebrechlichen Menschen wird ein höherer BMI (zwischen 24 und 26) empfohlen. Bei Hochbetagten ist ein Wert bis 29 prognostisch sogar günstig.
Gehen sie durch dick und dünn? Etwa die Hälfte der Bundesbürger ist übergewichtig, mehrheitlich sind es die Männer.
Foto: KNA
Auch Deutschlands Frauen und Männer werden immer dicker. Laut Statistischem Bundesamt waren 2009 insgesamt 51 Prozent der Erwachsenen übergewichtig, davon waren 60 Prozent Männer. Bei 16 Prozent der Männer und 14 Prozent der Frauen lag bereits eine Fettsucht vor. Unabhängig vom Alter brachten mehr Männer als Frauen zu viele Pfunde auf die Waage.
Die WHO schätzte 2008, dass weltweit circa jeder zehnte Erwachsene, das heißt 1,5 Milliarden Menschen an Übergewicht leiden, und davon 500 Millionen fettsüchtig sind. Bis 2015 sollen die Zahlen auf 2,3 Milliarden beziehungsweise 700 Millionen ansteigen. Besorgniserregend ist vor allem der Anstieg der Adipositas bei Kindern. Bereits jetzt sind circa 15 Prozent aller Heranwachsenden weltweit fettsüchtig.
Übergewicht und Fettsucht sind Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall sowie für Diabetes Typ 2. Untersuchungen zeigten, dass in überschüssigem Fettgewebe besonders im Bauchbereich freie Fettsäuren und entzündungsfördernde Immunmediatoren wie Zytokine produziert werden. Diese sind an der Entstehung von Insulinresistenz und Fettstoffwechselstörungen beteiligt, beeinträchtigen die Gefäßwandfunktion und begünstigen das Auftreten von Thrombosen und Artherosklerose. Studien fanden zudem eine Verbindung mit bestimmten Krebserkrankungen, zum Beispiel Endometriumkrebs bei Frauen und Dickdarmkrebs bei Männern, und einigen muskuloskelettalen Erkrankungen wie Arthrose.
Das Schlaf-Apnoe-Syndrom, das mit einer erhöhten Mortalität einhergeht, tritt verstärkt bei Übergewichtigen auf. Starkes Übergewicht scheint die Fruchtbarkeit zu beeinträchtigen und Depressionen zu begünstigen. Auch bei übergewichtigen Kindern ist das Risiko für Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bereits erhöht (1-4).
Schaltzentrale Hypothalamus
Um neue wirksame und sichere Therapien zu entwickeln, die den Kampf gegen die Pfunde unterstützen, muss man die komplexen Mechanismen verstehen, die die Nahrungsaufnahme und das Körpergewicht regeln.
Die zentrale Regulation des Appetits und die Steuerung der Energiebilanz erfolgen im Wesentlichen im Nucleus arcuatus des Hypothalamus. Hier befinden sich Neuronensysteme, die stimulierende oder hemmende Signale aus dem Gastrointestinaltrakt, dem Pankreas und dem Fettgewebe empfangen. Auch Rückmeldungen aus anderen Gehirnbereichen, die Stress, Gefühle oder Belohnung signalisieren, treffen im Hypothalamus ein (siehe Grafik).
Physiologische Regulierung des Körpergewichts und Energieverbrauchs durch Signale aus der Peripherie. Ein Sättigungsgefühl vermitteln Leptin, Peptid YY (PYY), Cholecystokinin (CCK), Insulin, Glukagon, Glukagon-ähnliches Peptid 1 (GLP-1) und Amylin (in roter Schrift). Dagegen stimuliert Ghrelin den Appetit (grün).
Im Nucleus arcuatus gibt es zwei Populationen von Neuronen, die appetitregulierende Neuropeptide produzieren. Das orexigene System setzt Neuropeptid Y (NPY) und Agouti-related peptide (AgRP) frei, die den Appetit anregen. Das anorexigene System produziert Melanotropin (α-MSH) und Cocain-Amphetamin-reguliertes Transkript (CART), die beide den Appetit hemmen. Beide Systeme sind über eine negative Rückkopplung miteinander verknüpft.
Eine maßgebliche Rolle bei der Regulierung des Körpergewichts spielt das Proteohormon Leptin. Leptin wird von den Fettzellen aufgrund verschiedener Stimuli wie Nahrungsaufnahme oder erhöhter Blutglucosespiegel ins Blut abgegeben. Daneben stimulieren Insulin, Glucocorticoide oder Estrogene die Ausschüttung, während Fasten, ein aktivierter Sympathikus und Androgene die Leptinkonzentration im Plasma verringern. Das Hormon bindet an spezifische Leptinrezeptoren im Nucleus arcuatus. Dadurch hemmt es die Freisetzung von Neuropeptid Y und stimuliert gleichzeitig die Ausschüttung von Melanotropin. Ein Sättigungsgefühl stellt sich ein; Energieumsatz und Wärmebildung werden gesteigert. In der Folge verkleinern sich die Fettzellen, und die Menge an Speicherfett nimmt ab.
Bei übergewichtigen Menschen sind die Leptinkonzentrationen meist höher als bei Normalgewichtigen. Als Ursache wird eine »Leptinresistenz« angenommen. Das heißt, dass die Empfindlichkeit der Leptinrezeptoren im Hypothalamus aufgrund der anhaltend hohen Hormonkonzentrationen vermindert ist oder ein primärer Rezeptordefekt vorliegt. Ebenso wie Leptin hemmt Insulin über Rezeptoren im Nucleus arcuatus die Ausschüttung von Neuropeptid Y und stimuliert gleichzeitig das appetithemmende Melanotropin.
Nach den Richtlinien der EMA müssen neue Antiadiposita eine Gewichtsabnahme von mindestens zehn Prozent des Ausgangsgewichts innerhalb von zwölf Monaten bewirken.
Foto: DAK
Verschiedene Hormone des Gastrointestinaltrakts wirken ebenfalls sättigend oder appetitstimulierend (siehe Grafik). Die Konzentration des von den Magenparietalzellen produzierten Hormons Ghrelin steigt bei sinkender Glucosekonzentration im »leeren« Magen kurz vor dem Essen an und stimuliert über die Neuropeptid-Y-Neuronen den Appetit. Gastrointestinale Hormone wie Peptid YY (PYY), Cholecystokinin (CCK), Glukagon, Glukagon-ähnliches Peptid 1 (Glucagon like peptide, GLP-1) und Amylin wirken dagegen sättigend. Während das Peptid YY über einen speziellen Rezeptor im Hypothalamus direkt die Ausschüttung von Neuropeptid Y inhibiert, aktivieren die anderen Gastrohormone aufsteigende vagale Nervenbahnen und Rezeptoren im Hirnstamm.
Die Ausschüttung von Neuropeptid Y aus dem Nucleus arcuatus stimuliert im lateralen Hypothalamus das Hungerzentrum, das wiederum Neuropeptide wie Orexine und Melanin-konzentrierendes Hormon (MCH) ausschüttet. Melanotropin aktiviert im ventro-medialen Hypothalamus das Sättigungszentrum durch Ausschütten von Corticotropin-freisetzendem Hormon (CRH), Thyreotropin-freisetzendem Hormon (TRH), Oxytocin und GLP-1, das nicht nur im Gastrointestinaltrakt, sondern auch in Neuronen gebildet wird. Diese Mediatoren stimulieren vagale Nervenbahnen im Hirnstamm, die in den Magen-Darm-Trakt führen und dort den Appetit steigern oder begrenzen (5).
Verschiedene Angriffspunkte
Das Verständnis für die physiologischen Prozesse, die die Nahrungsaufnahme und das Körpergewicht steuern, hat in den letzten Jahren zugenommen und zur Entwicklung neuer Arzneistoffe geführt. Die zugelassenen beziehungsweise sich in der Entwicklung befindlichen Antiadiposita werden in drei Gruppen eingeteilt:
Die europäische Zulassungsbehörde EMA hat Richtlinien für die Entwicklung neuer Appetitzügler erlassen. Für neue Wirkstoffe muss gezeigt werden, dass sie zu einer Gewichtsabnahme von mindestens zehn Prozent im Vergleich zum Ausgangsgewicht innerhalb von zwölf Monaten führen. Die Gewichtsreduktion muss dabei mindestens fünf Prozent größer sein als in der Placebogruppe.
Neben einer klinisch relevanten Gewichtsreduktion verlangt die EMA auch den Nachweis, dass die Substanz kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Bluthochdruck und erhöhte Lipid- und Glucosespiegel wirksam senkt. Patienten mit einem BMI von mindestens 30, die sonst gesund sind, oder Patienten mit einem BMI von mindestens 25, bei denen bereits Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck vorliegen, sollen an den Studien teilnehmen. Appetitzügler müssen über einen längeren Zeitraum eingenommen werden, da der Effekt in der Regel nach dem Absetzen sofort verschwindet. Um eine sichere Therapie zu gewährleisten, verlangt die EMA, dass die Arzneimittelnebenwirkungen, insbesondere kardiovaskuläre und psychiatrische, sorgfältig untersucht werden (6).
In Deutschland sind derzeit vier Arzneistoffe zur unterstützenden Behandlung von Patienten mit Übergewicht zugelassen: Orlistat, Amfepramon, Phenylpropanolamin und D-Norpseudoephedrin.
Hemmung der Fettabsorption
Peripher wirksame Antiadiposita hemmen die Nahrungsaufnahme im Magen-Darm-Trakt und unterstützen so die Gewichtsabnahme, ohne spezifisch auf das Hungergefühl zu wirken. Orlistat ist ein spezifischer und lang anhaltender Inhibitor der gastrointestinalen Lipasen. Die therapeutische Wirkung setzt im Lumen des Magens und des oberen Dünndarms durch kovalente Bindung an den aktiven Serin-Rest der gastrischen und pankreatischen Lipasen ein. Das inaktivierte Enzym kann Nahrungsfette in Form von Triglyceriden nicht mehr zu freien Fettsäuren und Monoglyceriden hydrolysieren; veresterte Nahrungsfette werden aber nicht resorbiert.
Die Wirksamkeit steigt dosisabhängig. Nach einem Behandlungsjahr hatten 41 Prozent der mit 120 mg Orlistat behandelten Personen und 21 Prozent der mit Placebo Behandelten mehr als 10 Prozent ihres Körpergewichts verloren (siehe Tabelle). Orlistat bewirkte nicht bei allen Studienteilnehmern einen klinisch relevanten Gewichtsverlust. Nur Personen, die bereits in den ersten drei Monaten mehr als fünf Prozent ihres Gewichts verloren hatten, nahmen weiter ab. Die dreimal tägliche Gabe von 60 mg Orlistat blockiert die Absorption von ungefähr einem Viertel des aufgenommenen Nahrungsfetts. Auch hielt der Gewichtsverlust nur kurz an. Innerhalb eines Jahres nach Studienende hatten die Patienten ihr Ausgangsgewicht wieder erreicht. Bis zu einem Drittel brach die Behandlung aufgrund mangelnder Wirksamkeit oder gastrointestinaler Nebenwirkungen vorzeitig ab.
Wirkstoff | Prozent der Patienten mit mehr als 10 Prozent Gewichtsverlust | |
---|---|---|
Verumgruppe | Placebogruppe | |
innerhalb von 6 Monaten | ||
Tesofensin 0,5 mg | 35 | 7 |
Tesofensin 1 mg | 74 | 7 |
Exenatid 2 mg einmal wöchentlich | 10 | |
Pramlintid 720 µg + Metreleptin 10 mg | 56 | 35 21* |
innerhalb von 12 Monaten | ||
Orlistat 360 mg | 41 | 21 |
Orlistat 180 mg | 16 | 7 |
Phentermin 7,5 mg + Topiramat 46 mg | 37 | 7 |
Phentermin 15 mg + Topiramat 92 mg | 48 | 7 |
Naltrexon 32 mg + Buproprion 360 mg | 42 | 20 |
Lorcaserin 20 mg | 23 | 8 |
Rimonabant 20 mg | 27 | 8 |
Liraglutid 3 mg | 35 | 10 |
*) Pramlintid beziehungsweise Metreleptin allein
Magen-Darm-Probleme wie Unterbauchschmerzen, Blähungen, Stuhldrang, Diarrhö, fettige Stühle und Stuhlinkontinenz sind die häufigsten Begleiterscheinungen, hervorgerufen durch die gehemmte Fettabsorption. In Nordamerika wurde Orlistat auch mit Fällen von akuter Pankreatitis und Oxalat-induzierten Nierenschäden in Verbindung gebracht.
Klinische Studienergebnisse deuten darauf hin, dass der Gewichtsverlust auch das Auftreten eines Diabetes mellitus Typ II hinauszögert, da die mit Adipositas assoziierten Risikofaktoren günstig beeinflusst werden. Gesamt- und LDL-Cholesterol sanken, während der HDL-Cholesterol-Spiegel anstieg. Daneben sanken Blutzucker und die Seruminsulinkonzentration sowie der Blutdruck.
Seit April 2009 ist Orlistat in einer Dosierung von 60 mg dreimal täglich rezeptfrei in der Apotheke erhältlich. Einige wichtige Punkte sollte das Apothekenteam bei Beratung und Abgabe beachten (siehe Kasten).
Cetilistat, ein weiterer Lipase-Inhibitor, befindet sich in der klinischen Entwicklung. Die vorliegenden Daten zeigen eine vergleichbare Wirksamkeit zu Orlistat. Jedoch scheint Cetilistat weniger gastrointestinale Nebenwirkungen zu verursachen (12). In einem sehr frühen Stadium der Entwicklung befinden sich Wirkstoffe wie Fatostatin, die die Lipogenese beeinflussen. Aussagen zu Wirksamkeit und Verträglichkeit liegen noch nicht vor (13).
Zentral wirksame Appetitzügler
Zentral wirksame Appetitzügler setzen vermehrt Catecholamine oder Serotonin oder beides frei. Dies hemmt zentral das Hungergefühl und reduziert dadurch die Nahrungsaufnahme.
Momentan sind nur die indirekten Sympathomimetika Amfepramon, Phenylpropanolamin und D-Norpseudoephedrin in Deutschland als zentral wirksame Appetitzügler zugelassen. Alle sind verschreibungspflichtig. Sie setzen adrenerge Amine aus den präsynaptischen Nervenenden frei. Wie in tierexperimentellen Studien gezeigt, beruht die appetithemmende Wirkung auf einer Erregung der Neuronen im lateralen Hypothalamus, wodurch das Hungergefühl unterdrückt wird.
Eine Auswertung von 17 doppelblinden placebokontrollierten Studien ergab für Amfepramon, dass der durchschnittliche Gewichtsverlust, bezogen auf das Ausgangsgewicht der Patienten, je nach Behandlungsdauer nach vier Wochen 4 bis 6 Prozent, nach acht Wochen 5 bis 7 Prozent und nach zwölf Wochen 7 bis 10 Prozent beträgt (14).
Der Gewichtsverlust wird mit einem erheblichen Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial und schweren Nebenwirkungen »erkauft«. Daher sollten indirekte Sympathomimetika nicht mehr zur Gewichtsreduktion empfohlen werden. Die Stoffe wirken nicht selektiv im Hypothalamus, sondern entfalten ihre Wirkung auch in anderen Hirnregionen und in der Peripherie. Demzufolge sind die häufigsten Nebenwirkungen Nervosität, Unruhe, Schlafstörungen und Schwindelgefühle, aber auch Psychosen und Depressionen kommen vor. Sympathomimetika steigern Blutdruck und Puls. Herzrhythmusstörungen können auftreten. Eine seltene, aber schwere und oft tödlich verlaufende Nebenwirkung ist ein pulmonaler arterieller Hochdruck. Sympathomimetika sind daher nur für eine Kurzzeittherapie von vier Wochen beziehungsweise Amfepramon von maximal zwölf Wochen zugelassen (15).
Weg mit dem Fett: Wer Lipase-Inhibitoren einnimmt, sollte sich fettarm ernähren. Dies kann helfen, unangenehme Nebenwirkungen zu reduzieren.
Foto: DAK
In der klinischen Entwicklung ist eine niedrig dosierte Kombination von Topiramat und Phentermin. Phentermin ist eine Amphetamin-ähnliche Substanz, die durch eine generelle Sympathikusaktivierung ein Sättigungsgefühl hervorruft. Sie ist in USA als Appetitzügler zugelassen. Der Wirkmechanismus von Topiramat, das für die Behandlung von Epilepsie und Migräne eingesetzt wird, ist unklar.
Jüngste Studien zeigten nach zwölf Monaten Behandlung mit der Kombination eine bessere Wirksamkeit als zum Beispiel Orlistat. Bei ungefähr der Hälfte der Patienten in der höher dosierten Gruppe wurde ein Gewichtsverlust von 10 oder mehr Prozent im Vergleich zum Ausgangsgewicht beobachtet (Tabelle). In der niedriger dosierten Gruppe war dies immerhin noch bei einem Drittel der Fall, unter Placebo aber nur bei 7 Prozent.
Die Behandlung wurde allgemein gut vertragen. Die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen waren Mundtrockenheit, Verstopfung und Missempfindungen wie Kribbeln. Allerdings stieg die Häufigkeit von unerwünschten psychiatrischen und kognitiven Ereignissen wie Depressionen, Angstzuständen und Aufmerksamkeitsstörungen dosisabhängig an. Aufgrund von schweren psychiatrischen Nebenwirkungen wie Depressionen sowie Missbildungen (Lippen- und Gaumenspalten) bei Neugeborenen von Müttern, die mit Topiramat behandelt wurden, lehnte die amerikanische Zulassungsbehörde FDA einen ersten Zulassungsantrag der Abnehm-Kombination im Oktober 2010 ab (16, 17).
Eingriff in Serotonin-Stoffwechsel
Sibutramin ist ein zentral wirksamer Appetitzügler, der den Re-uptake von Noradrenalin, Serotonin und Dopamin hemmt. Der Gewichtsverlust betrug durchschnittlich 9 Prozent vom Ausgangsgewicht innerhalb von 18 Monaten und war damit geringer als bei Orlistat. Eine Studie nach Markteinführung zeigte jedoch ein höheres Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und vorzeitigen Tod bei mit Sibutramin behandelten Patienten. Dies führte im Januar 2010 zum Widerruf der Zulassung (18).
Klug einkaufen und essen gehören zu jedem Abnehmprogramm dazu.
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Der neue Reuptake-Inhibitor Tesofensin, der wie Sibutramin den Reuptake von Noradrenalin, Serotonin und Dopamin hemmt, befindet sich in klinischer Entwicklung. Die bisherigen Daten deuten auf eine stärkere Wirksamkeit im Vergleich zu Orlistat hin. Drei Viertel der mit 1 mg Tesofensin behandelten Patienten wogen innerhalb von sechs Monaten ein Zehntel weniger als zu Beginn, während nur 7 Prozent der diätetisch behandelten Personen dieses Ziel erreichten (Tabelle). Der Blutdruck wurde durch Tesofensin nicht beeinflusst. Jedoch traten bei einigen Studienteilnehmern eine beschleunigte Herzfrequenz und psychische Veränderungen wie Agitiertheit und Stimmungsveränderungen auf (19).
Bupropion, ein Dopamin- und Noradrenalin-Reuptake-Hemmer, und der Opioidantagonist Naltrexon vermitteln ihre appetitzügelnde Wirkung durch die verstärkte Freisetzung von α-MSH, das das Hungergefühl im Hypothalamus bremst. Die Kombination beider Wirkstoffe zeigte eine vergleichbare Wirksamkeit wie Orlistat. In einer einjährigen Studie führte die Kombination bei 40 Prozent der Behandelten zu einem mehr als zehnprozentigen Gewichtsverlust; in der Placebogruppe erreichte nur jeder Fünfte dieses Ergebnis. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Übelkeit, Kopfschmerzen und Verstopfung. Übelkeit war auch der häufigste Grund, die Studie abzubrechen. Vermehrte Depressionen wurden nicht beobachtet.
Im Februar 2011 lehnte die amerikanische Zulassungsbehörde die Zulassung jedoch ab und forderte weitere Studien, um die kardiovaskulären Wirkungen der Kombination zu untersuchen. Anlass war ein vorübergehender Anstieg des Blutdrucks bei einigen Studienteilnehmern (20).
Ein weiterer Ansatz zur Aktivierung des Serotonin-Systems wird mit Lorcaserin verfolgt. Lorcaserin aktiviert selektiv Serotonin-Rezeptoren vom Typ 5-HT2C, die wiederum die Freisetzung von α-MSH im Hypothalamus stimulieren und gleichzeitig die Freisetzung appetitsteigernder Peptide wie Neuropeptid Y und Agouti-related peptide hemmen. Der Wirkmechanismus ähnelt den früher eingesetzten Appetitzüglern wie Fenfluramin und Dexfenfluramin. Im Gegensatz zu diesen Substanzen zeigt Lorcaserin jedoch kaum agonistische Wirkungen an den 5-HT2B-Rezeptoren, die mit schweren Nebenwirkungen wie Herzklappenschäden und pulmonaler Hypertonie in Verbindung gebracht werden.
In den klinischen Studien erreichte knapp ein Viertel der Teilnehmer nach 12 Monaten Lorcaserin-Einnahme einen Gewichtsverlust von mehr als zehn Prozent, gegenüber 8 Prozent in der ausschließlich diätetisch behandelten Gruppe (21). Als häufigste Nebenwirkungen traten Kopfschmerz, Schwindel und Übelkeit auf. Charakteristische Nebenwirkungen anderer serotoninerger Arzneistoffe wie Depression, Angststörungen und Selbstmordgedanken waren nicht häufiger als in der Placebogruppe. Ein erhöhtes Risiko für Herzklappenschäden wurde nicht beobachtet. Jedoch zeigte sich in Versuchen bei Ratten ein erhöhtes Krebsrisiko, was ein Grund für die Ablehnung der Zulassung durch die FDA war. In Europa wurde bislang kein Zulassungsantrag für Lorcaserin gestellt.
2007 wurde mit Rimonabant der bislang einzige Vertreter der Endocannabinoid-Modulatoren vom Markt genommen. Endocannabinoide sind Neurotransmitter, die unter anderem rezeptorvermittelt das Hungergefühl im Hypothalamus steigern. Durch die Hemmung des Cannabinoid-1-Rezeptors im Hypothalamus verringerte Rimonabant das Hungergefühl. Ein Viertel der Patienten, die über ein Jahr behandelt wurden, verloren mehr als zehn Prozent des Ausgangsgewichts im Vergleich zu 8 Prozent in der Placebogruppe. Auch kardiovaskuläre Risikofaktoren wie hohe Blutfett- und Blutglucosewerte wurden gesenkt.
Jedoch wurden nach Markteinführung von Rimonabant schwere Nebenwirkungen wie Depressionen, Suizidgedanken und Krämpfe beobachtet. Dies führte zur Rücknahme der Zulassung. Weitere Cannabinoid-Rezeptorantagonisten sind momentan nicht in der Entwicklung (22).
Analoga von Darmhormonen
Analoga von gastrointestinalen Hormonen werden bereits zur Behandlung von Diabetes Typ 2 eingesetzt. Aufgrund des in Studien beobachteten Gewichtsverlusts werden einige Arzneistoffe für die Behandlung von Übergewicht klinisch geprüft.
Die zwei GLP-1-Analoga Exenatid und Liraglutid zeigten in den Studien eine vergleichbare Wirksamkeit. Ungefähr ein Zehntel der Patienten, die mit Exenatid behandelt wurden, konnten ihr Ausgangsgewicht um mehr als 10 Prozent innerhalb von sechs Monaten senken (Tabelle). Bei Gabe von Liraglutid verlor ein Drittel mehr als 10 Prozent seines Ausgangsgewichts innerhalb eines Jahres. Dieses Ergebnis erreichten nur 15 Prozent der Patienten, die in dieser Studie Orlistat erhielten. Übelkeit ist die bei beiden Substanzen am häufigsten beobachtete Nebenwirkung. Einige Fälle von akuter Pankreatitis wurden vor allem bei Exenatid beobachtet. Beide Substanzen werden subkutan injiziert.
Weiterhin befinden sich Pramlintid, ein Amylin-Analogon, in Kombination mit Metreleptin, einem rekombinanten Leptin, in der klinischen Erprobung. Auch diese Wirkstoffe müssen subkutan gespritzt werden. Erste Studienergebnisse deuten auf eine signifikant stärkere gewichtssenkende Wirkung der Kombination hin im Vergleich zur Gabe der Einzelsubstanzen, aber auch bezüglich Orlistat. Amylin scheint das Ansprechen auf Leptin bei Übergewicht zu verstärken. Mehr als die Hälfte aller Patienten, die die Kombination erhielten, verloren mehr als 10 Prozent ihres Körpergewichts innerhalb von sechs Monaten. Unter Pramlintid und Metreleptin alleine erreichten dies nur 35 beziehungsweise 21 Prozent. Übelkeit und Reaktionen an der Injektionsstelle waren die häufigsten Nebenwirkungen (23-25).
Großer Bedarf
Der Bedarf an wirksamen und gut verträglichen Abnehmhilfen und Appetitzüglern zur unterstützenden Behandlung bei Übergewicht und Fettsucht ist groß. In der klinischen Entwicklung befinden sich einige vielversprechende Arzneistoffe, die in Studien eine gute Wirksamkeit zeigten. Die Herausforderung ist jedoch, Substanzen mit gutem Verträglichkeitsprofil zu finden, was sich in der Vergangenheit als schwierig erwiesen hat. /
Bettina Wick-Urban studierte Pharmazie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Nach ihrer Promotion 1996 am Friedrich-Miescher-Institut in Basel und der Klinik für Tumorbiologie in Freiburg mit einer Arbeit über experimentelle Krebstherapien arbeitete sie von 1996 bis 1998 als Referentin bei der Arzneimittelinformationsstelle der ABDA. Von 1999 bis 2004 war sie in der klinischen Forschung eines amerikanischen Pharmaunternehmens tätig, davon zwei Jahre in den USA. Seitdem ist Dr. Wick-Urban im selben Unternehmen in verschiedenen Positionen im Marketing und in der wissenschaftlichen Kommunikation beschäftigt. Mitte 2006 schloss sie ein Journalismusstudium ab.
Dr. Bettina Wick-Urban
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