Wie Ernährung und Gene interagieren |
21.07.2017 11:46 Uhr |
Von Hannelore Gießen / In den letzten Jahren wurden enorme Fortschritte erzielt, das komplexe Zusammenspiel zwischen Erbanlagen und Lebensstil aufzudröseln. Ziel dieser Forschung ist es, individuelle Ernährungsempfehlungen abzuleiten. Bislang ist dies noch nicht möglich und viele Werbeversprechen sind überzogen oder schlicht unwahr.
Der Volksmund weiß es schon lange: Die Gene sind schuld, wenn Gewicht und Blutdruck in die Höhe schnellen. Welchen Anteil das Erbgut tatsächlich daran hat und inwieweit sich individuelle Empfehlungen daraus ableiten lassen, untersucht ein noch junger Forschungszweig an der Schnittstelle von Ernährungswissenschaft und Genforschung: die Nutrigenetik. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie einzelne Inhaltsstoffe der Nahrung mit den Genen interagieren und wie sie den menschlichen Stoffwechsel beeinflussen.
Machen die Gene dick oder ist es doch eher die Lust am Essen?
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Variantenreiche Gene
99,7 Prozent der Gene sind identisch, und doch unterscheiden sich alle Menschen erheblich – nicht nur im äußeren Erscheinungsbild, sondern auch im Stoffwechsel. Verantwortlich sind jene 0,3 Prozent des Erbguts, die nicht nur für die Augenfarbe kodieren, sondern eben auch bestimmen, wie ein Mensch Nährstoffe aufnimmt und verwertet.
So kann der eine problemlos viele Tassen Kaffee trinken, während bei einem anderen längst das Herz jagt. Der Unterschied liegt am Leberenzym Cytochrom P450 1A2, das die Methylgruppen des Trimethylxanthins Coffein entfernt und so die weitere Metabolisierung und Elimination vorbereitet. Ist viel Enzym vorhanden, wird Coffein schnell abgebaut. Arbeitet das Enzym langsam, reichert sich der Muntermacher an und wirkt länger. Verbleibt Trimethylxanthin länger im Körper, stimuliert es die Freisetzung von Catecholaminen wie Adrenalin und aktiviert im nächsten Schritt auch die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-(HPA)-Achse. In der Folge steigt auch der Cortisolspiegel.
Manche der genetischen Varianten lassen sich evolutionsbiologisch erklären. Nach Jahrtausende langer Milchviehzucht hat sich in Europa eine genetische Variante durchgesetzt, dank der die meisten Menschen auch als Erwachsene noch Milchzucker verdauen können. Lactose ist aus Glucose und Galactose aufgebaut und kann nur verstoffwechselt werden, wenn sie zuvor vom Enzym Lactase in ihre beiden Bestandteile gespalten wird.
Ein Baby sezerniert im Dünndarm reichlich Lactase. Nach der Stillzeit ist dieses Enzym aber nicht mehr unbedingt nötig und wird deshalb bei einigen Menschen auch nicht mehr ausreichend hergestellt. Dann gelangt der Milchzucker ungespalten in den Dickdarm und wird dort von Bakterien zersetzt. Dabei entstehen die Gase Kohlendoxid, Wasserstoff und Methan, die heftige Blähungen auslösen können.
Rund 15 Prozent der Europäer vertragen Milchprodukte schlecht, denn ihr Gen für das Enzym Lactase wurde schon in früher Kindheit inaktiviert. In Südostasien sind es weit mehr: 98 Prozent der Bewohner können Lactose nicht verwerten. Über Jahrhunderte haben sich die Genprofile verschiedener Kulturen dem jeweiligen Nahrungsangebot angepasst.
Auch ein anderes Zuckermolekül wird individuell unterschiedlich vertragen. Der menschliche Körper kann Fruchtzucker nur verarbeiten, wenn Transportmoleküle die Fructose im Verdauungstrakt aufnehmen und durch die Darmwand in den Blutkreislauf schleusen. An diesen Transportern mangelt es aber etwa 30 Prozent der Bevölkerung. Fructose verbleibt im Darm und wird von Bakterien unter Gasentwicklung abgebaut (1).
Ein anderes, gut belegtes Beispiel ist die Unverträglichkeit von Milch- und Fruchtzucker (Kasten). So einfach wie hier sind die Zusammenhänge zwischen genetischer Ausstattung und Nahrungsbestandteilen jedoch selten. Meist ist nicht nur ein Enzym für die Metabolisierung einer Substanz verantwortlich, sodass der Einfluss der Gene auf den Stoffwechsel komplexer ist. Daher ist es bislang nicht möglich, individuelle gezielte Empfehlungen für eine genbasierte Ernährung zu geben.
Spurensuche im Genom: von FTO bis MC4
Die genomische Grundlagenforschung interessiert sich heute besonders für die Wege, die zu so verbreiteten Erkrankungen wie Adipositas und Typ-2-Diabetes führen. Dafür müssen zunächst einzelne Genvarianten, die für eine Erkrankung anfällig machen, identifiziert werden. In den letzten Jahren erzielten Wissenschaftler bei der Suche nach diesen Risikogenen deutliche Fortschritte.
Vergleiche von ein- und zweieiigen Zwillingen sowie leiblichen und adoptierten Geschwistern schätzten den Anteil der Gene am Körpergewicht auf 70 bis 90 Prozent. Die Suche nach einzelnen Genen brachte jedoch ein ernüchterndes Ergebnis: Rund 100 Gene, die mit dem Body-Mass-Index (BMI) in Zusammenhang stehen, erklären nur etwa 3 Prozent der BMI-Varianz. »Die aus Familienstudien resultierende Schätzung scheint offenbar viel zu hoch zu sein«, sagt Dr. Christina Holzapfel vom Institut für Ernährungsmedizin der Technischen Universität München (TUM) im Gespräch mit der PZ.
Nachgewiesen: Wer sich viel bewegt, kann dem ungünstigen Effekt des FTO-Risikogens davonlaufen und nimmt weniger zu als Sportmuffel. Foto: Fotolia/demphoto
Der stärkste Einfluss auf das Körpergewicht wird derzeit dem FTO-Gen (fat mass and obesity associated-Gen) zugeschrieben. Studien zeigen, dass Träger von zwei Risikoallelen einer speziellen FTO-Variante im Durchschnitt 3 kg mehr wiegen als Personen ohne ein Risikoallel. Bis heute sei unklar, welche Mechanismen für diesen Zusammenhang verantwortlich sind, berichtet die Ökotrophologin.
Eine mögliche Rolle des FTO-Gens in der Pathophysiologie der Adipositas haben Wissenschaftler der TUM sowie des Massachusetts Institutes for Technology (MIT) 2015 herausgefunden. Sie konnten zeigen, dass die regulatorische Region innerhalb des FTO-Gens am stärksten in Vorläuferstufen von Fettzellen wirkt – unabhängig von Schaltkreisen im Gehirn. Die Wissenschaftler vermuteten daher, dass fehlgeschaltete Prozesse in den Vorläuferzellen die Fettverbrennung vermindern, die Thermogenese bremsen und die Fettspeicherung fördern (2).
Doch nicht alle Träger einer ungünstigen FTO-Genvariante nehmen deutlich zu, sondern offenbar nur die, die sich wenig bewegen. Diese Interaktion bestätigt Holzapfel: »Wir konnten in einer groß angelegten Analyse zeigen, dass sich mit Sport und Bewegung der Effekt des FTO-Risikogens minimieren lässt« (3).
Im Fokus der Adipositasforschung steht auch ein Gen, das für den Bauplan des Melanocortin-4 (MC4)-Rezeptors codiert. Dieser Rezeptor beeinflusst die Regulation von Appetit und Sättigung. Ist der Rezeptor defekt, entwickeln die Betroffenen teilweise bereits im Kindes- und Jugendalter starkes Übergewicht. Rund 60 Prozent der Träger dieser Genvariante sind übergewichtig. Mutationen des MC4-Rezeptors sind eher selten und betreffen etwa eine von 2000 Personen (4).
Apolipoproteine
Eigentlich sollte es für die Energiebilanz keinen Unterschied machen, welches Fett ein Mensch aufnimmt: gesättigte Fettsäuren aus Wurst oder Palmfett oder ungesättigte Fettsäuren aus Lachs, Oliven- oder Leinöl. 1 g Fett liefert 9 kcal, unabhängig davon, aus welcher Quelle es stammt.
Doch für Menschen mit einer speziellen Ausprägung des Gens für Apolipoprotein (APO) A2 gilt dies nicht: Sie verwerten gesättigte Fette effizienter als ungesättigte. In früheren Zeiten war das ein Überlebensvorteil, vor allem für Bewohner der kälteren Regionen, die sich Jahrhunderte lang von großen Mengen Fett ernährt haben. Heute gilt: Träger des Risikoallels profitieren vermutlich besonders davon, Nahrungsmittel mit einem hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren zu meiden, weil diese bei ihnen besonders anschlagen.
An den Interaktionen zwischen Ernährung und Genom sowie Epigenom forschen Wissenschaftler mit Hochdruck. Foto: Fotolia/catalin
Ein anderes Apolipoprotein, das APOE, spielt beim Cholesterol- und Fettstoffwechsel eine Rolle und kommt in drei Varianten vor: APOE2, E3 und E4. Letztere fördert einen hohen Cholesterolspiegel im Blut und kann das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigern. Träger der APOE4-Variante könnten ihrem erhöhten Risiko mit cholesterolarmen Lebensmitteln entgegenwirken (5, 6).
Übergewicht verändert das Epigenom
Während sich die Gene im Lauf des Lebens kaum verändern, kann sich der Lebensstil in einem veränderten Epigenom niederschlagen. Als Epigenom (griechisch epi: auf, an, bei) wird alles bezeichnet, was auf und um die Gene geschieht. Oft sind es Methyl- oder Acetylgruppen, die an die Gene an- oder abgehängt werden.
Wie sich das Epigenom durch Übergewicht verändert, wurde in einer großen internationalen Studie untersucht und 2016 publiziert (7). Die Studie zeigt, dass ein erhöhter BMI zu epigenetischen Änderungen an rund 200 Stellen des Erbguts führt.
Dazu fahndeten Wissenschaftler im Genom von mehr als 10 000 Personen nach Methylierungsmustern und stellten sie in Relation zum BMI. In einem ersten Schritt mit 5387 Proben ermittelte das Forscherteam 207 Genorte, die abhängig vom BMI epigenetisch verändert waren. Diese Kandidatengene testeten sie dann an 4874 Blutproben und konnten 187 davon bestätigen. Differenzierte Untersuchungen und Langzeitbeobachtungen zeigten, dass ein Großteil der Veränderungen eine Folge des Übergewichts war und nicht dessen Ursache (7). Signifikante Änderungen fanden sich vor allem an Genen, die für den Fettstoffwechsel sowie den Stofftransport zuständig sind. Aber auch bei Genen, die für Entzündungsbotenstoffe wie Interleukine und Zytokine kodieren.
Gene prägen die Stoffwechselantwort
Wearables wie Fitnesstracker, die die Herz- und Atemfrequenz ermitteln und die körperliche Aktivität aufzeichnen, können auch für die Genomforschung Daten liefern. Foto: Shutterstock/pecaphoto
In zwei umfassenden Studien haben Wissenschaftler der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), der TUM und des Helmholtz-Zentrums München (HMGU) neue Zusammenhänge zwischen bestimmten mit Typ-2-Diabetes assoziierten Genotypen und veränderten Konzentrationen von Stoffwechselprodukten aufgedeckt (8, 9). Für die Untersuchungen wurden innerhalb der Kohortenstudie KORA, einer seit 30 Jahren existierenden Langzeitstudie im Raum Augsburg, Teilnehmer rekrutiert, bei denen kein Typ-2-Diabetes diagnostiziert wurde, die aber Risikogen-Varianten dafür aufwiesen. Die Kontrollgruppe setzte sich aus Teilnehmern ohne erhöhtes Diabetesrisiko zusammen. Letztlich konnten die Forscher daraus ein Risikoprofil, beispielsweise für einen Typ-2-Diabetes, erstellen – noch bevor der Proband erkrankt war.
Wer nun ein solches erhöhtes Risiko hat oder sich bereits im Stadium des Prädiabetes befindet, profitiert deutlich von einer Änderung des Lebensstils. Das gilt generell, allerdings sprechen die einzelnen Menschen sehr unterschiedlich auf solche Interventionen an. Intensiv wird deshalb nach Einzelnukleotid-Austauschen (Single Nucleotide Polymorphisms, SNP) gesucht, die mit dem Lebensstil, insbesondere der Ernährung interagieren und so am individuellen Krankheitsrisiko, aber auch an einer personalisierten Therapie beteiligt sind.
»Inzwischen eröffnen sich durch innovative Technologien und Big Data ganz neue Forschungsansätze«, berichtet die Münchner Ernährungswissenschaftlerin. »Wir können die Vitaldaten von Patienten in Echtzeit erfassen, beispielsweise durch Glucosesensoren, die über 24 Stunden kontinuierlich den Blutzucker messen, oder über Wearables wie Fitnesstracker, die die Herz- und Atemfrequenz ermitteln und die körperliche Aktivität aufzeichnen.« Das Genom zu beforschen, werde dank technologischer Fortschritte immer schneller und kostengünstiger. Ebenso lassen sich das Transkriptom, Proteom, Epigenom und Metabolom heutzutage mit standardisierten Verfahren bestimmen.
Zweifellos hat die Nutrigenetik Potenzial, um mit gezielter Ernährungsintervention Erkrankungen vorzubeugen und sie eventuell auch zu behandeln. Doch noch reichen die Erkenntnisse dazu nicht aus.
Gleichwohl erfreuen sich freiverkäufliche Gentests zunehmender Beliebtheit. Inzwischen kann jeder einen Teil seines Genoms für einige hundert Euro auswerten lassen. Meist hoffen die Verbraucher, so schneller und gezielter abzunehmen. Anhand einer Speichelprobe oder eines Abstrichs der Mundschleimhaut werden spezielle Kandidatengene bestimmt und einem vermuteten Stoffwechseltyp zugeordnet. Der Konsument erhält Empfehlungen zu Kalorienmenge, Nährstoffverteilung und Lebensmittelauswahl sowie zur sportlichen Aktivität.
Die Gesellschaft für Humangenetik warnte in ihrer Stellungnahme bereits 2011 vor der zunehmenden Verbreitung dieser Gentests. Die Käufer würden mit den Ergebnissen ihrer Genanalyse allein gelassen und seien mit möglichen Konsequenzen überfordert. Die Experten schätzen die potenziellen Gefahren einer Fehl- oder Überinterpretation wesentlich höher ein als den beworbenen, aber nicht zweifelsfrei belegten Nutzen. Außerdem sei unklar, wer die Qualität der Analysen und die Interpretation der Ergebnisse kontrolliert. Daher fordern Wissenschaftler Qualitätsstandards für Gentests (16, 17, 18).
Intervention mit bescheidenem Erfolg
Eine Interventionsstudie, die sich auf Nutrigenetik stützte, fand 2015 in Kalifornien statt (11). Eingeschlossen wurden 46 deutlich übergewichtige Veteranen, die an einem Sport- und Bewegungsprogramm teilnahmen. Die Hälfte der Teilnehmer erhielt einen Standard-Menüplan, während die anderen aufgrund ihres genetischen Profils basierend auf sieben Genen differenziert beraten wurden. Sie erhielten aufgrund ihres genetischen Profils eine von vier Empfehlungen, je nachdem ob sie dabei eines der Risikoallele aufwiesen:
Das ernüchternde Ergebnis: Weder nach acht noch nach 24 Wochen zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen im Hinblick auf eine Gewichtsreduktion von mindestens 5 Prozent des Ausgangsgewichts. Alle Personen hatten Probleme, sich an die Ernährungsempfehlungen zu halten. Jedoch nahmen die Teilnehmer, die sich tatsächlich entsprechend ihres Genprofils ernährten, deutlich mehr ab als die, denen dies nur unzureichend gelang.
Trotz der geringen Teilnehmerzahl und der sehr kurzen Beobachtungszeit zeigte die Studie einen aussichtsreichen Ansatz. Teilnehmer, deren genetisches Profil aufgrund eines Algorithmus einem niedrigen Risiko zugeordnet wurde, eine Adipositas zu entwickeln, nahmen deutlich mehr ab als die anderen Studienteilnehmer (11, 12).
Food4me: Nutrigenetik im Test
Einer der ersten Pilotversuche, genetisch basierte Ernährungsempfehlungen zu entwickeln und zu prüfen, war das internationale Forschungsprojekt »Food4me«, das mit Mitteln der Europäischen Union 2011 initiiert wurde (13). Neben der Einstellung der Verbraucher zu Gentests sollte die Frage geklärt werden, ob personalisierte Ernährungsempfehlungen das individuelle Essverhalten stärker beeinflussen als allgemeine Ratschläge. Alle Teilnehmer wurden ausschließlich elektronisch beraten.
Hannelore Gießen studierte Pharmazie an der Universität Karlsruhe. Nach mehrjähriger Tätigkeit in verschiedenen öffentlichen Apotheken und einer journalistischen Ausbildung ist sie seit 1990 freiberuflich als Fachjournalistin tätig und bearbeitet medizinische, pharmazeutische und biotechnologische Themen für verschiedene Fachzeitschriften. Gießen hat sich zur Apothekerin für Allgemeinpharmazie weitergebildet und hat 2013 den Studiengang Consumer Health Care an der Charité-Universitätsmedizin Berlin absolviert. In ihrer Masterarbeit befasste sie sich mit ethischen Aspekten der Bewertung und Kommunikation von Arzneimittelrisiken.
Hannelore Gießen M. Sc.
Gotenstraße 9,
85551 Kirchheim
E-Mail: hannelore.giessen@t-online.de
Rund 1600 Probanden beantworteten detailliert Fragen zu ihrer Ernährung und ihrem Lebensstil. Dann wurde ihre genetische Ausstattung auf verschiedene Genvarianten untersucht, darunter günstige und weniger günstige Versionen der FTO- und APOE-Gene. »Wir haben 30 Gene analysiert und fünf davon in die Bewertung aufgenommen«, erläutert Professor Dr. Hannelore Daniel vom Wissenschafts- zentrum Weihenstephan der TUM gegenüber der PZ.
Die erste Untergruppe erhielt personalisierte Empfehlungen nur aufgrund ihrer Angaben zur Ernährung, bei einer zweiten wurden zusätzlich Laborparameter wie Blutglucose und Gesamtcholesterol einbezogen und bei der dritten Gruppe floss zusätzlich die Analyse von fünf Kandidatengenen ein. Die Kontrollgruppe bekam nur allgemeine Ernährungsempfehlungen.
Die Studienergebnisse nach sechs Monaten zeigen, dass die Akzeptanz für Ernährungsempfehlungen größer ist, wenn diese individuell angepasst sind (12, 13, 14, 15). So aßen die Teilnehmer der Gruppen mit personalisierten Empfehlungen insgesamt weniger Salz und weniger gesättigte Fette und verloren etwas mehr Körpergewicht als die Kontrollgruppe. Die genetischen Informationen brachten aber keinen zusätzlichen Nutzen gegenüber einer klassischen Ernährungsberatung mit Ernährungs- und Lebensstilanamnese, wie sie die Probanden aus der ersten personalisierten Gruppe erhalten hatten.
Allerdings waren Teilnehmer, die wussten, dass sie das FTO-Risikoallel tragen, initial etwas motivierter, ihren Lebensstil zu ändern. Nach drei Monaten hatten sie deutlich mehr abgenommen als die anderen. Nach sechs Monaten relativierte sich der Effekt jedoch.
Beruht also der Erfolg personalisierter Ernährung auf psychologischen Effekten? Daniel hält eine individuelle Beratung für ganz wichtig. »Wir haben während unseres Projekts festgestellt, dass viele Menschen in Bezug auf ihre Ernährung durch widersprüchliche Botschaften in den Medien sehr verunsichert sind. Es herrscht ein enormer Leidensdruck, sodass es viele Menschen offenbar entlastet, sich an eine vertrauenswürde Person oder Institution wenden zu können.«
Viele Puzzleteile fehlen
Das Zusammenspiel von Lebensstil, Genetik, Stoffwechsel und Erkrankungen wie Adipositas oder Typ-2-Diabetes zu verstehen, entspricht einem höchst komplexen Puzzle. Chronische Erkrankungen werden von jeweils Hunderten von genetischen Varianten beeinflusst, deren Ausprägung ihren Träger ein klein wenig anfälliger oder robuster machen. Derzeit ist unser Verständnis der Zusammenhänge viel zu bruchstückhaft, um den Effekt dieser winzigen genetischen Veränderungen durch geschickt gewählte Therapien zu beeinflussen.
Holzapfel betont: »Wir brauchen gut geplante Interventionsstudien, die zeigen, wie eine Person je nach genetischer Ausstattung auf einzelne Lebensmittel oder Nahrungsbestandteile reagiert.« Solche Forschungsansätze werden im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Ernährungsclusters enable (www.enable-cluster.de) möglich sein. »Derzeit sind wir noch weit davon entfernt, evidenzbasierte Ernährungsempfehlungen zu geben, die die individuelle genetische Veranlagung einer Person berücksichtigen. Doch die bisherigen Ergebnisse tragen schon wesentlich dazu bei, die Wechselwirkung zwischen Ernährung und Genen besser zu verstehen«, lautet das Fazit der Ernährungswissenschaftlerin. /
Literatur