Kräfte stärken, Abbau verhindern |
19.06.2018 14:28 Uhr |
Von Hannelore Gießen / Die Ernährung spielt in der Prävention von Krebs, aber auch in allen Stadien einer Tumorerkrankung eine wichtige Rolle. Mit allen lebensnotwendigen Makro- und Mikronährstoffen gut versorgt zu sein, trägt wesentlich zur Lebensqualität bei.
Nach einer Krebsdiagnose machen sich viele Betroffene Gedanken über ihre Ernährung. Oft quälen sich Patienten mit der Sorge, ihre Tumorerkrankung selbst verschuldet zu haben oder hoffen, durch bestimmte Lebensmittel – oder aber durch Verzicht darauf – zu verhindern, dass die Krankheit wieder auftritt oder sich ausbreitet.
Risikotreiber: Übergewicht und Alkohol
Jede Menge Ballast- und Mikronährstoffe: Kann man damit Krebs vorbeugen?
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Tatsächlich geht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) davon aus, dass 30 bis 50 Prozent aller Krebsfälle vermeidbar wären, würden sämtliche Möglichkeiten an Lebensstiländerungen, Impfungen sowie einer geringeren Exposition gegenüber Umweltgiften, Strahlen und karzinogen Substanzen am Arbeitsplatz ausgeschöpft.
Als stärksten Risikofaktor für ein steigendes Krebsrisiko haben die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) und der World Cancer Research Fund (WRCF) nach Rauchen und Infektionen die Adipositas entlarvt (1, 2). Dabei liegt eine klare Dosis-Wirkungs-Beziehung mit einem exponenziellen Anstieg vor. Vor allem bei einem Body-Mass-Index (BMI) über 30 ist das Risiko, an Krebs zu erkranken, deutlich erhöht.
Die IARC geht davon aus, dass ein zu hohes Körpergewicht das Risiko für mindestens 13 Krebsarten erhöht, darunter Darmkrebs, Leberkrebs, Prostatakrebs, Brustkrebs, Gallenblasenkrebs, Gebärmutterkörperkrebs und Nierenkrebs (3). »Rund 5 bis 10 Prozent aller Tumorerkrankungen hängen direkt oder indirekt mit Adipositas zusammen«, berichtete Dr. Tilman Kühn vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung.
Dass Adipositas das Krebsrisiko steigert, ist gut belegt, doch über welche pathobiologischen Wege Übergewicht Zellen entarten lässt, ist noch nicht vollständig verstanden. Beteiligt sind aber Entzündungsprozesse und Veränderungen im Hormonstoffwechsel. So können sowohl ein dauerhaft hoher Insulinspiegel als auch Wachstumsfaktoren die Regulation der Zellteilung stören und damit die Entstehung von Krebs begünstigen. Fettzellen bilden außerdem Estrogene, die in der Brust und der Gebärmutter das Wachstum hormonabhängiger Tumorzellen stimulieren können (4).
Der zweitwichtigste ernährungsassoziierte Risikofaktor ist Alkohol. Parallel zum Alkoholkonsum wächst laut WHO das Risiko für einen Krebs der Mundhöhle, des Rachenraums und des Kehlkopfs. Auch die Wahrscheinlichkeit, an Tumoren der Speiseröhre, der Brust sowie von Magen, Leber und Darm zu erkranken, nimmt mit steigendem Alkoholkonsum zu (5).
Die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Krebs stützen sich auf epidemiologische Studien, die oft über Jahrzehnte verfolgt werden müssen, bis aussagekräftige Ergebnisse vorliegen (6, 7, 8). Eine der weltweit größten prospektiven Ernährungsstudien, die »European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC)«, läuft seit Anfang der 1990er-Jahre in sieben europäischen Ländern, darunter auch in Deutschland. In der Studie wurden europaweit insgesamt rund 520 000 Menschen befragt und bis heute nachuntersucht. Dies hat sich in zahlreichen Publikationen niedergeschlagen (9, 10).
Kaum präventiver Nutzen von Mikronährstoffen
Mikronährstoffe sind essenziell für eine Vielzahl von Körperfunktionen wie Stoffwechsel, Zellwachstum, Nervenreizleitung und Neubildung von Haut, Knochen und Blutzellen. Sie fungieren als Cofaktoren für Enzyme, als Elektrolyte und als Antioxidanzien.
Der World Cancer Research Fund (WRCF) hat 2017 aktuelle Präventionsempfehlungen herausgegeben (11).
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Besonders die antioxidativen Eigenschaften vieler Mikronährstoffe stehen seit Jahren im Fokus des Interesses, auch der Tumorforschung. Oxidativer Stress fördert Entzündungsprozesse, auf deren Basis Zellen sich verändern und unkontrolliert wuchern können. So lag es nahe, auf Antioxidanzien zur Krebsprävention zu setzen, vor allem auf die Vitamine A, C und E. Doch diese Hoffnungen wurden schon 1996 durch die CARET-Studie erheblich gedämpft: Forscher hatten erwartet, Raucher mit Betacarotin und Vitamin A besser vor Lungenkrebs schützen zu können. 18 000 Raucher, ehemalige Raucher oder Asbestarbeiter nahmen vier Jahre lang täglich 30 mg Betacarotin plus 25 000 I.E. Vitamin A ein. Doch das Lungenkrebsrisiko erhöhte sich unter Vitaminsubstitution im Vergleich zu Placebo um 28 Prozent statt wie erhofft zu sinken. Die Studie wurde deshalb vorzeitig abgebrochen (12).
Ähnlich enttäuschend verlief das 2001 gestartete »Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial« (SELECT), das mehr als 35 000 US-amerikanische Männer über 50 Jahren eingeschlossen hatte. Die Probanden waren auf vier Studienarme randomisiert worden, in denen sie entweder 400 mg Vitamin E, 200 µg Selen, beide Mikronährstoffe oder Placebo erhalten hatten. Doch auch diese Studie wurde 2008 vorzeitig abgebrochen, denn eine Zwischenauswertung hatte ergeben, dass weder Selen noch Vitamin E noch deren Kombination das Risiko für ein Prostatakarzinom signifikant senken konnten (13, 14).
Das Expertengremium der US Preventive Services Task Force (USPSTF) sieht in einer aktuellen Stellungnahme keine Evidenz für die Wirksamkeit von Multivitaminpräparaten in der Prävention von kardiovaskulären Erkrankungen oder Krebs. Von der präventiven Einnahme der antioxidativen Vitamine Betacarotin und Vitamin E wird sogar explizit abgeraten (15).
Auch für Vitamin D sei in Bezug auf Tumorprävention derzeit kein Nutzen nachgewiesen, berichtet DKFZ-Forscher Kühn. Es gebe aufgrund von Beobachtungsstudien zwar Hoffnungen, die entscheidende randomisierte Interventionsstudie (VITAL) werde aber gerade erst abgeschlossen. Belastbare Daten seien daher erst in Zukunft zu erwarten.
Über den optimalen Bereich für den Vitamin-D-Spiegel, bestimmt als 25-Hydroxyvitamin-D-Serumkonzentration, wird seit Jahren diskutiert. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat sich der Empfehlung des US-amerikanischen Institute of Medicine (IOM) angeschlossen und als untere Grenze für den Normbereich 12 Nanogramm pro Milliliter (ng/ml) Serum (oder 20 Nanomol pro Milliliter; nmol/ml) und für eine gute Versorgung 20 ng/ml (50 nmol/ml) definiert (16).
Kontrovers diskutiert wurde und wird auch Folsäure beziehungsweise Folat. Nachdem einige Studien mit Krebspatienten gezeigt haben, dass Folat das Rezidiv- und Mortalitätsrisiko von Tumorpatienten erhöhen könnte, wird eine Supplementierung ohne nachgewiesenen Mangel kritisch gesehen. Die Ergebnisse der EPIC-Studie zu Folsäure im Blut und Krebsinzidenz seien gemischt, berichtet Kühn: Es zeigten sich ein vermindertes Risiko für Lungenkrebs, ein höheres Risiko für Prostatakrebs und keine Assoziation mit Brustkrebs (17).
Weiteren Forschungsbedarf sieht der Ernährungsepidemiologe besonders bei Selen. Bei einem niedrigen Selenspiegel steige das Risiko für Leber- und Darmkrebs, zitierte er Daten aus der EPIC-Studie. Ob eine Substitution allerdings das Risiko senkt, sei unklar, zumal sehr hohe Werte ebenfalls schädlich sein könnten, wie US-amerikanischen Studien zeigen.
Der Freiburger Onkologe Dr. Jann Arends erklärte kürzlich beim Deutschen Krebskongress in Berlin: »Wir sind in den letzten fünf bis zehn Jahren deutlich vorsichtiger geworden bei der Gabe von Antioxidanzien, insbesondere von hohen Dosen, die vermutlich eher schädlich als protektiv sind«.
Lebensstil schadet mehr als Schadstoffe
Lecker, aber nicht besonders gesund
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Beim Grillen und Braten von Lebensmitteln können Stoffe entstehen, die das Krebsrisiko erhöhen. Dazu gehören die heterozyklischen aromatischen Amine (HAA) sowie die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK), die im Experiment Mutationen hervorrufen. Theoretisch haben sie damit das Potenzial, auch zum Entstehen von Tumorerkrankungen beizutragen.
Das bei Herstellung von gepökelten Fleischwaren oft zugesetzte Nitrit bildet mit Aminen, Amiden oder Aminosäuren unter anderem Nitrosamine, die in der Ernährung als kanzerogene Schadstoffe identifiziert wurden. Nitrosamine können auch endogen gebildet werden: Oral aufgenommenes oder in der Mundhöhle aus Nitrat gebildetes Nitrit kann im Magen mit sekundären Aminen zu Nitrosaminen reagieren.
Das ist – neben Alkohol und Rauchen – einer der wichtigsten Risikofaktoren für die Krebsentstehung
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Bei der Wurstherstellung wird inzwischen deutlich weniger Nitrit verwendet als noch in den 1970er-Jahren. Bei der Bierproduktion entstehen durch geänderte Bedingungen ebenfalls weniger Nitrosamine, und das Gemüse ist mit weniger Nitrat belastet (18). Dennoch sei es sinnvoll, diese Risiken weiter zu minimieren, vor allem im Hinblick auf die Darmkrebsprävention, sagt Kühn. In der Rangfolge der kanzerogenen Risiken würden diese Einzelstoffe insgesamt jedoch eine geringere Rolle spielen als der gesamte Lebensstil mit Rauchen, Übergewicht, erhöhtem Alkoholkonsum und Bewegungsmangel, lautet das Fazit des Wissenschaftlers.
Auch das kanzerogene Potenzial von verschimmelten Lebensmitteln werde oft überschätzt. »Das ist weltweit ein wichtiges Thema«, sagt Kühn. »In der westlichen Welt ist die Aufnahme von Aflatoxinen allerdings äußerst gering. Selbst wenn man versehentlich einmal ein verschimmeltes Brotstück gegessen hat, bleibt man weit unterhalb der Grenzwerte. Die lebensstilbedingten Risiken wiegen deutlich schwerer.«
Ernährung während Chemo- und Strahlentherapie
Die Ernährung spielt nicht nur beim Entstehen von Tumorerkrankungen eine Rolle, sondern letztlich in allen Stadien einer Erkrankung. Meist schließt sich an eine chirurgische Entfernung des Tumors eine adjuvante Chemo- und/oder Strahlentherapie an. Viele Patienten möchten gerade in dieser Zeit ihr Bestes geben und ihren Körper durch zusätzliche Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente unterstützen.
Doch das ist eher kontraproduktiv: Vitamin C ist ein Antioxidans und kann die Wirkung von Chemo- oder Strahlentherapie vermindern, die auf oxidativen Prozessen beruht. Die In-vitro- und In-vivo-Daten waren lange widersprüchlich. Doch inzwischen konnte der hemmende, vermutlich dosisabhängige Effekt gezeigt werden.
Die 2015 aktualisierte S3-Leitlinie »Klinische Ernährung in der Onkologie« der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) ist in diesem Punkt eindeutig. Während einer Chemotherapie wird die Einnahme von hoch dosierten Antioxidanzien, Omega-3-Fettsäuren und Fischöl-Präparaten explizit nicht empfohlen. Die Leitlinie führt zudem an, dass nicht nur die Effektivität von Zytostatika sinken kann, sondern auch die Zytostatikaresistenz von Tumorzellen zunimmt, wenn die Zellen mehr Antioxidanzien enthalten (19, 20).
Bei Krebs: Mangelernährung verhindern
Sehr häufig liegt ein ungewollter Gewichtsverlust schon bei Diagnosestellung vor (Kasten) – je nach Tumorentität und Erkrankungsstadium bei 31 bis 87 Prozent der Patienten. Ein ernstes Warnzeichen ist ein ungewollter Gewichtsverlust von mindestens 5 Prozent innerhalb von drei Monaten oder 10 Prozent innerhalb von sechs Monaten.
Schreitet eine Tumorerkrankung fort, entwickeln je nach Tumorentität, -stadium und -therapie bis zu 30 bis 85 Prozent aller Patienten Zeichen einer Mangelernährung. Dies sollte möglichst verhindert werden, sagt die Ernährungswissenschaftlerin und Diätassistentin Nicole Erickson vom Comprehensive Cancer Center (CCC) der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung. Nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Lebensdauer eines Patienten hänge eng mit seinen Ernährungszustand zusammen.
Krebspatienten verlieren nicht einfach an Körperfett, wie bei einer gewollten Gewichtsabnahme, sondern büßen an Muskelmasse ein. Eine Mangelernährung beeinträchtigt schon in einem frühen Stadium zahlreiche Funktionen des Organismus: Die Muskelkraft sinkt, Wunden heilen langsamer und die Erholung verläuft verzögert. Mangelernährte Patienten tolerieren häufig auch eine antitumorale Therapie schlechter als ein Patient mit einem guten Ernährungszustand. Dann muss die Dosis möglicherweise vermindert und die Therapie unter- oder gar abgebrochen werden, was wiederum das Gesamtüberleben deutlich beeinflusst.
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Ein wesentliches Kriterium für eine Mangelversorgung ist ein Gewichtsverlust von mindestens 5 Prozent innerhalb von drei Monaten. Die amerikanische Gesellschaft für parenterale und enterale Ernährung (ASPEN) nennt daneben als weitere Kriterien eine ungenügende Nahrungsaufnahme, Flüssigkeitsansammlungen im Körper sowie ein Verlust an Muskelmasse, subkutanem Fett und körperlicher Leistungsfähigkeit. Sind zwei dieser sechs Kriterien erfüllt, liegt bereits eine Mangelversorgung vor.Auch ein Patient mit Normalgewicht kann unter einem beeinträchtigten Ernährungszustand leiden, und ein übergewichtiger Krebspatient kann lebensstil- und krankheitsbedingt mangelernährt sein (20).Screening-Instrumente helfen, einen Mangelzustand zu erkennen. Etabliert ist zum Beispiel der Nutritional Risk Score (NRS)-2002, der idealerweise alle zehn Tage wiederholt wird. Ein noch differenzierteres Bild zeigt der Patient-Generated Subjective Global Assessment (PG-SGA), der noch Fragen zur Leistungsfähigkeit sowie zu tumorspezifischen Symptomen enthält. Der Patient trägt dabei selbst zum Bestimmen seines Ernährungszustands bei, indem er sein Gewicht, die Ess- und Trinkmenge und seine Aktivitäten und Symptome mitteilt.
Bewegung und Sport, die Spaß machen: Das wird allen Tumorpatienten sehr empfohlen.
Foto: AOK Mediendienst
Dem Mangel begegnen
Eine frühe Behandlung von mangelversorgten Patienten zielt darauf ab, den schleichenden, aber kontinuierlichen Gewichtsverlust aufzuhalten und das Gewicht zu stabilisieren. Dies gelingt am besten mit hochkalorischer Kost und mehreren kleinen Mahlzeiten über den Tag verteilt. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Proteinmenge. Bei einem Tumorpatienten liegt der Bedarf bei 1,2 bis 1,5 g pro Kilogramm Körpergewicht (kg/KG), während bei einem gesunden Menschen der tägliche Proteinbedarf bei 0,8 g/kg KG liegt. Vitamine und Spurenelemente sollen Tumorpatienten nur in den Mengen enthalten, wie sie auch Gesunden empfohlen werden.
Eine ganze Reihe von krankheits- oder therapiebedingten Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Mukositis oder Schluckstörungen kann einem Tumorpatienten jedoch das Essen sehr schwer machen. Oft werde unterschätzt, wie sehr auch chronische Schmerzen, Medikamente und psychosoziale Faktoren Appetit und Nahrungsaufnahme beeinträchtigen, hebt die Ernährungsexpertin Erickson hervor. Dann komme es darauf an, wenigstens überhaupt etwas zu essen und den Magen nicht komplett leer laufen zu lassen. In dieser Situation sei die Zusammensetzung nicht so wichtig, jetzt können es auch immer wieder die Lieblingsspeisen sein. Reicht das normale Essen nicht aus, könne man Patienten mithilfe von Supplementen bei Gewicht halten, bevor eine enterale und wenn nötig, auch eine parenterale Therapie begonnen wird (Kasten).
Die Betreuung eines mangelernährten Tumorpatienten sollte neben der Ernährung den Fokus auf Sport und Bewegung legen, ergänzt Professor Dr. Hans Hauner vom Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin der Technischen Universität in München. Der größte Anreiz für eine Zunahme von Körper- und Muskelmasse sei körperliche Aktivität. Sie verbessere die Insulinwirkung, stoße anabole Prozesse an und bewirke langfristig eine Hemmung von Entzündungsprozessen, erläutert der Ernährungsmediziner.
Mangelversorgt durch Krebsdiäten
»Krebsdiäten sind eine häufig übersehene Ursache einer Mangelernährung«, mahnt Ernährungswissenschaftlerin Erickson. Seit hundert Jahren würden Krebsdiäten in unterschiedlichen Varianten propagiert. Zurzeit stehe die ketogene oder kohlenhydratarme Diät im Fokus, der die Idee zugrunde liegt, man könne den Krebs aushungern. »Rund jeder zweite Patient kommt in meine Beratung mit Fragen zu kohlenhydratarmen Diäten oder fragt konkret, ob Zucker erlaubt sei.«
Anhänger einer ketogenen Diät verzichten weitgehend auf Zucker und Kohlenhydrate. Ob man damit einen Tumor aushungern kann, ist mehr als fraglich.
Foto: Shutterstock/Antonio Guillem
Eine ketogene Diät gibt es in verschiedenen Varianten. Allen gemeinsam ist eine sehr geringe Kohlenhydratzufuhr von höchstens 70 g pro Tag. 60 bis 90 Prozent der gesamten Energie werden in Form von Fett aufgenommen. Für Epilepsie und einige angeborene Stoffwechselerkrankungen ist der Nutzen einer ketogenen Diät belegt, bei Tumorerkrankungen ist diese Ernährungsform jedoch kontraproduktiv.
Die Idee klingt zunächst plausibel: Krebszellen haben einen anderen Energiestoffwechsel als normale Zellen. Sie bevorzugen Glucose als Energielieferant und können Fett und Eiweiß weniger gut nutzen als gesunde Körperzellen. Doch dies gilt weder für alle Zellen noch alle Tumorarten.
Bisherige Studien zur Wirkung der ketogenen Diät auf das Tumorwachstum wurden überwiegend in Zellkulturen oder an Tieren durchgeführt. In einigen Experimenten konnte das Tumorwachstum verlangsamt werden. In anderen kam es jedoch nach einiger Zeit unter einer ketogenen beziehungsweise kohlenhydratarmen Diät zu stammzellartigen Veränderung von Tumorzellen (21).
Auch klinische Studien zeigen keinen Nutzen der ketogenen Diät bei Tumorerkrankungen, erläuterte Erickson anhand eines ganz aktuellen systematischen Reviews, der 15 Studien mit insgesamt 330 Tumorpatienten umfasste. Keine Studie konnte eine Rückbildung von Tumoren, eine Verlängerung der Überlebenszeit, ein besseres Ansprechen auf die Therapie oder weniger Nebenwirkungen durch die kohlenhydratarme Diät belegen. Dagegen zeigte sich eine ungewollte Gewichtsabnahme, obwohl die ketogene Diät gleich viele Kalorien enthielt wie die Standardnahrung. Zudem litten die Patienten unter der eingeschränkten Nahrungsauswahl der Ketodiät, dem damit verbundenen Stress und beeinträchtigten Sozialleben (22).
Auch der Arbeitskreis Ernährung der Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie (PRIO) der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) rät in einer 2017 aktualisierten Stellungnahme von einer ketogenen Diät ab (23).
Dem Rückfall vorbeugen
Eine mediterrane Ernährung dient auch zur Rezidivprophylaxe nach überstandener Tumorerkrankung.
Foto: Shutterstock/Africa Studio
Wie Patienten nach überstandener Tumorerkrankung einem erneuten Auftreten des Krebses am besten entgegenwirken, sei noch unzureichend belegt, bedauert Hauner. Der World Cancer Research Fund empfiehlt Patienten nach einem Tumorleiden, sich an den Richtlinien zur Prävention von Krebs zu orientieren.
Da immer mehr Patienten mitunter sogar mehrere Krebserkrankungen überstehen, gewinnt eine Rezidivprophylaxe zunehmend an Bedeutung. Dies gilt besonders auch für Brustkrebs. Liegt doch die Fünf-Jahres-Überlebensrate bei 88 Prozent. Einen Überblick über die bisherige Datenlage zu Brustkrebs gibt eine kürzlich in »Breast Care« publizierte Metaanalyse der Arbeitsgruppe um Hauner, die den Einfluss der Ernährung auf die Prognose von Patientinnen mit Mammakarzinom untersuchte. Die Münchner Forscher durchforsteten dazu die Literatur zwischen 2010 und 2017 und werteten 41 Studien aus.
Das Ergebnis: Eine Ernährung, die viel Früchte, Gemüse, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Geflügel und Fisch enthält, kann die Prognose bei Brustkrebs verbessern. Eine sogenannte westliche Ernährung mit Feinmehlerzeugnissen, rotem und verarbeitetem Fleisch sowie Milchprodukten mit hohem Fettanteil war mit einer höheren Mortalität assoziiert. Keinen positiven Effekt fanden die Wissenschaftler mit kohlenhydratarmen, ketogenen, vegetarischen oder veganen Ernährungsmustern. Eine mediterrane Ernährung zeigte eine geringere allgemeine Sterblichkeit. Für Soja kann aus den Daten keine generelle Empfehlung abgeleitet werden. Eine gelegentliche Verwendung scheint jedoch akzeptabel zu sein, lautet das Fazit der Studienautoren (24).
Die Metaanalyse unterstreicht erneut die Bedeutung von Übergewicht und Sport, für die die stärkste Evidenz für einen Effekt auf das Langzeitüberleben gezeigt wurde. Hauner sieht dringenden weiteren Forschungsbedarf und plädierte vor allem für gezielte Interventionsstudien, um herauszufinden, von welchen Ernährungsmustern Krebspatienten nach überstandener Erkrankung am meisten profitieren. /
Reicht die normale Ernährung nicht aus, um bei einer Mangelernährung den Bedarf zu decken, sollte sie durch hochkalorische Trinknahrung ergänzt werden. Jetzt kommt es auf eine hohe Energiedichte an, sodass alle Supplemente mit einer Energiedichte von mindestens 1,5 kcal/ml geeignet sind. Das Produkt mit der höchsten Energiedichte enthält 2,4 kcal/ml.
Eine ganze Palette an Trinknahrungen steht für eine Nahrungsergänzung zur Verfügung – je nach Bedarf mit unterschiedlicher Energiedichte, speziellem Proteinanteil sowie mit und ohne Ballaststoffe.
Hannelore Gießen studierte Pharmazie an der Universität Karlsruhe. Nach mehrjähriger Tätigkeit in verschiedenen öffentlichen Apotheken und einer journalistischen Ausbildung ist sie seit 1990 freiberuflich als Fachjournalistin tätig und bearbeitet medizinische, pharmazeutische und biotechnologische Themen für verschiedene Fachzeitschriften. Gießen hat sich zur Apothekerin für Allgemeinpharmazie weitergebildet und hat 2013 den Studiengang Consumer Health Care an der Charité-Universitätsmedizin Berlin absolviert. In ihrer Masterarbeit befasste sie sich mit ethischen Aspekten der Bewertung und Kommunikation von Arzneimittelrisiken.
Hannelore Gießen M. Sc.
Gotenstraße 9
85551 Kirchheim
E-Mail: hannelore.giessen@t-online.de
Literatur
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3. WCRF Continuous Update Project (CUP). Cancer Prevention& Survival (2016), Summary of global evidence on diet, weight, physical activity & what increases or decreases your risk of cancer; www.wcrf.org/sites/default/files/CUP-Summary-Report.pdf
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