Richtig, aber kein Freibrief |
03.07.2012 10:31 Uhr |
Von Matti Zahn, Berlin / Am 22. Juni 2012 ist die mit Spannung erwartete Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen am Bundesgerichtshof zur Rolle niedergelassener Ärzte veröffentlicht worden (Beschluss vom 29. März 2012, Az. GSSt 2/11).
Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob ein niedergelassener, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassener Arzt Amtsträger im Sinne der Straftaten im Amt (§§ 331 ff. Strafgesetzbuch – StGB) oder Beauftragter der Krankenkassen im Sinne des § 299 StGB ist, wenn er im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung von Kassenpatienten tätig wird und diesen Arzneimittel verordnet.
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Der 5. Strafsenat des BGH, der diese Frage dem Großen Senat vorgelegt hatte, musste über die Revision einer Pharmareferentin entscheiden, die das Landgericht Hamburg wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt hatte. Vorgeworfen wurde der Angeklagten die Beteiligung an einem als »Verordnungsmanagement« bezeichneten Prämiensystem. Bei diesem erhielten die teilnehmenden Ärzte für die Verschreibung eines bestimmten Arzneimittels aus dem Portfolio des Arbeitsgebers der Angeklagten eine Prämie von 5 Prozent des Herstellerabgabepreises. Die entsprechenden Prämienauszahlungen an den Arzt wurden dann als Vortragshonorare deklariert.
Der Große Senat hat in strafrechtlicher Hinsicht sowohl eine Amtsträgerschaft des Kassenarztes als auch dessen Stellung als Beauftragtem der gesetzlichen Krankenkassen verneint. Vertragsärzte üben ihren Beruf in freiberuflicher Tätigkeit aus, unabhängig davon, dass mit der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 95 Abs. 3 SGB V nicht nur die Möglichkeit zur Teilnahme an dieser Versorgung, sondern auch die Pflicht hierzu verbunden ist. Sie werden aufgrund der individuellen, freien Auswahl des Versicherten tätig, weswegen das Verhältnis zum Versicherten vor allem vom persönlichen Vertrauen geprägt ist. Auch wenn der Vertragsarzt zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung mit den Krankenkassen zusammenwirkt, ist er daher nicht deren Beauftragter, sondern wird objektiv im Interesse des Patienten tätig.
Aus juristischer und standespolitischer Sicht ist der Auffassung des Großen Senats zuzustimmen. Die Straftatbestände der Straftaten im Amt sind nicht auf die Tätigkeit des niedergelassenen, zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Arztes zugeschnitten. Diese Sonderdelikte leiten sich historisch aus dem Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität des Beamtenapparates her, welches sich heute als schützenswertes Interesse der Bürger an einer ordnungsgemäßen Funktionsweise der staatlichen Verwaltung interpretieren lässt (1). Die besondere Vertrauensbeziehung zu »ihrem« Arzt, die viele Patienten empfinden, steht dessen »Einordnung in den Staatsapparat« entgegen. Ähnliches gilt – wie der BGH zutreffend feststellt – für die Annahme einer Beauftragteneigenschaft des Vertragsarztes im Verhältnis zur gesetzlichen Krankenversicherung, wenngleich das von § 299 StGB geschützte Rechtsgut des freien Wettbewerbs durchaus betroffen ist.
Auch wenn die Entscheidung des BGH also zu begrüßen ist, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass ein Verhalten wie es Gegenstand des Verfahrens war, gesellschaftlich nicht akzeptiert sein kann. Insoweit sah sich auch der BGH in seinem Beschluss zu dem Hinweis genötigt, dass er die Berechtigung des Anliegens, Missstände im Gesundheitswesen mit Mitteln des Strafrechts effektiv zu bekämpfen, nicht verkenne. Außerhalb der strafrechtlichen Ahndung, und damit außerhalb der Zuständigkeiten von Staatsanwaltschaften und Strafgerichten, verbietet etwa das ärztliche Berufsrecht Ärzten die Annahme von Vergütungen für die Verordnung von Arzneimitteln (vgl. § 31 Abs. 1 der Musterberufsordnung der deutschen Ärzte). Diese Vorgabe richtet sich sowohl an niedergelassene Vertrags- und Privatärzte als auch an Ärzte in Krankenhäusern sowie vergleichbaren Einrichtungen (2). Die Konsequenzen, die dem Arzt bei einem Fehlverhalten drohen, sind wegen eines möglichen berufsrechtlichen Verfahrens auch keineswegs unerheblich. Zudem sind vor allem in Anbetracht der Regelung des § 128 SGB V negative Folgen für die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zu erwarten.
Spiegelbildlich haben die Unternehmen der pharmazeutischen Industrie, die Mitglieder des Vereins »Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie« (FSA) sind, im sogenannten »FSA-Kodex Fachkreise« geregelt, dass die Gewährung eines Entgeltes an Angehörige der Fachkreise für die Verordnung eines Arzneimittels unzulässig ist (§ 17 »FSA-Kodex Fachkreise«). Unabhängig davon ist auch die Anstiftung zu einem berufsrechtswidrigen Verhalten nicht folgenlos und kann zumindest wettbewerbsrechtlich geahndet werden (3).
Für die Zusammenarbeit von Apothekern mit Ärzten schafft die Entscheidung des BGH Klarheit, soweit es um die Strafbarkeit bestimmter Handlungen geht (4), bringt in der Sache aber keine Veränderungen mit sich. Diese Zusammenarbeit ist aus apothekerlicher Sicht weiterhin an § 11 Apothekengesetz (ApoG), den Vorgaben der Berufsordnungen sowie den spezifischen sozialrechtlichen Bestimmungen (zum Beispiel § 128 SGB V) zu messen. Individualvereinbarungen mit anderen Beteiligten im Gesundheitswesen, wie pharmazeutischen Unternehmern, etwa bestimmte Arzneimittel bevorzugt anzubieten oder abzugeben, sind insbesondere nach § 10 ApoG unzulässig. Dies gilt auch für Vertriebsmodelle, die sich auf das gesamte oder Teilsortimente eines Anbieters beziehen (5). Vor diesem Hintergrund kann nur angeraten werden, in diesem Bereich rechtskonform und mit der notwendigen Sensibilität zu agieren.
Letztlich bleibt die Frage offen, welche Konsequenzen die Politik aus der BGH-Entscheidung ziehen wird. Auch zukünftig werden die Strafverfolgungsbehörden tätig werden können, wenn etwa Anhaltspunkte für Betrug oder Urkundenfälschung vorliegen. Dies ist aber kein Spezifikum des Gesundheitswesens. Ein darüber hinausgehender Einsatz strafrechtlicher Methoden und Mittel, um möglichem Fehlverhalten im Gesundheitswesen zu begegnen, erfordert die Schaffung neuer Straftatbestände, wie es der jüngst im Gesundheitsausschuss des Bundestages behandelte und abgelehnte Antrag der SPD vorsah (6). Aber nur wenn der Gesetzgeber nach einer substanziellen Prüfung der tatsächlichen Gegebenheiten zu dem Ergebnis gelangt, dass hier Handlungsbedarf besteht und die bisher vorhandenen Möglichkeiten nicht ausreichen, sollten strafrechtliche Regelungen erwogen werden. Zumindest das Ergebnis der zurückliegenden Anhörung im Gesundheitsausschuss hat dies jedoch nicht nahegelegt. /
1) So: Heine, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 27. Auflage, Vorbem
§§ 331 ff., Rn. 1.
2) Vgl. Lippert, in: Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung der deutschen Ärzte (MBO), 5. Auflage, § 34, Rn. 2.
3) Saarländisches OLG, Urteil v. 13.06.2007,
Az. 1 U 81/07 – 25, 1 U 81/07.
4) Siehe dazu etwa: OLG Braunschweig,
Beschluss v. 23.03.2010, Az. Ws 17/10, mit Anmerkung Steinhilper, MedR 2010, 497 ff.
5) LG Berlin, Urteil v. 23.03.2011, Az. 96 O 38/10.
6) Bundestags-Drucksache 17/3685.
§ 11 Personen- und Sachbegriffe
(1) Im Sinne dieses Gesetzes ist ...
2. Amtsträger: wer nach deutschem Recht
...
c) sonst dazu bestellt ist, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform wahrzunehmen;
...
§ 299 Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr
(1) Wer als Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes im geschäftlichen Verkehr einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er einen anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs einem Angestellten oder Beauftragten eines geschäftlichen Betriebes einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er ihn oder einen anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen in unlauterer Weise bevorzuge.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Handlungen im ausländischen Wettbewerb.