Kinderwunsch trotz Krebs |
15.06.2012 15:57 Uhr |
Von Ilse Zündorf / Dank moderner Therapien überleben viele Kinder und junge Erwachsene eine Krebserkrankung. Doch oft schädigen Tumor und Therapie die Fortpflanzungsfähigkeit nachhaltig. Wie kann die Fertilität geschützt werden? Ist eine Schwangerschaft nach einer Krebstherapie noch möglich? Diese und viele andere Fragen bewegen die Betroffenen.
Wie relevant ist das Thema Tumorerkrankungen und mögliche Beeinträchtigung der Fertilität in Deutschland? Jährlich erkranken je 220 000 bis 250 000 Männer und Frauen neu an Krebs und je etwa 100 000 sterben an einem Tumor (Broschüre »Krebs in Deutschland«, Robert-Koch-Institut). Mit etwa 70 000 Neuerkrankungen ist das Mammakarzinom bei Frauen die häufigste Krebsart, gefolgt von Darm- und Lungenkrebs. Bei Männern ist mit knapp 65 000 Fällen am häufigsten die Prostata betroffen, ebenfalls gefolgt von Darm- und Lungenkrebs. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 69 Jahren.
Grafik 1: Altersspezifische Krebserkrankungsraten nach Geschlecht in Deutschland 2007/2008; Angaben je 100 000 Einwohner (ohne nicht-melanotischen Hautkrebs)
Wie viele Menschen mit der Diagnose »Krebs« im fortpflanzungsrelevanten Alter konfrontiert werden, zeigen die altersspezifischen Erkrankungsraten in Grafik 1 und die Krebsregisterdaten in der Tabelle 1. Bei Frauen treten etwa 5 Prozent der Endometriumkarzinome, 12 Prozent der Ovarial- und 40 Prozent der Zervixkarzinome in der reproduktiven Lebensphase auf.
Krebsart | Neuerkrankungen Männer | Neuerkrankungen Frauen | Todesfälle Männer | Todesfälle Frauen |
---|---|---|---|---|
Prostata | 6804 | 371 | ||
Brustkrebs | 6293 | 687 | ||
Darmkrebs | 6362 | 705 | 1661 | 155 |
Lungenkrebs | 6433 | 448 | 5009 | 277 |
Hodenkrebs | 3718 | 109 | ||
Eierstockkrebs | 569 | 116 | ||
Gebärmutterhalskrebs | 1485 | 182 | ||
Gebärmutterkrebs | 284 | 29 |
Eine besondere Gruppe sind die Kinder: In Deutschland erkranken jährlich etwa 1800 Unter-15-Jährige neu an Krebs. Das bedeutet, dass etwa jedes 500. Kind bis zu seinem 15. Geburtstag eine solche Diagnose erhält. Mit rund einem Drittel nehmen Leukämien den größten Teil ein, gefolgt von ZNS-Tumoren und Lymphomen. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 5 Jahren und 10 Monaten, wobei Jungen 1,2-mal häufiger erkranken als Mädchen. 15 Jahre nach Diagnosestellung leben noch acht von zehn Patienten. Im Deutschen Kinderkrebsregister (DKKR) sind mehr als 33 000 lebende Patientinnen und Patienten registriert, von denen etwa drei Viertel mindestens 18 Jahre alt sind.
Normale Eierstock- und Hodenfunktion
Um die Schadeffekte von Tumoren und Therapien besser einschätzen zu können, hilft ein Blick auf die normale Entwicklung und Funktion der Gonaden.
Während der Fetalentwicklung finden in den Eierstöcken die mitotischen Teilungen zur Bildung der Oogonien, also der Vorläuferzellen der weiblichen Keimzellen, statt. Ungefähr im fünften Schwangerschaftsmonat hat der Fetus die Maximalzahl mit 6 bis 7 Millionen Oogonien erreicht. Danach treten die Oogonien in die erste meiotische Teilung ein und wandeln sich zu Oozyten (Keimzellen). Davon gehen viele durch Apoptose verloren, sodass zum Zeitpunkt der Geburt nur noch 1 bis 2 Millionen übrig sind.
Zwischen Pubertät und Menopause kommt es monatlich durch einen Stimulus von Gonadotropin-Releasing-Hormon aus dem Hypothalamus zur Freisetzung von Follikel-stimulierendem Hormon (FSH) und Luteinisierendem Hormon (LH) aus dem Hypophysenvorderlappen. FSH sorgt dafür, dass jeweils eine Oozyte die Meiose I weiter durchläuft und zur befruchtungsfähigen Eizelle heranreift. Zum anderen induziert FSH im Eierstock die Bildung von Estradiol. Der Eisprung wird schließlich durch LH ausgelöst, wobei der Gelbkörper im Eierstock zurückbleibt und Estradiol sowie verstärkt Progesteron bildet.
Man geht davon aus, dass zusätzlich zu der heranreifenden Eizelle monatlich 500 bis 1000 Oozyten zugrunde gehen. Da diese nicht mehr nachgebildet werden, ist verständlich, dass die Fertilität der Frauen natürlicherweise mit dem Alter abnimmt.
Im Gegensatz zu den Oogonien der Frau regenerieren sich die Spermatogonien des Mannes immer wieder. Sie werden ebenfalls pränatal angelegt, teilen sich aber nach der Geburt weiter. Sobald die Pubertät eintritt, differenzieren Spermatogonien zu Spermatozyten, die schließlich die Meiose durchlaufen. Pro ursprünglicher Spermatozyte bilden sich vier Spermatiden und – nach einer Umbildungsphase – schließlich vier Spermien. Der Prozess dauert knapp drei Monate und hängt von FSH aus der Hypophyse und Testosteron ab. Die Testosteronproduktion wird von LH gesteuert. Solange gesunde Spermatogonien vorhanden sind, können neue Spermien entstehen – bis zu 100 Millionen täglich!
Fortpflanzungsorgane in Gefahr
Von einigen Tumorarten und deren Therapieschemata ist bekannt, dass sie das Risiko für eine bleibende Unfruchtbarkeit bergen. Bei Frauen und Männern sind dies
Hodgkin- und Non-Hodgkin- Lymphome,
Knochenmarktransplantationen, zum Beispiel wegen Leukämie,
Krebserkrankungen des Magen-Darm-Trakts und
Knochenkrebs (Ewing-Sarkom).
Bei Frauen kommen zusätzlich Brust- und Eierstockkrebs hinzu. Männer sind darüber hinaus durch Hoden- und Prostatakrebs gefährdet.
Wesentliche Teile einer Krebstherapie sind neben der operativen Entfernung eines soliden Tumors die Chemo- und/oder Radiotherapie.
Schadensursache Chemotherapie
Chemotherapeutika sollen schnell wachsende Tumorzellen in ihrer Proliferation unterdrücken und somit absterben lassen. Der Wirkmechanismus ist unterschiedlich spezifisch bezüglich Zelltypen und Zellstadium, so dass viele Zytostatika auch die sich teilenden Keimzellen und manchmal sogar ruhende Keimzellen erfassen. Nach einer Chemotherapie liegt die Wahrscheinlichkeit für eine Amenorrhö bei 40 bis 68 Prozent. Neben der direkten Schädigung der primordialen Follikel können Zytostatika auch das versorgende Eierstockgewebe schädigen.
Etwa ein Drittel der Männer ist, vor allem nach Krebs im Kindesalter, von einer therapieinduzierten Infertilität betroffen. Allerdings kann noch bis zu zwei Monate nach Therapieende eine Spermienproduktion vorhanden ist, da die späteren Stadien der Spermatogenese relativ resistent gegenüber einer Chemotherapie sind (Grafik 2).
Grafik 2: Spermatogenese. Während der Entwicklung von den Stammspermatogonien über Spermatozyten bis zu Spermien sind die Zellen unterschiedlich anfällig für zytotoxische Agenzien und können entstandene DNA-Schäden mehr oder weniger gut reparieren.
Hinsichtlich des Risikos für eine Gonadotoxizität lassen sich die Chemotherapeutika in drei Gruppen einteilen (Tabelle 2).
Risiko | Wirkstoffgruppe | Wirkstoffe |
---|---|---|
hoch | Alkylanzien | Cyclophosphamid, Ifosfamid, Busulphan, Chlorambucil, Melphalan, Chlormethin, Procarbazin |
mittel | Platinverbindungen Anthrazykline Taxol-Derivate | Cisplatin, Carboplatin Doxorubicin (Adriamycin), Daunorubicin, Epirubicin Paclitaxel, Docetaxel |
niedrig | Vinca-Alkaloide Antibiotika Antimetabolite | Vincristin, Vinblastin Bleomycin Methotrexat, 5-Fluorouracil, Mercaptopurin |
Cyclophosphamid kann dosisabhängig Eizellen und Follikel schädigen oder deren Zahl vermindern. Es ist ein Prodrug aus der Gruppe der Alkylanzien und wird in der Leber zum aktiven Wirkstoff umgewandelt. Alkylanzien greifen vor allem sich teilende, aber zusätzlich auch ruhende Zellen an. Cyclophosphamid wird in geringerer Dosierung, aber oft sehr lange bei Autoimmunerkrankungen wie dem systemischen Lupus erythematodes eingesetzt. Ärzte sollten daher auch bei Erreichen bestimmter kumulativer Gesamtmengen an eine Gonadotoxizität denken.
Ähnlich wie Alkylanzien bewirken auch Platin-Verbindungen eine Komplexbildung mit DNA-Molekülen. Platin-Verbindungen und das Anthrazyklin Adriamycin zählen zu den Mutagenen, die zu Chromosomen-Rearrangements, Deletionen und Ringbildungen führen können. Sie wirken nicht Zelltyp- und Zellstadium-spezifisch, sodass erhebliche Nebenwirkungen drohen.
Anthrazykline greifen ebenfalls direkt an der DNA an. Sie hemmen Transkription und Replikation und induzieren Strangbrüche. Zu den weiteren Wirkprinzipien gehört die Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies (ROS), die ebenfalls DNA-Doppelstrangbrüche hervorrufen und für die Kardiotoxizität der Wirkstoffgruppe verantwortlich sind. Ähnlich wie Anthrazykline binden einige Antibiotika wie Bleomycin an die DNA und bilden mit Fe(II) und Sauerstoff einen Chelatkomplex. Infolgedessen entstehen wiederum ROS und Strangbrüche in der DNA.
Taxol-Derivate greifen ebenso wie Vinca-Alkaloide nicht an der DNA, sondern an Strukturproteinen in der Zelle an, genauer an den Mikrotubulifasern der Mitosespindel. Dadurch schädigen sie vor allem sich teilende Zellen. Vinca-Alkaloide induzieren außerdem eine Aneuploidie, verändern also die Chromosomenzahl. Dennoch zählen sie zu den Stoffen mit niedriger Gonadotoxizität.
Einem anderen Wirkprinzip folgen Antimetabolite wie Methotrexat, 5-Fluorouracil oder Mercaptopurin. Sie stören den Stoffwechsel und die Teilungsaktivität der Zielzelle, indem sie wichtige Metaboliten verdrängen. Auch sie wirken kaum gonadotoxisch.
Schadensursache Strahlentherapie
Ionisierende Strahlung soll ebenfalls die schnell wachsenden Tumorzellen schädigen und dadurch abtöten. Die Patienten werden den ionisierenden Strahlen einer bestimmten Dosis, angegeben in Gray (Gy), bis zum Erreichen einer angestrebten Zieldosis ausgesetzt. Dies geschieht in einer einzelnen oder in mehreren Teilbestrahlungen.
Abhängig von der Strahlendosis, dem Bestrahlungsfeld und dem Alter der Patientin schädigt die Radiotherapie auch die Gonaden. Dies passiert nicht nur bei einer direkten Bestrahlung von Eierstock und Hoden, sondern – aufgrund der Streuung der Strahlung – auch bei einer Bestrahlung anderer Organe im Bauch oder Becken. Man schätzt, dass die Strahlendosis, die nötig ist, um 50 Prozent der menschlichen Oozyten abzutöten, bei 2 Gy liegt.
Werden Patientinnen im Abdomen mit einer Gesamtdosis von mehr als 35 Gy bestrahlt, hängt die verbleibende Fertilität stark davon ab, in welche Einzeldosen die Gesamtdosis fraktioniert wird und ob die Eierstöcke innerhalb des bestrahlten Bereichs liegen. Schon bei einer Strahlendosis über 10 Gy kommt es sehr wahrscheinlich zu einer, bei einem Teil der Patientinnen vorübergehenden Amenorrhö. Die Bestrahlung kann außerdem Uterus und Endometrium schädigen, was zu Fehl- und Frühgeburten führen kann. Ursache ist eine geringere Elastizität des Uterusgewebes infolge der strahleninduzierten Fibrose.
Beim Mann reagieren die Keimzellen wesentlich empfindlicher auf eine Strahlentherapie als die Testosteron-produzierenden Leydigzellen, sodass die Patienten schneller infertil als impotent werden. Anders sieht es bei präpubertären Jungen aus, die noch keine reifen Leydigzellen, sondern mesenchymale Vorläuferzellen haben, die deutlich sensitiver auf die Strahlen reagieren.
Viele junge Frauen, die eine Krebserkrankung überstanden haben, sorgen sich darum, ob sie noch gesunde Kinder bekommen können.
Foto: Fotolia/cleomiu
Es zeigte sich, dass Männer eine Einzelbestrahlung des Hodens viel besser vertragen als mehrere Teilbestrahlungen. Während eine einmalige Bestrahlung mit 2 Gy die Fertilität nicht beeinträchtigte, führte die gleiche Gesamtdosis nach mehreren Teilbestrahlungen zur Azoospermie, also zu einem Verlust der Spermien im Ejakulat, die erst nach etlichen Monaten wieder aufgehoben war. Bei einer Dosis von 10 Gy regenerierte sich die Spermatogenese erst nach zehn Jahren wieder partiell. Bei einer Strahlendosis von etwa 30 Gy ist zudem die Hormonbildung in den Leydigzellen gestört. Die Hälfte der Männer entwickelt einen Mangel an Testosteron, der gegebenenfalls substituiert werden muss.
Wichtig: Auch eine Strahlentherapie am Kopf kann die Fruchtbarkeit empfindlich stören, denn sie kann die hormonelle Achse zwischen Hypothalamus, Hypophyse und Gonaden schädigen. Es hat sich gezeigt, dass Strahlendosen von 35 bis 45 Gy die Produktion der Gonadotropine FSH und LH nachhaltig beeinträchtigen.
Prophylaxe durch OP
Je nach Alter der Patientinnen und Patienten gibt es verschiedene Maßnahmen, um die Gonaden zu schützen, die Fertilität zu erhalten oder wiederherzustellen (Tabelle 3).
Patientengruppe | ausgereifte Methoden | experimentelle Methoden | Zeitaufwand | Maßnahmen |
---|---|---|---|---|
präpubertäre Jungen | keine | Kryokonservierung von Hodengewebe | gering (< 1 d) | operative Gewebeentnahme |
präpubertäre Mädchen | keine | Kryokonservierung von Eierstockgewebe | gering (< 1 d) | operative Gewebeentnahme |
präpubertäre Mädchen oder erwachsene Frauen | Ovarien- Transposition (Oophoropexie) | keine | gering (< 1 d) | operative Verlagerung der Ovarien außerhalb des geplanten Strahlenfelds |
erwachsene Männer | Spermien-Kryo- konservierung | Kryokonservierung von Hodengewebe | gering (< 1 d) bis etwa eine Woche bei drei Ejakulaten mit 48 h Intervall | operative Gewebeentnahme oder Gewinnung des Ejakulats |
erwachsene Frauen | Embryo-Kryo- konservierung | Kryokonservierung von unbefruchteten Oozyten Kryokonservierung von Eierstockgewebe Ovarial-Inhibition | gering (< 1 d) bis zu drei Wochen bei Ovarial-Stimulation | operative Gewebeentnahme oder Follikelpunktion |
Die Gonaden sollten so weit wie möglich vor einer Bestrahlung geschützt werden. Bei Mädchen und Frauen, bei denen eine Bestrahlung des kleinen Beckens geplant ist, können die Eierstöcke vorübergehend operativ so verlagert werden, dass die gefährdeten Eizellen außerhalb des Strahlenfelds liegen. Dies kann der Arzt laparoskopisch machen. Allerdings werden dabei üblicherweise die Eileiter durchtrennt, sodass selbst nach der Zurückverlegung der Ovarien nur noch eine In-vitro-Fertilisation möglich ist.
Ist dies aufgrund einer Ganzkörperbestrahlung, beispielsweise zur Vorbereitung einer Knochenmarktransplantation, nicht möglich, können bei postpubertären Jungen/Männern und Mädchen/Frauen Spermien sowie Oozyten kryokonserviert werden.
Kryokonservierung von Spermien und Eizellen
Am besten etabliert ist die Kryokonservierung von Spermien vor einer zytotoxischen Therapie. Dafür werden möglichst drei Ejakulate im Abstand von 48 Stunden gesammelt.
Mehr Vorbereitungszeit erfordert die Kryokonservierung von Oozyten, die man erst nach einer ovariellen Stimulation in sinnvoller Menge gewinnen kann. In dieser Zeit darf natürlich keine zytotoxische Therapie stattfinden. Für die Stimulation bekommt die Frau für etwa acht bis zwölf Tage FSH; Anzahl und Größe der heranreifenden Follikel werden mittels Ultraschall verfolgt und der Estrogenspiegel kontrolliert. Nach einem hoch dosierten Stimulationsschema können die Ärzte meist mehr als zehn Oozyten per Punktion entnehmen.
Lebt die Frau in einer festen Partnerschaft, werden die Oozyten vor der Kryokonservierung mit Spermien des Partners – üblicherweise durch intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) – fertilisiert und im sogenannten Pronukleusstadium, also noch vor der Verschmelzung von weiblichem und männlichem Vorkern, tiefgefroren. Diese Verfahren bieten recht gute Erfolgschancen, sodass die Wahrscheinlichkeit einer späteren Schwangerschaft bei 18 bis 20 Prozent liegt.
Weniger Erfahrungen bestehen bei der Kryokonservierung unbefruchteter Oozyten, die bei Frauen ohne festen Partner durchgeführt wird. Jedoch sind die Labortechniken beim Einfrieren und Auftauen der empfindlicheren Oozyten inzwischen optimiert. Pro eingefrorener Eizelle liegt die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft nach ICSI bei 4 bis 5 Prozent.
Mitunter haben Frauen mit einem hormonabhängigen Krebs, zum Beispiel Brustkrebs, Angst, dass die ovarielle Stimulation das Wachstum Rezeptor-positiver Tumorzellen beschleunigen könnte. Diese Gefahr stufen Fachleute als gering ein. Zum einen haben die Frauen bis zum Beginn der Chemotherapie normalerweise auch höhere endogene Estrogenspiegel während des Menstruationszyklus. Der Estrogenspiegel wird durch die FSH-Stimulation nur kurzfristig etwas weiter gesteigert. Zum anderen zeigen Beobachtungen bei Frauen, die direkt nach der Behandlung eines Mammakarzinoms schwanger werden, dass das Rezidivrisiko nicht erhöht zu sein scheint.
Alternativ kann der Estrogenspiegel während der ovariellen Stimulation durch Gabe von Aromatasehemmern niedrig gehalten werden. Möglich ist ferner, unreife Oozyten ohne oder nach einer nur geringen FSH-Stimulation zu entnehmen. Die unreifen Oozyten werden dann in vitro zur Reife gebracht; es gibt allerdings noch nicht viel Erfahrung mit dieser In-vitro-Maturation (IVM). Erschwerend kommt hinzu, dass die Ärzte meist nur wenige Oozyten entnehmen können.
Bei Kindern vor der Pubertät kann vor einer Ganzkörperbestrahlung Hoden- oder Eierstockgewebe entnommen und kryokonserviert werden (Tabelle 3). Die Gewebe werden nach der Tumortherapie wieder implantiert und hormonell zum Wachstum angeregt. Allerdings befinden sich die Verfahren zur Kryokonservierung von Keimgewebe noch im Experimentalstadium. Die Erfahrungen sind begrenzt, aber vielversprechend.
Zu bedenken ist immer, dass bei der Re-Transplantation des Gewebes eventuell auch maligne Zellen, beispielsweise Leukämiezellen, zurücktransplantiert werden könnten.
Medikamentös geschützt
Einen weiteren Schutz der Ovarien vor einer Chemotherapie bietet die medikamentöse Blockade mithilfe von Agonisten des Gonadotropin-Releasing Hormons (GnRH). Die Idee dazu resultiert aus der Beobachtung, dass Zytostatika die Ovarien präpubertärer Mädchen deutlich weniger schädigen. Offensichtlich sind ruhende Eierstöcke weniger empfänglich für die toxischen Effekte der Chemotherapie.
Der »Trick« dabei ist, dass der GnRH-Agonist nicht pulsatil gegeben wird, wie das endogene Hormon normalerweise ausgeschüttet wird, sondern vielmehr kontinuierlich die Hypophyse stimuliert. Dadurch kommt es initial zur FSH-Freisetzung (»flare up«), was zu einer ovariellen Stimulation führt. Danach unterbleibt die FSH-Bildung und die Tätigkeit der Ovarien wird unterdrückt.
Aus diesem Grund sollte man mit der Gabe des GnRH-Agonisten idealerweise eine Woche vor der Chemotherapie beginnen. Empfehlenswert sind Depotpräparate, die monatlich oder alle drei Monate appliziert werden. Die supprimierende Wirkung sollte noch eine bis zwei Wochen nach der letzten Chemotherapie anhalten, um die Ovarien wirklich optimal zu schützen.
Schwanger nach einer Krebstherapie?
Wie steht es mit einer Schwangerschaft nach einer (erfolgreich abgeschlossenen) Krebstherapie? Wann ist – aus medizinischer Sicht – der richtige Zeitpunkt und besteht nicht die Gefahr eines Rezidivs durch die Schwangerschaft?
Leider lässt sich nicht völlig ausschließen, dass die zytotoxische Therapie eines Elternteils einen schädigenden Effekt auf die Nachkommen hat. Allerdings zeigen die bisherigen Studien mit zum Teil sehr vielen Teilnehmern keine statistisch signifikante Erhöhung des Risikos genetischer Erkrankungen bei Kindern, die etwa 1,5 Jahre nach Abschluss der Tumortherapie geboren wurden.
Rein reproduktionsbiologisch betrachtet, sollte die Frau nach Ende der Chemotherapie mindestens sechs Monate warten, da die Entwicklung der weiblichen Eizelle ungefähr so lange dauert. Bei der Spermiogenese rechnet man mit etwa drei Monaten. Onkologen empfehlen üblicherweise eine Wartezeit von zwei Jahren, da die meisten Rezidive in dieser Zeit auftreten. Wer diese Zeit gesund überstanden hat, kann die Familienplanung etwas beruhigter angehen.
Eine Ausnahme von der längeren Wartezeit sind Frauen, die an einem Endometriumkarzinom erkrankt sind. Gerade bei diesem Krebs wird üblicherweise – oft vorsichtshalber – die gesamte Gebärmutter und beide Eierstöcke entfernt. Als fertilitätserhaltende Alternative kann unter Umständen nur das Tumorgewebe hysteroskopisch entfernt werden, während die Gebärmutter und Eierstöcke erhalten bleiben. Dann kann eine Gestagentherapie für sechs bis zwölf Monate versucht werden. Spricht die Patientin darauf an, sollte sie möglichst schnell schwanger werden. Durch die hohe Gestagenkonzentration wirkt die Schwangerschaft gleichsam als natürliche Tumortherapie.
Eine andere Ausnahme sind Frauen, die nach einem Mammakarzinom Tamoxifen erhalten. Sie sollten die meist fünfjährige Hormontherapie zunächst abschließen, bevor sie schwanger werden. Allerdings ist diese lange Wartezeit für einige Patientinnen problematisch, weil sie dadurch eventuell ein Alter erreichen, in dem ihre Fertilität natürlicherweise sehr eingeschränkt ist.
Bisher deuten die Beobachtungsstudien an Frauen, die nach einem Mammakarzinom schwanger geworden sind, nicht darauf hin, dass die Schwangerschaft die Prognose negativ beeinflusst.
Tumortherapie in der Schwangerschaft
Was ist, wenn ein Tumor während einer Schwangerschaft diagnostiziert wird? Die Frau steht vor einem Gewissenskonflikt: In ihr wächst neues Leben, aber auch ein eventuell lebensgefährlicher Tumor. Früher galt die Eliminierung des Tumors als primäres Therapieziel; daher rieten die Ärzte häufig zu einem Schwangerschaftsabbruch. Inzwischen wird die Situation sehr viel differenzierter betrachtet.
Sorgfältige Überwachung: Eine Schwangerschaft bei einer Krebspatientin gilt als Risikoschwangerschaft.
Foto: AOK
Eine Chemotherapie, sei es vor (neoadjuvant) oder nach einer operativen Tumorentfernung (adjuvant), ist auch während einer Schwangerschaft möglich. Dabei sollte das zweite Trimenon abgewartet werden, da der Embryo während der Organentwicklung im ersten Trimenon extrem empfindlich auf Zytostatika reagiert. Dadurch kann es zu Fehlbildungen und Spontanaborten kommen. Eingesetzt werden meist ein Platin-Derivat (Cisplatin) in Kombination mit Cyclophosphamid, Paclitaxel oder Etoposid. In der Regel gilt die Schwangerschaft als Risikoschwangerschaft, wird engmaschig auch hinsichtlich des Tumors kontrolliert und mit einem Kaiserschnitt beendet. Dabei kann gegebenenfalls der solide Tumor mit entfernt werden.
Wichtig ist, dass eine Chemotherapie drei bis vier Wochen vor dem geplanten Geburtstermin unterbrochen wird, damit die Zytostatika noch über die Plazenta aus dem Feten eliminiert werden. Andernfalls könnten die Neugeborenen zu wenige neutrophile Granulozyten in ihrem Blut haben und dadurch anfälliger für Infektionen sein. Kinder, die intrauterin einer Chemotherapie ausgesetzt waren, sind meist zunächst leichter und kleiner. In Studien war die Fehlbildungsrate aber nicht erhöht. Die anfänglichen Wachstumsdefizite gleichen sich aus. Später sind keine Unterschiede in der Entwicklung und Lernfähigkeit zu beobachten.
Kinderwunsch ist erfüllbar
Die Diagnose Krebs ist immer ein Schock. Doch dank moderner Therapiekonzepte überleben viele Patienten. Allerdings sind die Therapieschemata so aggressiv, dass sie auch die Gonaden der Patienten nachhaltig schädigen können. Glücklicherweise gibt es verschiedene Optionen, die Fertilität trotz Chemo- und/oder Strahlentherapie zu erhalten. Wichtig ist, die Betroffenen frühzeitig und umfassend über die medizinischen Möglichkeiten zu informieren. Damit ein späterer Kinderwunsch kein Wunschtraum bleibt. /
<typolist type="1">
Zentrum für Krebsregisterdaten: Krebs in Deutschland 2007/2008. 8. Ausgabe 2012. www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Home/homepage_node.html
Datenbankabfrage. www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Home/Datenbankabfrage/datensaetze_gesamt_tabelle.html
Netzwerk für fertilitätsprotektive Maßnahmen bei Chemo- und Strahlentherapie. www.fertiprotekt.de
Fleischer, R. T., Vollenhoven, B. J., Weston, G. C., The Effects of Chemotherapy and Radiotherapy on Fertility in Premenopausal Women. Obstretical and Gynecological Survey 66 (2011) 248-254.
Ginsberg, J. P., The effect of cancer therapy on fertility, the assessment of fertility and fertility preservation options for pediatric patients. Eur. J. Pediatr. 170 (2011) 703-708.
Jensen, J. R., Morbeck, D. E, Coddington III, C. C., Fertility Preservation. Mayo Clin Proc. 86 (2011) 45-49.
Meirow, D., et al., Toxicity of Chemotherapy and Radiation on Female Reproduction. Clin. Obstetr. Gynacol. 53 (2010) 727-739.
Meistrich, M. L., Male Gonadal Toxicity. Pediatr. Blood Cancer 53 (2009) 261-266.
Zanetti Dällenbach, R., Lapaire, O., Fertilitätserhalt und Schwangerschaft bei gynäkologischen Malignomen. Therap. Umschau 68 (2011) 573-580.
Ilse Zündorf studierte Biologie von 1984 bis 1990 an der Universität Erlangen. Nach einem Forschungsaufenthalt an der University of Kentucky, Lexington, USA, wurde sie 1995 am Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Frankfurt am Main promoviert. Zunächst als Akademische Rätin, seit 2001 als Akademische Oberrätin arbeitet sie am Institut für Pharmazeutische Biologie der Goethe-Universität, Frankfurt. Ihre Forschungsthemen betreffen Herstellung und Charakterisierung monoklonaler Antikörper gegen Proteine und Naturstoffe, Herstellung und Modifikation rekombinanter Antikörperfragmente sowie die Etablierung von zellulären Testsystemen zur Wirkstoffsuche.
Dr. Ilse Zündorf, Institut für Pharmazeutische Biologie, Biozentrum, Max-von-Laue-Str. 9, 60438 Frankfurt am Main, E-Mail: Zuendorf(at)em.uni-frankfurt.de