Weihrauch, Myrrhe, schwarzes Gold |
06.06.2008 10:26 Uhr |
Weihrauch, Myrrhe, schwarzes Gold
Von Bettina Sauer, Oman
Einst blühte der Oman durch den Handel mit Duftwaren und anderen Kostbarkeiten, heute beschert ihm das Erdöl neuen Reichtum. Das Sultanat entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten rasant, ohne seine arabischen Traditionen aufzugeben. Davon konnten sich die Teilnehmer der PZ-Leserreise Anfang April mit eigenen Augen überzeugen.
Das Ziel der Reise liegt am Ende der bewohnten Welt. Hierher, wo Hochgebirge in Steinwüste übergeht, gelangen Menschen nur noch zu Fuß, auf dem Kamel oder neuerdings im Jeep. Hier präsentiert die Region Dhufar im Süden Omans ausschließlich staubige Steinplatten, Kies und Schotter. Kaum ein Pflänzchen schafft es, der Gluthitze zu trotzen – bis auf einen mächtigen, etwa 200 Jahre alten Weihrauchbaum.
Starke Äste winden sich aus dem knorrigen Stamm mit der abblätternden Rinde, treiben Hunderte frischer Blättchen, die zart gelb-grün im Sonnenlicht leuchten und ein Schattennetz auf den staubigen Steinboden malen. Südarabische Weihrauchbäume (Boswellia sacra) brauchen diese Extrembedingungen, lassen sich weder züchten noch verpflanzen. Um dieses Naturwunder zu erleben, sind Apothekerinnen und Apotheker unter Leitung des PZ-Chefredakteurs, Professor Dr. Hartmut Morck, in die unendlich leere Landschaft gefahren.
Oman heißt viel Natur und wenig Mensch. Das Land im Südosten der arabischen Halbinsel misst etwa 309.500 Quadratkilometer, nicht viel weniger als Deutschland. Doch hier leben nur knapp drei Millionen Menschen, davon etwa 700.000 ausländische Gastarbeiter. Die meisten wohnen in den fruchtbaren Tiefebenen an der Küste, besonders in und um die omanische Hauptstadt Masqat. Kaum besiedelt sind dagegen die wild zerklüfteten staubtrockenen Gebirgsketten, die hinter den Küsten aufragen und zum Landesinnern hin in Schotter-, Salz- und Sandwüsten übergehen. Diese bedecken etwa 80 Prozent Omans – lebensfeindliche Glutöfen und Schatzkammern in einem. Denn dort liegen die Ölfelder, denen das Land seinen Reichtum verdankt.
Die Geschichte des »schwarzen Goldes« reiche viele Millionen Jahre zurück, berichtete der PZ-Chefredakteur in einem Seminar. »Damals sanken tote Meereslebewesen auf den Grund. Sie wurden von weiteren Schlammschichten bedeckt, vom Sauerstoff abgeschlossen und unter hohen Drücken und Temperaturen durch anaerobe Bakterien zu Erdöl und Erdgas umgewandelt.« Rohöl bestehe aus mindestens 500 meist organischen Komponenten. In Raffinerien wird es mithilfe gewaltiger Destillierkolonnen in Fraktionen aufgetrennt und weiterveredelt – Basis des heutigen Wohlstands und Motor des Fortschritts im Oman.
»Der Oman entwickelt sich in die Moderne, ohne dabei seine arabische Tradition zu verlieren«, sagte der Reiseleiter und Orientwissenschaftler Heiner Walther aus Kabelsketal in Sachsen-Anhalt. Wolkenkratzer etwa werde es hier wohl nicht geben. Und die Omani würden sicherlich weiterhin die altarabischen Bräuche und Feste pflegen und sich traditionell kleiden: die Männer mit einer Tunika (Dishdasha) und dazu einem Turban oder einer bestickten Kappe (Kumma), die Frauen meist mit einem dünnen schwarzen Umhang (Abaja) über ihrer Kleidung und einem Tuch, das sie um Hals und Haare schlingen. »Und wie in früheren Zeiten sitzen die Omani in ihrer Freizeit am liebsten zusammen, um sich zu unterhalten, Tee zu trinken, Karten- oder Brettspiele zu machen.«
Weihrauchbäume anzapfen
Mussallem, der Leiter der Jeep-Exkursion in einer hellen Dishdasha, klettert mit zwei, drei geschmeidigen Bewegungen auf den Weihrauchbaum und wendet sich an die Reisegruppe zu seinen nackten Füßen. »Ab Ende März produzieren Weihrauchbäume den ganzen Sommer über Harz.« Er weist einen seiner Begleiter an, mit dem verzierten Silberkrummdolch die Rinde flach anzuritzen. Ein zäher weißer Saft tritt aus. »Der ist wertlos«, sagt Mussallem, »in etwa drei Wochen wird er abgeschabt.« Dann komme das eigentliche Weihrauchharz, das Olibanum, zum Vorschein, das sich im Dreiwochentakt ernten und in der heißen Steinwüste trocknen lässt.
Der deutsche Name der Beinwell-Pflanze verrät ihre langjährige medizinische Nutzung: »Bein« bedeutete früher Knochen, »wallen« soviel wie zusammenwachsen, berichtete Apothekerin Dr. Christiane Staiger von der Firma Merck bei einem Seminar. »Seit über 2000 Jahren findet Beinwell medizinische Verwendung, etwa bei Erkrankungen von Muskeln und Gelenken.«
Beinwell (Symphytum officinale) gehört zur Familie der Raublattgewächse und enthält etwa 1 Prozent Allantoin, 30 bis 50 Prozent Schleim- und 4 Prozent Gerbstoffe. Laut Positivmonographie der Kommission E (1990) kann die Wurzel äußerlich bei Prellungen, Zerrungen und Verstauchungen zum Einsatz kommen, um Entzündungen zu lindern und die Neubildung des Knochengewebes anzuregen. Gegenanzeigen, Neben- und Wechselwirkungen seien nicht bekannt. Die Firma Merck wies die Wirksamkeit ihrer Beinwellpräparate in klinischen Studien nach, berichtete Staiger.
In einer Untersuchung an 142 Patienten über acht Tage linderte die topische Therapie mit Beinwellwurzelextrakten Schmerzen und Schwellungen nach einer Sprunggelenkdistorsion (Verdrehung) deutlich besser als Placebo. Eine zweite Studie mit ähnlichem Design an 164 Patienten belegte sogar, dass das Phytopharmakon in beiden Punkten mindestens so gut wirkte wie Diclofenac-Gel. Auch die Wirksamkeit bei schmerzhafter Arthrose des Kniegelenks ließ sich an 220 Patienten über drei Wochen nachweisen. Unter anderem sank unter Beinwell der Gesamtschmerz um 54,7 Prozent, mit Placebo um 10,7 Prozent. Möglicherweise lässt sich das Einsatzgebiet der alten Heilpflanze sogar erweitern, sagte Staiger.
»Die Bäume am Rand der Wüste erzeugen den besten Weihrauch, gelblich-weiß und klar.« Der dunkelste, trübste und damit minderwertigste Weihrauch stamme hingegen direkt von der Südküste mit ihrer verhältnismäßig hohen Luftfeuchtigkeit.
Der Weg dorthin führt über den Scheitelpunkt des Gebirges und weiter über eine Hochebene. Bis hierher gelangen im Sommer Monsunregen, deshalb breitet sich auf dem staubigen Boden das ganze Jahr ein Rasenschleier aus. Überall streifen Dromedare herum. Die einhöckrigen Kamele gehören Beduinen, zu deren Lehmhäuschen sie abends freiwillig zurückkehren, erzählt Mussallem. Er entstammt einer solchen Familie, einige Verwandte leben in der Hochebene. Unterwegs trifft er seine schwarz verschleierte Cousine, die Ziegen vor sich hertreibt. Manche Dromedare tragen etwas um die Brust, was der omanische Reiseleiter »BH« nennt und verhindert, dass die Kälber die ganze Milch ihrer Mütter alleine auftrinken. Die Besitzer wollen die Tiere schließlich noch melken. Die Beduinen nutzen Dromedare als Milch-, Fleisch- und Wolllieferanten sowie als Tragtiere.
Dromedare und Weihrauchbäume: Dieser Kombination verdankte Dhufar einst unermesslichen Reichtum. »Karawanen brachten den Weihrauch von den Erzeugern bis zum Mittelmeerhafen Gaza und ins syrische Damaskus«, berichtete der Apotheker und Pharmaziehistoriker Dr. Gerhard Gensthaler in einem Seminar. »70 bis 90 Tage brauchten die Dromedare für die rund 3200 km lange Strecke.« Die Hochphase der sogenannten Weihrauchstraße lag zwischen dem 5. Jahrhundert v. Chr. und 100 n. Chr., um dann bis etwa 600 n. Chr. immer mehr an Bedeutung zu verlieren. Hauptabnehmer waren Babylon, Ägypten, Griechenland und Rom, das zeitgenössischen Quellen zufolge bis zu 1700 Tonnen im Jahr verbrauchte.
Edler Rauch für die Götter
Viel Geld gaben die Menschen damals für das Olibanum-Harz aus, um es dann buchstäblich in Luft aufzulösen. »Räuchern symbolisiert Neubeginn und Reinigung«, sagte Gensthaler. »Und kulturübergreifend gilt der aufsteigende Rauch als Weg, um Gebete zum Himmel zu schicken und mit Göttern in Kontakt zu treten. Für die Rauchopfer sollte nur das Edelste dienen, wie etwa sinnlich duftender Weihrauch.« Bis heute sorgt er in der katholischen Kirche an Festtagen für Feierlichkeit.
Erstmals erwähnt wurde das Harz etwa 5000 v. Chr. in Schriften aus Mesopotamien, die Ägypter bezeichneten es als »Schweiß der Götter«, viele Legenden rankten sich darum. Unter anderem brachten die drei Weisen aus dem Morgenland dem Jesuskind Weihrauch, Gold und Myrrhe.
Myrrhenbäume (Commiphora-Arten) kommen übrigens auch auf der arabischen Halbinsel vor, unter anderem im Oman. Ähnlich wie Weihrauchbäume lassen sie aus der Rinde Harz austreten, das beim Verbrennen Wohlgerüche erzeugt und bis heute am Wildstandort gesammelt wird. Myrrhe und Myrrhentinktur für den medizinischen Einsatz stammen jedoch in erster Linie aus der Art Commiphora molmol, die vor allem in Somalia wächst.
Weihrauch dient ebenfalls als Heilmittel, und das seit Langem. »Die griechischen Ärzte Hippokrates, Celsius und Dioskurides kannten ihn als Mittel zum Reinigen und Verkleben von Wunden sowie gegen Schlaganfälle und Epilepsie«, sagte Gensthaler. »Diese Einsatzgebiete haben im Mittelalter das Lorscher Arzneibuch und die Mystikerin Hildegard von Bingen übernommen.«
Was im Weihrauch wirkt
Auch die moderne Medizin interessiert sich für das Pflanzenprodukt, wie Moritz Verhoff bei einem Seminar berichtete. Der Apotheker arbeitet am Institut für Pharmazeutische Chemie der Universität Tübingen bei Professor Dr. Oliver Wertz an seiner Dissertation. Die Arbeitsgruppe erforscht unter anderem die molekularen Wirkmechanismen des indischen Weihrauchs (Boswellia serrata), der in der ayurvedischen Medizin zur Linderung von Entzündungen dient.
Verhoff: »Mittlerweile belegen Tierexperimente und kleine klinische Studien positive Effekte bei entzündlichen Erkrankungen wie Arthritis, Colitis ulcerosa und Hepatitis, Allergien und Asthma, Schmerzen, erhöhten Blutfettwerten und Hirntumoren.« Meist kämen methanolische oder ethanolische Extrakte des Boswellia-serrata-Harzes zum Einsatz. Der bekannteste, ein indisches Fertigarzneimittel namens H15, ist in Deutschland nicht zugelassen, darf aber auf ärztliche Einzelverschreibung importiert werden.
Weihrauchharzextrakte enthalten über 60 Prozent Boswelliasäuren. »Diese pentazyklischen Triterpene scheinen die Wirkungen zu vermitteln«, sagte Verhoff. Als Hauptangriffspunkt galt bislang das Enzym 5-Lipoxygenase, das die Bildung entzündlicher Leukotriene katalysiert. Doch mit molekularbiologischen Methoden identifizierten Wertz und Kollegen kürzlich eine ganz neue Zielstruktur, nämlich Cathepsin G. Entzündungszellen setzen dieses eiweißspaltende Enzym frei, um Barrieren auf dem Weg zu ihrem Einsatzort zu beseitigen.
Mit Zellversuchen konnten Verhoff und Kollegen nachweisen, dass Boswelliasäuren Entzündungsreaktionen verhindern, darunter die Wanderung von Leukozyten. Und im Blut von Morbus-Crohn-Patienten ließ sich nach mehrwöchiger Gabe von Extrakten aus indischem Weihrauch eine Cathepsin-G-Hemmung nachweisen. »Grundsätzlich fehlen immer noch groß angelegte klinische Studien zur Wirksamkeit von Weihrauch«, sagte Verhoff. Eindringlich warnte er davor, Extrakte von unseriösen Anbietern über das Internet zu bestellen.
Die Wurzel der Handelsnation
Der antike Weihrauchhandel verlagerte sich infolge der verbesserten Schifffahrtstechnik ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. zunehmend auf den Seeweg. An der Küste Dhufars entstanden mehrere Hafenstädte, darunter Samaramm. Es liegt nahe der heutigen Provinzhauptstadt Salalah auf einem kargen sonnenüberfluteten Hochufer. Mauerreste aus rundlich behauenen Steinen umgrenzen die Ruinen der Hafenstadt, die ehemals dicht gedrängten Wohnhäuser, die Weihrauch-Lagerhallen und eine Tempelanlage.
Mit dichten, bodenlangen Kleidern und Kopfbedeckung schützen Omani ihre Haut vor der gleißenden Sonne. Besucher aus Deutschland greifen ergänzend zum Sonnenschutzmittel. Worauf es beim Sonnenschutz ankommt, erklärte Waltraud Gassmann, Apothekerin für Offizinpharmazie und Ernährungsberatung, bei einem von der Firma Stada Arzneimittel unterstützten Seminar.
Während energiereiches UV-B-Licht Sonnenbrand und Hautkrebs auslösen kann, gelangen die längerwelligen UV-A-Strahlen in die Lederhaut und bewirken vorzeitige Alterungsprozesse. Ähnliches gelte auch für Infrarot-A-Strahlen (IR-A) mit einer Wellenlänge von etwa 760 bis 1400 nm: »In der Leder- und Unterhaut aktivieren sie Mitochondrien zur Bildung reaktiver Sauerstoffspezies.« Dies führe letztlich zur Hochregulation des Enzyms Matrixmetalloproteinase-1 (MMP-1), das einen Abbau von Kollagenfasern und damit eine vorzeitige Hautalterung bewirke. Zu diesem Ergebnis gelangten Forscher um Professor Dr. Jean Krutmann, Direktor des Instituts für Umweltmedizinische Forschung der Universität Düsseldorf, 2002 an Bindegewebszellen. Das Team entwickelte Sonnenschutzpräparate mit Antioxidanzien, die sich in Mitochondrien anreichern und die Haut vor der IR-A-Strahlung schützen sollen. Gassmann: »Mittlerweile bestätigen Hautbiopsien menschlicher Testpersonen eine Erhöhung der MMP-1-Spiegel durch IR-A und die vorbeugende Wirkung der antioxidativen Sonnenschutzmittel.«
Beratungstipps der Referentin: Für empfindliche und nicht lichtgewöhnte Haut empfiehlt das Bundesamt für Strahlenschutz mindestens einen Lichtschutzfaktor von 15. Ansonsten mindestens doppelt so hoch wie die aktuelle Strahlungsintensität, also der UV-Index (www.uv-index.de). «Regionen, die viel Sonnenlicht abbekommen, wie Nase, Ohren, Schultern, Dekolleté oder Glatze, schützt man am besten mit Faktor 50.« Vor und während des Sonnenbads dürfe man nicht mit den Mitteln sparen. Ein schlanker Erwachsener solle etwa 25 ml auf seinem Körper verteilen, das ist etwa ein Schnapsglas voll.
Weit öffnet sich der Blick auf die Lagune, die einst einen geschützten Naturhafen bildete. Jetzt blockiert eine Sandbank die frühere Ausfahrt; wo die Schiffe lagen, stehen heute Flamingos. Über dem steinernen Zeugnis der Geschichte liegt ein Duft von wilden Kapern.
Einem bedeutenden Zeugnis. Denn hier befindet sich eine Wurzel der einstigen Seefahrer- und Handelsnation. Seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. knüpften und intensivierten die Bewohner Omans entsprechende Geschäftsbeziehungen, vor allem zu Ostafrika, Indien und China. Zur Blüte kam der omanische Seehandel durch den wachsenden Hunger der islamischen Welt und des Abendlands nach fernöstlichen Luxusgütern wie Seide, Gewürzen, Porzellan, Edelhölzern, -steinen und -metallen. Bis ins 19. Jahrhundert konnte der Oman (mit Höhen und Tiefen) durchaus mit den großen westeuropäischen Handelsmächten mithalten. Doch mit der Eröffnung des Suezkanals 1869 geriet das Land als Knotenpunkt ins Abseits, zumal seine Segelschiffe in der Konkurrenz mit den Hochseedampfern versagten.
Im Eiltempo in die Moderne
»Es folgten 100 Jahre, in denen der Oman auf das Niveau eines Entwicklungslandes abrutschte«, sagte Walther. 1970 gab es im ganzen Land nur ein einziges Krankenhaus, drei Knabenschulen, zehn Kilometer Teerstraße. Die Analphabetenrate betrug über 90 Prozent, die Lebenserwartung 48 Jahre. Verantwortlich war vor allem der seit 1932 regierende Sultan Said bin Taimur, wie Walther erklärte: »Er schirmte sein Land vom Rest der Welt ab und verhinderte jeden Fortschritt. Insbesondere alles Westliche hielt er für Teufelswerk.«
Sein 30-jähriger Sohn Qabus stürzte 1970 den Sultan und machte sich umgehend ans Modernisieren. Zur Finanzierung kurbelte er den vorher bescheidenen Erdölexport an. Heute gibt es über 10.000 km Asphaltstraße und 25.000 km unbefestigte Pistenstrecke, ein Netz von Kliniken und Ambulanzen, eine staatliche und mehrere private Universitäten sowie über 1000 Schulen, deren Besuch nichts kostet. »Das Gesetz garantiert auch allen omanischen Frauen den Zugang zu Bildung und Beruf«, sagte Walther. »Viele nutzen diese Möglichkeiten, zum Beispiel gibt es kaum noch männliche Lehrer.« Derzeit liegt die Analphabetenrate bei schätzungsweise 24 Prozent, die Lebenserwartung bei 70 Jahren.
Besichtigen lässt sich der Fortschritt vor allem im Norden des Landes, in der Hauptstadt Masqat. Vor 1970 war sie ein verschlafenes Nest mit teilweise stark verfallenen Gebäuden. Heute zieht sie sich 50 Kilometer an der Küste entlang, ein Meer weißer Neubauten, die mit arabischen Stilelementen spielen: Wehrhafte Zinnen schmücken die Dächer, Spitzbögen und Ziergitter die Fenster. Durch die Straßen schiebt sich dichter Verkehr, auf dem Meer schwimmen Tanker neben Luxusjachten.
Am Stadtrand liegt die Klinik der Sultan-Qabus-Universität. In deren Apotheke kümmern sich rund 50 Personen um die Arzneimittelversorgung, davon etwa 30 Apotheker. Die Männer arbeiten in blütenweißen Dishdashas, die Frauen in ebensolchen Kitteln.
Arzneiversorgung auf Omanisch
Die Ordnung des Arzneimittellagers erfolgt nicht alphabethisch, sondern nach Einsatzgebieten. »Auf diese Weise lassen sich die Bestellungen für die Stationen schneller zusammensuchen«, sagt Amna Al-Hashar, stellvertretende Apothekenleiterin in der Klinik. »Außerdem lernen die Studenten, die wir hier ausbilden, durch diese Ordnung leichter, welche Medikamente bei welchen Krankheitsbildern helfen.« Gesonderte Lagerorte gibt es für psychiatrische Arzneimittel und Betäubungsmittel. Aseptische Räume zur Zytostatika-Herstellung konnten die deutschen Apotheker ebenso besichtigen wie Büros, in denen klinische Pharmazeuten Literatur- und Datenbankrecherchen durchführen oder die Arzneimitteltherapie von Patienten überwachen.
Soweit bestehen viele Ähnlichkeiten zu deutschen Krankenhausapotheken. Doch als Besonderheit gibt es ein eigenes Arzneimittellager, um die Universitätsangestellten sowie ehemalige und ambulante Klinikpatienten zu versorgen. Die »Out Patients« sitzen auf Plastikstühlen in einem Wartesaal (Männer rechts, Frauen links) und können durch eine Glasscheibe zuschauen, wie die Apotheker die Auswahl und Dosierung der Arzneimittel auf den Rezepten überprüfen, dann die verordneten Mengen aus den Klinikpackungen holen, umpacken und etikettieren.
Wie alle staatlichen Gesundheitseinrichtungen bezieht die Klinikapotheke sämtliche Medikamente direkt vom omanischen Gesundheitsministerium. Dazu sendet sie einmal im Monat online eine Anforderung an das zentrale Lager in Masqat, einen flachen sandfarbenen Neubau mit dem üblichen Zinnenbesatz. Innen gehen von langen Fluren Lagerräume ab, in denen sich Kartons mit Medikamenten, Infusionslösungen, OP-Instrumenten und Krankenpflegeartikeln bis unter die Decke stapeln.
»Wir kaufen meist den ganzen Jahresbedarf auf einmal, zum Beispiel rund 24 Millionen Packungen Paracetamol«, sagt Apothekerin Jamila Al-Lawati, die den Bereich leitet und statt der Abaja einen Hosenanzug und ein schwarzes Kopftuch trägt. »Das verschafft uns eine gute Verhandlungsposition bei den ausländischen Pharmafirmen und spart Kosten beim Verschiffen.« Mitarbeiter dokumentieren ihren Worten zufolge jede eingehende Charge und überprüfen sie im Qualitätslabor.
Die medizinischen Leistungen und Medikamente der staatlichen Gesundheitseinrichtungen sind für Omani kostenlos. Medikamente aus den nicht-staatlichen Apotheken müssen sie allerdings aus eigener Tasche zahlen.
Dattelpalmen und alte Festungen
Masqat liegt in der fruchtbaren Batinah-Ebene, zu Füßen des al-Hadjar-Gebirges. Über diese Region wachten einst Hunderte gelblicher Lehmfestungen, die teils schon auf die vorislamische Zeit zurückgehen. Sie ähneln einander und zählen zu den wenigen baugeschichtlichen Zeugnissen im Oman. Doch sind die meisten in den letzten Jahrhunderten stark verfallen.
Sultan Qabus ließ einige nach altem Muster völlig neu wiederaufbauen. Zum Beispiel die Festung Nakhl, die auf einem Hügel in der Batinah-Ebene liegt. Von ihrem Dach mit dem Zinnenkranz reicht der Blick bis zum al-Hadjar-Gebirge, einer Kette aus braunem, manchmal auch schwarzem, eisenrotem oder kupfergrünem Felsgestein, tief zerklüftet und vollkommen kahl.
Über neue Therapien der rheumatoiden Arthritis berichtete PZ-Chefredakteur Professor Dr. Hartmut Morck. »Seit Kurzem wissen wir, dass ein Missverhältnis zwischen Botenstoffen des Immunsystems die Entzündungs- und Zersetzungsprozesse des Knorpels unterhält«, sagte er. »Moderne antirheumatische Therapien nutzen diese Erkenntnis und versuchen, das Gleichgewicht der Botenstoffe wieder herzustellen.«
Seit acht Jahren steht der chimäre Antikörper Infliximab zur Verfügung. Er enthält einen humanen und einen murinen Anteil, bindet den Immunbotenstoff Tumor-Nekrose-Faktor-a (TNF-α) und hindert diesen daran, seine Rezeptoren zu aktivieren. Dadurch bleiben nachgeschaltete Entzündungsreaktionen aus, zum Beispiel die Produktion und Freisetzung von Interleukinen (IL) und die Einwanderung weißer Blutkörperchen. Klinische Studien belegen eine gute Wirksamkeit und Verträglichkeit. Allerdings scheint Infliximab, vor allem in der Monotherapie bei Morbus-Crohn-Patienten, das Risiko für Krebserkrankungen zu erhöhen. Ähnlich wirksam und verträglich sind Morck zufolge die beiden neueren TNF-α-Antagonisten, das Fusionsprotein Etanercept und der vollständig humanisierte TNF-α-Antikörper Adalimumab.
Eine bessere Verträglichkeit als Infliximab bei ähnlicher Wirksamkeit zeigen zwei Biologicals mit abweichenden Angriffspunkten, die beide in Kombination mit Methotrexat bei rheumatoider Arthritis zugelassen sind. Anakinra, ein rekombinanter humaner IL-1-Rezeptorantagonist, wirkt den entzündlichen und knorpelschädigenden Wirkungen des Zytokins entgegen. Es verhindert unter anderem die Aktivierung von Makrophagen, Osteoklasten und Fibroblasten. Weiterhin steht seit 2007 das Fusionsprotein Abatacept zur Verfügung. Es besteht aus einem humanen IgG-Fragment und der extrazellulären Domäne des T-Lymphozyten-Antigens 4 (CTLA-4). Abatacept unterbricht die Aktivierung der T-Zellen und dämpft damit die überschießende Immunantwort bei rheumatoider Arthritis.
Den Raum zwischen Festung und Gebirgsausläufern füllt ein Meer aus Dattelpalmen. Dort treten heiße Quellen und Bewässerungskanäle aus dem Erdreich und schenken dem Land eine Oase. Ziegenmeckern klingt herauf, ein Kinderlachen und dann der Ruf eines Muezzins zum Mittagsgebet.
Schätzungsweise acht Millionen Dattelpalmen wachsen im Oman. Datteln sind nahrhaft, enthalten viele Vitamine und Mineralien und lassen sich in dem heißen Klima lange lagern. Getrocknet bildeten sie früher das wichtigste Nahrungsmittel für Omani, die durch die Wüsten zogen oder die Weltmeere durchquerten.
Doch dienten die Pflanzen auch als Baumaterial, wie die Besucher im Innern der Festung sehen. Dort bestehen die meisten Decken aus Palmzweiggeflecht, gestützt von schweren Balken aus Palmenholz. Auch sonst ist die Festung traditionell omanisch eingerichtet. In den schmalen Räumen liegen Kissen, Teppiche und geflochtene runde Korbmatten, hängen Öllampen und Wasserbehälter aus Kamelleder. In einem Raum finden sich an allen Wänden Gemälde mit Pfauen, Palästen oder Sonnenaufgängen in Pastelltönen. Eins davon, genau über der Tür, zeigt den prächtig gekleideten Sultan Qabus.
Sultan Qabus ist überall. Er lächelt mild von Geldscheinen, von Gemälden in Museen, Hotellobbys und Banken. Nach ihm heißt nicht nur die staatliche Universität, sondern auch die Hauptmoschee, die Autobahn, ein Hafen in Masqat. Er ließ sie allesamt erbauen, ebenso wie mehrere Paläste, leitet das Kabinett und das Heer, erlässt sämtliche Gesetze und Verordnungen. Ein Parlament gibt es nicht, auch keine politische Parteien oder Gewerkschaften. Doch hat der Sultan einen »Rat von Oman« als Volksvertretung eingesetzt und 1996 eine Verfassung erlassen.
Schwarzes Gold und Gas
»Monarchien sind im arabischen Raum durchaus üblich«, sagt Walther, »denn sie stehen in der Tradition der früheren Stammesführerschaften. Außerdem lieben die Omani ihren Sultan. Sie betrachten ihn als einen gütigen Vater, der alle am Reichtum teilhaben lässt.«
Bis heute stützt sich dieser vor allem auf den Erdölexport, der schätzungsweise 75 Prozent der Staatseinnahmen ausmacht. Doch Erdöl bietet mehr als nur Kraftstoff und Heizmaterial. »Es bildet den Rohstoff für Kunst- und Farbstoffe, Textilfasern, Wasch- und Düngemittel sowie für Medikamente«, berichtete Morck in einem Seminar. Aus Erdöl gewonnenes Phenol etwa diene als Ausgangsstoff für Acetylsalicylsäure. »Das Europäische Arzneibuch enthält Monographien für weitere, arzneilich bedeutsame Erdölkomponenten.« Demnach dient Pentan als Reagenz, Petrolether als Reagenz und Lösungsmittel, Benzin als Lösungsmittel, Paraffin, Hartparaffin und Vaselin unter anderem zur Herstellung von Salben. Als »erdölnah« stufte Morck das in Teersalben enthaltene Ammoniumbituminosulfonat ein.
»Der Erdölbedarf wächst, während die Reserven sinken«, mahnte Morck. »Die Importländer müssen nach Alternativen suchen und die Exportländer dringend überlegen, wie sie ihr Bruttoinlandsprodukt auch ohne Öl aufrechterhalten.«
Das hätten die Omani bereits getan, ergänzt Walther. »Sie erschließen verstärkt ihre Erdgasreserven, die ihnen noch lange eine gute Existenz sichern dürften. Weiterhin öffnen sie ihr Land seit zehn Jahren behutsam dem Tourismus und bemühen sich, Industrie und ausländische Unternehmen im Oman anzusiedeln.«
Zur Schaffung von Arbeitsplätzen diene die »Omanisation«, die Reservierung ganzer Berufszweige für Omani. Schon heute dürfen keine Gastarbeiter mehr in den Behörden, als Bus- oder Taxifahrer arbeiten. Sie schuften aber weiterhin im Straßenbau, auf Großbaustellen, in Häfen und Fabriken, in der Touristik- und Hotelbranche und in vielen kleinen Dienstleistungs- und Handwerksbetrieben.
Sehr stark vertreten sind sie zudem noch im Handel. Das zeigt sich zum Beispiel auf dem Markt von Salalah, der Provinzhauptstadt des südomanischen Dhufar. Indische und pakistanische Händler wedeln mit Pashima-Schals, Uhren und Parfumflakons. Doch die Touristen zieht es eher zu den Ständen der südomanischen Frauen, die ihre Füße und Hände mit rot-braunen Mustern aus Henna bemalt haben. Über der Abaja tragen sie einen schwarzen Schleier, der nur die Augen freilässt. Wenn sie lachen (und sie lachen viel mit den Touristen), dann zeigt sich das an den fröhlichen Falten um ihre Augen.
Die Händlerinnen bieten nach geheimen Familienrezepten hergestellte Duftmischungen, Myrrhe, Weihrauch und selbstbemalte Weihrauchbrenner aus Ton an. Eine der Frauen zeigt, wie sie funktionieren. Mit einer Zange legt sie ein Stück glühende Kohle auf einen Brenner, darüber streut sie ein paar Körnchen Weihrauch. Und da steigt er auf: ein Duft wie aus 1001 Nacht, wie zu Ostern in der Kirche oder in den Tempeln fremder Götter. Ein Duft wie vor Tausenden von Jahren.
Bettina Sauer hat in Marburg Pharmazie studiert und erhielt 1999 die Approbation als Apothekerin. 2003 wurde sie am Institut für Pharmazie (Pharmakologie) der Freien Universität Berlin promoviert. Anschließend absolvierte sie ein Aufbaustudium Wissenschaftsjournalismus an der Freien Universität Berlin. Nach mehrjähriger Berufstätigkeit als Medizin- und Pharmaziejournalistin in München arbeitet sie seit Juli 2007 als Redakteurin im Hauptstadtbüro der Pharmazeutischen Zeitung, vor allem für die Ressorts Pharmazie und Medizin.
E-Mail: sauer@govi.de