Bilder und Stimmen im Kopf |
29.05.2018 10:38 Uhr |
Von Nicole Schuster / Halluzinationen werden meist mit neurologischen Erkrankungen wie Psychosen in Verbindung gebracht. Aber auch völlig Gesunde können Sinnestäuschungen haben. Oft handelt es sich dabei um vorübergehende Phänomene, deren Ursachen harmlos sind. Bei Leidensdruck oder funktionellen Beeinträchtigungen ist ärztliche Hilfe erforderlich.
Wer halluziniert, nimmt etwas wahr, für das es keinen äußeren Sinnesreiz gibt. Betroffene kommen sich manchmal ähnlich vor wie in dem bekannten Kinderspiel »Ich sehe was, was du nicht siehst«. Anders als in dem Spiel, ist es bei ihnen aber in vielen Fällen eine angstmachende Erfahrung.
Stimmen zu hören, die nicht real sind, kann sehr beängstigend sein. Es ist aber nicht immer ein Hinweis auf eine psychische Erkrankung.
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Wer etwas sieht oder hört, für das es keinen externen Reiz gibt, wird schnell für »verrückt« gehalten. Professor Dr. Peter Falkai, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum München und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin, beruhigt im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung: »Ein psychotisches Erleben, etwa die Vorstellung, es gehe jemand neben mir, haben 10 bis 15 Prozent der Menschen hin und wieder. Das ist nicht zwangsläufig ein Hinweis auf eine Schizophrenie.«
Oft organische Ursachen
Je nach Sinnesmodalität sind verschiedene Halluzinationen zu unterscheiden. Bei optischen Trugwahrnehmungen sieht der Patient in der Realität nicht vorhandene, ungeformte Erscheinungen wie Lichtblitze oder auch Objekte beziehungsweise Menschen. Selten kann er sogar ganze Szenen erleben. Bei akustischen Halluzinationen ist das Hören von Geräuschen, Musik oder Stimmen – einer oder mehreren – typisch. Die Stimmen können miteinander sprechen oder eine einzelne mit imperativem Charakter kann Befehle geben. Auch kommentierende und lobende Stimmen kommen vor. Meistens im Rahmen einer schizophrenen Psychose treten den Geruchs- oder den Geschmackssinn betreffende, also olfaktorische beziehungsweise gustatorische, Halluzinationen auf. Ein typisches Phänomen ist die Wahrnehmung von Verwesungsgeruch. Auch der Tast- und Tiefensinn in Haut und Muskeln können betroffen sein. Menschen spüren dann Berührungen oder Empfindungen auf der Haut oder im Körperinneren, etwa ein inneres Brennen oder das Bewegen von Organen.
»Bei Halluzinationen handelt es sich um eine neuronale Enthemmung im Gehirn«, erklärt der Experte. »Informationen, die sich eigentlich im Gedächtnisspeicher befinden sollten, geraten dabei ungefiltert ins Bewusstsein.« Anders als bei Wahrnehmungen mit vorhandenem Reiz aus der Umwelt, gestaltet das Gehirn bei Halluzinationen also die Sinnesempfindung aus dem Inneren heraus. Die Ursachen dafür können recht harmlos sein. »Viele Menschen kennen sogenannte hypnagoge Halluzinationen. Sie entstehen beim Übergang vom Wachsein zum Schlaf oder beim Aufwachen.« Auch beim Meditieren können sie auftreten. In intensiven Trauerphasen kann es vorkommen, dass man die verstorbene Person sieht oder hört.
Erleidet der Körper einen Mangel, zum Beispiel an Flüssigkeit, wichtigen Mineralien oder Vitaminen, geraten ebenfalls Nervenaktivitäten durcheinander. Auch einige Tage ohne REM-Schlaf können Halluzinationen auslösen. Das Gleiche gilt für Hypoglykämien. Auch hohes Fieber kann bekanntermaßen Wahnvorstellungen auslösen. Weitere organische Ursachen sind Hormonstörungen, bestimmte Immunerkrankungen wie systemischer Lupus erythematodes oder andere genetisch bedingte Krankheiten wie die Kupferspeicherkrankheit Morbus Wilson.
Neben diesen sekundär das Gehirn beeinträchtigenden Krankheiten gibt es auch auslösende Störungen, die das Gehirn direkt betreffen, etwa Epilepsien – hier können Halluzinationen einem Anfall vorausgehen –, Demenzen, Chorea Huntington oder die parkinsonähnliche Lewy-Körper-Krankheit. Gehirnentzündungen, Tumore oder Verletzungen des Hirns sowie Infektionskrankheiten, die wie Syphilis oder Aids auf das Gehirn übergehen, können ebenfalls Trugwahrnehmungen hervorrufen. Einige Patienten, die einen Schlaganfall in der Krankheitsgeschichte haben, halluzinieren danach hin und wieder. Optische Sinnestäuschungen können infolge von Schäden an den Sehnerven oder an der Sehbahn im Gehirn auftreten, sind aber auch als Phänomen bei spät erblindeten Menschen bekannt. Ertaubte Menschen indes können akustische Halluzinationen haben.
Legale und illegale Halluzinogene
Wissenschaftler haben in Experimenten gezeigt, dass sich durch Isolation in einer abgedunkelten und schalldichten Umgebung durch Reizentzug Halluzinationen auch bei völlig Gesunden innerhalb kurzer Zeit erzeugen lassen. Durch die Einnahme bestimmter Drogen, aber auch einiger Arzneimittel können durch fehlgeleitete Nervenimpulse ebenfalls Inhalte aus dem Gedächtnis ins Bewusstsein gelangen und Sinnestäuschungen entstehen. Die entsprechenden Substanzen beeinflussen die Konzentration und Freisetzung von für die Übertragung von Nervenreizen wichtigen Transmittern wie Dopamin, Serotonin und Noradrenalin.
Zu den auslösenden Arzneimitteln zählen unter anderem Parkinson-Medikamente, Anticholinergika, verschiedene Antidepressiva, bestimmte Neuroleptika, über längere Zeit angewendete Cortisonpräparate sowie Herzglykoside. Zu den Halluzinogenen zählen weiterhin Cannabis, Kokain, LSD, Pilzgifte, Designerdrogen aus der Gruppe der Amphetamine (Speed oder Crystal Meth), sowie die sogenannten Legal Highs, bekannt als Badesalze oder Kräutermischungen. Bei ihnen können nicht nur nach der Einnahme, sondern auch während eines Entzugs Halluzinationen auftreten.
Halluzinationen können aber eben auch das Symptom von psychischen Erkrankungen sein, etwa von Psychosen des schizophrenen Formenkreises. Bei diesen Patienten ist der Bezug zur Realität gestört und sie leiden unter verschiedenen Arten von Wahnvorstellungen. Ihr Erleben der Wirklichkeit unterscheidet sich während einer psychotischen Episode von dem der anderen Menschen, wobei sie aber ihre Wirklichkeit für real halten.
Behandlung bei Leidensdruck
Bei Halluzinationen versucht der Arzt durch körperliche Untersuchungen die Ursache für die Sinnestäuschungen zu entdecken.
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»Einen Krankheitswert erhalten Halluzinationen, wenn Patienten durch sie Funktionsbeeinträchtigungen erleiden«, erklärt der Psychiater. »Das ist oft der Fall, wenn sie tagsüber bei vollem Bewusstsein wiederkehrend auftreten und Betroffene sie als verwirrend, angstmachend oder bedrohlich empfinden.« Auch das Gefühl, imperativen Stimmen im Kopf Folge leisten zu müssen, ist ein Alarmzeichen. Betroffene sollten sich ihrem Hausarzt anvertrauen.
In der Anamnese versucht der Mediziner die Ursache der Trugwahrnehmungen herauszufinden und führt dann eine körperliche Untersuchung und gegebenenfalls weitere Tests, etwa der Sprache oder des Gedächtnisses, durch. Treten gleichzeitig Symptome wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen oder Krämpfe auf, deutet das auf eine organische Ursache hin. Je nach Befund wird der Allgemeinmediziner an einen geeigneten Facharzt überweisen, etwa an einen Psychiater oder an einen Neurologen.
Die Behandlung richtet sich nach der Ursache. Liegen eine organische Grunderkrankung oder ein Substanzmissbrauch vor, entscheidet der Arzt über eine geeignete Therapie beziehungsweise ermutigt zum kontrollierten Entzug. Patienten, bei denen es keine organische Ursache gibt und deren Sinnestäuschungen nicht durch Halluzinogene verursacht sind, müssen oft lernen, mit den Stimmen im Kopf oder den Trugbildern zu leben. Eine konsequente medikamentöse Therapie kann die Symptome reduzieren oder bestenfalls sogar ganz beseitigen. Bei der Krankheitsbewältigung hilft eine begleitende Psychotherapie. /
Selten treten Sinnestäuschungen als Symptom bei einem akuten Schlaganfall auf. Bei weiteren Anzeichen wie einer einseitigen Lähmung, Sprach- oder Sehstörungen und starken Kopfschmerzen zählt jede Sekunde. Über den Notruf 112 den Rettungsdienst verständigen und den Verdacht auf einen Schlaganfall melden.