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Pharmacon Meran

Was wird aus Deutschland?

30.05.2011  18:30 Uhr

Von Daniel Rücker, Meran / Selten war ein Referent des Pharmacons Meran so umstritten wie Thilo Sarrazin. Heftige Proteste waren befürchtet worden, sogar Störaktionen wurden nicht ausgeschlossen. Am Ende blieb es aber friedlich im Kongresssaal. Ein Teil der Zuhörer klatschte Beifall, andere Pharmacon-Teilnehmer sahen sich in ihrer Abneigung bestätigt. In jedem Fall war die Veranstaltung deutlich unaufgeregter als die Diskussion im Vorfeld.

Mit seinem Buch »Deutschland schafft sich ab« hat der ehemalige Berliner Finanzsenator und Ex-Bundesbankvorstand die Nation in Aufruhr versetzt. Darin geht es zu einem erheblichen Teil um Sachverhalte, die vollkommen unbestritten sind und im Kern auch nicht Resultat eigener intellektuellen Arbeit. Garniert werden sie aber mit einigen Aussagen, die provozieren und polarisieren. So verhielt es sich auch mit seinem Vortrag in Meran.

»Deutschland wird kleiner, älter, dümmer und fremder«, ist seine Ausgangsthese. Die beiden ersten Attribute haben wahrscheinlich bei keinem Zuhörer Widerspruch hervorgerufen. Es ist voll­kommen unzweifelhaft, dass die demografische Entwicklung in Deutschland eines der größten Probleme unseres Landes ist. Wenn Frauen nur noch durchschnittlich 1,4 Kinder bekommen, dann hat das für die Wirtschaft, die sozialen Sicherungssysteme und natürlich auch für die Politik erhebliche Konsequenzen. Und wenn gleichzeitig die Menschen immer älter werden, dann verschärft dies den Trend.

 

Kein Szenario für innovative Politik

 

Im Jahr 1964 wurden noch 1,4 Millionen Kinder geboren, sagte Sarrazin, 2009 waren es nur noch 660 000. Das Durchschnittsalter in Deutschland liegt heute bei 44 Jahren. Es werde bis 2030 auf 50 Jahre steigen. Der Median wird dann noch höher liegen, nämlich bei 56. Das Durchschnittsalter der Wahlberechtigten steigt sogar auf 62 Jahre. Das ist kein Szenario für eine innovative Politik, sagte Sarrazin. Zukunftsfähige Lösungen langfristiger Probleme werden dann für auf Wiederwahl bedachte Politiker höchstens noch eine untergeordnete Rolle spielen.

 

So weit, so unbestritten. Für seine Ausführungen zu den Attributen »dümmer« und »fremder« hat Sarrazin in den Medien viel Kritik einstecken müssen. Und auch beim Pharmacon Meran konnte er viele Zuhörer nicht überzeugen. Seine These »die Deutschen werden dümmer« basiert auf zwei Voraussetzungen: Frauen mit niedriger Bildung haben in der Regel Partner mit ebenfalls niedriger Bildung und bekommen mehr Kinder als Paare mit höherer Bildung. Auch dies lässt sich laut Sarrazin mit Zahlen belegen. Danach bekommen Frauen ohne Schulabschluss im Durchschnitt 1,83 Kinder, Hochschulabsolventinnen nur eins.

 

Sarrazin: Geistiges Potenzial in Gefahr

 

Hier kommt Sarrazins zweite These ins Spiel, dass Intelligenz vornehmlich genetisch determiniert sei. Die Konsequenz aus all dem ist klar: In einer ohnehin schrumpfenden Gesellschaft nimmt die Zahl der Intelligenten, die das Land voranbringen könnten, überproportional schnell ab. Das geistige Potenzial der Gesellschaft sinkt. Dass dieser Prozess bereits vor vielen Jahren begonnen hat, belegt Sarrazin auch mit den mäßigen Ergebnissen der Pisa-Untersuchungen, in denen sich Deutschland mit unbefriedigender Regelmäßigkeit im Mittelfeld aufhält. Zum selben Ergebnis kommt ein von Sarrazin zitierter Bildungstest der BASF, dessen Ergebniskurve seit vielen Jahren kontinuierlich nach unten zeigt.

 

Sorgen macht sich Sarrazin auch über die geringe Bereitschaft von Abiturienten, Naturwissenschaften, Mathematik oder Ingenieurswissenschaften zu studieren. Aus diesen Gebieten kämen die Innovationen, die ein Land wettbewerbsfähig machten, sagt er.

 

Die heftigste Schelte erntete Sarrazin in den vergangenen Monaten für Thesen, die er im Zusammenhang mit dem Attribut »fremder« aufstellte. In seinem Meraner Vortrag stellte er seinen Ausführungen die Aussage voran, Migration sei nichts Schlechtes. Es habe sie immer gegeben und es werde sie auch immer weiter geben. Sein Vorwurf an Deutschland ist überspitzt formuliert, dass man die falschen Migranten bekomme. Während es in Länder wie USA, Schottland, Kanada oder Irland vor allem Mensches aus Ostasien (China, Vietnam, Indien) zog, kamen nach Deutschland, Österreich oder in die Schweiz viele Türken und Araber oder Menschen aus anderen moslemischen Ländern wie Pakistan.

 

Menschen dieser Herkunft schnitten jedoch bei den Pisa-Studien unterdurchschnittlich ab, während die Ostasiaten die Spitzenplätze unter sich ausmachten. Folglich profitierten deren Zielländer von der Migration stärker. Unerwähnt ließ Sarrazin allerdings, dass sich die vermeintlich ungünstigere ethnische Zusammensetzung der Migranten bislang nicht im wirtschaftlichen Erfolg der deutschsprachigen Länder widerspiegelt.

 

Unter zumindest partieller Missachtung seiner These, Intelligenz sei vornehmlich genetisch determiniert, sieht Sarrazin in der islamischen Kultur die Klammer für das schlechte Abschneiden von Türken, Marokkanern oder Pakistani bei Pisa-Tests. Der Islam als Religion trage zwar keine Schuld, aber überall dort, wo sich Kulturen mischten, stünden die Moslems am unteren Ende der Gesellschaft. Es gebe natürlich große Wissenschaftler unter den Moslems, dennoch prägten Kulturen den Menschen und setzten der Gestaltungsfähigkeit Grenzen.

 

Das Problem der weniger intelligenten Migranten treffe Deutschland auch deshalb so hart, weil es durch die demografische Entwicklung verschärft werde. Moslemische Frauen hätten nämlich eine höhere Geburtenrate als deutsche. Sie bekommen durchschnittlich zwei Kinder. Unterstelle man zusätzlich eine kontinuierliche Migration von 100 000 Moslems nach Deutschland würden nach drei Generationen 71 Prozent der Neugeborenen in Deutschland von moslemischen Frauen geboren. Die Deutschen würden im ihrem Land die Minderheit, so Sarrazins Szenario. Das Volk schaffe sich ab. Mit enormen Konsequenzen: »Das Land wird bis zur Unkenntlichkeit verändert.«

 

Die massive Kritik an seinen Thesen hat Sarrazin dünnhäutig gemacht. Den Medien warf er in seinem Vortrag vor, politisch korrekt ein verklärtes Bild der Wirklichkeit zu zeichnen. Der offensichtliche Unwille eines erheblichen Teils der moslemischen Migranten, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, werde geleugnet. Diese treffe aus medialer Sicht grundsätzlich keine Schuld, sie seien Opfer der Umstände.

 

Kritik an bürgerlicher Schicht

 

Und auch der bürgerlichen Schicht machte er Vorwürfe, die allerdings nicht ganz von der Hand zu weisen sind. Die obere Hälfte der deutschen Gesellschaft kritisiere Sarrazin für seine Thesen, habe sich aber gleichzeitig weit vom tatsächlichen Leben entfernt. Das Bürgertum habe sich durch die Wahl von Wohnort und Schulen von der Konfrontation mit anderen Schichten entfernt. Diejenigen, die dies nicht könnten, hätten deutlich mehr Sympathie für seine Thesen, sagt er.

 

Völlig offen bleibt bei seinem Vortrag, welche Konsequenzen aus diesen Thesen denn zu ziehen sind und wer die Schuld an dem von ihm skizzierten Zustand Deutschlands trägt. Stünde Deutschland ohne Migranten aus anderen Ländern besser da? Sicher nicht, dann wäre die demografische Situation sicherlich noch schlechter. Haben moslemische Migranten überhaupt einen Anteil an den Problemen in Deutschland? Gibt es einen Weg aus der fatalen demografischen Entwicklung? Liegt es allein an genetischen und kulturellen Faktoren, dass moslemische Migrantenkinder schlechter in der Schule sind, oder liegt es auch an unserem Bildungssystem? Welche Veränderungen wären nötig, die Geburtenrate in Deutschland steigen zu lassen?

 

Auf diese Fragen gab Sarrazin keine Antwort und deshalb konnte sein Vortrag seine Kritiker unter den Zuhörern nicht überzeugen. Der Deutschen Probleme bleiben ungelöst. / 

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