Zeugnisse eines Entdeckers |
22.05.2012 18:13 Uhr |
Von Anna Hohle, Heidelberg / Das Deutsche Apotheken-Museum hat den Nachlass von Friedrich Wilhelm Sertürner erworben. Vor rund 200 Jahren isolierte er aus Opium erstmals den Reinstoff Morphin. Nun werden bedeutende Zeugnisse seiner Arbeit ausgestellt.
Warum wirkt dieselbe Menge Opium nicht immer gleich stark? Diese Frage trieb den jungen Apothekengehilfen Friedrich Wilhelm Sertürner (1783 bis 1841) um, als er 1804 in der Hofapotheke in Paderborn mit dem Stoffgemisch aus der Mohnpflanze experimentierte. Durch Beigabe von Ammoniak erhielt er eine kristalline Substanz, die er in mehreren Versuchen isolieren konnte. Er hatte damit das erste Alkaloid entdeckt: Morphin.
Sertürners Entdeckung war bahnbrechend für die Schmerztherapie. Bis heute sind Morphin und andere Opiate bei der Behandlung starker Schmerzen unverzichtbar. Gleichzeitig bildete die erste Reingewinnung eines Naturstoffs die Grundlage der modernen Arzneimittelforschung. Schnell wurden mit Sertürners Methode weitere Wirkstoffe isoliert. Sie konnten exakt dosiert werden und machten die experimentelle Pharmazie erst möglich.
Vieles galt lange als verschollen
Für Dr. Hermann Vogel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen-Apotheken-Museum-Stiftung, ist der Kauf von Sertürners Nachlass aus diesem Grund »Anlass zu großer Freude, nicht nur für die Geschichte der Pharmazie, sondern auch für die deutsche Ideengeschichte«. Vogel leitete eine Pressekonferenz, die das Museum in Heidelberg eigens einberufen hatte, um den bedeutenden Neuerwerb zu würdigen.
Teil der Ausstellung sind auch zwei Miniaturporträts, die Friedrich Wilhelm Sertürner und seine Frau Eleonore zeigen.
Fotos: Deutsches Apotheken-Museum
Dr. Elisabeth Huwer, Direktorin des Deutschen Apotheken-Museums, sprach von einer »Sternstunde« für ihr Haus. Seit Sertürners Tod im Jahr 1841 hatte sich sein Nachlass im Besitz der Nachkommen befunden. Nun übergaben Sertürners Ur-Ur-Enkel dem Museum eine Holztruhe mit Briefen, Manuskripten, Druckfahnen, Urkunden und Zeichnungen ihres berühmten Vorfahren. Wichtige Erkenntnisse zu Sertürners Forschung erhoffen sich die Mitarbeiter des Museums daraus.
Nur einen Bruchteil der Dokumente konnten sie bislang sichten. Ein großer Teil der 300 bis 400 Seiten handschriftlicher Manuskripte ist laut Huwer noch unveröffentlicht, vieles galt als verschollen. In Kooperation mit der Universität Marburg wollen Huwer und ihre Kollegen die Papiere in den kommenden Jahren auswerten, zum Teil auch in Form pharmaziehistorischer Doktorarbeiten. Langfristig sollen alle Manuskripte digitalisiert und somit einem weltweiten Publikum zugänglich gemacht werden.
Neben wissenschaftlichen Dokumenten enthält der Nachlass auch einige private Zeugnisse – etwa einen Brief Sertürners an seine zukünftige Frau sowie zwei Porträtminiaturen. Diese Bilder und weitere Exponate sowie Originalhandschriften können Besucher nun in der Dauerausstellung des Deutschen Apotheken-Museums besichtigen. Für das Jahr 2016 ist eine große Präsentation geplant – dann jährt sich Sertürners Todestag zum 175. Mal.
Zu Lebzeiten musste der bedeutende Pharmazeut lange um die Würdigung seiner Leistungen kämpfen. An dieses traurige Kapitel in Sertürners Biografie erinnerte Vogel noch einmal. Er zog Parallelen zur Gegenwart: Auch heute empfänden viele Pharmazeuten ihre Arbeit als nicht ausreichend gewürdigt. Einer ihrer berühmtesten Vorgänger erhält nun erneut die Aufmerksamkeit der Wissenschaft. Der Nachlasserwerb könnte laut Vogel so auch »ein Mosaikstein im Ansehen des Apothekerberufs sein«.
Späte Anerkennung für Sertürner
Erst 1831, zehn Jahre vor seinem Tod, erkannte das Institut de France Sertürners große Entdeckung an. Ein entsprechendes Schreiben des Instituts ist Teil des nun erworbenen Nachlasses.
Das Deutsche Apotheken-Museum beherbergt die weltweit größte Sammlung zur Geschichte der Pharmazie. 600 000 Besucher frequentieren die Ausstellung im Heidelberger Schloss nach Angaben des Museums jedes Jahr – das Haus ist somit eines der bestbesuchten Museen in Deutschland. /