Zytostatika der Zukunft |
25.05.2010 10:03 Uhr |
Von Daniela Biermann / Krebszellen sind erfinderisch, daher müssen Pharmaforscher es auch sein. Einige potenzielle Arzneistoffe mit neuem Wirkmechanismus befinden sich zurzeit in der klinischen Entwicklung.
Normalerweise erkennt das Immunsystem, wenn körpereigene Zellen verrücktspielen. Denn nichts anderes ist die Entstehung von Krebs: eine Entartung von Zellen. Manche Krebszellen schaffen es, die Aktivierung spezialisierter T-Killerzellen zu unterdrücken, den Bodyguards des Körpers.
T-Killerzellen greifen Krebszellen an.
Foto: medical picture
Daher ist die Idee der Forscher, die schlummernde Immunabwehr zu aktivieren, und zwar über das Oberflächenprotein CTLA-4. Dieses Protein hindert die T-Zellen normalerweise daran, vorschnell zuzuschlagen und damit eine Autoimmunreaktion auszulösen. CTLA4-Antagonisten sollen nun diese Bremse bei fortgeschrittenen Krebsarten lösen. Die monoklonalen Antikörper Ipilimumab von Bristol-Myers-Squibb und Medarex sowie Tremelimumab von Pfizer befinden sich laut Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (VfA) bereits in fortgeschrittenen Stadien der klinischen Entwicklung.
Bereits auf der Zielgeraden ist Eribulin. Das komplizierte Molekül ist ein vollsynthetisches Derivat des Halichondrin B. Diesen Naturstoff produzieren Meeres-Schwämme der Gattung Halichondria. Wie Taxane und Vinca-Alkaloide, die ebenfalls Naturstoffe sind, greifen Eribulin und Halichondrin B in die Zellteilung ein, jedoch an einem anderen Punkt als die anderen Mitosehemmer. Daher soll Eribulin auch gegen Krebszellen wirksam sein, die eine Resistenz gegen die herkömmlichen Mitosehemmer entwickelt haben. Der japanische Hersteller Eisai hat mittlerweile die Zulassung gegen Brustkrebs bei der europäischen Arzneimittelbehörde beantragt. Laut VfA laufen derzeit weitere Studien mit Eribulin gegen nicht-kleinzelligen Lungenkrebs, Prostatakrebs und Sarkome.
Den Zellzyklus regulieren die sogenannten Cycline. Läuft irgendetwas schief, stoppen sie an einem von drei Kontrollpunkten normalerweise die Zellteilung. Diese Botenstoffe selbst werden von Cyclin-abhängigen Kinasen (CDK) ein- und ausgeschaltet. Bei manchen Krebsarten sind diese CDK überaktiv und die Kontrolle versagt. Hemmstoffe der CDK sollen dem entgegenwirken. Laut VfA befinden sich derzeit zehn dieser neuen Wirkstoffe in ersten Studien an Patienten, zum Beispiel solchen mit Haut-, Hirn- und Knochentumoren.
Jede Zelle hat zudem in der Regel einen bestimmten Platz im Körper. Sie wächst in einem Verbund ähnlicher Zellen und ist mit diesen über Integrine verbunden. Über diese Proteine ist auch eine Kommunikation zwischen den Zellen möglich. In Tumorzellen funktionieren die Integrine jedoch manchmal nicht so, wie sie sollen. Sie helfen den Krebszellen, den Verband zu verlassen und an fremde Strukturen anzudocken. Damit ermöglichen sie die Bildung von Metastasen. Außerdem können sich Wachstumssignale verstärken und andere Zellen rekrutieren, die die Tumorzelle zum Überleben braucht.
Die Idee der Krebsforscher ist nun, die Integrine zu hemmen. So unterdrückt zum Beispiel Cilengitid von Merck über zwei Integrine die Bildung neuer Blutgefäße, die den Tumor versorgen. Zudem blockiert es die Vermehrung der Zellen und führt zum programmierten Zelltod. Das zyklische Peptid hat in der EU bereits Orphan-Drug-Status zur Behandlung von Gliomen, bösartigen Hirntumoren, und wird weiter geprüft. In der Phase II befindet sich der monoklonale Antikörper Volociximab, der ein anderes Integrin blockiert. Er soll gegen Melanome, Nierenzellkarzinome und andere solide Tumore wirken.
Ein universelles Medikament gegen alle Krebsarten werde es niemals geben, heißt es auf der VfA-Homepage. Zu unterschiedlich sind die Krankheitsmechanismen und zu erfinderisch ist die Natur. Doch je mehr verschiedene Arzneimittel es gibt, desto mehr Menschen kann geholfen werden. Daher sucht die Forschung weiter nach neuen Wirkkonzepten. /
Quelle:
Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (VfA), EMA, Firmeninformationen