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Ich-Bewusstsein

Eine Botschaft des Körpers

30.04.2012  12:03 Uhr

Von Hannelore Gießen, München / Gähnen steckt an, Lächeln ebenso. Verantwortlich dafür sind sogenannte Spiegelneuronen im Gehirn. Wie sie auch unsere Selbst-Wahrnehmung modulieren, stellte einer ihrer Entdecker, Professor Vittorio Gallese, bei einem Kongress in München vor.

Spiegelneuronen gehören zu den spannendsten Gehirnzellen: Sie feuern sowohl bei eigenen Bewegungen als auch dann, wenn man die gleiche Handlung bei anderen beobachtet – und helfen so, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen. Auf diese besonderen Nervenzellen stießen die Professoren Vittorio Gallese und Giacomo Rizzolatti aus Parma vor zwanzig Jahren bei Untersuchungen mit Makaken. Die Wissenschaftler stellten fest, dass einige Nervenzellen im Stirnhirn der Tiere nicht nur dann in Erregung gerieten, wenn diese selbst nach einer Erdnuss griffen. Diese Nervenzellen waren auch aktiv, wenn die Affen den Versuchsleiter bei der gleichen Handlung beobachteten.

 

Sprache und Gesten imitieren

 

Einige Zeit nach dieser Entdeckung wurden Spiegelneuronen auch beim Menschen gefunden, zunächst im sogenannten Broca-Zentrum, einer Komponente des Sprachzentrums im Gehirn, das auch für die Gestik verantwortlich ist. Spiegelneuronen sind schon früh aktiv: Weint ein Baby auf der Säuglingsstation, stimmen die anderen mit ein. Kleinkinder imitieren Mimik und Gestik ihres Gegenübers: Blinzeln, Grimassen schneiden, Zunge herausstrecken – alles wird nachgeahmt.

»Doch auch die Fähigkeit, zwischen sich und anderen unterscheiden zu können, ist schon von Anfang an vorhanden«, berichtete Gallese jetzt beim Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Neugeborene wissen also, ob sie selbst schreien oder der Nachbar im Bettchen nebenan.

 

In Anknüpfung an die Erkenntnisse über Spiegelneuronen untersuchten die italienischen Wissenschaftler kürzlich, wie jemand seinen Körper wahrnimmt, wenn ihm ein anderer Mensch nahekommt. »Der Herzschlag, aber auch das Gefühl der eigenen Hand verändern sich. Der Körper tritt spürbar mit seiner Umwelt in Interaktion«, erläuterte der Forscher.

 

Früher nahm man an, dass die über die Sinne vermittelte Wahrnehmung der Umwelt getrennt von der Selbst-Wahrnehmung verarbeitet wird. Gallese zeigte jedoch in München, dass beide Prozesse von einer einzigen Struktur des Gehirns integriert werden, und zwar der Inselregion in der Großhirnrinde.

 

Körper und Geist im Dialog

 

Wie wir uns selbst wahrnehmen, sei entscheidend für unser Selbstbild, machte der Wissenschaftler deutlich. Ist die Selbst-Wahrnehmung gestört, kann das negative psychische und soziale Auswirkungen haben. Die neuen Forschungsergebnisse unterstreichen erneut, dass der Mensch ein Beziehungswesen ist. Evolutionsbiologisch ist dies dadurch zu erklären, dass der Mensch noch in einem sehr unreifen Zustand geboren wird und völlig auf die Hilfe von Bezugspersonen angewiesen ist.

 

Das vertiefte Verständnis für die Interaktion von Körper und Umwelt trage auch dazu bei, psychiatrische Krankheiten besser zu verstehen, führte Gallese weiter aus: Bei Patienten mit Schizophrenie verschwimmen nicht nur die Grenzen des Ichs, sie hätten auch ein weniger kohärentes Konzept vom körperlichen Teil ihres Ichs als psychisch Gesunde. Plus-Symptome einer Schizophrenie wie Wahn oder Halluzinationen würden einen Mangel an Körperwahrnehmung kompensieren, erläuterte Gallese.

 

Mitgefühl mit anderen lernen

 

»Wie Körpertherapien bei psychischen Störungen helfen, können wir jetzt viel besser verstehen«, fügte Professor Dr. Peter Henningsen vom Münchener Klinikum rechts der Isar hinzu. Auch die Einfühlung in andere Menschen könne über eine Körpertherapie trainiert werden. Viele Patienten mit psychosomatischen Symptomen hätten Probleme, sich in andere einzufühlen. Die Forschung von Gallese könne auch dazu beitragen, dass solche Patienten mehr Mitgefühl entwickeln. / 

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