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Pharmahandel

Gehe droht Milliarden-Umsatzverlust

27.04.2007  15:22 Uhr

Pharmahandel

Gehe droht Milliarden-Umsatzverlust

Von Thomas Bellartz

 

Gehe unter Druck: In den kommenden Wochen dürften sich die Marktanteile im deutschen Pharmagroßhandel erheblich verschieben. Damit rechnet die überwiegende Mehrheit der Branchenexperten. Die Folgen der DocMorris-Akquisition könnten nach einer ersten PZ-Analyse für die Stuttgarter Gehe verheerend sein; in Stuttgart sieht man auch das anders.

 

200 Millionen Euro hat der Celesio-Konzern für den Kauf der Mehrheit der Anteile an DocMorris hingeblättert. Eine stolze Summe, fanden nicht wenige Beobachter und Analysten, zumal nicht sicher ist, ob sich der Deal rechnet.

 

Viel teurer aber dürfte Celesio der seit dem 26. April 2007 grassierende Umsatzverlust der deutschen Großhandelstochter Gehe zu stehen kommen. Auch wenn der Gehe-Deutschland-Chef André Blümel bei der Pressekonferenz am vergangenen Donnerstag wissen ließ, man habe bislang nur positive Reaktionen bekommen, dürfte dies eine äußerst optimistische Erwartung des Großhändlers sein.

 

Während man in Stuttgart von einem Umsatzeinbruch in den nächsten Monaten im hohen einstelligen Prozentbereich ausgeht, rechnen Branchenkenner, dass viel mehr Kunden das Weite und nach Alternativen suchen könnten. Im vergangenen Jahr hatte die deutsche Gehe mit ihren etwa 2500 Mitarbeitern in 19 Niederlassungen erneut mehr als 3,6 Milliarden Euro erwirtschaftet. Nach dem französischen Großhandelsgeschäft ist der deutsche Markt für den Grossisten immer noch der bedeutendste vor dem britischen. Das dürfte sich rasch ändern.

 

Ein Branchenanalyst, der nicht genannt werden wollte, sagte bereits am vergangenen Freitag gegenüber der PZ: »Wir gehen davon aus, dass Gehe durchaus bis zu 30 Prozent ihrer Kunden an Mitbewerber verlieren wird ­ wenn nicht sogar noch mehr.« Das wiederum könnte bedeuten, dass Gehe möglicherweise bis zu eine Milliarde Euro Umsatz einbüßen könnte. Und das wiederum wäre unmöglich über die DocMorris-Akquisition aufzufangen. Sollte Gehe tatsächlich für die Politik des Konzern-Vorstandes bluten müssen, dann könnte dies Folgen haben. Zunächst für die Mitarbeiter in den mittlerweile 20 Niederlassungen. Nachdem ohnehin schon in den vergangenen Jahren zahlreiche Jobs weggefallen sind, könnte die nächste Entlassungswelle drohen. Dass mit den Marktanteilen auch Arbeit und Jobs zu anderen Großhändlern wandern, dürfte die Betroffenen nicht trösten.

 

Apotheken, die sich für ein Bleiben bei Gehe entscheiden, dürften meist nur mit deutlich höheren Konditionen zu halten sein. Egal wie: Oesterle wird bei der nächsten Hauptversammlung und wohl auch schon bei den Zwischenberichten bekennen müssen, wie es in Deutschland tatsächlich läuft.

 

In einem Schreiben an die Apothekenkunden, das von Celesio-Vorstandschef Dr. Fritz Oesterle und Blümel unterzeichnet war, sollten die Kunden milde gestimmt werden; frei nach dem Motto, man habe ja keine andere Möglichkeit gehabt. Diese Argumentationskette scheint zu kurz geknüpft: Am Wochenende beim Bayerischen Apothekertag in Bad Windsheim wurde dies deutlich. Während Celesio in Stuttgart zum festlichen Benefizkonzert geladen hatte - unter anderem mit dabei: Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) - gab es bei den Basis-Apothekerinnen und -Apothekern jenseits der Kassenrabattverträge nur ein wesentliches Thema: Celesio/DocMorris.

 

Bei der Gehe hofft man - und geht in öffentlichen Bekundungen davon aus - , mit einem blauen Auge davon zu kommen. Apotheker erinnerten sich am Wochenende aber auch an den Fall des Knoblauchpräparats Kwai. Vor einigen Jahren hatte sich der Kwai-Produzent Lichtwer entschieden, die Apothekenxklusivität seiner Produktlinie aufzugeben und Kwai im Discounter zu verkaufen. Die Reaktion der Marktpartner, der Apotheken, war erheblich. Viele nahmen die Produkte konsequent aus dem Regal. Innerhalb kürzester Zeit brach der Umsatz komplett zusammen. Der Rückzug aus dem Discountgeschäft und die Rückkehr in die Apothekenexklusivität blieb im positiven Sinne folgenlos: Das Misstrauensvotum war eindeutig, Kwai aus der Apotheke faktisch verschwunden. Lichtwer meldete wenig später Insolvenz an.

 

Letzteres steht bei Celesio und Gehe nicht zu befürchten. Doch schmerzhaft dürften die kommenden Wochen werden. Auch wenn die Vertriebsmitarbeiter die wichtigsten Kunden in kürzester Zeit informierten und um Ruhe und ein Verbleiben baten: Jetzt besteht die Chance für die Großhandelskonkurrenz, der Gehe Marktanteile abzuknöpfen. Der Außendienst der übrigen Grossisten machte sich bereits am Donnerstagnachmittag auf den Weg zu den Gehe-Kunden. Und dem Vernehmen nach haben bereits zahlreiche Kunden die Geschäftsbeziehungen zur Gehe aufgekündigt.

 

Hintergrund dürfte die Sorge sein, dass durch die Aktivitäten des Unternehmens beziehungsweise des Konzerns, die Apotheken in eine herbe wirtschaftliche Schieflage geraten könnten. Hinzu kommt, dass die Ankündigung, man habe DocMorris erstanden, eher zu der Erwartungshaltung geführt haben dürfte der Großhändler, der sich nach eigenem Bekunden an der Seite seiner Klientel sieht, werde das Problem im Sinne der Apotheken lösen - und DocMorris nicht auch noch stärken.

Kurzporträt: Dr. Fritz Oesterle

55 Jahre ist er kürzlich geworden, der Vorstandsvorsitzende der Celesio AG. Dr. Fritz Oesterle ist zweifelsohne erfolgreich. Und die Entscheidung, die zum Kauf von DocMorris führte, ist exemplarisch für die Art und Weise, wie der promovierte Jurist seinen Konzern lenkt und die dort arbeitenden Menschen führt.

 

Für Zehntausende Mitarbeiter hat der passionierte Porsche- und Mini-Fahrer die Verantwortung. Dort, wo möglich, bedeutet dies Wachstum. Das Celesio-Wachstum ist eng an den Erfolg Oesterles geknüpft. Der Vater von vier Kindern gilt als Arbeiter und Kenner seiner Branche. Von den eigenen Mitarbeitern wird er ebenso verehrt wie gefürchtet. So lässt zuweilen Oesterle, obwohl britischer Honorarkonsul, diplomatisches Geschick vermissen. Seine Meinung gilt als wenig angreifbar. Seit einiger Zeit sitzt der Mann zudem im obersten Gremium des Haniel-Konzerns. Dort hält man die Mehrheit an Celesio. Man will wissen, was Oesterle denkt und plant und was das unter dem Strich bringt Seit einigen Jahren bemüht sich gerade der Vorstandschef verstärkt um das Ohr der Politik, zunehmend erfolgreich. Und auch die europäische Bühne ist dem Konzernlenker nicht fremd.

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