Gesundes Kind trotz Infektion |
16.04.2013 11:56 Uhr |
Von Verena Arzbach / Antiretrovirale Medikamente ermöglichen HIV-infizierten Frauen inzwischen ein nahezu normales Leben – auch mit eigenen Kindern. Mit der richtigen und rechtzeitigen Therapie können HIV-infizierte Schwangere gesunde Kinder zur Welt bringen.
Laut Robert-Koch-Institut leben in Deutschland etwa 78 000 Menschen mit HIV oder Aids, davon 15 000 Frauen (Stand Ende 2012). Die antiretrovirale Kombinationstherapie ermöglicht eine annähernd normale Lebenserwartung, die Betroffenen können ihr Leben langfristig planen. Für viele Frauen gehört dazu auch der Wunsch, eine Familie zu gründen. In Deutschland bringen HIV-positive Mütter pro Jahr etwa 250 bis 300 Kinder zur Welt.
Darüber freuen sich viele Paare: Der Schwangerschaftstest ist positiv.
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Um die Übertragung des Virus auf das Kind zu verhindern, ist es wichtig, in der Schwangerschaft rechtzeitig eine geeignete Therapie einzuleiten und vor der Geburt Maßnahmen zum Schutz des Kindes zu ergreifen. Dies gelingt nur, wenn die HIV-Infektion der werdenden Mutter bekannt ist. Die Mutterschaftsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) empfehlen daher seit 2007, jeder Schwangeren einen freiwilligen HIV-Test anzubieten. Für die Aufklärung der werdenden Mütter stellt der GBA Frauenärzten ein Informationsblatt zur Verfügung. Im Mutterpass wird die Beratung zur HIV-Infektion vermerkt, nicht aber, ob und mit welchem Ergebnis der Test durchgeführt wurde.
Erstdiagnose in der Schwangerschaft
Junge Frauen mit HIV erhielten ihre Erstdiagnose häufig im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge, berichtet Dr. Annette Haberl vom HIV-Center des Universitätsklinikums in Frankfurt am Main im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung. Die Ärztin hat sich auf die Behandlung HIV-infizierter Frauen spezialisiert. »Die Sorge um das ungeborene Kind, die ungewisse eigene Perspektive und die Frage, ob und wie der Partner mit der Situation zurechtkommt, führen zu einer extremen Belastung der Schwangeren«, sagt Haberl. Die Frauen bräuchten so schnell wie möglich professionelle Unterstützung, möglichst durch ein HIV-Schwerpunktzentrum.
Schwerpunktzentren mit Erfahrungen in der Behandlung HIV-infizierter Schwangerer gibt es mittlerweile an einigen Kliniken. Eine interdisziplinäre Betreuung der Frau beziehungsweise des Paares durch den HIV-Behandler, den Frauenarzt sowie den Pädiater und eine psychosoziale Betreuung seien von großer Bedeutung, so Haberl.
»Generell ist eine HIV-Infektion kein Grund, auf ein Kind zu verzichten«, bekräftigt die HIV-Spezialistin. Es gibt sogar Hinweise, dass eine Schwangerschaft den Verlauf der HIV-Infektion der Frau positiv beeinflussen kann. In einer Kohortenstudie mit fast 800 infizierten Frauen hatten Mütter, die mindestens ein Kind bekommen hatten, höhere CD4+-Lymphozyten-Spiegel, eine niedrigere Viruslast und ein verringertes Progressionsrisiko. Dies könnte mit einem günstigen Effekt der Schwangerschaft oder einer gesünderen Lebensführung zusammenhängen, vermuten die Autoren der Studie (1).
Ist »nur« der Mann HIV-positiv, besteht die Möglichkeit der Spermienaufbereitung, denn HI-Viren befinden sich nur in bestimmten Fraktionen des Ejakulats. Vitale bewegliche Spermien sind immer HIV-negativ und lassen sich mittels Zentrifugation abtrennen. Die aufbereiteten Spermien können anschließend zur künstlichen Befruchtung verwendet werden (13). Diese Verfahren können auch bei Fertilitätsproblemen helfen. HIV-infizierte Männer haben eine schlechtere Spermaqualität als gesunde Männer: Sie haben weniger und langsamere Spermien, insbesondere in den ersten 48 Wochen einer antiretroviralen Therapie. Untersuchungen legen auch bei infizierten Frauen Fertilitätsstörungen nahe.
Seit 2010 haben HIV-betroffene Paare laut GBA-Beschluss ebenfalls Anspruch auf eine anteilige Kostenübernahme der künstlichen Befruchtung durch die Krankenkassen.
Ist »nur« die Frau HIV-positiv, ist eine Befruchtung mittels Selbstinsemination möglich. Zum Zeitpunkt der Ovulation benutzt die Frau dafür ein spermizidfreies Kondom, das sie nach dem Geschlechtsverkehr umgekehrt in die Vagina einführt. Oder sie appliziert das Ejakulat mit einer Spritze.
Sind beide Partner mit dem HI-Virus infiziert, spricht laut Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung HIV-betroffener Paare mit Kinderwunsch (13) wenig gegen ungeschützten Geschlechtsverkehr. Zwar bestehe das Risiko einer Superinfektion mit medikamentenresistenten Virenstämmen. In der chronischen Infektionsphase sei eine solche Übertragung jedoch selten. Werden beide Partner antiretroviral behandelt, sei dies sogar extrem unwahrscheinlich, heißt es in der Leitlinie.
»Es gibt einige wenige Situationen, in denen die Schwangerschaft für eine HIV-positive Frau eine Belastung sein könnte, weil sie durch eine Erkrankung im Rahmen ihrer Immunschwäche körperlich beeinträchtigt ist«, bemerkt Haberl. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn die Frau wegen einer aktiven Tuberkulose behandelt wird. Haberl rät, erst die Behandlung der Tuberkulose abzuschließen und den Kinderwunsch später zu realisieren.
Geringeres Übertragungsrisiko
Wie bei jeder Therapie in der Schwangerschaft muss der Arzt auch bei einer antiretroviralen Therapie (ART) Risiken und Nutzen abwägen. Ziel ist es einerseits, die vertikale Transmission, also die Virusübertragung von der Mutter auf das Kind, zu verhindern, andererseits soll die Infektion der Frau optimal behandelt werden. Unerwünschte Wirkungen der antiretroviralen Medikamente auf Mutter und Kind sollen möglichst niedrig ausfallen.
Eine erfolgreiche Therapie der Mutter nützt auch dem Kind. »Die Mutter-Kind-Übertragung hängt entscheidend von der Virusmenge im mütterlichen Blut ab«, erklärt Haberl. »Gelingt es im Verlauf der Schwangerschaft, durch antiretrovirale Medikamente die Virusvermehrung zu unterdrücken, ist das Transmissionsrisiko geringer als 2 Prozent. Ohne Intervention würden 20 bis 25 Prozent der Kinder vertikal infiziert.« Eine optimale Therapie und Betreuung der Schwangeren und ein rechtzeitiger Beginn der Transmissionsprophylaxe seien die wichtigsten Maßnahmen, eine Mutter-Kind-Übertragung zu vermeiden.
Die antiretrovirale Kombinationstherapie hat jedoch auch nachteilige Auswirkungen auf das ungeborene Kind. Mehrere Studien haben gezeigt, dass die Rate von Frühgeburten und Neugeborenen mit geringem Geburtsgewicht unter einer ART erhöht ist. Die Datenlage zum Frühgeburtsrisiko ist aber nicht eindeutig. In einer Kohortenstudie mit mehr als 2000 HIV-positiven Frauen, veröffentlicht 2002 im New England Journal of Medicine, erlitten Frauen unter einer antiretroviralen Kombinationstherapie nicht häufiger Frühgeburten als unter einer Monotherapie oder als nicht-behandelte Schwangere. Auch ein geringes Geburtsgewicht oder Totgeburten traten nicht häufiger auf (2, 3).
HIV-positive Frauen brauchen eine sorgfältige gynäkologische Betreuung, am besten in einem HIV-Schwerpunktzentrum.
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Die Deutsch-Österreichische Leitlinie zur HIV-Therapie in der Schwangerschaft und bei HIV-exponierten Neugeborenen (2) empfiehlt aufgrund der widersprüchlichen Studienergebnisse, die Blutwerte von Frauen, die eine antiretrovirale Kombinationstherapie erhalten, im letzten Trimenon engmaschig zu kontrollieren. Eventuell sollte die Frau rechtzeitig stationär in einem HIV-Zentrum aufgenommen werden, um eine frühzeitige Geburt unter ungünstigen Bedingungen zu vermeiden. Genitale Infektionen, beispielsweise mit Chlamydien oder Trichomonaden, oder eine bakterielle Vaginose sollte der Arzt frühzeitig diagnostizieren und therapieren. Diese Infektionen können vorzeitige Wehen hervorrufen und so das Transmissionsrisiko erhöhen.
Therapieindikation in der Schwangerschaft
Gemäß der Leitlinie gelten für schwangere Frauen grundsätzlich die gleichen Therapieindikationen wie für alle Erwachsenen. Eine symptomatische HIV-Infektion muss in jedem Fall behandelt werden.
Bei asymptomatischem Verlauf sollte der Arzt eine Kombinationstherapie beginnen, wenn die Zahl der CD4+-Zellen unter 350/µl Blut sinkt. Dabei ist zu beachten: In jeder Schwangerschaft fallen die CD4+-Werte aufgrund einer Immunsuppression um durchschnittlich 10 bis 20 Prozent, bei HIV-infizierten Frauen können es bis zu 40 Prozent sein. Nach der Schwangerschaft steigen die Werte in der Regel wieder auf das Ausgangsniveau an. Bei CD4+-Zellzahlen knapp unter 350/µl sollte der Arzt bei Schwangeren daher gründlich überprüfen, ob der Beginn einer antiretroviralen Therapie sinnvoll ist.
Um den Einfluss der Medikamente auf das Ungeborene gering zu halten, ist es ratsam, erst ab der 14. Schwangerschaftswoche, also nach der Organogenese mit der Einnahme zu beginnen – sofern es der Zustand der Schwangeren zulässt. Eine bestehende Therapie wird fortgesetzt. Wirkstoffe, die in der Schwangerschaft ungeeignet sind, sollte der Arzt austauschen (Tabelle unten).
Eine konsequente antiretrovirale Therapie ist im dritten Trimenon und kurz vor der Geburt nötig, um die Virusübertragung auf das Kind möglichst effektiv zu verhindern.
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Eine bestehende Therapie zu unterbrechen, war in Studien mit einem höheren Risiko kardialer Ereignisse, opportunistischer Infektionen und Aids assoziiert. Daher raten Experten, die ART nur in Ausnahmefällen vorübergehend abzusetzen, beispielsweise bei ausgeprägter Schwangerschaftsübelkeit mit starkem Erbrechen (Hyperemesis gravidarum).
Initial empfehlen die Leitlinien in der Schwangerschaft eine hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART). Die Standardkombination besteht aus zwei nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) und einem Ritonavir-geboosteten Protease-Inhibitor (PI) oder aus zwei NRTI plus einem nicht-nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NNRTI) (Tabelle). Da eine Schwangerschaft die Pharmakokinetik antiretroviraler Substanzen verändern kann, empfehlen Experten bei Nebenwirkungen oder nicht ausreichender Viruslastsenkung ein therapeutisches Drug Monitoring.
Arzneistoffe sorgfältig auswählen
Der NRTI Zidovudin ist der einzige antiretrovirale Wirkstoff, der in der Schwangerschaft zugelassen ist. Für alle anderen Wirkstoffe liegen nur begrenzte Erfahrungen vor, sie kommen off label zum Einsatz. Für die meisten Wirkstoffe gibt es bislang jedoch keine Hinweise auf ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko.
Eine Ausnahme ist der NNRTI Efavirenz, den Ärzte möglichst nicht in der Schwangerschaft einsetzen sollten. Laut dem Antiretroviral Pregnancy Registry (APR), dem größten weltweiten Schwangerschaftsregister für antiretrovirale Substanzen, liegen vier retrospektive Berichte über Neuralrohrdefekte unter Efavirenz im ersten Trimester vor (4). In Tierversuchen traten bei Affen Fehlbildungen bei drei von 20 Neugeborenen auf. Ein Kausalzusammenhang gilt jedoch als nicht gesichert.
Substanzklasse, Substanzen und Kombinationen | Anmerkungen, Risiken |
---|---|
Nukleosidische und nukleotidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) | meiste Erfahrung |
Zidovudin + Lamivudin | Zidovudin: nachgewiesene Metabolisierung in der Plazenta, die für die Transmissionsprophylaxe mit verantwortlich sein könnte Einzelberichte über letale Mitochondriopathien bei nicht infizierten Kindern nach Zidovudin (+ Lamivudin)-Therapie der Mutter und -Prophylaxe der Kinder keine abschließende Beurteilung zur Langzeittoxizität, vor allem Kanzerogenität durch nachgewiesenen Nukleosidanaloga-Einbau in DNA |
Abacavir + Lamivudin | Risiko einer Überempfindlichkeitsreaktion: Einsatz von Abacavir nur nach Bestimmung des HLAB5701-Allels bislang keine erhöhte Fehlbildungsrate beim Menschen festgestellt, aber Einzelfallberichte |
Tenofovir + Emtricitabin | bei vielfach erhöhten Tenofovir-Dosierungen verminderte Knochendichte und Nierenschädigungen in Tierversuchen |
Nicht-nukleosidische RTI (NNRTI) Nevirapin | Leberwerterhöhung, erhöhte Lebertoxizität insbesondere bei CD4-Zellwerten > 250/μl in der Schwangerschaft veränderte Pharmakokinetik, daher häufiger allergische Reaktionen bei längerer Gabe Induktion von CYP-450-Enzymen: beschleunigte Metabolisierung von Nevirapin bei Schwangerer und Kind |
Protease-Inhibitoren (PI), geboostet mit Ritonavir (r) | die meisten PI nur gering plazentagängig, daher keine therapeutischen Wirkspiegel im Fetus zu erwarten |
Lopinavir/r | meiste Erfahrung, keine erhöhte Fehlbildungsrate beim Menschen |
Atazanavir/r | möglicher Einfluss auf Hyperbilirubinämie des Neugeborenen Pharmakokinetik kann im 3. Trimester verändert sein, insbesondere in Kombination mit Tenofovir |
Saquinavir/r | kaum Erfahrungen zum Einsatz bei Schwangeren publiziert cave: arrhythmogenes Risiko durch Verlängerung der QT-Zeit und des PR-Intervalls |
Den NNRTI Nevirapin sollte der Arzt bei therapienaiven Frauen mit CD4+-Werten über 250/µl nicht verschreiben. Insbesondere bei einer CD4+-Zellzahl über diesem Grenzwert war die Nevirapin-Einnahme in Untersuchungen zu Therapiebeginn mit einem erhöhten Risiko schwerer Leberschäden assoziiert. Frauen leiden im Vergleich zu Männern sogar dreimal häufiger unter hepatotoxischen Nebenwirkungen (5).
Bei Einnahme des NRTI Didanosin besteht laut APR der Verdacht auf eine erhöhte Fehlbildungsrate in allen drei Trimestern. Bei der Kombination von Didanosin mit Stavudin traten zudem schwere Laktatazidosen bei Schwangeren auf. Die Kombination sollte daher nach Möglichkeit vermieden werden. Für neuere Substanzen wie Enfuvirtid, Maraviroc oder Raltegravir gibt es nur wenige oder keine Erfahrungen zum Einsatz in der Schwangerschaft.
Transmissionsprophylaxe mit ART
Nimmt die Schwangere aufgrund einer geringen Viruslast keine ART ein, sieht die Leitlinie ab der 28. Schwangerschaftswoche bis zur Entbindung eine vorübergehende Therapie zur Transmissionsprophylaxe vor.
Bei sehr hoher Viruslast von mehr als 100 000 Kopien/ml oder bei erhöhtem Risiko einer Frühgeburt, zum Beispiel bei einer Mehrlingsschwangerschaft, vorzeitigen Wehen oder Zervixinsuffizienz, sollte die Therapie bereits in der 25. Schwangerschaftswoche oder noch früher einsetzen. So kann die Viruslast bis zur Geburt noch ausreichend gesenkt werden. Bei niedriger Viruslast und geringem Frühgeburtsrisiko kann die Therapie auch erst ab der 32. Schwangerschaftswoche beginnen. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass ein zu später Beginn der Prophylaxe das Übertragungsrisiko erhöhen kann.
Die üblichen Vorsorgeuntersuchungen gelten natürlich auch für HIV-positive Schwangere.
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Neben der üblichen Schwangerschaftsvorsorge ist es sinnvoll, immunologische und virologische Parameter (Lymphozyten-Subpopulation und Viruslast) bei HIV-positiven Schwangeren mindestens alle zwei Monate zu kontrollieren, in den letzten Wochen der Schwangerschaft auch häufiger. Bei Einnahme einer antiretroviralen Therapie sollte der Arzt zudem Leberwerte und Laktatspiegel monatlich überprüfen, um eine mögliche Laktatazidose frühzeitig zu erkennen. Aufgrund der unspezifischen Symptome wie Übelkeit, Müdigkeit, starke Bauchschmerzen und Erbrechen kann diese leicht übersehen oder falsch als Präeklampsie diagnostiziert werden.
Patientinnen, die eine Kombinationstherapie mit Protease-Inhibitoren (PI) einnehmen, sollten zwischen der 23. und 27. Schwangerschaftswoche einen oralen Glucosetoleranztest machen, damit ein Gestationsdiabetes rechtzeitig erkannt wird. Diabetes mellitus tritt unter PI-Behandlung dreimal häufiger auf als bei PI-freien antiretroviralen Therapien (6).
Am Tag der (geplanten) Geburt nimmt die Frau ihre Medikation wie üblich ein. Liegt die Viruslast der Mutter kurz vor der Entbindung über 50 Kopien/ml Plasma, beginnen die Ärzte drei Stunden vor einem geplanten Kaiserschnitt mit der intravenösen Gabe von Zidovudin, bei einer natürlichen Geburt bei Einsetzen der Wehen. Liegt die Viruslast der Mutter unter 50 Kopien/ml, kann auf Zidovudin während der Entbindung verzichtet werden. Nach der Geburt erhält das Kind zur Postexpositionsprophylaxe alle sechs Stunden oral eine Zidovudin-Lösung (2 mg/kg Körpergewicht) für zwei bis vier Wochen. Alternativ kann Zidovudin 1,5 mg/kg alle sechs Stunden intravenös infundiert werden.
Kaiserschnitt oder vaginale Geburt?
»HIV-positive Schwangere mit vollständig supprimierter Viruslast können sich heute zwischen einer geplanten vaginalen Entbindung und einer elektiven Sectio entscheiden«, sagt HIV-Spezialistin Haberl. Diesen geplanten primären Kaiserschnitt führen Ärzte vor dem eigentlichen Beginn der Geburt durch, also vor dem Blasensprung oder dem Einsetzen der Wehen. »Das Übertragungsrisiko ist bei erfolgreicher medikamentöser Prophylaxe gleich niedrig.«
Dass für HIV-positive Frauen auch eine natürliche Geburt infrage kommt, ist relativ neu. Lange sollten sie nur per geplantem Kaiserschnitt entbinden. Dies beruht auf einer 1999 im New England Journal of Medicine veröffentlichten Metaanalyse von 15 prospektiven Kohortenstudien mit mehr als 8500 Mutter-Kind-Paaren. Die Auswertung der Daten hatte ergeben, dass ein elektiver Kaiserschnitt das Transmissionsrisiko im Vergleich zur natürlichen Geburt etwa halbiert (7).
Kaiserschnitt oder vaginale Geburt: Frauen mit sehr niedriger Viruslast können wählen, wie sie ihr Kind zur Welt bringen wollen.
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Seit der Veröffentlichung einer großen französischen Kohortenstudie mit mehr als 5000 HIV-positiven Müttern ist ein Kaiserschnitt nicht mehr zwingend nötig. Nahmen die Schwangeren eine ART ein und lag ihre Viruslast bei der Geburt unter 400 Kopien/ml, bestand kein signifikanter Unterschied bei der Mutter-Kind-Übertragungsrate zwischen den verschiedenen Geburtsmodi. Auch ein nicht geplanter Kaiserschnitt war nicht schlechter. Bei optimal gesenkter Viruslast (weniger als 50 Kopien/ml bei der Geburt) lag das Transmissionsrisiko in der Studie unabhängig von der Entbindungsart mit 0,4 Prozent sogar extrem niedrig (8).
Experten empfehlen in den deutsch-österreichischen Leitlinien (2) daher seit 2008 auch eine vaginale Entbindung, wenn die Frau mit einer antiretroviralen Kombinationstherapie behandelt wird, die Viruslast am Ende der Schwangerschaft unter 50 Kopien/ml liegt und keine geburtshilflichen Risiken im Weg stehen.
Generell treten bei einem Kaiserschnitt häufiger bestimmte Komplikationen, beispielsweise Thromboembolien, Wundschmerzen oder Blasen- und Harnleiterverletzungen, auf als bei einer vaginalen Entbindung (9). Einzelne Studien legen nahe, dass das Risiko HIV-infizierter Mütter noch höher ist: Sie leiden nach der Entbindung häufiger unter Fieber, Hämatomen und Wundheilungsstörungen. Auch die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen bei weiteren Schwangerschaften ist erhöht. Es treten häufiger Plazentationsstörungen, Totgeburten oder Uterusrupturen auf (2).
Wann steigt das Infektionsrisiko?
Alle Komplikationen während der Entbindung können das Übertragungsrisiko erhöhen. Sowohl bei einer vaginalen Geburt als auch bei einem Kaiserschnitt kann das anfänglich virenfreie Fruchtwasser bei Öffnung der Fruchtblase mit HI-Viren verunreinigt werden. Bei einer natürlichen Geburt besteht zudem die Gefahr, dass virushaltiges Vaginalsekret oder Blut der Mutter in Körperöffnungen des Kindes gelangt.
Anders als bei Erwachsenen bilden die unreifen Schleimhäute des Respirations- und des Gastrointestinaltraktes beim Säugling keine Barrieren für das HI-Virus. Zudem kann der noch anazide Magen des Neugeborenen die Viren nicht unschädlich machen.
Nach Risikosituationen sowie bei Mehrlingsschwangerschaft, Frühgeburt oder vorzeitigem Blasensprung werden die Säuglinge nach der Geburt daher statt mit Zidovudin alleine sechs Wochen lang mit einer Zweifach-Postexpositionsprophylaxe aus Zidovudin und Lamivudin behandelt. Die Kombination kann gegebenenfalls mit maximal zwei Gaben Nevirapin zu einer Dreifach-Prophylaxe ergänzt werden. Auch wenn das Kind während der Geburt verletzt wird oder blutiges Fruchtwasser aus Magen oder Lunge abgepumpt werden muss, erweitern Mediziner die Postexpositionsprophylaxe zu einer Dreierkombination.
Testergebnis abwarten
Ab der 32. Schwangerschaftswoche überträgt die Mutter HIV-Antikörper transplazentar auf das Ungeborene. »Nach der Geburt fällt ein HIV-Antikörpertest beim Kind deshalb so lange positiv aus, bis diese Antikörper wieder verschwunden sind. Das kann im Einzelfall bis zu 18 Monate dauern«, erläutert Haberl.
Werden Kinder HIV-positiver Mütter gestillt, infizieren sie sich etwa doppelt so häufig mit dem Virus wie nicht gestillte Babys. Eine antiretrovirale Kombinationstherapie der Mutter und eine prophylaktische Behandlung des Kindes in der Stillzeit können das vertikale Transmissionsrisiko aber stark senken.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt HIV-positiven Müttern, ihre Kinder sechs Monate ausschließlich zu stillen – aber nur in Ländern, in denen Säuglingsnahrung nicht mit sauberem Trinkwasser hergestellt werden kann, zu teuer oder sozial nicht akzeptiert ist.
In den westlichen Industriestaaten ist das nicht der Fall. Hier gibt es sichere Alternativen zum Stillen. Wegen der möglichen vertikalen Transmission sowie der verlängerten Exposition des Kindes gegenüber antiretroviralen Medikamenten plädieren Experten hier für einen konsequenten Verzicht auf Stillen (14).
Um den HIV-Status des exponierten Kindes früher festzustellen, besteht die Möglichkeit, Viren-DNA oder -RNA mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) nachzuweisen. Die erste HIV-PCR sollte nach einem Monat, die zweite wegen der dann erst nahezu hundertprozentigen Sicherheit nach dem dritten Lebensmonat erfolgen. »Sind beide Messergebnisse negativ, dann kann man davon ausgehen, dass das Kind HIV-negativ ist«, so Haberl. Im HIV-Schwerpunktzentrum werden die Kinder so lange beobachtet, bis die mütterlichen Antikörper bei ihnen nicht mehr nachweisbar sind.
Ist es doch zu einer Virusübertragung auf das Kind gekommen, raten Experten, schnellstmöglich eine medikamentöse Therapie einzuleiten. Die HIV-Infektion bei Kindern verläuft deutlich aggressiver als bei Erwachsenen. Ein Fünftel aller unbehandelten Säuglinge stirbt im ersten Lebensjahr oder erleidet neurologische Schäden durch HIV-Enzephalopathien (10). Die antiretrovirale Therapie muss daher bereits in den ersten Lebensmonaten beginnen. In der Leitlinie zur antiretroviralen Therapie bei HIV-infizierten Kindern und Jugendlichen wird die Kombination von zwei NRTI mit einem (geboosteten) PI empfohlen. Laut den Experten liegen gute und lange Erfahrungen für den PI Nelfinavir sowie Ritonavir-geboostetes Lopinavir vor. Für kleine Säuglinge eignet sich außerdem die Kombination von zwei NRTI mit dem NNRTI Nevirapin. Alternativ kann auch der sogenannte »baby cocktail« aus Zidovudin, Lamivudin, Abacavir und Nevirapin eingesetzt werden (11).
Möglichst vier bis sechs Wochen nach der Geburt sollten die Ärzte zudem eine Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie-Prophylaxe durchführen. Die interstitielle Lungenentzündung zählt zu den Aids-definierenden Erkrankungen und ist im Alter von zwei bis fünf Monaten mit einer schlechten Prognose und hohen Letalität verbunden. Die antibiotische Prophylaxe bei Verdacht auf oder Nachweis von einer HIV-Infektion besteht aus einer Kombination von Trimethoprim/Sulfamethoxazol oral (5 mg Trimethoprim/kg) dreimal pro Woche an drei aufeinanderfolgenden Tagen oder intermittierend bis zum Ende des ersten Lebensjahres (11).
Laut der Leitlinie zur antiretroviralen Therapie bei HIV-infizierten Kindern und Jugendlichen ist die Erfolgsrate einer ART bei Kindern niedriger als bei Erwachsenen. In einer Untersuchung lag das Risiko eines virologischen Therapieversagens unter einer Dreierkombination nach fünf Jahren bei 12 Prozent; nach acht Jahren hatte die Therapie bei rund einem Fünftel versagt (12).
Hoffnung verspricht jedoch die erstmalige funktionelle Heilung eines HIV-positiven Babys, über die US-amerikanische Mediziner im März auf einer Konferenz in Atlanta berichteten. Die Ärzte der Johns-Hopkins-Universität hatten den HIV-infizierten Säugling sofort nach der Geburt mit einer Dreifach-Kombination aus Zidovudin, Lamivudin und Nevirapin behandelt. Trotz Absetzen der Medikamente war nach zwei Jahren im Blut des Kindes kein vermehrungsfähiges Virus mehr nachweisbar – vermutlich hatte die aggressive Behandlung den Erreger vernichtet, bevor er »Verstecke« im Körper finden konnte. /
Verena Arzbachstudierte Pharmazie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn und erhielt 2010 die Approbation als Apothekerin. Nach der Tätigkeit in einer öffentlichen Apotheke machte sie ein Volontariat bei der Pharmazeutischen Zeitung. Seit April 2013 ist sie als Redakteurin der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums beim Govi-Verlag in Eschborn beschäftigt.