Kurzschluss im Kopf |
07.04.2014 11:45 Uhr |
Von Maria Pues / Wenn Kinder an Epilepsie erkranken, kämpfen Eltern nicht nur mit ihren Ängsten vor der Erkrankung, sondern auch mit Ängsten vor der Therapie. Darunter leidet häufig die Compliance.
Durchschnittlich knapp 1 Prozent der Menschen in Deutschland ist an einer Epilepsie erkrankt (3). Eine Epilepsie kann grundsätzlich in jedem Alter auftreten. Es gibt jedoch zwei Häufigkeitsgipfel: den ersten bei Kindern und den zweiten bei Senioren. Einen epileptischen Anfall erleiden insgesamt rund 5 Prozent der Bevölkerung im Lauf ihres Lebens. Dies muss aber nicht zwangsläufig zur Diagnose Epilepsie führen. Diese bezeichnet eine erhöhte Anfallsneigung. Unter bestimmten Bedingungen wie Flackerlicht oder Schlafmangel – aber meist ohne bekannten Auslöser – kann es dann zu einem Anfall kommen. Für die Entstehung einer erhöhten Anfallsneigung kommen verschiedene Faktoren infrage, die im Einzelfall eine unterschiedlich große Rolle spielen: genetische Faktoren (idiopathische Epilepsie), eine andere Erkrankung (symptomatische Epilepsie) oder unbekannte Faktoren (kryptogene Epilepsie).
Die Prävalenz für eine Epilepsie im Kindesalter beträgt etwa 0,5 Prozent, im Mittel erkranken jährlich etwa 50 von 100 000 Kindern (Altersgruppe Null bis 14 Jahre). Damit sind Epilepsien die häufigste neurologische Erkrankung im Kindesalter. Insgesamt machen Kinder etwa ein Viertel der Epilepsie-Neuerkrankungen aus. Bestimmte Formen lassen sich bestimmten Altersgruppen zuordnen (Grafik).
Zwei Drittel aller Kinder mit Epilepsie entwickeln sich normal. Eine mentale Retardierung mit einem Intelligenzquotienten unter 70 ist aber die häufigste Komorbidität (2). Sie muss aber nicht Folge der Epilepsie sein, sondern kann auch mit deren Ursache in Zusammenhang stehen.
Nicht jeder Anfall ist epileptisch
Eine anhaltende Dunkelziffer wie bei anderen Erkrankungen gibt es bei der Epilepsie im Kindesalter nicht. Dass diese nicht erkannt wird, könne zwar vorkommen, berichtet Privatdozent Dr. Thomas Bast, Chefarzt der Epilepsieklinik für Kinder und Jugendliche am Epilepsiezentrum Kehl-Kork, im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung. Dies könnten zum Beispiel Erwachsene sein, die allein leben und vor allem nächtliche Anfälle erleiden, an die sie sich nicht erinnern. Dies sei aber eine Ausnahme. Bei Kindern könne es passieren, dass eine Epilepsie über längere Zeit nicht als solche erkannt wird, da manche Anfallsformen diskret ablaufen. So wirken Kinder bei einem Absence-Anfall oft nur kurzzeitig »abwesend«. Eltern und Lehrer vermuten hinter dem wiederkehrenden entrückten Gesichtsausdruck oft ein Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom oder einfach Träumerei.
Diagnose | Symptome, Charakteristika |
---|---|
epileptischer Anfall | Augen offen, starr, leer oder verdreht Dauer meist < 2 Minuten, höchst unterschiedliche Anfallsphänomene, aber oft konstant von Anfall zu Anfall Reorientierung nach dem Anfall variabel, oft verlangsamt bei tonisch-klonischen Anfällen Muskelkater am Folgetag |
psychogener nicht-epileptischer Anfall | Augen oft geschlossen, »wie schlafend«, unter Umständen zugekniffen Dauer oft > 2 Minuten variable Anfallsphänomene von Anfall zu Anfall, häufig atonisch oft verzögerte Reorientierung mit Gedächtnislücke für das Ereignis |
(konvulsive) Synkope | Augen offen, nach oben verdreht asynchrone Myoklonien und variable Abläufe, oft Armbeugung und Beinstreckung rasche Reorientierung (< 1 Minute) |
Umgekehrt gibt es auch Kinder, deren Anfälle fälschlich einer Epilepsie zugeordnet werden. »Bei etwa 10 bis 15 Prozent der Kinder, in denen keine antikonvulsive Therapie anschlägt – nicht aller mit Antiepileptika behandelten Patienten –, stellt man fest, dass den Krämpfen keine Epilepsie zugrunde liegt«, verweist Bast auf Studien, deren Ergebnisse sich auch im Epilepsiezentrum Kehl-Kork bestätigt haben. So könne beispielsweise ein Säugling mit gastroösophagealem Reflux krampfartige Symptome zeigen, die einem epileptischen Anfall ähneln.
Die Leitlinie (2) verzeichnet sechs Gruppen von Krankheiten, deren Symptome epileptischen Anfällen ähneln. Dazu gehören Synkopen, Bewegungsstörungen wie Tics und Migräne, aber auch schlafgebundene Störungen wie der Nachtschreck (Pavor nocturnus) oder das Schlafwandeln und psychogene Störungen wie das Hyperventilationssyndrom. Für die Unterscheidung von epileptischen und anderen Anfällen nennt die Leitlinie zu Epilepsien im Erwachsenenalter (3) auch für Laien gut verständliche Anhaltspunkte (Tabelle 1).
Allen Epilepsien gemeinsam ist eine Dysbalance zwischen erregenden und hemmenden synaptischen Einflüssen. Bei einem Anfall wird das labile Gleichgewicht gestört, und es kommt zu einer synchronisierten Entladung von Nervenzellen. Dies kann in nahezu dem gesamten Gehirn (primär generalisiert) oder in Teilen davon (fokal) geschehen. Zunächst fokale Anfälle können sekundär generalisieren. Eine aktuelle und übersichtliche Darstellung der verschiedenen Anfallsformen findet sich auf der Internetseite der International League Against Epilepsy (ILAE; siehe Linkliste unter www.pharmazeutische-zeitung.de) (4).
Typische Epilepsieformen bei Kindern
Entwickeln Neugeborene eine Krampfneigung, so kann dieser unter anderem eine genetische Disposition, eine Störung im Gehirnstoffwechsel oder eine Hirnschädigung zugrunde liegen. Selten, aber gut behandelbar sind Anfälle, die auf Stoffwechselerkrankungen auf der Grundlage eines Defekts im Pyridoxin-, Pyridoxalphosphat- oder Folinsäurestoffwechsel beruhen. Sie lassen sich durch entsprechende Vitamingaben bessern. Zerebrale Krampfanfälle kommen etwa bei einem von 1000 Reifgeborenen und bei 10 bis 15 von 1000 Frühgeborenen vor. Sie äußern sich üblicherweise als rhythmische Zuckungen, Schmatzen, Rudern oder Fausten (5).
Ein breites Spektrum möglicher Ursachen kommt für ein West-Syndrom infrage, das auch Blitz-Nick-Salaam (BNS)-Epilepsie genannt wird (6). Kennzeichnend sind charakteristische Anfälle mit einschießenden Streck- und Beugebewegungen, bestimmte Ausschläge im Elektroenzephalogramm (EEG) sowie eine verzögerte Entwicklung des Säuglings. Häufige Ursachen sind Sauerstoffmangel während der Geburt, ZNS-Fehlbildungen oder eine tuberöse Sklerose. Dies ist eine Erbkrankheit, die mit Fehlbildungen und Tumoren des Gehirns einhergeht und häufig durch epileptische Anfälle und kognitive Behinderungen gekennzeichnet ist. Bei Kindern mit West-Syndrom gelingt es häufig nicht, Anfallsfreiheit zu erreichen.
Kinder mit einer Absence-Epilepsie wirken im Anfall für kurze Zeit wie »weggetreten« und sind oft auch darüber hinaus unaufmerksam und verlangsamt. Diese Form der Epilepsie tritt meist zwischen dem fünften und achten Lebensjahr zum ersten Mal auf (Grafik). Es handelt sich um generalisierte Anfälle, die häufig auftreten können.
Zu den Epilepsien mit guter Prognose gehört die Rolando-Epilepsie, die häufig im Grundschulalter beginnt und etwa 15 Prozent der Epilepsien im Kindesalter ausmacht. Die meist nächtlichen fokalen Anfälle können sekundär generalisieren. Die Kinder zeigen sensible und motorische Symptome: Es kommt zu Gefühlsstörungen und Zuckungen vor allem im Bereich des Mundes. Das Bewusstsein bleibt erhalten, aber die Kinder können im Anfall nicht sprechen und bei gleichzeitig starkem Speichelfluss oft nicht schlucken.
Antikonvulsive Therapie
Eine antikonvulsive Dauertherapie ist üblicherweise nach zwei unprovozierten Anfällen oder einem Status epilepticus angezeigt. Klinisches Bild und EEG spielen die entscheidende Rolle bei der Entscheidung, ob und welche Pharmakotherapie eingeleitet werden soll. Es gebe im Kindesalter auch Epilepsieformen, bei denen der Behandlungsdruck weniger hoch ist, erläutert Bast. Dazu gehört die Rolando-Epilepsie, die mit und ohne Behandlung meist mit Beginn der Pubertät ausheilt.
Ziel der antikonvulsiven Therapie ist die Verhinderung weiterer Anfälle. Bast: »Eine Therapie der Epilepsie ist dann gut, wenn der Patient anfallsfrei und beschwerdefrei ist – wenn er so ist, wie man ihn vor Beginn der Epilepsie kannte.« Nach Möglichkeit sollte dieses Ziel durch eine Monotherapie erreicht werden. Dies dient nicht nur der Compliance der Patienten und der Eltern, sondern vermindert vor allem die Gefahr von Wechselwirkungen (7).
Rund 75 Prozent der Kinder werden mit dem ersten oder zweiten Medikament anfalls- und beschwerdefrei. Bei Patienten, bei denen auch das dritte und vierte Medikament nicht anschlägt, träten meist auch gehäuft Probleme mit der Verträglichkeit auf. Nebenwirkungen treten bei ihnen früher auf als die erwünschten Effekte, und das Medikament muss daher gewechselt werden. Nur bei diesen schwierigen Verläufen verordnen Mediziner eine modifizierte Atkins-Diät oder ketogene Diät. Diese zeige dann zwar gute Effekte, greife jedoch sehr in das Leben der Familien ein, erläutert Bast.
Von einer pharmakoresistenten Epilepsie spricht man laut ILAE, wenn »zwei geeignete Behandlungsversuche mit vertragenen sowie angemessen ausgewählten und eingesetzten Antiepileptika versagen«. Als schwer behandelbar gilt die Erkrankung laut Deutscher Gesellschaft für Epileptologie, wenn mehrere Antiepileptika weder in Mono- noch in Kombinationstherapie innerhalb eines Jahres zur Anfallsfreiheit führen (8).
Ein grundsätzliches Problem besteht laut Bast darin, dass der Arzt je nach Diagnose zwar eine mehr oder minder große Zahl möglicher Arzneistoffe zur Auswahl hat, aber nicht weiß, welcher sich für den jeweiligen Patienten am besten eignet. Dies könne man nur durch Therapieversuche ermitteln. Die Compliance der Eltern sei häufig deshalb so schlecht, weil sie dieses Prinzip nicht gut erklärt bekommen oder weil sie es nicht verstehen.
Da Antiepileptika potenziell ein Leben lang eingenommen werden, sollte gerade bei Kindern nicht nur auf eine gute Wirksamkeit, sondern auch auf Langzeitverträglichkeit geachtet werden. Um die individuell wirksamste und verträglichste Dosis zu finden, müssen Antiepileptika stets einschleichend dosiert und der Effekt wiederholt überprüft werden – ein Verfahren, dass sich auch bei einer Monotherapie über Monate hinziehen kann.
Bei einem Fieberkrampf handelt es sich um einen epileptischen Anfall, der allein aber nicht zur Diagnose Epilepsie veranlasst. Meist kommt es zu einem wenige Minuten dauernden generalisierten tonisch-klonischen Anfall, der durch den raschen Anstieg der Körpertemperatur ausgelöst wurde. Auch bei wiederholten Fieberkrämpfen ist in den meisten Fällen keine antikonvulsive Therapie erforderlich. Sofern er nicht nach spätestens fünf Minuten von selbst endet, wird der Krampf medikamentös, meist durch ein Benzodiazepin, beendet. Die Rückfallprophylaxe besteht aus fiebersenkenden Maßnahmen.
Antikonvulsive Wirkstoffe
Vier Strukturen im Gehirn, die für die erhöhte Anfallsneigung eine Rolle spielen, sind heute bekannt:
Sie bilden die Angriffspunkte für eine antikonvulsive Dauertherapie. Häufig sind die genauen Wirkmechanismen der Arzneistoffe nicht bekannt; etliche wirken über verschiedene Wege. Eine Übersicht über gebräuchliche Wirkstoffe zeigen die Tabellen 2 bis 4; dort finden sich auch wichtige Besonderheiten zu den einzelnen Substanzen.
Antikonvulsiv wirksame Arzneistoffe können über verschiedene Mechanismen zu Wechselwirkungen mit anderen Substanzen führen. Beispielsweise vermindert Carbamazepin über eine Induktion des Cytochrom-P450-Isoenzyms CYP3A4 die Wirkung mehrerer Antiepileptika. Dazu gehören Valproat, Topiramat und Lamotrigin. Ein weiteres Beispiel: Laut Fachinformationen sollten Kinder, die mit Valproat behandelt werden, keine Salicylate einnehmen. Acetylsalicylsäure verdrängt Valproinsäure kompetitiv aus ihrer Plasmaeiweißbindung und erhöht so die Konzentration freier Valproinsäure im Blut und damit deren Wirkung und möglicherweise Nebenwirkungen.
Nicht immer sind es die Wirkstoffe selbst, die zu unerwünschten Wirkungen führen können. So enthalten Diazepam Desitin® rectal Tuben und Tavor® pro injectione als Hilfsstoff Benzylalkohol (Tabelle 2). Säuglinge und Kleinkinder bis zu drei Jahren können diesen nicht abbauen, wodurch es zu toxischen und anaphylaktoiden Reaktionen kommen kann.
Einige Wirkstoffe sind schlecht löslich. Sind sie darüber hinaus in Zubereitungen mit veränderter Wirkstofffreisetzung verarbeitet, kann ein Wechsel von einem Fertigarzneimittel auf ein anderes zu erneuten oder vermehrten Anfällen führen. Darauf weist die kürzlich aktualisierte Leitlinie der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft hin (10). Ist ein Patient gut auf ein Antiepileptikum eingestellt, sollte dieses keinesfalls substitutiert werden. Dies gilt für Kinder ebenso wie für Erwachsene.
Wirkstoff, Fertigarzneimittel (Beispiel) | Eingesetzt bei | Besonderheiten (Auswahl) |
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Diazepam (Diazepam Desitin® rectal Tube) | ab 6 Monate | enthält Benzylalkohol |
Lorazepam (Tavor® pro inj.) | nicht bei Früh- und Neugeborenen | enthält Benzylalkohol kann bei Lennox-Gastaut-Syndrom Krämpfe auslösen |
Midazolam (Buccocalm®) | Behandlung länger anhaltender, akuter Krampfanfälle bei Patienten zwischen 3 Monaten und 18 Jahren | Bei Säuglingen von 3 bis 6 Monaten sollte die Behandlung in einer Klinik erfolgen, in der Überwachungsmöglichkeiten und eine Reanimationsausrüstung vorhanden sind. |
Compliance oft schlecht
Wie bei anderen chronischen Krankheiten kommt es auch bei der Epilepsiebehandlung zu Complianceproblemen – häufig, weil Eltern Angst vor Nebenwirkungen haben. Bast hält dagegen: »Wenn man ein Kind mit einer schweren Epilepsie gut therapiert, entwickelt es sich auch besser.«
Zu den möglichen unerwünschten Wirkungen am Gehirn gehören Müdigkeit, Depressivität oder Aggressivität sowie Veränderungen im Verhalten. Sie treten bei einer Dosissteigerung früher oder später auf, aber es gibt von Wirkstoff zu Wirkstoff Unterschiede. Bei Lamotrigin treten diese unerwünschten Effekte in therapeutischen Dosen selten auf. Bei Topiramat oder dem kaum noch eingesetzten Phenobarbital können Nebenwirkungen wie Sprach- und Gedächtnisstörungen teilweise bereits in therapeutischen Dosen beobachtet werden.
Nicht jede Nebenwirkung, über die die Packungsbeilage informiert, ist außerdem für jede Altergruppe gleichermaßen relevant. Besonders beängstigend wirken Warnungen vor einer gesteigerten Suizidalität, die in zahlreichen Fachinformationen aufgeführt sind. Eine Selbstmordneigung sei bei Kindern nicht bekannt, beruhigt Bast. Dies sehe bei Jugendlichen ganz anders aus. Mit Beginn der Pubertät kommen auf die Heranwachsenden auch ohne Epilepsie schwierige Zeiten zu. »Wir sprechen darüber mit unseren jugendlichen Patienten und weisen sie darauf hin, dass sie sich Rat suchen, wenn sie sich beispielsweise ohne Grund traurig fühlen.«
Vorsicht Depressivität
Abbildung: Die Lippenbremse (links) bildet die Grundlage aller Atemübungen. Wichtig ist, langsam über die Nase einzuatmen und über den Mund so langsam und so lange wie möglich hörbar auszuatmen. Die Körperhaltung beim Kutscher- oder beim Tischsitz erleichtert die Atmung; der Patient atmet mithilfe der Lippenbremse ein und aus.
Schwerer zu erfassen seien depressive Erkrankungen, die es schon im Kindesalter geben kann, erklärt der Arzt. Kinder erleben und äußern Depressionen anders als Erwachsene, zum Beispiel mit Bauchweh, Appetitmangel oder fehlendem Antrieb. Dies könne auch eine Nebenwirkung eines neu eingeführten Medikaments sein. Wenn das Kind das Antiepileptikum aber schon seit einem Jahr gut verträgt, sei eine solche Nebenwirkung eher ungewöhnlich. Depressive Symptome haben dann eher eine andere Ursache. Nicht bei allen Antiepileptika kommen depressive Symptome als Nebenwirkung gleichermaßen oft vor. Lamotrigin wirke antidepressiv, Levetiracetam könne depressive Symptome hingegen verstärken, sagt Bast.
Zu paradoxen Reaktionen kann es unter der Therapie mit Phenobarbital kommen. Statt ruhiger oder müde zu werden, drehen manche Kinder erst richtig auf. Welche Mechanismen sich dahinter verbergen, ist nicht bekannt. Möglicherweise reagieren Kinder mit einer Hirnfunktionsstörung auf den Wirkstoff zwar auch mit Müdigkeit, dabei aber mit einem verstärkten Kontrollverlust.
Im Auge behalten muss man die Vitamin-D-Spiegel der jungen Patienten. Unter einer antikonvulsiven Therapie kann es zu einem Vitamin-D-Mangel bis hin zu einer Antiepileptika-Osteopenie kommen. Blutspiegelkontrollen geben Auskunft über die erforderliche Dosierung des Vitamins. Eine ausreichende Calciumzufuhr sollte über die Ernährung sichergestellt werden.
Wirkstoff, Fertigarzneimittel (Beispiel) | Eingesetzt bei | Besonderheiten (Auswahl) |
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Carbamazepin (Timonil®) | Kinder < 1 Jahr; bei Kindern unter 6 Jahren strenge Nutzen-Risiko- Abwägung | bei Absencen kontraindiziert induziert CYP3A4 WW mit Grapefruitsaft |
Valproat (Ergenyl®) | ab 3 Monaten, bei Kleinkindern nur in Ausnahmefällen Mittel der ersten Wahl | bei Kindern unter 12 Jahren: keine Salicylate |
Antikonvulsiva für spezielle Epilepsieformen | ||
Ethosuximid (Petnidan®) | ab 0 Jahren, unter anderem bei Absence-Epilepsien | Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit, zum Beispiel in der Schule, möglich |
Felbamat (Taloxa® Saft) | ab 14 Jahren bei Lennox-Gastaut- Syndrom, ab 4 Jahren zur Kombinationsbehandlung | kein Mittel der ersten Wahl |
Rufinamid (Inovelon®) | Zusatztherapie bei Lennox-Gastaut- Syndrom bei Patienten ab 4 Jahren | kein Einfluss auf Cytochrom-P-450 |
Sultiam (Ospolot®) | Alternativ-Behandlung der Rolando-Epilepsie, wenn andere Antiepileptika erfolglos waren; keine Altersangabe | kurze Halbwertszeit, daher drei Einzelgaben täglich notwendig |
Vigabatrin (Sabril®) | Behandlung infantiler Spasmen (West-Syndrom); in der Kombinationstherapie bei pharmakoresistenten fokalen Anfällen mit und ohne sekundäre Generalisierung | häufige NW: Gesichtsfeldeinschränkungen, treten erst nach längerer Therapiedauer auf, nach Absetzen vermutlich irreversibel, spätere Verschlechterung nicht ausgeschlossen wenig WW, da Vigabatrin nicht metabolisiert oder an Proteine gebunden wird und kein Induktor des Cytochrom-P-450-Systems ist |
Gute Kommunikation von Anfang an
»Die möglichen Nebenwirkungen einer Therapie müssen den Eltern von Anfang an kommuniziert werden«, betont Bast. Sie müssten aber auch wissen, dass bestimmte Symptome nicht nur vom Arzneimittel verursacht werden können, sondern auch von der Epilepsie selbst oder durch ganz andere Faktoren.
»Bemerken Eltern eine außergewöhnliche Veränderung, sollten sie dies in jedem Fall mit dem behandelnden Arzt besprechen«, warnt Bast. Denn nicht immer steckt ein zu hoch dosiertes Antikonvulsivum hinter den Beschwerden. »Im EEG beobachten wir bei manchen dieser Patienten eine sehr hohe Krankheitsaktivität. Sie benötigen nicht niedrigere Dosen, sondern im Gegenteil höhere.« Eltern sollten bei einem solchen Verdacht das Arzneimittel nie eigenmächtig absetzen. Auch das Absetzen eines Antikonvulsivums muss ausschleichend erfolgen, da andernfalls erneute Anfälle drohen.
Apotheker können die Compliance unterstützen, indem sie den Patienten und Eltern als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Sie sollten sich bei der Abgabe des Arzneimittels vergewissern, ob die Therapie verstanden ist, ob ein Therapieplan vorliegt und ob geklärt wurde, an wen Eltern sich bei unvorhergesehenen Ereignissen wenden können. Zudem können sie hilfreiche Adressen an Patienten und ihre Eltern weitergeben, zum Beispiel die des Epilepsie Bundeselternverbands.
Die Diagnose Epilepsie verändert das Leben der ganzen Familie meist über viele Jahre. Betroffene und Angehörige haben nicht nur mit der Erkrankung und deren Symptomen zu kämpfen, sondern oft auch mit Ängsten und nicht zuletzt mit Vorurteilen ihrer Umgebung. Auch hierbei können Apotheker sie begleiten und unterstützen. /
Wirkstoff, Fertigarzneimittel (Beispiel) | Eingesetzt bei | Besonderheiten (Auswahl) |
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Gabapentin (Neurontin®) | Zusatztherapie bei Kindern ab 6 Jahren beziehungsweise Monotherapie bei Jugendlichen ab 12 Jahren mit partiellen Anfällen mit und ohne sekundäre Generalisierung | nicht wirksam bei generalisierten Anfällen; Aluminium- und magnesiumhaltige Antazida können die Bioverfügbarkeit um bis zu 24 Prozent reduzieren: 2 Stunden Abstand einhalten |
Levetiracetam (Keppra®) | ab 1 Monat zur Zusatzbehandlung sowie ab 16 Jahren zur Monotherapie partieller Anfälle mit und ohne Generalisierung; ab 12 Jahren zur Zusatzbehandlung von myoklonischen Anfällen bei Juveniler Myoklonischer Epilepsie sowie bei primär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen bei Idiopathischer Generalisierter Epilepsie | häufige NW bei 4- bis 16-Jährigen: Erbrechen, Agitiertheit, Stimmungsschwankungen, emotionale Labilität, Aggressionen, anormales Verhalten, Lethargie (häufiger als in anderen Altergruppen); bei Kindern von 1 Monat bis unter 4 Jahren: Reizbarkeit und Koordinationsstörungen; praktisch keine WW über Cytochrom-P450- System zu erwarten |
Lamotrigin (Lamictal®) | von 2 bis 12 Jahren als Monotherapie bei typischen Absencen sowie als Zusatztherapie (ab 13 Jahren als Monotherapie) bei partiellen und generalisierten Anfällen | bezogen auf das Körpergewicht ist die Clearance bei Kindern höher als bei Erwachsenen; am höchsten bei Kindern unter 5 Jahren |
Topiramat (Topamax®) | ab 2 Jahren zur Behandlung von Anfällen beim Lennox-Gastaut-Syndrom sowie als Zusatztherapie (ab 6 Jahren als Monotherapie) bei fokalen Krampfanfällen mit und ohne sekundäre Generalisierung und bei primär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen | Oligohidrose (vermindertes Schwitzen) möglich; UAW, die bei Kindern, aber nicht bei Erwachsenen in kontrollierten doppelblinden Studien berichtet wurden: Eosinophilie, psychomotorische Hyperaktivität, Vertigo, Erbrechen, Hyperthermie, Pyrexie, Lernschwierigkeiten |
Zonisamid (Zonegran®) | Zusatztherapie für die Behandlung von fokalen Anfällen mit oder ohne sekundäre Generalisierung bei Patienten ab 6 Jahren | kann bei Kindern zu verminderter Schweißbildung und damit zur Überhitzung des Körpers führen. Unbehandelt kann es zu Hirnschäden mit tödlichem Verlauf kommen. Cave: heißes Wetter |
Literatur
Maria Pues studierte Pharmazie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Vor dem Volontariat bei der Neuen Apotheken Illustrierten arbeitete sie zehn Jahre in einer öffentlichen Apotheke in Frankfurt am Main. Nach einem Jahr als angestellte Redakteurin arbeitet sie seit 2010 als freie Print- und Online-Redakteurin für Publikums- und Fachmedien.
Maria Pues, Redaktionsbüro Kaiserstraße 32-34, 63065 Offenbach E-Mail: Maria.Pues(at)t-online.de
Abbildung 3
Es wird ersichtlich, dass die teilnehmenden Apotheker ihr Augenmerk bei der Beratung auf die Dosierung und Art der Anwendung legen (Abbildung 4). Die Abklärung der Patientengruppe folgt erst danach und dies, obwohl Mometason und Fluticason nur an Erwachsene rezeptfrei abgegeben werden darf. Dies verwundert, da man davon ausgeht, dass Kunden, die bereits eines dieser Arzneimittel erhielten mit der Dosierung und Anwendung vertraut sind.
Abbildung 4
Ein weiterer Aspekt der Umfrage befasste sich damit, auf welcher Grundlage die Diagnose der saisonalen allergischen Rhinitis beruht. Die allergische Rhinitis ist bekanntermaßen durch Komorbiditäten wie Asthma bronchiale, Sinusitis und weitere Krankheiten charakterisiert (3). Demzufolge wäre es wichtig zu klären, ob der Apothekerschaft vom pharmazeutischen Unternehmer eine Leitlinie zur Behandlung der allergischen Rhinitis an die Hand gegeben wird.
Abbildung 5
Anhand von Abbildung 5 ist ersichtlich, dass ein Großteil der Befragten die Diagnose Saisonale allergische Rhinitis auf die jeweilige Fachinformation stützen und dementsprechend ihre Kunden beraten. Der Leitfaden steht an letzter Stelle und besitzt augenscheinlich eine geringe Bedeutung für die Beratung. Es gibt zwar einen Leitfaden der ABDA (Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V.) (12) der sich mit dem Thema »Schnupfen« befasst, jedoch nicht explizit auf die allergische Rhinitis eingeht, und sich im Allgemeinen mit der Selbstmedikation Schnupfen befasst. Bezüglich der allergischen Rhinitis könnte beispielsweise die ARIA-Leitlinie eine Orientierung geben (13).
Diese wurde im Jahr 2002 von der ARIA (Allergic Rhinitis and its Impact on Asthma) in Zusammenarbeit mit der WHO (Weltgesundheitsorganisation) veröffentlicht. Die ARIA-Leitlinie untersteht einer ständigen Überarbeitung und befasst sich mit der symptomatischen Behandlung der allergischen Rhinitis.
Hierbei erfolgt die Klassifikation der allergischen Rhinitis und es werden auch verschiedene Vorgehensweisen zur Therapie der allergischen Rhinitis dargestellt. Auf die Frage, ob den befragten Apothekern die ARIA-Leitlinie bekannt ist, ergab sich, dass die Mehrheit der Befragten diese nicht kannten (Abbildung 6).
Abbildung 7: Informationsmaterialien ausreichend
In diesem Zusammenhang erscheint es jedoch verwunderlich, dass ein Teil der Beratung dennoch über einen Leitfaden erfolgt. Die Schlussfolgerung legt nahe, dass es sich bei dem Leitfaden um denjenigen der ABDA handelt (siehe Website ABDA: ABDA-Schnupfen-Leitfaden).
Konträr befanden aber 80 Prozent der Befragten die vorhandenen Informationsmaterialien der Präparate wie Fachinformationen, Beipackzettel und die zur Verfügung stehende(n) Leitlinien als ausreichend (Abbildung 7). Auf den ersten Blick wären Schulungen somit entbehrlich.
Abbildung 8: Auswertung zum Schulungsbedarf der Apothekerschaft
Aus Abbildung 8 wird jedoch ersichtlich, dass 54 Prozent der Teilnhmer einen vermehrten Schulungsbedarf sehen, eventuell auch hinsichtlich des Aspekts, dass Mometason im Gegensatz zu Fluticason beispielsweise auch zur symptomatischen Behandlung von Nasenpolypen (4, 14) appliziert wird.
Auf die Frage, ob die exakte Definition der Begriffe saisonale Rhinitis (Heuschnupfen) und Nasenpolypen bekannt ist, antworteten 56 Prozent der Befragten mit Ja (Abbildung 9). In Hinblick darauf, dass Beclometason seit 1997 verschreibungsfrei ist und Fluticason und Mometason ebenfalls aus der Verschreibungspflicht entlassen wurden, sollte auch der Schulungsumfang bedacht werden.