Von alten Bekannten und neuen Möglichkeiten |
Daniela Hüttemann |
26.09.2019 10:00 Uhr |
Zur Diagnose einer Epilepsie wird unter anderem ein EEG gemacht. Um die bestmögliche Therapie zu finden, kann zudem ein Gentest ratsam sein. / Foto: Adobe Stock/RioPatuca
Bis zu 3 Prozent der Menschen erleiden im Laufe ihres Lebens einen epileptischen Anfall. Dabei kommt es zu plötzlichen, unkontrollierten elektrischen Entladungen von Nervenzellen. Unterschiedliche Regionen in der Hirnrinde können betroffen sein. Die Ursachen sind vielfältig: Folgezustände nach Hirntraumata, Entzündungen im Gehirn, Hirn- und Gefäßfehlbildungen und Stoffwechselstörungen können zugrunde liegen. Oft ist eine genetische Veranlagung vorhanden und für einige Epilepsie-Arten sind heute die ursächlichen Genmutationen bekannt, teilt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) anlässlich ihres Kongresses in Stuttgart mit.
Relativ gut untersucht seien Störungen von Natriumkanalgenen (zum Beispiel SCN1A und SCN2A) sowie Kaliumkanalgenen (zum Beispiel KCNT1 und KCNA2). Sie seien Ursache einiger schwerer frühkindlicher Epilepsien, die mit Entwicklungsstörungen und neuropsychiatrischen Symptomen wie Autismus und Koordinationsstörungen einhergehen.
»Eine genetische Diagnostik bringt mehrere positive Aspekte mit sich: Es werden weitere unnötige Untersuchungen vermieden, eine prognostische Einschätzung kann erleichtert werden und auf Wunsch kann eine genetische Beratung im Rahmen der Familienplanung erfolgen«, erklärt Professor Dr. Holger Lerche, Ärztlicher Direktor Neurologie mit Schwerpunkt Epileptologie am Hertie Institut für Klinische Hirnforschung des Universitätsklinikums Tübingen. »Ganz entscheidend ist aber, dass sich immer häufiger Konsequenzen für die Therapie ergeben – sie wird dem jeweiligen Defekt individuell angepasst.«
Epileptologen könnten heute Medikamente zielgerichtet einsetzen, je nachdem, welcher Ionenkanal betroffen ist und ob ein Zuviel oder Zuwenig an Funktion vorliegt. So sei beispielsweise für SCN2A-bedingte Epilepsien mit einer aktivierenden Mutation (»Gain of Function«) belegt, dass es enge Zusammenhänge zwischen dem Alter der Kinder beim Auftreten der Epilepsie und dem therapeutischen Ansprechen auf Natriumkanalblocker gibt. Gerade bei Kindern sei daher eine frühzeitige genetische Diagnosesicherung wichtig, damit eine Therapie begonnen werden kann, noch bevor bleibende Entwicklungsschäden auftreten.
Neurologen haben auch gelernt, dass der Einsatz mancher Antikonvulsiva bei einigen Epilepsie-Formen kontraproduktiv sein können – und zwar dann, wenn sie den entsprechenden Ionenfluss noch weiter in die Fehlfunktion treiben. So seien bei SCN1A-Mutationen, die die Funktion des Ionenkanals einschränken (»Loss of Function«), gängige Antiepileptika ungeeignet, die den Natriumkanal blockieren. Hierzu gehören etwa Carbamazepin, Lamotrigin oder Phenytoin.
Mittlerweile werden laut DGN neben Antikonvulsiva auch für andere Erkrankungen zugelassene Medikamente eingesetzt, die ebenfalls Ionenkanäle beeinflussen. Zum Beispiel Fampridin, das aus der Therapie der Multiplen Sklerose stammt. Fampridin werde derzeit bei KCNA2-Gain-of-Function-Mutationen getestet. Zudem werden bestimmte Blutdrucksenker und Antiarrhythmika auf ihren antikonvulsiven Effekt untersucht, zum Beispiel Chinidin bei KCNT1-Gain-of-Function-Mutationen. Ein Comeback könnte es für den Appetitzügler Fenfluramin geben. Der Arzneistoff wurde 2001 wegen kardialer Nebenwirkungen vom Markt genommen. In geringen Dosierungen zeige er jedoch ohne relevante Nebenwirkungen gute Therapieeffekte bei SCN1A-Epilepsien. Der Hersteller habe eine entsprechende Zulassung beantragt.
Neben diesen Umwidmungen vermeintlich altbekannter Arzneistoffe seien aber auch neuartige Therapien in der Entwicklung. Bei genetischen Epilepsien gebe es in Tiermodellen vielversprechende Ergebnisse mit verschiedenen Antisense-Oligonukleotiden. Diese DNA-Schnipsel sind so designt, dass sie sich an eine bestimmte Stelle im Erbgut anlagern, sodass ein fehlerhaftes Gen nicht abgelesen wird und das entsprechende Protein nicht gebildet wird.
Gearbeitet wird zudem an Gentherapien im engeren Sinne. Dabei werden bestimmte DNA-Abschnitte in den betroffenen Gehirnzellen ausgetauscht oder modifiziert, zum Beispiel stummgeschaltet (»Gene Silencing«). Dies geschieht, indem gesunde DNA über virale Vektoren in die Zellen eingeschleust wird. Im Tiermodell konnten so bestimmte schwere Epilepsieformen mit schlechter Prognose behandelt werden, die eine Therapieresistenz gegenüber Medikamenten zeigen. »Auch wenn der Weg bis zur Heilung noch weit ist – durch fortlaufende Forschung wird unser Verständnis der Epilepsie-Mechanismen besser, was uns immer mehr neue Optionen für zielgerichtete Therapien erschließt«, so Lerches Fazit.