Markersuche in und auf Tumorzellen |
Eva Gottfried |
11.08.2019 08:00 Uhr |
Wie ist ihre Prognose? Neue Bluttests versuchen, diese Frage zu beantworten. / Foto: iStock/Christopher Futcher
Krebserkrankungen zählen in Deutschland zur zweithäufigsten Todesursache. Zu den molekularen Vorgängen bei Entstehung und Verlauf der sehr heterogenen Erkrankungen ist vieles bekannt, aber etliches noch im Dunkeln.
So treten teilweise Hunderte von Genveränderungen auf, die sich in Anzahl und Art im Lauf der Erkrankungen auch ändern können. Nicht alle sind sogenannte Treiber-Mutationen, die wesentlich für das Wachstum der Krebszellen verantwortlich sind; manche sind auch ohne bisher erkennbaren Einfluss. Welche Veränderungen im Einzelfall auftreten und Diagnose, Prognose und Therapiewahl beeinflussen, untersucht die Molekularpathologie.
Die molekulare Diagnostik von Krebs hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt – angefangen von der Immunhistologie und Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) über die Polymerasekettenreaktion (polymerase chain reaction, PCR) und Next-Generation-Sequenzierung (NGS) bis hin zur Liquid Biopsy (Tabelle).
Methode | Nachweis | Marker (Beispiele) | Krebsart (Beispiele) |
---|---|---|---|
Immunhistochemie (IHC) Immunzytochemie (ICC) | Protein | ER, PR, HER-2, Ki-67 | Brust |
Immunhistochemie (IHC) Immunzytochemie (ICC) | Protein | CTLA-4, PD-1 | Lunge |
Immunhistochemie (IHC) Immunzytochemie (ICC) | Protein | CD-Marker | Leukämie |
Chemolumineszenz-Immunassay | Protein | CA 15-3 | Brust |
Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) | DNA-Translokation DNA-Amplifikation | Philadelphia-Chromosom (t 9, 22), ALK, ROS, RET | Leukämie |
Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) | DNA-Translokation DNA-Amplifikation | HER2/neu | Brust |
Polymerasekettenreaktion (PCR) | DNA-Mutation | EGFR | Brust, Lunge |
Real-time quantitative PCR (RTq-PCR) | mRNA (Genaktivität) | BRAF | Melanom, Darm |
Real-time quantitative PCR (RTq-PCR) | mRNA (Genaktivität) | BCR-ABL, PML/RARA, FLT3, WT1, NRAS, KRAS | Leukämie |
Next-Generation Sequenzierung (NGS) | DNA-Mutation Fusionsgen (DNA) | EGFR, KRAS, BRAF, ALK-EML-4 | Lunge |
Transkriptom-Sequenzierung | mRNA (Genaktivität) | BCR-ABL, PML/RARA, FLT3, WT1 | Leukämie |
Transkriptom-Sequenzierung | mRNA (Genaktivität) | NRAS und KRAS | Melanom, Pankreas, Darm, Lunge |
Transkriptom-Sequenzierung | mRNA (Genaktivität) | BRAF | Darm, Melanom |
Gen-Chip, Genexpressionsprofile | mRNA (Genaktivität) | viele Gene parallel | Brust |
Liquid Biopsy | DNA | cfDNA im Blut | Lunge (in Erprobung) |
Parallel zur Diagnostik wurde auch die Behandlung der Patienten individueller. So werden über die klassischen Behandlungsformen der Operation, Strahlen- und Chemotherapie hinaus immer wieder neue Ansätze mit unterschiedlichen Wirkmechanismen entwickelt. Hierzu zählen auch die zielgerichteten Therapien (targeted therapies), die auf einzelne molekulare Strukturen in den Krebszellen abzielen; sie umfassen niedermolekulare Arzneistoffe (small molecules) wie Tyrosinkinase-Inhibitoren und große Moleküle wie monoklonale Antikörper.
Für die Anwendung von mehr als 40 dieser neuen Wirkstoffe sind diagnostische Tests vor Therapiebeginn verpflichtend. Weil aber nicht jeder Test bei jedem Patienten sinnvoll ist, hat die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) Anfang 2019 in einem Positionspapier Regeln zur molekularen Diagnostik veröffentlicht (1, 2). So sollen molekulare Analysen durch eine Indikation getrieben werden und zielgerichtet im Anschluss an die Histologie und Zytologie des betreffenden Gewebes erfolgen. Laut Positionspapier ist es derzeit nicht sinnvoll, die Anwendung bestimmter Methoden vorzuschreiben; wichtiger sei vielmehr, ein valides Ergebnis unabhängig von der Methode zu erreichen.
Im Folgenden werden Möglichkeiten der molekularen Diagnostik anhand von ausgewählten Beispielen bei Brustkrebs, Lungenkrebs und Leukämie dargestellt.
Brustkrebs (Mammakarzinom) ist in Deutschland mit jährlich etwa 69.000 Neudiagnosen die häufigste Krebserkrankung bei Frauen (3). Im frühen Erkrankungsstadium zeigen sich oft keine Beschwerden, sodass ein Verdacht oft erst bei der Vorsorge aufkommt. Zu den Basisuntersuchungen zählen das Abtasten und die Röntgenuntersuchung (Mammografie) sowie gegebenenfalls Ultraschall (Sonografie) und Magnetresonanztomografie mit Kontrastmittel.
Ob es sich um einen gutartigen oder bösartigen Befund handelt, lässt sich nur anhand einer Gewebeprobe (Biopsie) sagen. Hierzu werden unter Ultraschallkontrolle mit einer Hohlnadel (Stanz- oder Vakuumbiopsie) mindestens drei Proben aus dem verdächtigen Bereich der Brust entnommen und im Labor histologisch auf Zelltyp und Differenzierungsgrad der Zellen untersucht. Finden sich hierbei für Krebs typische Veränderungen, wird die Probe auf verschiedene biologische Merkmale (Marker) untersucht. Hier kommt die molekulare Diagnostik ins Spiel, bei der Laboranalysen auf DNA, RNA und Proteinebene erfolgen (Kasten).
Die Steroidhormone Estrogen und Progesteron binden intrazellulär an Estrogen- und Progesteron-Rezeptoren (ER und PR), aktivieren damit Wachstumsfaktoren und regen die Brustzellen zur Proliferation an. Deshalb wird der Hormonrezeptorstatus der Gewebeprobe durch Anfärben der ER und PR mithilfe von immunhistochemischen Verfahren analysiert. Ist der Nachweis positiv (Abkürzung: ER+ oder PR+), gilt der Tumor als hormonempfindlich. Dann kann eine Anti-Hormontherapie (endokrine Therapie, Hormonentzugsbehandlung) als adjuvante (zusätzliche) Therapie nach Operation und möglicherweise Chemotherapie erwogen werden.
Neben dem Hormonrezeptorstatus wird untersucht, ob die Krebszellen Bindungsstellen für den Wachstumsfaktor HER2/neu (human epidermal growth factor receptor 2) aufweisen, der auf Brustkrebszellen oft verstärkt exprimiert wird. Es handelt sich um einen Tyrosinkinase-Rezeptor, der aktivierende Signale von Wachstumsfaktoren in die Zellen vermittelt und deren Proliferation damit antreibt. Die Bestimmung des HER2/neu-Status erfolgt ebenfalls durch immunhistochemische Färbung des Gewebes. Weil bekannt ist, dass ein übermäßiges Vorkommen von Rezeptoren oft durch eine Vervielfältigung der entsprechenden Gene (Genamplifikation) verursacht wird, kann zur Sicherung der Diagnose noch eine FISH angeschlossen werden. Dabei wird das HER2/neu-Gen (genannt c-erbB2) auf DNA-Ebene nachgewiesen.
Ist das Gewebe HER2/neu positiv, kommt eine Behandlung mit einem blockierenden monoklonalen Antikörper (Trastuzumab) infrage. Weil sich dieser Antikörper zielgenau gegen das Molekül HER2/neu auf den Krebszellen richtet, spricht man von zielgerichteter Therapie.
ER- und PR-Rezeptoren wie auch HER2/neu sind sogenannte prädikative Faktoren, die angeben, ob ein Patient von einer bestimmten Therapie profitieren könnte. Zusätzlich gelten sie als Prognosefaktoren, die anzeigen, wie aggressiv ein Tumor voraussichtlich wachsen wird.
Als weitere Prognosefaktoren bei Brustkrebs gelten das Zellkernprotein Ki-67, das während der Zellteilung aus dem Zellkern freigesetzt wird, und das Enzym uPA (Urokinase-Typ Plasminogen Aktivator), das bei der Ausbreitung der Krebszellen eine Rolle spielen soll. Die Bestimmung erfolgt ebenfalls immunhistochemisch, auch wenn die Aussagekraft immer wieder umstritten ist.
All diese Moleküle – ER und PR, HER2/neu oder Ki-67 – werden oft mit dem Begriff Biomarker (biologisches Merkmal) versehen. Hiervon zu unterscheiden sind sogenannte Tumormarker: Diese Moleküle werden von Krebszellen abgegeben und sind in einer Blutprobe nachweisbar. Zur Diagnostik von Brustkrebs sind bisher keine Tumormarker bekannt; zur Verlaufskontrolle wird das Glykoprotein CA 15-3 bestimmt. CA 15-3 wird bei Brustkrebs vermehrt in den Milchgängen gebildet, gelangt auch ins Blut und kann in Blutproben mittels Chemolumineszenz-Immunassay quantitativ nachgewiesen werden.
Neben diesen Analysen gibt es neue, wenn auch von den offiziellen Leitlinien noch nicht empfohlene Tests zur Prognose. Das Cell-Search®-System beispielsweise dient zur Bestimmung von zirkulierenden Tumorzellen im Blut von Patientinnen mit metastasiertem Brustkrebs. Die Bestimmung erfolgt anhand von epithelialen Zellmarkern, die bei Gesunden dort nicht zu finden sind.
Für die Vorhersage des Ansprechens einer Therapie werden derzeit auch Gen-Chips entwickelt und getestet (auch Genexpressionstests, Genexpressionsprofile, Multigen-Assays oder Microarrays genannt), die die Aktivität vieler verschiedener Gene der Krebszellen gleichzeitig auf Ebene der RNA erfassen. Diese Untersuchungen sollen letztlich die Therapieauswahl vereinfachen und zur besseren Beurteilung des Therapieansprechens und der Prognose beitragen. Ziel ist, das Risiko eines Rückfalls (Rezidiv) besser beurteilen zu können. Gen-Chips werden derzeit noch klinisch geprüft und können zur Prognosefestlegung eingesetzt werden, wenn klassische Prognosefaktoren kein eindeutiges Ergebnis für oder gegen eine Chemotherapie erbringen.
Bei den meisten Patientinnen kann keine bestimmte Ursache oder Vererbbarkeit für Brustkrebs ausgemacht werden. In den sogenannten Brustkrebsgenen (BReast CAncer gene, BRCA1 und BRCA2) können allerdings Keimbahnmutationen auftreten, die an die Nachkommen weitergegeben werden. Diese spielen laut derzeitigem Stand bei 5 bis 10 Prozent der Patientinnen eine Rolle (4).
Die Mammografie zählt zu den Standardverfahren zur Früherkennung von Brustkrebs. / Foto: Adobe Stock/Picture Partners
BRCA1 und BRCA2 sind keine Onkogene, die das Tumorzellwachstum direkt antreiben, sondern Teil eines normalen Reparatursystems aller Zellen. Sind sie mutiert, werden Brüche im DNA-Strang weniger gut repariert und Zellveränderungen wahrscheinlicher. Weil die mutierten DNA-Sequenzen vererbt werden, treten sie familiär gehäuft auf. Allerdings wurde inzwischen gezeigt, dass Angehörige dieser sogenannten Brustkrebsfamilien nur dann ein erhöhtes Risiko für Brust- und Eierstockkrebs (Ovarialkarzinom) haben, wenn die Mutationen an einer bestimmten Position der Gene auftreten (5).
Für Mitglieder von Brustkrebsfamilien besteht die Möglichkeit, BRCA1- oder BRCA2-Gen-Abberrationen als Risikomarker mithilfe von Next-Generation-Sequenzierung bestimmen zu lassen. Vorab und nach Erhalt der Ergebnisse sollte den Betroffenen eine umfassende Beratung angeboten werden.
Jährlich erkranken in Deutschland etwa 53.900 Menschen an Lungenkrebs (Bronchialkarzinom) (6), der zweithäufigsten Krebserkrankung bei Männern und der dritthäufigsten bei Frauen. Lungenkrebs geht von den Zellen der Bronchien aus und lässt sich anhand einer Biopsie histologisch in nicht-kleinzelligen Lungenkrebs (non-small cell lung carcinoma, NSCLC, etwa 85 Prozent der Fälle) und kleinzelligen Lungenkrebs (small cell lung carcinoma, SCLC, etwa 15 Prozent) unterscheiden.
Bei Verdacht auf Lungenkrebs wird in der Regel eine Röntgenaufnahme der Lunge oder eine Computertomografie (CT) gemacht. Bei der Lungenspiegelung (Bronchoskopie) oder Feinnadelaspiration (Punktion) wird eine Gewebeprobe zur Bestimmung des Krebstyps entnommen. Von Lungenkrebs zu unterscheiden sind Lungenmetastasen, bei denen es sich um Absiedlungen von anderen Tumoren, zum Beispiel von Nierenzellkarzinom oder Brustkrebs, in der Lunge handelt.
Nicht zuletzt wegen begrenzter Früherkennungsmöglichkeiten wird Lungenkrebs oft erst in fortgeschrittenem Stadium entdeckt. So ist das SCLC zum Zeitpunkt der Diagnose meist schon metastasiert. Dann ist nur noch eine palliative Behandlung mit Chemotherapie und gegebenenfalls Radiotherapie zur Linderung der Beschwerden möglich.
Beim NSCLC gelten Operation und Radiochemotherapie als primäre Behandlungsstrategien. Darüber hinaus stehen heute auch zielgerichtete Therapeutika zur Verfügung, die auf ganz bestimmte Veränderungen in den Krebszellen abzielen und nur bei deren Vorliegen im individuellen Patienten wirksam sein können. Hier kommt wieder die molekulare Diagnostik ins Spiel, die in den Leitlinien zur genauen Subtypisierung der Krebszellen bei Lungenkrebs empfohlen wird (7).
Bei etwa 10 bis 15 Prozent der Patienten mit NSCLC findet man Mutationen in wachstumsfördernden Genen wie EGFR (epidermal growth factor receptor), ALK (anaplastische Lymphomkinase) oder der Serin/Threonin-Kinase BRAF, die das maligne Wachstum der Krebszellen vorantreiben. Diese Treiber-Mutationen werden in der Regel mit NGS bestimmt; damit lassen sich automatisiert viele Mutationen parallel im Hochdurchsatz untersuchen.
So ist bekannt, dass aktivierende Mutationen im EGF-Rezeptor zu einem andauernden Wachstumsreiz für die betreffenden Zellen führen. Diesem kann man therapeutisch mit Tyrosinkinase-Inhibitoren entgegenwirken, die spezifisch an mutierten EGF-Rezeptoren binden und diese blockieren.
Das Gen ALK codiert für eine Rezeptor-Tyrosinkinase, die im normalen Lungengewebe nicht aktiv ist, durch Mutation aber zum Onkogen wird und die Zellteilung antreibt. Außerdem kommt es in einigen Tumorzellen zum Bruch im Gen ALK mit nachfolgender Umlagerung und Fusion mit dem Gen EML4 (echinoderm microtubule-associated protein-like 4). Das hieraus resultierende Fusionsprotein EML4-ALK ist andauernd aktiv und lässt die Tumorzelle ungezügelt wachsen. Findet sich diese Fusion in den Krebszellen eines Patienten, können hemmende ALK-Inhibitoren zur Therapie erwogen werden. Die Fusion der beiden Gene wird entweder mithilfe einer FISH oder einer NGS an einer Gewebeprobe nachgewiesen.
Auch bei der Entscheidung für eine immunonkologische Therapie spielt die molekulare Diagnostik eine Rolle. Bei dieser Therapieform sollen Bremsen im Immunsystem gelöst werden, indem die Patienten mit sogenannten Checkpoint-Inhibitoren, sprich Antikörpern gegen Moleküle wie Cytotoxic T-lymphocyte-associated protein 4 (CTLA-4) oder Programmed cell death protein 1 (PD-1) behandelt werden. Deren Einsatz ist aber nur sinnvoll, wenn die Zielmoleküle auf der Oberfläche der Krebszellen auch tatsächlich exprimiert werden.
Zur Analyse werden die Zellen mit Fluoreszenzfarbstoff-geladenen Antikörpern gegen CTLA-4 oder PD-1 markiert und im Durchflusszytometer mittels Laserlicht analysiert. Auf diese Weise lassen sich Oberflächenproteine von Zellen relativ schnell charakterisieren, was die Therapieentscheidung erleichtert.
Im Verlauf der Therapie kommt es auch bei Lungenkrebs immer wieder zu neuen Mutationen in den Krebszellen, die die Wirkung der ursprünglich gewählten Therapie zunichtemachen.
Die Liquid Biopsy könnte die Verlaufskontrolle von Tumorerkrankungen deutlich vereinfachen. / Foto: Adobe Stock/motorolka
Weil die Gewinnung von Krebsgewebe im Lauf der Therapie für den Patienten zusätzlich belastend ist, wird viel an der neuen Methode der Liquid Biopsy (Flüssigbiopsie, Nachweis von Tumorzell-DNA im Blut) geforscht (8). Ziel ist es, DNA von Krebszellen im Blut nachzuweisen und zu untersuchen. Damit könnte die Verlaufskontrolle anhand von einfach zu entnehmenden Blutproben erfolgen.
Auch wenn laut onkologischer Leitlinien diese Methode inzwischen für das Auffinden von Ursachen einer Therapieresistenz bei ausgewählten Fällen von Lungenkrebs erwogen werden kann, muss sich dieses Nachweisverfahren in klinischen Studien erst noch beweisen.
Etwa 1 bis 2 Prozent aller Menschen in Deutschland erkranken im Lauf ihres Lebens an einer Leukämie (9). Diese Gruppe von Erkrankungen nimmt ihren Ursprung in den Vorläuferzellen des Knochenmarks und manifestiert sich primär im Knochenmark und Blut der Patienten. Anhand von histologischen und molekularen Daten sowie dem Verlauf der Erkrankung lassen sich chronische lymphatische und myeloische Leukämien (CLL und CML) sowie akute Formen (ALL und AML) mit einer ganzen Reihe von Subtypen unterscheiden (10).
Lymphome werden fälschlicherweise oft auch als Blutkrebs tituliert, bezeichnen aber bösartiges Zellwachstum in lymphatischen Organen.
Für Leukämien gibt es keine eindeutigen Warnzeichen; Müdigkeit und häufige Infektionen sind eher vage Anzeichen. Erst eine Untersuchung von Blut und Knochenmark bringt Klarheit. Hierfür wird als erstes die Gesamtzahl der Blutzellen und das Verhältnis der verschiedenen Zelltypen (Lymphozyten, Granulozyten und Monozyten) zytohistologisch nach dem Anfärben mit Zellfarbstoffen bestimmt. Erhärtet sich der Verdacht, werden Zellen aus dem Knochenmark mittels Aspiration aus dem Beckenknochen gewonnen, um die einzelne Erkrankung genauer mittels Zytomorphologie, Immunphänotypisierung, Zytogenetik und DNA-Analyse zu charakterisieren.
In der Zytomorphologie werden die Zellen nach Zelltyp und Zellzahl pro Milliliter Blut oder Knochenmarkprobe untersucht, früher im Mikroskop, heutzutage im Durchflusszytometer mittels Laserlicht. Zur Differenzialdiagnose sind weitere Verfahren wie Immunphänotypisierung mittels immunzytochemischer Methoden nötig, bei der charakteristische Markermoleküle (Antigene) auf der Zelloberfläche bestimmt werden. Hierbei nutzt man die Tatsache, dass Blutzellen in verschiedenen Differenzierungsstufen unterschiedliche Antigene auf ihrer Oberfläche tragen. Diese werden als CD-Marker (cluster of differentiation marker) mit unterschiedlichen Nummern bezeichnet und mithilfe von Farbstoff-gekoppelten Antikörpern nachgewiesen. Dabei wird in der Regel ein ganzes Panel von Markern auf den Blut- oder Knochenmarkszellen bestimmt, um den Subtyp der Erkrankung genau zu definieren.
Die eigentlichen Treiber der Leukämiezellen sind molekulare Veränderungen, die zur verstärkten Zellteilung führen. So gilt bei leukämischen Zellen der Karyotyp (Gesamtheit der Eigenschaften der Chromosomen) als wichtiger prognostischer Parameter für das Ansprechen auf eine Therapie sowie das Überleben der Patienten. Mithilfe der Zytogenetik konnten bisher mehr als 50 für die einzelnen Leukämieformen typische Chromosomen-Aberrationen beschrieben werden.
Das Philadelphia-Chromosom, das aus einer Translokation von genetischem Material zwischen Chromosom 9 und Chromosom 22 entsteht, ist charakteristisch für die chronische myeloische Leukämie. / Foto: Getty Images/Kateryna Kon
Bekanntestes Beispiel ist das Philadelphia-Chromosom, das typisch für Zellen der chronisch myeloischen Leukämie (CML) ist. Es handelt sich um ein verkürztes Chromosom 22, das durch Bruch und Translokation von genetischem Material zwischen Chromosom 22 und Chromosom 9 im Zellkern entsteht. Mittels FISH lässt sich die Translokation in Blut- oder Knochenmarkszellen und damit die Bildung des BCR-ABL genannten Gens nachweisen.
Neben BCR-ABL sind bei anderen Leukämieformen andere Mutationen und Fusionen, insbesondere von Kinasen relevant, die zelluläre Prozesse und die Zellteilung steuern. Als Beispiel seien PML/RARA, FLT3, WT1, NRAS und KRAS genannt, deren Nachweis mithilfe der PCR beziehungsweise NGS erfolgt (11).
Doch nur wenn die aufgetretenen Mutationen und Fusionsgene tatsächlich in Form von veränderten Proteinen exprimiert werden, kommt es zur unkontrollierten Vermehrung der Zellen. Der Nachweis aktiver Gene und Genfusionen erfolgt mittels Transkriptom-Sequenzierung, bei der mRNA (messenger-RNA) nachgewiesen wird, die den Zwischenschritt zwischen DNA und Protein bildet. Der Nachweis eines aktiven BCR-ABL-Gens bei CML trägt wesentlich zur Entscheidung bei, ob beispielsweise das Zytostatikum Imatinib eingesetzt werden soll, das die Tyrosinkinase ABL hemmt und so die Zellteilung bremst.
Im Lauf der Therapie wird im Blut des Patienten verfolgt, wie viele Leukämiezellen noch vorhanden sind, die sich wieder verstärkt vermehren und zum Rezidiv der Erkrankung führen können. Diese minimale Resterkrankung (minimal residual disease, MRD, MRD-Last) wird mithilfe von Immunphänotypisierung, NGS und Real-time quantitativer Polymerasekettenreaktion (RTq-PCR) untersucht, mit der sich eine Leukämiezelle unter 10.000 gesunden Zellen detektieren lässt.
Zusätzlich wird anhand von Gen-Rearrangements in Immunglobulin- und T-Zell-Rezeptor-Genen untersucht, ob alle Leukämiezellen eines Patienten von einer einzelnen Stammzelle abstammen oder ob im Lauf der Zeit verschiedene Zellklone durch neue Mutationen aufgetreten sind und sich vermehren. Weil es durch neue Mutationen auch zu Resistenzen gegen die eingesetzten Medikamente kommen kann, wird auch dies immer wieder getestet. Gegebenenfalls ist ein Therapiewechsel nötig.
Die Chemotherapie wird bei vielen Tumoren weiterhin zum Therapiestandard gehören. Bei einigen Patienten eröffnet die molekulare Diagnostik schon den Weg zur passgenauen zielgerichteten Therapie. / Foto: Adobe Stock/Photozi
Bei fortgeschrittener Leukämie kann eine Stammzelltherapie mit Transplantation von Knochenmark- und Blutstammzellen eines Spenders notwendig sein. Das Monitoring des Therapieverlaufs erfolgt mithilfe einer Chimärismus-Analyse. Dabei wird in PCR-Analysen untersucht, welcher Anteil an Zellen im Blut des Patienten von Spenderzellen abstammt und welcher von patienteneigenen Zellen. Hierbei lässt sich herausfinden, inwieweit sich die übertragenen gesunden Spenderzellen im Patienten etablieren konnten oder ob die Gefahr besteht, dass sich restliche Leukämiezellen wieder vermehren.
Ebenso wird der Verlauf der relativ neuen CAR-T-Zelltherapie bei bestimmten B-Zell-Leukämien mit einem Monitoring begleitet. Bei der Behandlung erhält der Patient gentechnisch modifizierte T-Zellprodukte, die individuell aus seinen eigenen T-Zellen hergestellt und zurück in seinem Körper gebracht werden, um dort Leukämiezellen aufzuspüren und abzutöten. Mithilfe von PCR und Immunphänotypisierung wird verfolgt, ob und wie viele Leukämiezellen im Lauf der Therapie im Blut der Patienten noch zu finden sind.
Ziel der Präzisionsmedizin ist es, für jeden Patienten die am besten geeignete Therapie auszuwählen. Neben klinischer Untersuchung, bildgebenden Verfahren und Histologie wird die Therapieauswahl durch die molekulare Diagnostik wesentlich unterstützt. Dabei geht es nicht darum, immer neue Therapien anwenden zu können, sondern um die Entscheidung, ob eine bestimmte Therapie bei einem bestimmten Patienten erfolgversprechend ist.
Hierzu müssen die therapierelevanten molekularen Eigenschaften der Krebszellen vorab gut analysiert und im Verlauf reevaluiert werden. Dabei müssen Ärzte sorgsam entscheiden, welche molekularen Tests im Einzelfall sinnvoll sind. Laut dem Vorsitzenden der DGHO, Professor Dr. Carsten Bokemeyer vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, kann man mit der molekularen Diagnostik derzeit für lediglich 5 bis 10 Prozent aller Patienten eine Therapie mit deutlichem klinischen Vorteil gegenüber Standardtherapien herausfiltern (12). Außerdem dürften keine falschen Erwartungen geweckt werden, weil nicht für alle bekannten Veränderungen auch Medikamente und spezifische Inhibitoren zur Verfügung stehen. Essenziell ist auch, das Zusammenspiel einzelner molekularer Faktoren zu beachten, die den Verlauf entscheidend beeinflussen können. Das Potenzial der molekularen Diagnostik wird sich in Zukunft zeigen.
Dr. habil. Eva Gottfried ist Übersetzerin und Diplom-Biologin. Sie studierte an der Universität Heidelberg und schloss 1994 ihre Diplomarbeit am DKFZ Heidelberg ab. Ihre Promotionsarbeit fertigte sie am Institut für Immunologie der LMU München an. Dr. Gottfried arbeitete viele Jahre als wissenschaftliche Assistentin am Uniklinikum Regensburg im Bereich Hämatologie/Onkologie und habilitierte sich dort in Experimenteller Medizin mit einer Arbeit zur Modulation der Immunantwort im Tumormilieu. Seit 2014 arbeitet sie selbstständig in der Wissenschaftskommunikation und im Medical Writing.