Hände weg vom Alkohol |
13.04.2010 15:36 Uhr |
Von Brigitte M. Gensthaler, Villingen-Schwenningen / Arzneimittel und Alkohol vertragen sich selten. Alkoholkonsum kann die Blutspiegel von Arzneistoffen erhöhen oder senken, Nebenwirkungen und toxische Effekte verstärken. Umgekehrt können auch Arzneistoffe den Alkoholabbau stören.
Die Interaktionen von Alkohol und Medikamenten sind vielfältig und können vor allem ältere Menschen deutlich gefährden, warnte Professor Dr. Helmut K. Seitz vom Alkoholforschungszentrum in Heidelberg beim 38. Schwarzwälder Frühjahrskongress der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg in Villingen-Schwenningen. Senioren nehmen oft etliche Arzneimittel ein und ihre Organe reagieren sensibler auf Noxen. Zudem können sie Ethanol schlechter metabolisieren als Jüngere und erreichen aufgrund des verringerten Körperwasseranteils höhere Alkoholspiegel. Problematisch sei jedoch, dass über den Alkoholkonsum bei alten Menschen oft gar nicht gesprochen wird.
Die Interaktionen von Alkohol und Medikamenten sind vielfältig und können vor allem ältere Menschen
gefährden.
Foto: AOK
Eingriff in den Ethanolabbau
Ethanol wird vorwiegend über die Alkoholdehydrogenase (ADH) zu Acetaldehyd und weiter über die Acetaldehyddehydrogenase (ALDH) zu Acetat abgebaut. Bis zu 10 Prozent des getrunkenen Ethanols werden bereits von der Magen-ADH metabolisiert, der weitaus größere Teil erreicht jedoch die Leberzellen und wird dort abgebaut. Arzneistoffe wie Metoclopramid, die die Magenentleerung beschleunigen und somit den gastralen Abbau verhindern, können die Alkoholspiegel im Blut erhöhen. Den gleichen Effekt hat Cimetidin, das die Magen-ADH hemmt.
Gefährliche Folgen kann eine Hemmung der ALDH haben, wenn das toxische Acetaldehyd kumuliert. Bekannteste Substanz ist Disulfiram, das man früher oft zum Alkoholentzug einsetzte. Trinken die Patienten trotzdem, kommt es zu höchst unangenehmen und bedrohlichen Nebenwirkungen wie Flush, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Atemnot und Blutdruckabfall (»Antabus-Effekt«). Disulfiram-ähnliche Symptome können auch Metronidazol, Sulfonamide, Chloramphenicol, Griseofulvin, Procarbazin, Quinacrin und Ketoconazol auslösen, warnte Seitz. Der Apotheker kann die Patienten vorab informieren, dass sie während der Behandlung Alkohol möglicherweise nicht vertragen und diesen besser meiden sollten.
Interaktion mit CYP2E1
Neben den Dehydrogenasen sind auch mischfunktionelle Oxidasen am Ethanol-abbau beteiligt. Wesentlicher Bestandteil des MEOS (microsomal ethanol oxidizing system) ist das Cytochrom-Isoenzym CYP2E1, das in Leber und Darm vorkommt. Es katalysiert den Metabolismus von Ethanol, Isoniazid und Paracetamol. Während chronischer Konsum das Isoenzym induziert, hemmt akuter Alkoholkonsum es und verzögert damit den Stoffwechsel. Bekanntes Beispiel ist das Psychopharmakon Clomethiazol, dessen ausgeprägter First-Pass-Effekt durch Alkohol blockiert wird. Zudem addieren sich die sedierenden Effekte beider Stoffe. Da die Kombination lebensbedrohlich sein kann, ist Alkohol streng kontraindiziert. Seitz warnte ebenfalls vor Wechselwirkungen mit zentral wirksamen Psychopharmaka wie Benzodiazepinen, Barbituraten und Phenytoin, da akute Alkoholzufuhr deren Abbau verzögert. Mögliche Folgen sind verlängerte Halbwertszeit, erhöhte Blutspiegel und verstärkte sedierende Effekte bis hin zur Atemdepression.
Gefährliche Kombinationen
Die Enzyminduktion tritt nicht erst bei Alkoholabhängigkeit auf, erklärte Seitz. Sie sei bereits nach Konsum von 40 g Ethanol über eine bis zwei Wochen messbar. Untersuchungen an Probanden haben gezeigt, dass die Clearance von Meprobamat, Pentobarbital und Phenprocoumon steigt, was deren Wirkung abschwächt. Auch Alkohol wird schneller eliminiert.
Alkohol und Arzneimittel ist auch ein Thema für Menschen, die bei der Arbeit ständig zum Beispiel Lösungsmitteln ausgesetzt sind.
Foto: picture-alliance
Gefährlich wird es, wenn der gesteigerte Stoffwechsel zu toxischen Produkten führt. Dies gilt beispielsweise für Paracetamol. Bei induziertem CYP2E1 wird vermehrt der lebertoxische Phase-I-Metabolit N-Acetylchinonimin (NAPQI) gebildet. Die »entgiftende« Phase-II-Konjugationsreaktion benötigt Glutathion. Ist dieses Tripeptid, zum Beispiel bei Alkoholabusus, nicht ausreichend vorhanden, kann es zu Leberschäden kommen. Hepatotoxisch ist auch der Metabolit, der aus Isoniazid beziehungsweise seinem Abbauprodukt Monoacetylhydrazin über CYP2E1 entsteht.
Fibrosegefahr erhöht
Auch Vitamin A/Betacarotin und Alkohol sind eine schlechte Kombination. Retinol und Retinsäure werden über CYP2E1 abgebaut. Bei chronischem Alkoholkonsum ist der Metabolismus beschleunigt. Die Verarmung an Retinol und Retinsäure fördert die Hyperproliferation und Kanzerogenese in verschiedenen Geweben, zudem entstehen apoptotisch wirksame Intermediärprodukte. Seitz warnte daher dringend vor der Vitamin-A- oder Betacarotin-Supplementation bei chronischen Trinkern.
Die CYP-Induktion, die immer mit einer erhöhten Feisetzung von reaktiven Sauerstoffradikalen einhergeht, kann die Leberschädigung durch Toxine am Arbeitsplatz erhöhen, warnte der Alkoholforscher. Dies sei wichtig für Menschen, die als Spritzlackierer oder in der Reinigungsindustrie ständig Lösungsmitteln ausgesetzt sind.
Als »schlechteste Kombination, die man sich vorstellen kann«, bezeichnete Seitz die parallele Aufnahme von Methotrexat und Alkohol. Beide Stoffe stimulieren die hepatische Fibrogenese über Aktivierung der hepatischen Sternzellen. Aus einer »stillen Fibrose« könne in wenigen Jahren eine Leberzirrhose entstehen.
Eine vermehrte Fibrosierung wurde auch bei Menschen beobachtet, die Cannabinoide und Alkohol konsumieren. Kardiotoxisch wirke die Kombination von Alkohol und Cocain oder Methadon. /