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Phytohersteller

Zu Besuch bei Schwabe

26.03.2014  09:56 Uhr

SPD-Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar blieb in ihrer Ablehnung eines Versandhandelsverbots für rezeptpflichtige Medikamente hart. In Deutschland gebe es bereits seit 2004 Erfahrungen mit dem Arzneimittelversandhandel, sagte sie. Ihn nun 13 Jahre später wieder zu verbieten, sei verfassungsrechtlich äußert schwierig.

Von Yuki Schubert, Karlsruhe / Der Hersteller Dr. Willmar Schwabe produziert seit fast 150 Jahren Phytopharmaka. Angefangen hat alles mit der Wund- und Heilsalbe Hametum®, heute ist das Unternehmen vor allem für das Ginkgo Präparat Tebonin® bekannt. Doch wie entsteht aus einer Pflanze eigentlich eine Tablette?

Der Zug hält am Bahnhof Karlsruhe-Durlach. Es ist ein sonniger Tag und so ist der Blick frei auf das direkt vor dem Bahnhof liegende Schwabe-Gebäude. Am Eingang angekommen, wird schnell klar, dass hier vor allem eine Pflanze im Fokus steht: Große Fahnen mit aufgedruckten magentafarbenen Ginkgoblättern wehen dem Besucher entgegen, im Bürogebäude sind die Gänge mit Ginkgo-Malereien geschmückt.

 

Seit 1866

 

Schwabe und Ginkgo – das gehört offensichtlich untrennbar zusammen. Ganz in der Nähe der Ginkgobilder hängen im Gang zum Konferenzraum Portraits der Gründerfamilie Schwabe an der Wand. 1866 begann der damals 26-jährige Apotheker mit dem Verkauf von homöopathischen Präparaten nach Hahnemann. Heute führt seine Familie das Unternehmen in fünfter Generation.

Im Jahr 2013 erwirtschaftete der Phytohersteller einen Umsatz von 660 Millionen Euro. 510 Millionen davon entfielen auf Phytopharmaka und Nahrungsergänzungsmittel, 150 Millionen auf homöopathische Mittel. Aktuell arbeiten nach Angaben der Unternehmenssprecherin Uta Hülsermann rund 700 Mitarbeiter in Karlsruhe. Darunter seien Biologen, Pharmazeuten und Agrarwissenschaftler, die sich um die eigenen Plantagen auf der ganzen Welt kümmern, sagte der Geschäftsführer für die Bereiche Produktion und Technik, Rainer Oschmann. »Wir haben Ginkgo-Plantagen in Nordamerika, Südfrankreich und China, um eine gleichmäßige Produktqualität zu gewährleisten.« Schwabe betreut laut Oschmann damit die gesamte Herstellungskette vom Pflanzenanbau über den Extrakt bis hin zum fertigen Arzneimittel.

 

Nach der Ernte müssen die Ginkgoblätter getrocknet werden. Denn hat die Droge zu viel Restfeuchte, schimmelt sie auf dem Transportweg nach Deutschland. Deshalb befinden sich die Trocknungsanlagen direkt auf den Plantagen. Es sei schwierig, Phytopharmaka mit gleichbleibend hoher Qualität zu produzieren, so Oschmann. Einerseits müsse das Lager stets gut bestückt sein, da schlechtes Wetter oder Ernteausfälle die Herstellung gefährdeten. Andererseits müsse sichergestellt sein, dass schon beim Anbau, aber auch über die gesamte Prozesskette auf einwandfreie Qualität geachtet werde.

 

Vom Bürogebäude geht es nun einmal quer über den Innenhof zu einem der ersten Produktionsräume. Dort wartet bereits der Hauptabteilungsleiter des Qualitätsmanagements, Frank Waimer, mit Helm und Brille als Schutzkleidung. So ausgerüstet geht es eine steile Treppe hoch. Waimer: »Es gibt eine räumliche Trennung zwischen den einzelnen Produktionsschritten, um den steigenden hygienischen Anforderungen vom pflanzlichen Ausgangsmaterial bis zum Fertigprodukt gerecht zu werden.«

 

Oben angekommen riecht es stark nach Heu. In der Mitte des Raums liegen unterschiedlich große Ballen aus getrockneten Ginkgoblättern – in dieser Form wird die Droge von den Plantagen auf der ganzen Welt nach Karlsruhe geliefert. Die typische Form des Ginkgoblatts lässt sich in diesem gepressten und getrockneten Zustand nur noch bei genauem Hinsehen erkennen.

 

Die ideale Mischung

Aus den Ballen wird eine Blattmischung hergestellt, die bezüglich des Flavonglykosidgehalts den gewünschten Extrakt liefert. Dafür werde versucht, eine ideale Mischung aus Blättern mit niedrigerem und höherem Flavongehalt zu finden, so Waimer. So soll gewährleistet sein, dass der gewonnene Extrakt stets den gleichen Gehalt der wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe hat. Die Ballen werden zunächst fein gehäckselt. Durch ein Edelstahlrohr gelangt das feine Ginkgopulver pneumatisch gefördert zum nächsten Produktionsschritt, der Extraktion. 

Dies sei ein besonders kritischer Punkt bei der Herstellung des Schwabe-Spezialextrakts EGb 761®, so Hülsermann. »Wird an den Maschinen nur eine Stellschraube verändert, dann verändert sich auch der Extrakt.« Eine dicke Stahltür führt zu den Extraktionsanlagen. Hier erklärt sich der Sinn des Helms. Über mehrere Etagen hinweg sind die Maschinen angeordnet, sodass einem Mitarbeiter durchaus mal ein Stift oder gar Schwereres entgleiten kann. Gelobt sei der Kopfschutz. Die Maschinen dröhnen in den Ohren, man kann sein eigenes Wort kaum verstehen, Personal ist aber fast nicht zu sehen.

 »Die Extraktherstellung bei Schwabe läuft in vielen Schritten vollautomatisiert«, sagt Apotheker Waimer. In einem Anmaischbehälter wird die Droge mit Lösungsmittel vermengt und gerührt. Es folgt die Verarbeitung in einem Dekanter, einer Art Zentrifuge. Die festen Drogenteile werden dabei an die Wand gepresst und abgetrennt. Im sogenannten Mixer-Settler erfolgt nun ein Schritt der Extraktveredelung. Wässrige und organische Phase werden hier intensiv gemischt und anschließend getrennt. Die organische Phase wird langsam immer dunkler, hier reichern sich die Wirkstoffe an. Die Wasserphase hingegen wird immer heller.

 

5000 Kilogramm Gingko

 

Am Tag verbraucht die Firma Schwabe auf diese Weise 5000 Kilogramm Ginkgoblätter. Zur Extraktion werden circa 50 000 Kilogramm Aceton benötigt, die sich in einem geschlossenen Kreislauf befinden und mehrfach recycelt werden. Für eine Tablette Tebonin mit 40 Milligramm Extrakt benötigt das Unternehmen circa 2 Gramm Ginkgoblätter – das etwa 50-Fache an Gewicht.

 

Nach der Bearbeitung durch den Mixer-Settler wird der Extrakt weiter eingeengt und es bleibt ein dickflüssiger, beinahe schwarzer Sirup übrig. »Die Konsistenz des Dickextraktes bei Raumtemperatur ist ähnlich wie die von Honig«, sagt Qualitätsmanager Waimer. Insgesamt umfasst die Extraktherstellung mehr als 20 Arbeitsschritte. Sie sei im Fall des Ginkgo-Spezialextraktes so aufwendig, da wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe wie Terpenlactone und Flavonglykoside angereichert und unerwünschte Pflanzenbestandteile, wie zum Beispiel toxische Ginkgolsäuren entfernt werden müssten, so Waimer.

 

Der Ginkgo-Dickextrakt wird als Nächstes erhitzt und pumpfähig gemacht, sodass er im Endproduktionsbereich in den sogenannten Vakuum-Bandtrockner befördert werden kann. Für die Besichtigung der folgenden Produktionsschritte wird statt des Helms jetzt ein weißer Ganzkörperanzug nötig. »So mancher Besucher hat sich die Einmaloveralls schon für Karneval mitgenommen«, scherzt Hülsermann.

 

Wie bei der NASA

 

Der Trockner erinnert an Gerätschaften der NASA. Wie ein gestrandetes Raumschiff liegt die röhrenförmige Maschine im Raum. Durch Bullaugen sind Bänder zu sehen, auf die ein Spurarm den Extrakt gleichmäßig fließen lässt, sodass sich eine Schicht bildet. Bei niedriger Temperatur und unter Vakuum wird der Extrakt schonend getrocknet, organische Lösungsmittel werden komplett entfernt und der Wassergehalt auf weniger als 3 Prozent reduziert. So bilden sich aus dem Ginkgo-Extrakt keksartige Gebilde. »Sieht aus wie ein Chocolate-Cookie«, sagt Waimer. Im Anschluss werden diese homogenisiert und zu Pulver gemahlen.

 

Bei der folgenden Zusammenstellung der Tablettenmischung muss die Menge der zugesetzen Hilfsstoffe genau stimmen. Bei der Verarbeitung der hygroskopischen Pflanzenextrakte können sich schnell Klumpen bilden, erklärt Apothekerin Hülsermann. Um die Fließeigenschaften des Pulvers bei der anschließenden Tablettenpressung nicht zu beeinträchtigen, müsse das aber in jedem Fall vermieden werden.

 

Schwabe liefert Produkte mit dem Ginkgo-Spezialextrakt in die ganze Welt. Nach Angaben von Hülsermann generiert die Firma 68 Prozent ihres Umsatzes im Ausland. Wo die Tabletten dann verkauft und ausgegeben werden, komme auf das jeweilige Land an. In manchen Ländern seien Ginkgo-Präparate verschreibungspflichtig, so können Patienten in China Tebonin sogar nur im Krankenhaus bekommen.

 

Natürlich ruht sich Schwabe auf seinen Erfolgen nicht aus, wie Martin Burkart bestätigt, der bei Schwabe die Abteilung medizinische Wissenschaft leitet. So besitzt der Hersteller eine eigene Sammlung von Pflanzen aus aller Welt, um die Entwicklung neuer Arzneimittel voranzubringen. Ob das Unternehmen bereits ein neues Präparat in der Pipeline hat, wollte Hülsermann aber nicht verraten. Allerdings »hat Schwabe ein 100-köpfiges Team, das sich nur um Forschung und Entwicklung kümmert«, sagt sie. /

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