Wenn der Knochen schwach wird |
03.03.2015 11:10 Uhr |
Von Brigitte M. Gensthaler / Osteoporose wird häufig als Problem älterer Frauen abgetan. Weit gefehlt. Viele Männer leiden ebenso unter den Folgen des Knochenschwunds wie Frauen. Ein kritischer Blick auf die aktuelle Medikation und potenzielle Risikofaktoren sowie eine individuell angepasste Therapie helfen, Knochenbrüche zu vermeiden.
Osteoporose ist längst eine Volkskrankheit geworden. Die Weltgesundheitsorganisation zählt sie zu den zehn weltweit bedeutendsten Krankheiten. In Deutschland leben schätzungsweise 6,3 Millionen Menschen mit Osteoporose, darunter 1,1 Millionen Männer. Diese Hochrechnung basiert auf der BEST-Studie, einer retrospektiven Analyse von Versichertendaten der Techniker Krankenkasse im Jahr 2009 (1). Danach hatten 14 Prozent der Versicherten (24 Prozent der Frauen und 6 Prozent der Männer) die Diagnose einer Osteoporose, osteoporotische Frakturen oder eine Osteoporose-Medikation. Diese Zahlen werden steigen.
Fatal für jeden Patienten: ein Bruch des Oberschenkelknochens
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Das Drama liegt weniger im Rückgang der Knochensubstanz, der an sich beschwerdefrei verläuft. Schlimm sind vielmehr die möglichen Folgen: Mehr als die Hälfte der Osteoporose-Patienten erlitt während der dreijährigen Beobachtung in der BEST-Studie Knochenbrüche. Die wiederum führen oft zur Pflegebedürftigkeit und sind mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert.
Die Vermeidung von Stürzen und Knochenbrüchen ist daher Ziel aller prophylaktischen und therapeutischen Maßnahmen. Einen guten Überblick gibt die S3-Leitlinie zur »Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose im Erwachsenenalter«, die der Dachverband Osteologie (DVO) im Herbst 2014 aktualisiert hat (2). Die Leitlinie gilt für Männer ab dem 60. Lebensjahr und für Frauen nach den Wechseljahren.
Was ist Osteoporose?
Die Osteoporose ist keine lokale, sondern eine systemische Skeletterkrankung, die durch eine niedrige Knochenmasse und Verschlechterung der Mikroarchitektur des Knochengewebes charakterisiert ist. Dadurch sinkt die Festigkeit des Knochens, sodass es schon bei geringen äußeren Anlässen oder sogar spontan zu Brüchen kommen kann (sogenannte Fragilitätsfrakturen).
Standardverfahren zur Diagnose ist die Knochendichtemessung (Osteodensitometrie) mittels Dual-X-Ray-Absorptiometrie (DXA). Weicht der Knochenmineralgehalt an der Lendenwirbelsäule und/oder am Oberschenkelknochen (proximalen Femur) um 2,5 Standardabweichungen oder mehr vom Mittelwert einer 20- bis 29-jährigen Frau ab (T-Score ≤ –2,5), liegt definitionsgemäß eine Osteoporose vor. Für Männer beziehen sich die T-Scores auf ein männliches Referenzkollektiv (2).
Von einer manifesten Osteoporose spricht man, wenn der Patient bereits Frakturen infolge der Knochenerkrankung erlitten hat. Typischerweise brechen Wirbelkörper, hüftgelenksnahe Abschnitte des Oberschenkelknochens (meist Femurhals und Trochanter- Region) sowie der handgelenksnahe Abschnitt der Speiche (distaler Radius). Die nicht-vertebralen Frakturen sind überwiegend Sturzfolgen, während Wirbelkörper schon bei Alltagstätigkeiten einbrechen können.
Zwei einfache Tests, der Tandemstand und der Aufstehtest, geben erste Hinweise auf eine Sturzgefährdung, wie Professor Dr. Franz Jakob vom Muskuloskelettalen Centrum Würzburg, bei der Würzburger Wissenschaftlichen Winterfortbildung erklärte (3). Wer nicht zehn Sekunden im Tandemstand (einen Fuß direkt vor den anderen gestellt) stehen kann, ist ebenso sturzgefährdet wie eine Person, die ohne Mithilfe der Arme innerhalb von elf Sekunden nicht mindestens fünfmal von einem Stuhl aufstehen kann. Achtung: Wer dies ausprobieren will, sollte dafür sorgen, dass er sich notfalls rasch festhalten kann.
Am häufigsten postmenopausal
Die häufigste Form ist die postmenopausale Osteoporose, die bei Frauen ab dem 50. Lebensjahr infolge des Ausfalls der Ovarfunktion und des damit verbundenen abrupten Estrogen-Abfalls auftritt (4). In den ersten Jahren nach der Menopause verliert die Frau jährlich 1 bis 5 Prozent Knochenmasse. Da der Abbau schon vor der Menopause beginnt, büßen Frauen vom 40. bis zum 70. Lebensjahr im Allgemeinen etwa 40 Prozent ihrer Knochenmasse ein. Bis zu 40 Prozent der Frauen erkranken an Osteoporose – gegenüber etwa 15 Prozent der Männer über 50 Jahren.
Davon abzugrenzen ist die senile Osteoporose, die Männer und Frauen gleichermaßen betrifft und ab dem siebten Lebensjahrzehnt auftritt (Kasten).
Riskant, riskant
Die Liste der Risikofaktoren für die Entwicklung einer Osteoporose ist lang. Die wichtigsten Risiken sind altbekannt, aber nicht beeinflussbar, zum Beispiel höheres Lebensalter, weibliches Geschlecht, vor allem nach der Menopause, Zahl und Schweregrad von bereits erlittenen Wirbelkörperbrüchen (egal ob sie Beschwerden verursachen oder zufällig entdeckt werden), andere Knochenbrüche und eine genetische Belastung (Oberschenkelhalsbrüche bei den Eltern).
Knochenschwund bei hochaltrigen Männern und Frauen wird heute als eigenständiges Osteoporose-Syndrom anerkannt (4). Die senile Form hat verschiedene Ursachen. So atrophieren mit zunehmendem Alter Knochen und Knochenmarksystem. Knochenbälkchen und -rinde schwinden. Häufig nehmen Muskelmasse (Sarkopenie) und körperliche Aktivität ab; dann wird der Knochen weniger belastet und baut vermehrt ab. Immobilität ist für Körper und Seele fatal: Ein bettlägeriger Mensch kann in einer Woche mehr Knochenmasse verlieren als ein mobiler in einem ganzen Jahr. Verminderte Koordination und Gangunsicherheit bei Senioren erhöhen überdies das Sturzrisiko.
Die Basistherapie umfasst immer körperliche Aktivität, (Wirbelsäulen-)Gymnastik und ausreichende Nährstoff-Versorgung. Empfohlen wird eine tägliche Zufuhr von mindestens 1000 mg Calcium (primär über die Kost), 1000 bis 2000 IE Vitamin D und 1 g Protein/kg Körpergewicht.
Goldstandard in der medikamentösen Therapie sind Bisphosphonate. Die intravenöse Gabe ist bei bettlägerigen oder dementen Patienten oft günstiger als die komplizierte perorale Einnahme. Die Therapie sollte mindestens drei bis fünf Jahre erfolgen; nach dem Absetzen kann der positive Effekt über mehrere Jahre erhalten bleiben.
Als weitere starke Risikofaktoren für übermäßigen Knochenabbau nennt Jakob Immobilität, Sarkopenie (Muskelabbau) und Gebrechlichkeit (Frailty) bei alten Menschen. Auch eine Kachexie, zum Beispiel infolge einer Krebserkrankung, schränkt die körperliche Aktivität merklich ein. Inaktivität führt zum Abbau von Knochen und Muskeln. Die Schwäche erhöht wiederum die Sturzneigung und das Risiko für Knochenbrüche.
»Modifizierbare Risikofaktoren für Osteoporose schon in der Apotheke anzusprechen, ist extrem wirkungsvoll«, betont der Arzt. Dazu gehören wenig Bewegung, Rauchen und Untergewicht (Body Mass Index unter 20). Allerdings schützt ein erhöhter BMI nicht generell vor Knochenschwund und Frakturen. Körperliche Aktivität und Training – angepasst an Alter und Funktion des Seniors – aktivieren die Regeneration und können den altersbedingten Abbau deutlich aufhalten.
Muskelabbau und Gebrechlichkeit sind starke Risikofaktoren für Stürze bei alten Menschen.
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Wichtige und häufige Risikofaktoren sind ferner Vitamin-D- und Calcium-Mangel. Vitamin-D-Mangel sei eine der häufigsten Ursachen für die Sturzneigung, sagt Jakob. Da die endogene Vitamin-D-Synthese im Alter reduziert ist und viele Senioren kaum noch ans Sonnenlicht kommen, habe ein Großteil der Über-75-Jährigen ein deutliches Defizit.
Die Autoren der DVO-Leitlinie listen noch eine ganze Reihe weiterer Risikofaktoren auf, unter anderem eine verminderte Handgriffstärke, Hyponatriämie, hohe Homocysteinwerte sowie hohe Cadmium-Zufuhr mit der Nahrung oder -ausscheidung im Urin.
Diverse Grunderkrankungen belasten ebenfalls das Knochenkonto. Dazu gehört das Cushing-Syndrom, das das Frakturrisiko bei Frauen und Männern anheizt. Diabetes mellitus, Hyper- und Hypothyreose, rheumatoide Arthritis, Spondylitis ankylosans, Herzinsuffizienz und chronisch-obstruktive Atemwegserkrankungen erhöhen das Bruchrisiko unterschiedlich stark. Viele dieser Erkrankungen schränken die Mobilität gerade bei multimorbiden Senioren massiv ein. Eine Epilepsie gilt ebenso wie eine Therapie mit Antiepileptika als mäßiger bis starker Risikofaktor – vermutlich weitgehend unabhängig von der Knochendichte und schon in jungen Jahren.
Auf die Medikation achten
Apotheker sollten besonders auf die Medikation ihrer Patienten achten, denn auch etliche Arzneimittel können das Osteoporose- und das Frakturrisiko erhöhen (Tabelle 1). »Behalten Sie Risikofaktoren wie Glucocorticoide und sturzfördernde Arzneimittel immer im Blick«, rät Jakob.
Arzneimittel | Relatives Risiko (RR) |
---|---|
Orale Glucocorticoide (dosisabhängig von unter 2,5 mg bis 7,5 mg und mehr Prednisolonäquivalent/Tag) | 1,55 bis 5,18 für Wirbelkörperbrüche 1,17 bis 1,64 für nicht-vertebrale Brüche 0,99 bis 2,27 für proximale Femurfrakturen |
Aromatasehemmer (postmenopausale Frauen) | 1,5 |
hormonablative Therapie, Hypogonadismus (Männer) | 1,5 bis 2 |
Glitazone (Frauen) | 2,2 |
Protonenpumpenhemmer (Langzeittherapie) | 1,1 bis 1,9 |
Sedativa | 1,5 |
Benzodiazepine | 1,25 |
Antidepressiva | 1,5 |
Schleifendiuretika | 1,4 |
Orale Glucocorticoide werden häufig als »Knochenfeind Nr. 1« tituliert (5). Tatsächlich ist bereits nach wenigen Monaten einer systemischen Therapie – dosisabhängig – mit einem verstärkten Knochenabbau zu rechnen. Unter einer mehrjährigen Langzeittherapie erleiden viele Patienten eine manifeste Osteoporose mit zahlreichen Knochenbrüchen. Gemäß der DVO-Leitlinie gelten jetzt auch inhalative, hoch dosierte Glucocorticoide als mäßiger Risikofaktor für Personen ab 50.
Anders ist die Situation bei Patienten, zum Beispiel mit Morbus Addison (Nebennieren-Insuffizienz), die Glucocorticoide substituieren (2). Bei korrekter Substitution wurde keine erhöhte Frakturrate beobachtet. Ebenso weist die Leitliniengruppe darauf hin, dass eine orale Gabe von Glucocorticoiden mit 2,5 bis 5,0 mg Prednisolonäquivalent/Tag bei Patienten mit rheumatoider Arthritis das Frakturrisiko nicht weiter zu erhöhen scheint.
Eine wichtige Ursache der Osteoporose beim Mann sind eine antihormonelle (hormonablative) Therapie bei Prostatakarzinom sowie ein Hypogonadismus anderer Ursache, definiert als Serumtestosteron-Konzentration unter 200 ng/ml (Kasten). Wird die hormonablative Therapie beendet oder eine Hormonsubstitution eingeleitet, dürfte das erhöhte Frakturrisiko nach Einschätzung der Leitliniengruppe wieder sinken. Explizit bewiesen ist dies aber nicht.
Ein Knochenrisiko bergen auch Aromatase-Inhibitoren wie Exemestan, Anastrozol oder Letrozol. Sie werden zur endokrinen Therapie bei postmenopausalen Frauen mit Brustkrebs eingesetzt, da sie die Estrogensynthese unterdrücken.
Strenge Indikation für PPI
Protonenpumpenhemmer (PPI) sind vor allem bei Langzeiteinnahme riskant. Naheliegend scheint eine verminderte Calciumaufnahme aus dem Darm zu sein, da diese durch Magensäure und Vitamin-D-Hormon reguliert wird. Laut Leitlinie ist das aber nicht bewiesen (2). Empfohlen wird, PPI nur bei klarer Indikation, in der niedrigsten effektiven Dosis und nicht länger als nötig einzunehmen. Ob H2-Antagonisten, die die Magensäuresekretion weniger stark hemmen, eine Alternative bieten, ist anhand der Studien nicht eindeutig (6).
Diuretika sind differenziert zu betrachten (6). Schleifendiuretika wie Furosemid erhöhen das Frakturrisiko und können überdies eine Hyponatriämie auslösen, die ihrerseits als unabhängiger Risikofaktor gilt. Dagegen beeinflussen Thiazide die Knochendichte langfristig positiv und reduzieren das Frakturrisiko sogar klinisch relevant. Aber Achtung: In den ersten Tagen und Wochen jeglicher Diuretika-Therapie steigt das Sturzrisiko. Apotheker sollten Patienten darauf hinweisen, dass Diuretika den Harndrang steigern und sie unter Umständen rasch eine Toilette erreichen müssen. Daher nie am Spätnachmittag oder Abend einnehmen. Außerdem kann die Kreislaufregulation zu Therapiebeginn gestört sein.
Rund ein Fünftel aller Patienten mit Osteoporose sind Männer. Etwa 30 Prozent aller Oberschenkelhalsbrüche im höheren Lebensalter betreffen Männer, wobei dieser niedrige Prozentsatz der niedrigeren Lebenserwartung geschuldet sein dürfte (8).
Im Muster der Risikofaktoren unterscheiden sich die Geschlechter. Bei Männern fallen die Sexualhormonspiegel im mittleren Lebensalter nicht plötzlich ab. Mit zunehmendem Alter kann eine sinkende Testosteron-Produktion den Knochenabbau jedoch beschleunigen. Männer leiden viel häufiger an einer sekundären Osteoporose als Frauen; der Anteil soll bei mehr als 50 Prozent liegen (8). Nicotin- und Alkoholkonsum sind häufiger, wobei Alkoholabusus einen sekundären Hypogonadismus auslösen kann. Eine systemische Glucocorticoid-Therapie ist für beide Geschlechter ein wichtiger Faktor. Zunehmend bedeutend bei Männern sind HIV-Infektion, Chemotherapie, Organtransplantation sowie die hormonablative Therapie bei Prostatakarzinom.
Die längerfristige Einnahme von Glitazonen wie Pioglitazon zur Behandlung des Diabetes mellitus führt zu einem zusätzlichen Knochendichteverlust (6) und erhöht das Frakturrisiko bei Frauen. Unbekannt ist, ob dies durch eine Osteoporose-Therapie beeinflussbar ist. Das Problem hat sich allerdings relativiert, weil Pioglitazon kaum noch verordnet wird.
Zudem sollten Apotheker insbesondere bei Senioren auf Medikamente achten, die sedierend wirken und damit Stürze begünstigen, zum Beispiel Benzodiazepine, Z-Substanzen und Doxylamin. Klassische Antidepressiva wie Amitriptylin, Doxepin, Imipramin und Clomipramin gelten laut Priscus-Liste als »potenziell inadäquate Medikation« (PIM), unter anderem weil sie das Risiko für orthostatische Dysregulation und Hüftfrakturen erhöhen (7). Ebenso weisen die Priscus-Autoren auf ein erhöhtes Risiko unter Antipsychotika wie Thioridazin, Haloperidol und Clozapin hin.
Basisprogramm: Bewegung, Calcium und Vitamin D
Körperliche Aktivität, gesunde Ernährung und Lebensstil sowie die Arzneimittel-Revision sind die Bausteine jeder Osteoporose- und Frakturprophylaxe. Regelmäßiges, risikobewusstes und vor allem dem individuellen funktionellen Zustand angepasstes Training soll Koordination, Kraft und Muskelleistung verbessern und einer Immobilisation vorbeugen (2). Da Rauchen ein eigenständiger Risikofaktor für eine Osteoporose ist, ist ein Rauchverzicht zu empfehlen. Eine ausreichende Kalorienzufuhr hilft, Untergewicht zu vermeiden. Eine gute Versorgung mit Calcium, Vitamin D und B12 sowie Folsäure gehört ebenfalls zum Basisprogramm.
Calcium: am besten aus der Nahrung und nur wenn das nicht reicht, als Supplement
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In puncto Calcium und Vitamin D liegt der Fokus heute klar auf dem Vitamin D. Als optimal gelten Vitamin-D-Werte von 20 bis 30 ng/ml. Ältere Menschen erreichen diese Werte jedoch kaum (9).
Das aktive D-Hormon (Calcitriol), das in der Niere aus Colecalciferol gebildet wird, stimuliert neben der Mineraleinlagerung in den Knochen ganz entscheidend die Calciumaufnahme aus dem Darm. Daher kann eine geringe Mineralzufuhr in gewissem Grad durch ausreichende Vitamin-D-Spiegel kompensiert werden (9). Umgekehrt addieren sich Calcium- und Vitamin-D-Mangel in ihren negativen Effekten.
Sinkt der Serum-Calciumspiegel, werden die Nebenschilddrüsen aktiviert und sezernieren Parathormon. Dieses stößt den osteoklastären Abbau von Knochensubstanz an, um Calcium freizusetzen und den Serum-Calciumspiegel normal zu halten. Über die Induktion eines sekundären Hyperparathyreoidismus verschärft eine länger anhaltende Hypocalcämie den Knochenabbau.
Da eine vermehrte Calciumzufuhr das kardiovaskuläre Risiko erhöhen kann, wird diese heute kritisch gesehen. Patienten ohne medikamentöse Osteoporose-Therapie sollen laut Leitlinie täglich 1000 mg Calcium mit der Nahrung aufnehmen. Nur wenn sie diese Menge nicht erreichen, sind Supplemente angezeigt. Als Gesamtzufuhr werden maximal 2000 mg/Tag angegeben.
Dagegen wird eine Supplementierung mit 800 bis 1000 Einheiten Vitamin D3 täglich für alle Personen (mit wenigen Ausnahmen) mit hohem Sturz- und/oder Frakturrisiko und geringer Sonnenlichtexposition empfohlen. Die Einnahme von Vitamin D zu den Hauptmahlzeiten kann vermutlich die Resorption steigern.
Bekommen Patienten eine antiresorptive Therapie, vor allem parenteral, ist eine tägliche Gesamtzufuhr von mindestens 1000 mg Calcium und eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D vor und während der Therapie sicherzustellen.
Wann beginnt die medikamentöse Therapie?
Klares Ziel der medikamentösen Therapie ist die Verhinderung oder Reduzierung von Knochenbrüchen. Die Indikation wird individuell anhand von Geschlecht, Alter, Knochendichte und weiteren Risikofaktoren gestellt.
Lebensalter in Jahren | Niedrigster T-Score (Mittelwert) | |||||
---|---|---|---|---|---|---|
Frau | Mann* | -2,0 bis -2,5 | -2,5 bis -3,0 | -3,0 bis -3,5 | -3,5 bis -4,0 | < -4,0 |
50–60 | 60–70 | Nein | Nein | Nein | Nein | Ja |
60–65 | 70–75 | Nein | Nein | Nein | Ja | Ja |
65–70 | 75–80 | Nein | Nein | Ja | Ja | Ja |
70–75 | 80–85 | Nein | Ja | Ja | Ja | Ja |
über 75 | über 85 | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja |
*) männliches Referenzkollektiv für den T-Score
Liegt das geschätzte Zehn-JahresFrakturrisiko bei 30 Prozent und höher für Oberschenkelhals- und Wirbelbrüche, sollte eine Therapie beginnen. Die Tabelle 2 zeigt beispielsweise, dass bei einer über 75-jährigen Frau mit einem T-Score von -2 eine spezifische Therapie angezeigt ist, aber nicht bei einer 70-jährigen Frau mit der gleichen Knochendichte. Kommen bestimmte Risikofaktoren hinzu, zum Beispiel Knochenbrüche in der Anamnese oder längere hoch dosierte Glucocorticoid-Einnahme, kann die Therapie früher beginnen.
Goldstandard Bisphosphonate
»Der Knochen ist ein dynamisches Organ mit hoher Stoffwechselaktivität«, erklärt Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz von der Universität Frankfurt (3). Nur weil Knochen kein starres Gebilde ist, sondern ständig auf- und abgebaut wird, könnten Arzneistoffe überhaupt eingreifen.
Die Knochendichtemessung (DXA) ist das Standardverfahren zur Diagnose einer Osteoporose. Der ermittelte Wert ist ein wichtiger Parameter für die Abschätzung des Frakturrisikos.
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Dafür stehen zahlreiche Wirkstoffe zur Verfügung (Tabelle 3). Laut Studien können sie das Risiko für Wirbelkörperbrüche um 60 bis 70 Prozent, für Hüftfrakturen um 40 bis 50 Prozent und für periphere Brüche um 20 bis 30 Prozent senken, sagt Dr. Lothar Seefried vom Muskuloskelettalen Centrum Würzburg (3). Zu den etablierten Antiosteoporotika zählen (für Frauen nach der Menopause)
Alendronat, Risedronat, Zoledronat, Denosumab, Strontiumranelat und Teriparatid sind auch für Männer zugelassen. Explizit indiziert bei einer Glucocorticoid-induzierten Osteoporose sind Alendronat, Risedronat, Zoledronat und Teriparatid.
Arzneistoff | Postmenopausale Frauen | Männer | ||
---|---|---|---|---|
weniger Wirbelkörper-Frakturen | weniger periphere Frakturen | weniger proximale Femurfrakturen | ||
Alendronat | A | A | A | B |
Bazedoxifen * | A | B | - | |
Denosumab | A | A | A | B |
Ibandronat | A | B | - | |
Raloxifen | A | - | - | |
Risedronat | A | A | A | B |
Zoledronat | A | A | A | A |
Teriparatid** | A | B | - | C |
Estrogene** | A | A | A | |
Strontiumranelat** | A | A | B | C |
*) In Deutschland nicht im Handel; **) Zulassungsbeschränkungen siehe Text
Die oralen Bisphosphonate sind nach wie vor die Standardtherapie. Sie hemmen die Aktivität der knochenabbauenden Osteoklasten, erhöhen so die Knochendichte und reduzieren die Frakturrate. Bei prinzipiell gleichem Wirkmechanismus unterscheiden sie sich in der Affinität zum Hydroxylapatit des Knochens. Allerdings ist die Bioverfügbarkeit gering (1 bis 3 Prozent) – auch bei korrekter Einnahme (morgens nüchtern, mindestens 30 Minuten vor der ersten Mahlzeit, mit einem Glas Leitungswasser in aufrechter Körperhaltung). Wenn die Patienten die Tabletten nur einmal wöchentlich oder monatlich einnehmen müssen, könnte dies die Compliance fördern. Noch einfacher für sie ist die parenterale Gabe von Ibandronat 3 mg, einmal im Vierteljahr, oder von Zoledronat 5 mg, einmal jährlich (10).
Alle sechs Monate wird der IgG2-Antikörper Denosumab (60 mg) subkutan gespritzt. Als Inhibitor des RANK-Liganden blockiert er die Bildung und Aktivierung von Osteoklasten und senkt die Frakturrate signifikant. Vorteil gegenüber Bisphosphonaten: Selbst eine hochgradige Niereninsuffizienz ist keine Kontraindikation. Denosumab ist auch zugelassen für Männer, die wegen eines Prostatakarzinoms eine hormonablative Therapie bekommen und daher ein erhöhtes Frakturrisiko haben.
Schubert-Zsilavecz wies auf seltene, aber schwere Nebenwirkungen unter hoch dosierter antiresorptiver Therapie mit Bisphosphonaten und Denosumab hin: Kieferosteonekrosen und atypische Femurfrakturen (3). Ärzte sind ausdrücklich aufgerufen, Maßnahmen zu ergreifen, um Risiken einer Kiefernekrose sowie einer Hypocalcämie zu minimieren (11). Dazu gehören beispielsweise eine präventive Zahnbehandlung, regelmäßige Kontrollen beim Zahnarzt, eine gute Mundhygiene sowie eine ausreichende Versorgung mit Calcium und Vitamin D.
Überwiegend osteoanabol wirkt Teriparatid (einmal täglich 20 μg subkutan). Die Therapie darf höchstens 24 Monate dauern. Um den neu gebildeten Knochen zu erhalten, sei »eine antiresorptive Konsolidierungsbehandlung obligat«, betont Seefried (3).
Strontiumranelat wirkt knochenanabol und antikatabol. Sein Einsatz ist wegen eines erhöhten Herzinfarktrisikos jedoch stark limitiert. Es darf nur bei Patienten mit hohem Frakturrisiko eingesetzt werden, wenn andere Medikamente kontraindiziert oder unverträglich sind (12).
Auch Estrogene dürfen – zur Prävention ebenso wie zur Therapie der Osteoporose – nur noch ausnahmsweise eingesetzt werden, zum Beispiel bei Unverträglichkeit oder Kontraindikation gegen andere Medikamente (2). Hat die Frau noch ihre Gebärmutter, muss sie unbedingt auch Gestagene bekommen. Günstig: Frauen, die wegen typischer Wechseljahrsbeschwerden Estrogene einnehmen, brauchen außer bei sehr niedrig dosierten Präparaten keine weitere Osteoporose-Medikation. Auch von Tibolon ist ein Schutz vor Frakturen zu erwarten.
Bei allen Arzneistoffen sind Indikationseinschränkungen und Nebenwirkungen zu beachten (Tabelle 4).
Kombinieren oder nicht?
Im Allgemeinen werden Osteoporose-spezifische Medikamente nicht kombiniert – abgesehen von der Basistherapie mit Vitamin D und Calcium. Es gibt jedoch mehrere Studien, die bei postmenopausalen Frauen einen vermehrten Zuwachs der Knochendichte unter einer Kombination gezeigt haben (2). So ließ zum Beispiel eine Kombitherapie aus Teriparatid und Denosumab über zwölf Monate die Knochendichte stärker ansteigen als die Einzelsubstanzen. Allerdings war die Studiengruppe klein und es gab keine Frakturdaten. Die Autoren der DVO-Leitlinie empfehlen keine Kombitherapie.
Orale Bisphosphonate müssen eine halbe Stunde vor dem Essen mit viel Leitungswasser eingenommen werden.
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Auch die optimale Dauer einer Osteoporose-Therapie ist nicht eindeutig klar. Einige, an sich extrem seltene Risiken treten mit zunehmender Therapiedauer beziehungsweise steigender Kumulativdosis häufiger auf. So kann es unter mehr als fünfjähriger oder sehr hoch dosierter Therapie mit Antiresorptiva (Bisphosphonate, Denosumab) zu atypischen Femurfrakturen und Kiefernekrosen kommen. Die Tendenz geht heute dahin, die Medikation für fünf bis sieben Jahre zu geben (10). Die Therapie mit Teriparatid ist laut Zulassung auf zwei Jahre begrenzt.
In der Praxis bedeutet dies, dass der Arzt über sinnvolle Therapieabfolgen und/oder -pausen nachdenken müsse, sagt Seefried (3). Beispielsweise habe eine Studie gezeigt, dass der Frakturschutz nach einmaliger Injektion von Zoledronsäure über drei Jahre anhält – wenn auch nicht so ausgeprägt wie bei einmal jährlicher Injektion. Im Einzelfall könne eine Streckung des Injektionsintervalls sinnvoll sein.
»Wir können mit einem einzigen Präparat keine lebenslange Therapie betreiben«, erklärt Seefried und stellt Sequenztherapien vor. Gemäß Studien kann man nach einer Bisphosphonat-Therapie zu Teriparatid oder Denosumab wechseln. Denosumab kann auch nach Teriparatid gegeben werden. Beginnt man mit dem Antikörper, können anschließend Bisphosphonate folgen. Die Abfolge SERM – Teriparatid ist in jeder Richtung effektiv, während Denosumab, gefolgt von Teriparatid, in puncto Knochendichte-Erhalt an der Hüfte weniger effektiv ist. /
Arzneistoff | Besonders zu beachten |
---|---|
Bisphosphonate, peroral | Reflux, Bettlägerigkeit, Kiefernekrosen, atypische Femurfrakturen, Niere, Therapiedauer |
Bisphosphonate, intravenös | Nierenfunktion, grippeähnliche Symptome, Kiefernekrosen, atypische Femurfrakturen, Therapiedauer |
Denosumab | Hypocalcämie, Kiefernekrosen, atypische Femurfrakturen, Therapiedauer |
Strontiumranelat | Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit, Thrombose/Lungenembolie, Immobilisierung, pAVK, zerebrovaskuläre Erkrankungen |
SERM | Thrombose/Lungenembolie, Leberfunktion, Apoplex |
Teriparatid | Bestrahlung, maligner Tumor, Nierenfunktion, Therapiedauer |
Vitamin D3 | Dosis, Calciumspiegel |
Calcium | Kardiovaskuläres Risiko, Nierensteine |
Brigitte M. Gensthalerstudierte Pharmazie in München und erhielt 1984 die Approbation als Apothekerin. Nach mehrjähriger Tätigkeit in einer öffentlichen Apotheke wechselte sie in die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung. Seit Anfang der 1990er-Jahre arbeitet sie im Münchener Redaktionsbüro der Pharmazeutischen Zeitung. Sie leitet das Ressort Titel.
E-Mail: gensthaler@govi.de
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