Pharmazeutische Zeitung online
Immuntherapien

Den Viren ein Schnippchen schlagen

06.03.2012  16:35 Uhr

Von Sarah Lena Grahn, Bonn / Für seine wegweisenden Entdeckungen zur Aufklärung der Wirkungsweise körpereigener Abwehrsysteme hat der Bonner Pharmakologe Professor Dr. Gunther Hartmann gerade den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis erhalten. Im Interview mit der Pharmazeutischen Zeitung erklärt er, wie seine Forschungsergebnisse dazu beitragen, neue Immuntherapien zu entwickeln.

PZ: Herr Hartmann, Ihr Forschungsgebiet ist die Immunerkennung von Nukleinsäuren. Was genau machen Sie?

 

Hartmann: Jeder kennt das Immunsystem als Abwehrsystem, das Krankheitserreger und Zell- oder Gewebeschäden erkennen und den Organismus möglichst effektiv gegen diese Gefahren schützen soll. Dazu hat es Rezeptoren entwickelt, die auf verschiedene Substanzklassen wie Lipide und Zucker sowie Nukleinsäuren und Proteine spezialisiert sind. Ein Teil des Immunsystems beschäftigt sich mit der Erkennung von Proteinen. Ein anderer großer Teil – und das ist unser Hauptarbeitsgebiet – bezieht sich auf das Aufspüren von gefährlichen Nukleinsäuren. Wir haben diese Erkennungsmechanismen des Immunsystems untersucht und sind in der Lage sie zu imitieren – durch die Herstellung künstlicher Nukleinsäuren, sogenannter Oligonukleotide. Diese aktivieren die entsprechenden Rezeptoren und setzen damit Mechanismen in Gang, die vor gefährlichen Nukleinsäuren, wie sie in Viren oder Tumorenzellen vorkommen, schützen.

 

PZ: Welche Bedeutung haben Ihre Forschungsergebnisse für die Therapie bestimmter Krankheiten?

 

Hartmann: Wir haben die Mechanismen identifiziert, mit denen gefährliche Nukleinsäuren vom körpereigenen Abwehrsystem erkannt werden. Diese Erkenntnis können wir nun gezielt nutzen, um dem Immunsystem zu helfen, seine Abwehr in Gang zu setzen – auch in Situationen, in denen Viren dem Erkennungssystem aktiv entkommen. Wir können diesen Mechanismus also künstlich anstoßen und damit dem »Immun-Escape« von Viren ein Schnippchen schlagen. Möglich ist das durch die Entwicklung der bereits genannten Oligonukleotide. Die potenteste Variante zur Unterstützung einer Antikörper-Antwort sind CpG-Oligonukleotide, die sich derzeit in klinischer Entwicklung befinden. Die Zulassung als Immunadjuvans in einer Tumor-Immuntherapie wird in den nächsten ein bis zwei Jahren erwartet.

 

PZ: Sie forschen seit 15 Jahren. Wie häufig haben Sie Rückschläge hinnehmen müssen?

 

Hartmann: Eine der wichtigsten Eigenschaften, die ein Wissenschaftler haben muss, ist Frustrationstoleranz. Man darf sich nach Misserfolgen nicht entmutigen lassen, sondern muss an das positive Weiterkommen glauben. In der Tat gab es aber bislang auch nicht viele Rückschläge. Ganz entgegen den Erwartungen hat unser Arbeitsgebiet bis zum heutigen Tag immer wieder höchst wichtige, neue Ergebnisse hervorgebracht. Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass man essenzielle Rezeptoren der Virusantwort noch gar nicht kennt? / 

 

Forschungsschwerpunkte von Gunther Hartmann

Gunther Hartmann war einer der Ersten, die bereits 1996 beobachteten, dass kurzkettige DNA-Oligonukleotide zu einer Aktivierung des Immunsystems führen. Als Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Labor von Arthur Krieg in den USA hat er 1999 das sogenannte CpG-Motiv identifiziert, über das mikrobielle DNA durch das humane Immunsystem erkannt wird (Erkennung von CpG-DNA über Toll-like Rezeptor 9, TLR9). CpG-Motive sind nicht-methylierte Cytidin-Guanosin-Dinukleotide mit bestimmten flankierenden Basensequenzen. Das von Hartmann gemeinsam mit Krieg erstpublizierte Oligonukleotid ODN 2006 wurde vom Biotech-Unternehmen Coley Pharmaceuticals weiterentwickelt und befindet sich derzeit in Phase III der klinischen Prüfung für die Immuntherapie von Tumoren. Ein weiterer Schwerpunkt von Hartmanns Forschung zum nukleinsäurebasierten Immunsystem ist die Immunerkennung von RNA-Motiven. Hartmann erhält den mit 2,5 Millionen Euro dotierten Leibniz-Preis zusammen mit seinem Kollegen, dem Bonner Immunologen Professor Dr. Christian Kurts.

 

Quelle: Deutsche Forschungsgemeinschaft

Mehr von Avoxa