Tausendsassa unter den Rezeptoren |
25.02.2014 15:50 Uhr |
Von Heidi Schooltink / Ohne G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR) können wir weder sehen noch riechen, unser Körper könnte den Blutdruck nicht kontrollieren und die Signalübertragung im Gehirn bräche zusammen. Kein Wunder, dass diese Moleküle in der pharmazeutischen Forschung eine herausragende Rolle spielen.
Für eine adäquate Reaktion des Körpers auf äußere und innere Reize müssen die verschiedenen Zellspezies koordiniert zusammenarbeiten. Als Kommunikationsmittel zwischen den Zellen dienen chemische Botenstoffe, zum Beispiel Hormone und Neurotransmitter, die von Zellen produziert und in den Extrazellulärraum abgegeben werden. Damit die Botschaft an die richtigen Adressaten gelangt, trägt jede einzelne Zielzelle Signalmolekül-spezifische Rezeptoren.
Ohne G-Protein gekoppelte Rezeptoren können wir nicht sehen.
Foto: Fotolia/Dan Race
Viele Botenstoffe können die Zellmembran nicht durchdringen. Die Rezeptoren solcher Signalmoleküle sind daher in die Zellmembran eingelagert, sodass der Botenstoff (Ligand) den von außen zugänglichen Teil des Rezeptors kontaktieren kann. Durch diese Bindung verändert sich die räumliche Anordnung (Konformation) der Proteinkette des Rezeptors, was sich auch auf den intrazellulären Bereich (Domäne) auswirkt. Die veränderte Konformation wird von intrazellulären Molekülen wahrgenommen. Damit ist das Signal in der Zelle angekommen und kann intrazellulär weiterverarbeitet werden (Signaltransduktion).
Über Moleküle, die anstelle der körpereigenen (endogenen) Liganden an Zellmembranrezeptoren binden, lassen sich intrazelluläre Vorgänge modulieren, ohne dass der Arzneistoff in die Zelle eindringen muss. Pharmazeutisch interessant sind sowohl antagonistisch wirkende Moleküle, die zwar an den Rezeptor binden, aber kein intrazelluläres Signal auslösen, als auch agonistische Moleküle, die die Funktion der endogenen Liganden übernehmen.
Großfamilie unter den Rezeptoren
Rezeptoren verschiedener Signalmoleküle bilden Proteinfamilien, die sich durch einen gemeinsamen Grundaufbau und intrazellulären Signaltransduktionsmechanismus auszeichnen. Die Markenzeichen der Proteinfamilie der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (englisch: G-protein-coupled receptor, GPCR) sind ihre sieben Transmembrandomänen und der intrazelluläre Kontakt mit Guaninnukleotid-bindenden Proteinen (Abbildung 1). Letzteres findet sich als »G« im »Familiennamen« wieder.
Da das Protein mehrfach die Zellmembran durchquert, entstehen extrazelluläre (E1-3) und intrazelluläre Schleifen (I1-3). Zusammen mit dem Amino-Terminus bilden die extrazellulären Schleifen die extrazelluläre Domäne, die an der Ligandenbindung beteiligt ist. Der Carboxy-Terminus ist mit den intrazellulären Schleifen für den Kontakt zu intrazellulären Signalmolekülen verantwortlich.
Von den etwa 21 000 Genen des Menschen sind circa 800 GPCR-Gene. Entsprechend groß ist die physiologische Bedeutung der GPCR-Signalwege. Egal ob bei der Kontrolle des Blutkreislaufs, bei Immunreaktionen oder bei der neuronalen Kommunikation – überall haben GPCR ihre Finger im Spiel. Sie werden nicht nur durch endogene Liganden, sondern auch durch externe Reize aktiviert. Der Einfall von Licht führt in den Photorezeptoren des Auges zur Isomerisierung von Retinal, das an den GPCR Rhodopsin gekoppelt ist. Mehr als 300 verschiedene GPCR sorgen dafür, dass wir die vielfältigen Gerüche in der Welt wahrnehmen.
Für etwa 140 der bei der Sequenzierung des humanen Genoms gefundenen GPCR sind die endogenen Liganden noch nicht identifiziert. Zahlreiche Wissenschaftler suchen fieberhaft nach den Liganden und damit nach der Funktion dieser Orphan receptors (englisch: orphan, Waise).
Wie funktioniert ein GPCR?
GPCR stehen über ihre intrazelluläre Domäne in Kontakt mit G-Proteinen, die aus drei Untereinheiten (α, β, γ) bestehen (Abbildung 1, unten). An die α-Untereinheit bindet im inaktiven Zustand des GPCR ein Guanosindiphosphat (GDP). Wird der GPCR durch die Bindung des Liganden aktiviert, wird GDP gegen Guanosintriphosphat (GTP) ausgetauscht. Als Folge dissoziiert die α-Untereinheit mit dem GTP vom Rest des Komplexes ab. Sowohl die α-Untereinheit mit GTP als auch die β,γ-Untereinheit können nachgeschaltete Signaltransduktionswege in Gang setzen.
Verschiedene Isoformen der Untereinheiten der G-Proteine können variabel kombiniert werden und ergeben G-Protein-Komplexe mit unterschiedlichen Funktionen. Bei der α-Untereinheit unterscheidet man die Familien »s«, »i« und »q«, die die Aktivität verschiedener sekundärer Botenstoffe (second messenger) beeinflussen. Die Kopplung bestimmter GPCR mit definierten G-Protein-Komplexen gewährleistet, dass ein extrazelluläres Signal eine spezifische intrazelluläre Antwort auslöst (1).
Bis vor Kurzem nahmen Wissenschaftler an, dass GPCR-Signale ausschließlich über G-Proteine vermittelt werden. Das Protein β-Arrestin, das ebenfalls an die intrazelluläre Domäne der GPCR bindet, schien ausschließlich bei der Desensibilisierung eine Rolle zu spielen. Dabei wird durch einen als Internalisierung bezeichneten Prozess die Rezeptorzahl auf der Zelloberfläche reduziert, was einer Dauerreizung der Zelle durch einen Botenstoff entgegenwirkt. Heute weiß man, dass β-Arrestin als Bestandteil von Signaltransduktionsketten auch für GPCR-vermittelte Reaktionen der Zellen verantwortlich ist.
Agonist oder Antagonist?
Einige der aktuell auf dem Markt erhältlichen Medikamente, die über GPCR wirken, sind schon lange bekannt. Ein Beispiel ist Morphin. Das Alkaloid des Schlafmohns wurde aus getrocknetem Pflanzensaft gewonnen. Damals war man weit davon entfernt, den Wirkmechanismus zu verstehen oder systematisch nach Wirkstoffen zu suchen. Auch andere, über GPCR wirkende Arzneistoffe wurden eher zufällig gefunden. Der erste Betablocker Propranolol wurde in den 1950er-Jahren aus einem Wirkstoffkandidaten für bronchodilatatorische Effekte entwickelt.
Erst die Identifizierung der GPCR und ihrer Liganden erlaubte eine zielgerichtete Suche nach Arzneistoffen, die an diesen Rezeptoren ansetzen. Pharmazeutische Unternehmen testeten Hunderttausende niedermolekularer Verbindungen mit Methoden des Hochdurchsatz-Screenings (HTS, high throughput screening) auf ihre Fähigkeit, an GPCR zu binden.
Bindungstests allein lassen jedoch keine Rückschlüsse auf das Wirkprofil eines Moleküls zu (Abbildung 2). Führt die Bindung der Testsubstanz an den GPCR zu einem identischen Effekt wie die Bindung des Liganden (Agonist) oder hemmt sie die Liganden-unabhängige Basisaktivität des GPCR (inverser Agonist)? Verhindert das Molekül die Bindung des Liganden, ohne selbst einen intrazellulären Effekt auszulösen (Antagonist), oder verursacht es verglichen mit dem Liganden einen Effekt mit geringerer Signalstärke (partieller Antagonist)? Diese Fragen lassen sich nur durch In-vitro-Messungen nachgeschalteter zellulärer Effekte beantworten (2).
Abbildung 2: Wirkmechanismus der Agonisten und Antagonisten der GPCR. Die Signalstärken werden durch unterschiedliche Zahl und Dicke der Pfeile symbolisiert.Links oben: GPCR ohne Ligand, basale SignalstärkeLinks unten: Veränderung der Signalstärke durch Agonisten; »normale« Agonisten steigern die basale Aktivität, während inverse Agonisten sie vermindern.Rechts oben: Veränderung der Signalstärke durch einen endogenen LigandenRechts unten: Veränderung der Signalstärke durch (partielle) Antagonisten
Proteinkristalle helfen bei der Arzneistoffsuche
Viele GPCR akzeptieren verschiedene endogene Liganden, die mit unterschiedlichen Affinitäten binden. Umgekehrt können die meisten Liganden an verschiedene GPCR andocken und so intrazelluläre Signale auslösen. Auch viele GPCR-basierte Wirkstoffe kontaktieren nicht nur ihren Zielrezeptor, sondern in der Regel weitere Rezeptoren mit unterschiedlichen Affinitäten, was zu unerwünschten Wirkungen führen kann. Für das rationale Design von Stoffen mit einem spezifischen Bindungs- und Wirkungsspektrum ist die Kenntnis der Interaktionen zwischen Ligand und GPCR unverzichtbar.
Eine Röntgenstrukturanalyse der GPCR war lange nicht möglich, weil sich die Moleküle aufgrund ihrer sieben Transmembrandomänen nicht kristallisieren ließen. Heute stehen mehr als 20 GPCR-Kristallstrukturen (Opioid-, Acetylcholin-, Histamin-, Dopamin- und adrenerge Rezeptoren), zum Teil im Komplex mit verschiedenen Liganden (Agonisten, Antagonisten, inverse Agonisten), zur Verfügung; diese sind für die pharmazeutische Forschung von unschätzbarem Wert (3). Die Entschlüsselung der räumlichen Strukturen der Ligandenbindungsstelle und die Identifikation von an der Bindung beteiligten Aminosäuren ermöglichen eine Vorauswahl von Wirkstoffkandidaten und erleichtern so die Arzneistoffentwicklung erheblich.
Die folgenden Abschnitte stellen eine Auswahl der zahlreichen GPCR-basierten Medikamentenklassen vor.
Liganden an adrenergen Rezeptoren
Adrenerge Rezeptoren vermitteln die Effekte der Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin. Prinzipiell sind sie dafür verantwortlich, die physische Aktivität des Körpers in Stress- oder Gefahrensituationen zu steigern. Dazu wirken Katecholamine auf das Herz-Kreislauf-System (Herzfrequenz, Blutdruck) und auf das sympathische Nervensystem. Die verschiedenen Klassen adrenerger Rezeptoren (α1, α2 und β) aktivieren intrazellulär G-Proteine mit unterschiedlichen Gα-Untereinheiten. Daher löst beispielsweise Adrenalin über eine Bindung an α1-Rezeptoren (Signalweitergabe über Gαq) eine Vasokonstriktion und über Bindung an β-Rezeptoren (Signalweitergabe über Gαs) eine Vasodilatation aus.
Bei Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems kommen sowohl Agonisten (Sympathomimetika) als auch Antagonisten (Blocker) adrenerger Rezeptoren zum Einsatz (Tabelle 1). Prominente Beispiele sind die Antagonisten der β-adrenergen Rezeptoren, kurz β-Blocker genannt. Man unterscheidet nicht-selektive Verbindungen, die an alle β-adrenerge Rezeptoren mit vergleichbarer Affinität binden (Beispiel: Propranolol), und solche mit einer höheren Affinität zu β1-Rezeptoren (selektive β-Blocker wie Metoprolol). Auch pharmakokinetische Unterschiede wie Halbwertzeit oder die Passage durch die Blut-Hirn-Schranke (entscheidet über die Eignung als Migränemedikament) beeinflussen das Wirkprofil (4).
Agonisten und Antagonisten der anderen Subklassen der adrenergen Rezeptoren zeigen ähnliche Wirkunterschiede (Tabelle 1).
Die Abbildung zeigt die Kristallstruktur des β2-Adrenorezeptors im Komplex mit einem Agonisten und dem G-Protein.
Quelle: Gmeiner
Liganden muskarinischer Acetylcholin-Rezeptoren
Der Neurotransmitter Acetylcholin bindet an zwei verschiedene Rezeptorklassen: muskarinische (GPCR) und nicotinische Acetylcholin-Rezeptoren (Ionenkanäle). Außerhalb des Nervensystems wirkt Acetylcholin relaxierend auf Muskelzellen und kontrolliert das Zellwachstum (5).
Bei den muskarinischen Acetylcholin-Rezeptoren (mAChR) werden sowohl Agonisten (Parasympathomimetika) als auch Antagonisten (Anticholinergika), die ähnlich wie Sympathomimetika wirken, therapeutisch verwendet. Einige Beispiele: M3-Agonisten wie Pilocarpin werden bei Mundtrockenheit bei Patienten mit Sjögren-Syndrom und zur Augendrucksenkung bei Glaukom eingesetzt. Da Pilocarpin auch an anderen mAChR-Rezeptoren agonistisch wirkt, löst es zahlreiche Nebenwirkungen aus. Die Palette der therapeutisch verwendeten Anticholinergika ist deutlich breiter:
Aufgrund des wachstumsfördernden Effekts von Acetylcholin sind Anticholinergika möglicherweise in der Tumortherapie einsetzbar, klinische Studien stehen aber noch aus.
Liganden an Histamin- Rezeptoren
Antagonisten des H1-Rezeptors (Antihistamine) wie Loratadin oder Fexofenadin sind bei der Behandlung allergischer Reaktionen wie Rhinitis, Konjunktivitis und Kontaktdermatitis weitverbreitet. Das erste Antihistaminikum (Piperoxan) wurde bereits in den 1930er-Jahren entdeckt. Antihistamine der ersten Generation wie Diphenhydramin und Doxylamin werden heute nur noch zur Behandlung von Schlafstörungen und Erbrechen eingesetzt, da sie ein breites Nebenwirkungsspektrum (sedative Effekte) haben. Moderne Antihistamine der zweiten und dritten Generation sind besser verträglich, da sie nicht oder kaum ins ZNS gelangen und eine hohe Selektivität für H1-Rezeptoren haben.
Antagonisten der H2-Rezeptoren wie Ranitidin hemmen die Magensäureproduktion und werden neben Protonenpumpen-Inhibitoren bei Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwüren verwendet (6). Ein Antagonist, genauer gesagt ein inverser Agonist, an H3-Rezeptoren ist Pitolisant, das in Deutschland noch nicht auf dem Markt ist. Es wird bei Tagesschläfrigkeit bei Narkolepsie-Patienten, Schlafapnoe-Syndrom und Morbus Parkinson geprüft.
Rezeptoren | Agonisten (Sympathomimetika), Indikation | Antagonisten (Blocker), Indikation |
---|---|---|
α 1 | Tramazolin, Xylometazolin: schleimhautabschwellend, Verwendung in Nasensprays Oxymetazolin, Tramazolin: nicht-infektiöse Konjunktivitis | Tamsulosin, Terazosin: benigne Prostatahyperplasie Terazosin, Doxazosin (Mittel der 2. Wahl): Hypertonie |
α 2 | Clonidin, Guanfacin: Hypertonie, Angstattacken, ADHS Tizanidin: Muskelspasmen Dexmedetomidin: Sedativum in der Anästhesiologie | Mirtazapin*: Depressionen |
β | Salbutamol, Formoterol: Asthma, chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) | Propranolol, Metoprolol, Atenolol, Bisoprolol: Hypertonie Bisoprolol, Metoprolol: koronare Herzkrankheit Metoprolol, Bisoprolol, Atenolol: akuter Herzinfarkt Metoprolol, Timolol: Migräneprophylaxe Timolol: Augendrucksenkung bei Glaukom |
α 1und α 2 | Trazodon**: Angststörungen, Insomnie, Depression | |
α 1und β | Dobutamin: Herzinsuffizienz, kardiogener Schock | Carvedilol***: Herzinsuffizienz |
*) bindet auch an Histamin-, muskarinische Acetylcholin-, Serotonin-(5-HT)- und Dopamin-Rezeptoren **) bindet auch an Serotonin-(5-HT)- und Histamin-Rezeptoren und wirkt als Serotonin- Wiederaufnahmehemmer ***) selektiver Antagonist (siehe Text) |
Liganden an Serotonin- und Dopamin-Rezeptoren
Agonisten und Antagonisten von Serotonin-(5-HT)- (7) und Dopamin-(D)- Rezeptoren (8) finden primär Anwendung bei psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie, Psychosen, Angststörungen oder Depression. Bei den klassischen Antipsychotika (früher Neuroleptika genannt) wie Haloperidol handelt es sich um Antagonisten an D2-Rezeptoren. Die atypischen Neuroleptika (Beispiel: Olanzapin, Risperidon) zeigen ein vermindertes Nebenwirkungsprofil und einen zusätzlichen Effekt auf die Negativsymptomatik der Schizophrenie. Beides beruht auf zusätzlichen antagonistischen oder (partiell) agonistischen Wirkungen der D2-Antagonisten auf verschiedene 5-HT-Rezeptoren.
Als Agonist an D2- und D3-Rezeptoren wirkt beispielsweise Pramipexol, das bei Patienten mit Parkinson-Krankheit oder Restless-Legs-Syndrom eingesetzt wird.
Agonisten der nahe verwandten 5-HT1B- und 5-HT1D-Rezeptoren finden als Migränemedikamente (Triptane) breiten Einsatz (9). Lorcaserin, ein Agonist an 5-HT2C-Rezeptoren, ist als Appetitzügler derzeit nur in den USA zugelassen.
Liganden der Opioid- Rezeptoren
Die endogenen Liganden wie Dynorphin, Endorphin oder Enkephalin sowie therapeutisch eingesetzte Agonisten/Antagonisten binden mit unterschiedlicher Affinität an verschiedene Opioid-Rezeptoren (10). Dadurch entsteht ein komplexes Wirkspektrum. Die als Schmerzmittel eingesetzten Agonisten der μ-Rezeptoren (Beispiele: Morphin, Fentanyl) lösen in der Regel als Nebenwirkung eine Atemdepression aus. Diese über μ2-Rezeptoren vermittelte Wirkung kann bei Verwendung eines μ1-spezifischen Schmerzmittels (Beispiel: Meptazinol) weitgehend vermieden werden.
Die Blutdruckregulation wird maßgeblich über GPCR, zum Beispiel α- und β-adrenerge sowie Angiotensin-II-Rezeptoren, gesteuert.
Foto: KKH
Loperamid, ein Agonist für μ-Rezeptoren, kann bei Diarrhöen eingesetzt werden, weil die Substanz die Blut-Hirn-Schranke nicht passiert und daher nicht auf das ZNS wirkt. Als Antidot bei Opioid-Überdosierung kommt der nicht-selektive Opioid-Rezeptorantagonist Naloxon zum Einsatz.
Weitere Beispiele für GPCR-Antagonisten, die sich bereits in der Klinik oder in der Entwicklung befinden, sind in Tabelle 2 aufgelistet.
Funktionelle Selektivität
Die heute bekannten Strukturdaten von GPCR und GPCR/Ligand-Komplexen haben die Sichtweise auf die molekularen Vorgänge an diesen Rezeptoren grundlegend geändert. Früher nahm man an, dass ein GPCR nach Bindung eines Agonisten eine definierte aktive Konformation annimmt, die alle nachgeschalteten Signaltransduktionswege (G-Proteine, β-Arrestin) aktiviert. Das unterschiedliche Wirkprofil von Medikamenten wurde ausschließlich auf unterschiedliche Affinitäten zu verschiedenen Rezeptoren und unterschiedliche Signalstärken zurückgeführt. Biophysikalische Untersuchungen belegen jedoch eindeutig, dass ein GPCR in Abhängigkeit vom gebundenen Liganden verschiedene aktive Konformationen annehmen kann, die selektiv verschiedene Signaltransduktionsketten in Gang setzen (11).
Forscher suchen derzeit verstärkt nach Liganden mit einer solchen »funktionellen Selektivität«. Im Idealfall lösen »biased agonists« ausschließlich medizinisch gewollte Effekte aus und Nebenwirkungen werden weitgehend vermieden.
Eine funktionelle Selektivität wurde bereits für verschiedene GPCR-Liganden nachgewiesen. Das Herzmedikament Carvedilol löst β-Arrestin-vermittelte Signale β-adrenerger Rezeptoren aus und antagonisiert gleichzeitig die G-Protein-vermittelten Effekte. Diese funktionelle Selektivität bietet möglicherweise Vorteile für die Patienten, da die über β-Arrestin vermittelten Signale kardioprotektiv wirken.
Selektive Agonisten für den Niacin-Rezeptor (NIACR1) befinden sich in klinischer Erprobung. Aktuell wird Niacin zur Senkung von Blutfettwerten eingesetzt. Die Therapie kann jedoch durch eine Flush-Symptomatik (plötzliche Hautrötung) limitiert sein. Diese Nebenwirkung wird über den β-Arrestin-Weg ausgelöst, wohingegen der lipidsenkende Effekt über G-Proteine vermittelt wird.
Rezeptoren | Indikationen für Antagonisten (Arzneistoffbeispiele) |
---|---|
Angiotensin-II-Rezeptor Typ 1 (AT-1) | Bluthochdruck, Herzinsuffizienz, sekundäre Schlaganfallprophylaxe, diabetische Nephropathie (Losartan, Valsartan) |
Bradykinin-Rezeptor B2 | hereditäres Angioödem (Icatibant) |
Chemokin-Rezeptor (CCR5) | HIV-Infektionen (Maraviroc) |
Endothelin-Rezeptor A und B (ETA, ETB1) | pulmonale Hypertonie, Sklerodermie (Bosentan) |
Endothelin-Rezeptor (ETA) | Prostatakarzinom (Atrasentan*, Zibotentan*) |
Smoothened-Rezeptor (SMO) | metastasierendes Basalzellkarzinom, weitere Tumoren* (Vismodegib) |
Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor (S1P) | Multiple Sklerose (Fingolimod) |
Tachykinin-1-Rezeptor (NK1) | Erbrechen und Übelkeit bei Chemotherapie (Aprepitant, Fosaprepitant) Tinnitus (Vestipitant*) |
Tachykinin-2-Rezeptor (NK2) | Reizdarmsyndrom (Ibodutant*) |
Tachykinin-3-Rezeptor (NK3) | Reizdarmsyndrom, Schizophrenie (Talnetant*) |
* in klinischer Erprobung |
Allosterische Liganden: Stoffe mit hoher Spezifität
GPCR mit identischen endogenen Liganden zeichnen sich durch ähnliche Strukturen in den Ligandenbindungstaschen (»orthostatic site«) aus. Dies erschwert die Konstruktion von Liganden, die selektiv nur einen Rezeptortyp kontaktieren. Andere extrazelluläre Bereiche der Rezeptoren sind variabler und daher geeignetere Zielstrukturen für Rezeptor-selektive Modulatoren.
Allosterische Modulatoren binden außerhalb der Ligandenbindungsstelle an den Rezeptor und verändern seine gesamte Konformation. Dabei kann die Ligandenbindungsstelle so deformiert werden, dass Liganden besser (allosterischer Aktivator; Abbildung 3, oben links) oder schlechter binden (allosterischer Inhibitor, Abbildung 3, unten links). Einige allosterische Modulatoren sind schon auf dem Markt.
Zwei Beispiele: Das Humane-Immundefizienz-Virus (HIV) befällt Zellen, indem es an das Oberflächenmolekül CD4 (auf T-Helferzellen und Makrophagen) bindet. HIV können jedoch nur in die Zellen gelangen, wenn diese einen Ko-Rezeptor (Chemokin-Rezeptoren wie CXCR4 und CCR5) tragen. Der allosterische Inhibitor Maraviroc bindet an CCR5 und verhindert so die Bindung an virale Proteine und das Eindringen der Viren (Entry-Inhibitor). Als allosterischer Aktivator Calcium-sensitiver Rezeptoren wirkt Cinacalcet, das bei primärem und sekundärem Hyperparathyreoidismus eingesetzt wird. Da es sich bei diesem GPCR um einen Rezeptor für ein extrem kleines Molekül (Calciumion) handelt, war die Entwicklung von Wirkstoffen, die in die enge Bindungstasche passen, prinzipiell wenig Erfolg versprechend.
Pharmakologisch interessant sind auch bitopische (dualsterische) Liganden, die sowohl die Ligandenbindungsstelle als auch allosterische Bindungsstellen des Rezeptors besetzen (Abbildung 3, oben rechts). Ziel dieser Strategie ist es, die Affinität und Selektivität der Therapeutika für den Zielrezeptor weiter zu erhöhen. Bitopische Liganden für muskarinische Acetylcholin-Rezeptoren werden intensiv erforscht, da es bisher nicht gelungen ist, selektive Agonisten zu konstruieren (12).
GPCR schließen sich zusammen
Wie andere Rezeptoren können sich auch GPCR zu Dimeren oder Oligomeren zusammenschließen. Die Komplexe bestehen aus gleichen (Homo(di)mere) oder unterschiedlichen Molekülen (Hetero(di)mere).
Eine Oligomerisierung wurde beispielsweise für adrenerge Rezeptoren, Dopamin- und mACh-Rezeptoren nachgewiesen. In den Oligomeren fungieren die Komponenten als allosterische Modulatoren und beeinflussen wechselseitig ihre Funktionen, zum Beispiel Ligandenbindung, Aktivierung von Signaltransduktionsketten oder Internalisierung. Damit sind solche Komplexe mögliche Ziele für bivalente Therapeutika, also Moleküle, die an zwei verschiedenen Rezeptorkomponenten binden (Abbildung 3, unten rechts).
Abbildung 3: Wirkmechanismus allosterischer, dualsterischer und bivalenter Modulatoren der GPCRLinks oben: Ohne Bindung des allosterischen Aktivators kann der Ligand nicht an den GPCR binden.Links unten: Nach Bindung des allosterischen Inhibitors kann der Ligand nicht mehr an den GPCR binden.Rechts oben: Dualsterische Aktivatoren lösen ein intrazelluläres Signal aus, dualsterische Inhibitoren verhindern die Bindung des Liganden und lösen selber kein Signal aus.Rechts unten: Bivalente Modulatoren (hier ein Aktivator an einem Homodimer) binden an verschiedene Rezeptoruntereinheiten und lösen ein Oligomer-spezifisches Signal aus.
Ein bivalenter GPCR-Agonist ist in den USA zur Behandlung von Diabetes Typ 1 und Typ 2 zugelassen. Amylin bindet an Proteinkomplexe, die aus dem Calcitonin-Rezeptor (GPCR) und einem Receptor-activity-modifying-Protein (RAMP) bestehen. Wie Insulin wird es von den β-Zellen des Pankreas synthetisiert und ist für die Regulation des Blutzuckerspiegels mitverantwortlich. Anders als Insulin kann Amylin aber nicht direkt verabreicht werden, da es über Komplexbildung und Ablagerung die Apoptose in β-Zellen induziert. Das synthetische Amylin-Analogon Pramlintid, das ebenfalls beide Rezeptorkomponenten kontaktiert, hat diese Nebenwirkung nicht.
Auch die Funktionsweise der neuen Wirkstoffklasse der Pepducine basiert auf einer Oligomerisierung. Diese Moleküle bestehen aus einem Lipidanker, mit dem sie sich in die Zellmembran einlagern, und Teilen der intrazellulären Domänen von GPCR. Pepducine kontaktieren endogene Rezeptoren und verändern ähnlich wie extrazelluläre allosterische Modulatoren (Abbildung 3) die Struktur des GPCR und damit seine Fähigkeit, mit intrazellulären Signaltransduktionsmolekülen in Kontakt zu treten. Prinzipiell können Pepducine sowohl agonistisch als auch antagonistisch wirken. Antagonistische Pepducine der zu den GPCR gehörenden Protease-aktivierten Rezeptoren (PAR) sind vielversprechende Kandidaten für antithrombotische Therapien (13).
Fazit
Als größte Rezeptorfamilie sind GPCR für die pharmazeutische Forschung hochinteressant. Ein Großteil der verschreibungspflichtigen Arzneistoffe wirkt über eine Modulation GPCR-vermittelter Signale. Mit der rasant fortschreitenden Strukturaufklärung der GPCR begann eine neue Ära, denn es gelang, Interaktionen zwischen GPCR und Liganden sowie nachgeschalteten Signaltransduktionsmolekülen auf molekularer Ebene zu verstehen. Dies wird zur Entwicklung neuer Medikamente mit höherer Spezifität und geringerem Nebenwirkungsspektrum führen. /
Aufgrund der klinischen Bedeutung der GPCR arbeiten weltweit zahlreiche Wissenschaftler an diesen Rezeptoren. Eine Stichwortsuche (7. Februar 2014) mit dem Begriff »g-protein coupled receptor« in der Literaturdatenbank »PubMed« ergab 265 778 Einträge. Mehrere Nobelpreise wurden für wissenschaftliche Erfolge in der GPCR-Forschung verliehen.
Heidi Schooltink studierte Biologie an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen. Dort wurde sie 1992 am Institut für Biochemie der Medizinischen Fakultät mit einer Arbeit über den hepatischen Interleukin-6-Rezeptor promoviert. Danach arbeitete sie am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg über rekombinante Antikörper. Die Autorin ist seit 2002 als freiberufliche Wissenschaftsjournalistin und Lektorin tätig.
Dr. Heidi Schooltink Theodor-Heuss-Weg 6, 24211 Schellhorn, E-Mail: hschooltink(at)aol.com