Ionentransport im Dienst der Gesundheit |
10.08.2015 15:35 Uhr |
Von Heidi Schooltink / Zu viel Kochsalz ist ungesund, das weiß in Deutschland jedes Kind. Dennoch brauchen wir die im Natriumchlorid enthaltenen Ionen. Im Körper eines 70 kg schweren Menschen befinden sich insgesamt 100 g Natrium-Ionen. Diese spielen bei der Weiterleitung von Nervenimpulsen ebenso eine Rolle wie für den Wasser- und Elektrolythaushalt.
Wasser und Elektrolyte nimmt der Mensch täglich durch Getränke und Nahrung auf und scheidet sie mit Urin, Stuhl und Schweiß wieder aus. Zwischenzeitlich verteilen sich die Ionen im intra- und extrazellulären Raum. Die extrazelluläre Natrium-(Na+)-Konzentration wird von den Nieren gesteuert. Bei einem Na+-Überangebot erhöhen sie die Ausscheidung, bei einem Unterangebot werden Na+-Ionen dagegen zurückgehalten.
Schwere Fahrzeuge transportieren Salz aus einer Saline. Im Körper sind grazile Ionenkanäle dafür zuständig.
Foto: Fotolia/Jürgen Fälchle
Als physiologischer Normwert gilt eine Konzentration von 135 bis 145 mmol/l im Blut. Wenn der Körper zu viel Flüssigkeit und damit auch Elektrolyte verliert, zum Beispiel bei Fieber oder Durchfall, aber auch bei einer Niereninsuffizienz kann der Wasser-Elektrolyt-Haushalt entgleiten – mit zum Teil lebensbedrohlichen Folgen.
Jenseits von akuten Ereignissen können genetisch bedingte Defekte an Na+-Kanälen schwere Erkrankungen auslösen, zum Beispiel bestimmte Epilepsieformen, Herzrhythmusstörungen und Schmerzsyndrome. Angesichts der breiten physiologischen Bedeutung von Na+-Kanälen ist es nicht verwunderlich, dass sie das Ziel (Target) zahlreicher Arzneistoffe, darunter Analgetika, Antiarrhythmika und Antiepileptika, sind. Aber auch etliche Tiergifte, zum Beispiel aus Kegelschnecken oder Kugelfischen, wirken über die Modulation dieser Ionenkanäle. Einige dieser Toxine dienen als Leitstrukturen für künftige Arzneistoffe.
Unterschiedlich verteilt
Jede Körperzelle ist von einer im Wesentlichen aus Phospholipiden bestehenden Doppelmembran umgeben. Diese Membran ist nur für Wasser und lipophile Moleküle durchlässig. Ionen und hydrophile Moleküle können die Membran nur mithilfe von Transportproteinen durchqueren, deren Öffnungszustand reguliert werden kann. Auf diese Weise kann die Zelle steuern, welche Stoffe sie aufnimmt und welche sie abgibt.
Durch die ungleichmäßige Verteilung von Ionen im Zytoplasma und im extrazellulären Raum entsteht ein elektrochemischer Gradient über der Membran. Intrazellulär ist die Kalium-(K+)-Ionenkonzentration, extrazellulär die Na+- und Chlorid-(Cl-)-Ionen größer. Die Zytoplasmaproteine im Zellinneren liegen als Polyanionen vor. Aus der Verteilung der beteiligten Ionen ergibt sich ein Ruhemembranpotenzial von etwa -70 Millivolt. Die in einem solchen Ionengradienten enthaltene Energie kann die Zelle für verschiedene Prozesse, zum Beispiel die Reizweiterleitung in Nerven und Muskeln, aber auch für die Produktion von Adenosintriphosphat (ATP) nutzen. ATP dient als »Energiewährung der Zelle«; seine Spaltung liefert beispielsweise die Energie für den Aufbau von Makromolekülen und für die Muskelbewegung.
Abbildung 1: Ionenverteilung für Na+- und K+-Ionen während eines Ruhemembranpotenzials (A) und zeitlicher Verlauf eines Aktionspotenzials (B)
Transportproteine steuern Im- und Export
Bei den Ionentransportproteinen in den Zellmembranen unterscheidet man Pumpen und Kanäle (Abbildung 1A). Ein prominentes Beispiel für eine Ionenpumpe ist die Na+-K+-Pumpe, die unter Energieverbrauch (Spaltung von ATP) und entgegen dem Konzentrationsgradienten Na+-Ionen aus der Zelle hinaus und K+-Ionen hinein befördert. Kanäle leiten Ionen dagegen immer entlang ihres elektrochemischen Gradienten, das heißt in Richtung eines Konzentrations- beziehungsweise Ladungsausgleichs. Für diese Transportform (»erleichterte Diffusion«) wird keine Energie benötigt.
Viele Ionenkanäle lassen nur bestimmte Ionen passieren. Dies wird als Selektivität bezeichnet. Die meisten Kanäle sind im Ruhezustand geschlossen, für die Öffnung bedarf es eines externen Reizes.
Spannungsgesteuerte Na+-Kanäle
Bereits 1952 entdeckten Hodgkin und Huxley, dass ein Na+-Einstrom in die Zelle das Membranpotenzial in Nerven und Muskeln verändert (Abbildung 1B). Ohne die Proteine zu kennen, entdeckten sie nur mithilfe von elektrophysiologischen Untersuchungen bereits viele Eigenschaften von Na+-Kanälen. Dazu gehört die Na+-Selektivität, die Öffnung der Kanäle aufgrund von Spannungsänderungen und die schnelle Inaktivierung beziehungsweise das Schließen der Kanäle nach wenigen Millisekunden (1).
Heute können Forscher über Struktur-Funktions-Analysen die einzelnen Charakteristika den verschiedenen Strukturelementen des Transporters zuordnen. Spannungsgesteuerte Na+-Kanäle bestehen aus einem porenbildenden Protein (α-Untereinheit) und zwei assoziierten Proteinen (β-Untereinheiten). Durch die Pore der α-Untereinheit können die Ionen die Zellmembran passieren. Das aus etwa 2000 Aminosäuren bestehende Protein lässt sich in vier Domänen unterteilen. Jede Domäne enthält sechs membrandurchspannende Segmente (S1 bis S6), die durch extra- und intrazelluläre Proteinschleifen (Loops) miteinander verbunden sind.
Löst ein Reiz ein Aktionspotenzial aus (Abbildung 1B), führt die dabei einsetzende Depolarisation der Membran zur Öffnung des »Activation gate« und damit zum Einstrom von Na+-Ionen. Bei der anschließenden schnellen Inaktivierung (1 bis 2 Millisekunden) wird das »Inactivation gate« blockiert. Diese schnelle Inaktivierung setzt trotz anhaltender Depolarisation ein. In diesem Zustand sind die Kanäle zunächst nicht wieder aktivierbar. Den aktivierbaren Status (Activation gate zu und Inactivation gate offen, Abbildung 2) erreichen sie erst nach einer Repolarisation der Membran (durch K+-Ausstrom).
Daneben gibt es auch eine langsame Inaktivierung. Möglicherweise kommt es dabei zu einem Kollaps der Pore (2).
Obwohl die Aktivität dieser Na+-Kanäle primär durch Spannungsänderungen gesteuert wird, haben auch Neurotransmitter wie Acetylcholin einen Einfluss. Sie aktivieren intrazelluläre Kinasen, die die α-Untereinheiten der Kanäle phosphorylieren. Dies kann je nach Rezeptortyp aktivierende oder inhibierende Effekte haben.
Mutierte Kanäle machen krank
Im menschlichen Körper kommen neun verschiedene α-Untereinheiten für spannungskontrollierte Na+-Kanäle (Nav1.1 bis Nav1.9, »v« für »voltage gated«) und vier β-Untereinheiten vor. Bisher gibt es keine Hinweise dafür, dass bestimmte β-Untereinheiten bevorzugt mit bestimmten α-Untereinheiten assoziieren. Einzelne Subtypen kommen in bestimmten Geweben gehäuft vor.
Manche Epilepsieformen entstehen infolge von genetisch bedingt veränderten Na+-Kanälen. Auch viele Antiepileptika greifen an diesen Ionenkanälen an.
Foto: Fotolia/ Tobilander
In elektrisch erregbaren Geweben wie Herz- oder Skelettmuskulatur sind Na+-Kanäle unverzichtbar für die Erregungsweiterleitung. Daneben finden sie sich aber auch auf elektrisch nicht erregbaren Zellen wie Astrozyten, Fibroblasten und auch Tumorzellen, wo sie Prozesse wie Phagozytose, Motilität und Aktivität der Na+-K+-Pumpe beeinflussen (4). Mutationen in Genen für Na+-Kanalproteine führen zu unterschiedlichen Erkrankungen (Channelopathien) – je nach Expressionsmuster und der aus der Mutation resultierenden Funktionsänderung, zum Beispiel Änderung der Spannungsabhängigkeit oder Störung der schnellen und langsamen Inaktivierung. Mutationen, die zum kompletten Funktionsverlust führen, sind weitaus seltener (1, 5).
Channelopathien manifestieren sich immer dort, wo der betroffene Na+-Rezeptor bevorzugt vorkommt: Mutationen im Gen für den Nav1.4 führen zu muskulären Erkrankungen (Tabelle 1). Periodische Paralysen sind durch episodisch auftretende Muskelschwächeanfälle gekennzeichnet. Bei der Paramyotonia congenita kommt es zu einer kälteinduzierten Muskelsteifigkeit und -schwäche. In beiden Fällen führen die Mutationen zu einer gesteigerten Kanalaktivität durch Störung der schnellen und/oder langsamen Inaktivierung (5). Die Dauer der muskulären Aktionspotenziale wird verlängert, was wiederum den K+-Transport stört.
Schwere und zum Teil lebensbedrohliche Herzrhythmus- und Reizweiterleitungsstörungen können die Folge sein, wenn das Gen für den Nav1.5 von einer Mutation betroffen ist (Tabelle 1). Bei Patienten mit Long-QT-Syndrom Typ III kommt es aufgrund einer gestörten Inaktivierung dieses Kanals zu verlängerten Aktionspotenzialen. Mutationen, die eine Erregungsleitungsstörung (Brugada-Syndrom) hervorrufen, reduzieren den maximal möglichen Na+-Einstrom durch eine erhöhte Tendenz der Kanäle zur langsamen Inaktivierung (6).
Mutationen in den Genen für Nav1.1, Nav.1.2 sowie für die β1-Untereinheit der Na+-Kanäle können unterschiedlich schwere Epilepsie-Erkrankungen auslösen. Bei der benigne verlaufenden Generalisierten Epilepsie mit Fieberkrämpfen plus (GEFS+) treten bereits in der frühen Kindheit Fieberanfälle auf. Die später hinzukommenden Epilepsie-Episoden haben einen variablen Phänotyp. Beim Dravet-Syndrom (Severe myoclonic epilepsy of infancy) ist die psychomotorische Entwicklung meist schwer beeinträchtigt. Mehr als 100 verschiedene Mutationen konnten bisher im Gen für Nav1.1 nachgewiesen werden (7).
Auch das periphere Nervensystem (PNS) kann betroffen sein: Mutationen des Nav1.7 führen zu Schmerzerkrankungen. Bei der Erythromelalgie (Gefäßerkrankung mit Rötung, Schmerzen und Temperaturerhöhung der Haut) ist die Spannungsabhängigkeit des Kanals verändert. Dagegen ist bei der Paroxysmal extreme pain disorder die Kanalinaktivierung gestört. Ein Fehlen funktionsfähiger Kanäle führt zu einem vollständigen Verlust des Schmerzempfindens (Congenital indifference of pain) (6).
Abbildung 2: Konformationen des Na+-Kanals. Der im Ruhezustand durch das Activation gate geschlossene Kanal (links) öffnet sich bei Depolarisation für eine bis zwei Millisekunden und wird dann – auf der Zytoplasma-Seite – durch das Inactivation gate verschlossen. In diesem Zustand ist er zunächst nicht wieder aktivierbar (Refraktärzeit).
Targets für große Wirkstoffgruppen
Verschiedene Arzneistoffe blockieren spannungsgesteuerte Na+-Kanäle (Tabelle 2). Klinisch werden sie als lokale Anästhetika, Antiarrhythmika und Antiepileptika eingesetzt. Während Lokalanästhetika und Antiarrhythmika an geöffnete Kanäle binden und Aktionspotenziale modulieren, sollen Antiepileptika die Generierung von schnell aufeinanderfolgenden Aktionspotenzialen verhindern. Dies erreichen sie durch die Stabilisierung des inaktivierten Zustands des Kanals (Abbildung 2).
Herzrhythmusstörungen treten bei zahlreichen kardialen Erkrankungen auf. Die Beteiligung der Na+-Kanäle kann ähnlich wie bei den vererbbaren kardialen Myopathien auf unterschiedlichen Fehlfunktionen beruhen. Daher haben zwar alle Klasse-I-Antiarrhythmika den Nav1.5 zum Ziel, beeinflussen die Aktivität des Kanals aber unterschiedlich; danach teilt man sie in Klasse-IA-, -IB- und -IC-Antiarrhythmika ein (6). Alle derzeit verwendeten Medikamente binden nicht-selektiv an verschiedene α-Untereinheiten der Na+-Kanäle; daraus ergibt sich besonders bei systemischer Anwendung ein breites Nebenwirkungsspektrum. Dies schränkt die Möglichkeit einer Dosissteigerung zur Erhöhung der Wirksamkeit stark ein (8).
Auch bei der Verwendung von Lokalanästhetika kann es zu schweren Arrhythmien kommen. Daher suchen Forscher fieberhaft nach Subtyp-spezifischen Hemmstoffen.
Ebenfalls im Fokus der pharmazeutischen Forschung steht die Entwicklung Nav1.7-spezifischer Hemmstoffe zur Analgesie. Einige Hemmstoffe befinden sich bereits in klinischer Prüfung. Der Nav1.7-spezifische Inhibitor CNV1014802 wurde von der Food and Drug Administration (FDA) als Orphan-drug zur Behandlung von Trigeminusneuralgien klassifiziert, um die klinische Testung voranzutreiben (9).
α-Unter-einheit | Hauptvorkommen | Channelopathien (Auswahl) | Therapie |
---|---|---|---|
Nav1.1 Nav1.2 (Nav1.3) (Nav1.6) | zentrales Nervensystem | verschiedene Epilepsieformen, zum Beispiel Generalisierte Epilepsie mit Fieberkrämpfen plus1, Dravet-Syndrom1 Familiäre hemiplegische Migräne2 | Antiepileptika |
Nav1.4 | Skelettmuskel | Paramyotonia congenita, Periodische Paralysen3 | Carboanhydrase-Inhibitoren Lokalanästhetika Antiarrhythmika |
Nav1.5 | Herzmuskel | Herzrhythmusstörungen (Long-QT-Syndrom Typ III4, Brugada-Syndrom) Erregungsleitungsstörungen, zum Beispiel kongenitales Sick-Sinus-Syndrom | Betablocker Antiarrhythmika (Mexiletin, Flecainid, K+-Kanalblocker) implantierbare Defibrillatoren Herzschrittmacher |
Nav1.7 (Nav1.8) (Nav1.9) | peripheres Nervensystem | Schmerzsyndrome, zum Beispiel Erythromelalgie, Paroxysmal extreme pain disorder | Lokalanästhetika Antiarrhythmika |
() In diesen Genen konnten bisher keine oder nur in Einzelfällen krankheitsauslösende Mutationen nachgewiesen werden.
1) auch Mutationen in der β1-Untereinheit von Na+-Kanälen und in γ-Aminobuttersäure-(GABA)-Rezeptoren;
2) auch Mutationen in K+-Kanälen und in der Na+-K+-Pumpe;
3) auch Mutationen in Ca2+-Kanälen;
4) auch Mutationen in K+-Kanälen
Ligandengesteuerte Na+-Kanäle
Neben den spannungsgesteuerten Na+-Kanälen gibt es eine weitere gro- ße Gruppe: Kanäle, die sich bei der Bindung eines Liganden öffnen und schließen. Diese Kanäle gehören zu verschiedenen Proteinfamilien. Im ZNS, PNS und Muskeln wirken Neurotransmitter wie Acetylcholin, Serotonin und Glutamat, aber auch ATP und zyklisches AMP (cAMP) als Liganden.
Bei den Kanälen handelt es sich ausnahmslos um Multimere, die sich wie die spannungsregulierten Kanäle aus verschiedenen Untereinheiten zusammensetzen. Diese wiederum kommen in verschiedenen Subtypen vor, die gewebespezifisch exprimiert werden und die Kationen-Selektivität entscheidend mitbestimmen. Auch in diesem Bereich zielt die Forschung auf die Entwicklung möglichst selektiver Arzneistoffe.
Raucherentwöhnung, Anästhesie, Antiemese: Das therapeutische Potenzial für Modulatoren dieser Rezeptoren ist immens. Derzeit werden sowohl Agonisten als auch Antagonisten bei verschiedenen Indikationen eingesetzt (Tabelle 3).
Verschiedene Erkrankungen sind mit Mutationen in den Genen für ligandenkontrollierte Na+-Kanäle assoziiert. Ist der nicotinische Acetylcholinrezeptor (NAchR) betroffen, können Frontallappenepilepsien oder ein myasthenes Syndrom die Folge sein. Hierbei führen Störungen der Signalübertragung zwischen Nerv und Muskel an der motorischen Endplatte zu einer individuell ausgeprägten Muskelschwäche. Dagegen handelt es sich bei der Myasthenia gravis um eine Autoimmunerkrankung, bei der der Körper Autoantikörper gegen den NAchR bildet.
Arzneistoffgruppe, Arzneistoffe | Wirkmechanismus | Indikationen |
---|---|---|
Lokalanästhetika: Lidocain, Procain | Bindung an geöffnete Kanäle Modulation von Aktionspotenzialen | Schmerzausschaltung bei Operationen, Zahnbehandlungen und so weiter |
Antiepileptika: Phenytoin, Lamotrigin, Carbamazepin1, Valproat, Topiramat2 | Bindung an inaktivierte Kanäle Stabilisierung des inaktiven Zustands Verhinderung der Generierung schnell aufeinanderfolgender Aktionspotenziale | verschiedene Epilepsieformen |
Antiarrhythmika | Bindung an geöffnete Kanäle Modulation von Aktionspotenzialen | |
Klasse IA: Quinidin, Procainamid, Disopyramid | Hemmung des schnellen Na+-Einstroms Verlängerung des Aktionspotenzials Verlängerung der Refraktärzeit | ventrikuläre Arrhythmien |
Klasse IB: Lidocain, Phenytoin, Aprindin | Verkürzung des Aktionspotenzials Verkürzung der Refraktärzeit | ventrikuläre Tachykardien |
Klasse IC: Flecainid, Propafenon | Hemmung des schnellen Na+-Einstroms kein Effekt auf die Dauer des Aktionspotenzials | (supra-)ventrikuläre Tachykardien, paroxysmales Vorhofflimmern |
1) hemmt auch γ-Aminobuttersäure-(GABA)-Rezeptoren; 2) wird auch für die Migräneprophylaxe eingesetzt
ENaC reguliert den Salzhaushalt
Der trimere epitheliale Na+-Kanal ENaC (α-, β-, γ-Untereinheit) ist im Gegensatz zu den bisher besprochenen Kanälen ein konstitutiv offener Kanal. In den distalen Bereichen der Niere und im Darm ist er maßgeblich an der Rückresorption von Na+-Ionen beteiligt. Der Kanal befindet sich in der apikalen, dem Lumen der Nierenkanäle zugewandten Membran der Epithelzellen. Durch den Kanal treten Na+-Ionen in die Zellen ein und werden auf der basolateralen, den Gefäßen zugewandten Seite von der Na+-K+-Pumpe wieder aus den Zellen herausgepumpt, also rückresorbiert.
Volumenmangel oder eine Hyponatriämie aktivieren das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System. Aldosteron fördert sowohl die Expression der ENaC (Zahl der Rezeptoren steigt) als auch deren Aktivität (Durchlässigkeit steigt).
Die Bedeutung des ENaC für den Salzhaushalt und den Blutdruck wird an zwei angeborenen Erkrankungen deutlich. Beim Liddle-Syndrom werden die β- und γ-Untereinheiten aufgrund einer Mutation nicht mehr abgebaut: Die Anzahl der Kanäle auf den Zellen steigt enorm. Dadurch wird vermehrt Natrium in den Organismus zurückgeschleust, was zu ausgeprägtem Bluthochdruck führt. Eine Hyperaktivität von ENaC wurde auch im Lungenepithel von Patienten mit Cystischer Fibrose (CF) nachgewiesen, was die Schleimbildung in der Lunge weiter verstärkt.
Umgekehrt können mutierte dysfunktionale ENaC im Rahmen eines Pseudohypoaldosteronismus zu einer schweren Volumenstörung mit Hyperkaliämie und Azidose führen.
ENaC-Inhibitoren wie Amilorid oder Triamteren werden heute als kaliumsparende Diuretika eingesetzt. Klinische Studien mit Amilorid bei CF-Patienten waren jedoch wenig erfolgreich. Derzeit werden weitere Hemmstoffe getestet. Vermutlich ist ENaC an vielen weiteren pulmonalen, vaskulär-renalen, gastrointestinalen und neuronalen Erkrankungen beteiligt (10).
Weitere vielversprechende Zielstrukturen für Medikamente sind die mit dem ENaC verwandten, ebenfalls Amilorid-sensitiven Acid-sensing Ion Channels (ASICs), die sich bei einer Absenkung des pH-Werts öffnen und bevorzugt im zentralen und peripheren Nervensystem vorkommen. Die physiologische Rolle dieser Kanäle ist bislang nicht vollständig verstanden, einige Subtypen sind aber an der durch eine Azidose ausgelösten Schmerzempfindung beteiligt. Beispielsweise werden die Schmerzen bei einer kardialen Ischämie auf die Öffnung von ASIC3 auf afferenten sympathischen Neuronen zurückgeführt. Zahlreiche etablierte Analgetika wie Ibuprofen und Acetylsalicylsäure sowie Anästhetika wie Lidocain und Propofol wirken inhibitorisch auf verschiedene ASICs (11). Auch viele pflanzliche Analgetika, die in der traditionellen Medizin vieler Kulturen verwendet werden, wirken als ASIC-Antagonisten.
Zielrezeptoren | Wirkprinzip | Medikamente (Beispiele) | Indikationen |
---|---|---|---|
Nikotinischer Acetylcholin- Rezeptor (NAchR) | Agonist | Carbachol | Glaukom |
depolarisierende Muskelrelaxantien: Suxamethonium | Narkoseeinleitung bei nicht-nüchternen Patienten | ||
Vareniclin | Raucherentwöhnung | ||
Antagonist | nicht-depolarisierende Muskelrelaxantien: Atracurium, Rocuronium | Muskelrelaxierung bei Operationen und maschineller Beatmung | |
Serotonin-Rezeptor (5-HT3) | Antagonist | Tropisetron, Ondansetron | Behandlung von Brechreiz bei Chemo- und Radiotherapien |
AMPA2-Rezeptor | Antagonist | Perampanel | Epilepsie |
Kainat2-Rezeptor | Antagonist | Tezampanel | Migräne, Angstzustände1 |
NMDA2-Rezeptor | Antagonist | Amantadin | M. Parkinson |
Memantin | Alzheimer-Demenz | ||
Ketamin | Anästhetikum, Analgesie bei intubierten Schmerzpatienten, Depression* | ||
Hyperpolarization- activated cyclic nucleotide-gated- (HCN)-4-Rezeptor | Antagonist | Ivabradin | chronische Angina Pectoris, chronische Herzinsuffizienz |
Acid-sensing ion channels (ASICs) | Antagonist | Ibuprofen3, Acetylsalicylsäure3, Lidocain4, Propofol4 | Analgetika |
Epithelialer Na+- Kanal (ENaC) | Antagonist | Amilorid | Bluthochdruck, Herzinsuffizienz |
1) in (prä-)klinischer Erprobung
2) gehören zu den ionentropen Glutamatrezeptoren, benannt nach dem synthetischen Agonisten α-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazol-Propionsäure (AMPA), dem Agonisten Kainatsäure (Kainat) und dem synthetischen Agonisten N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)
3) Als Hauptwirkmechanismus gilt die Hemmung der Prostaglandin-Synthese.
4) wirken auch auf andere Rezeptoren (Lidocain: spannungsgesteuerte Na+-Kanäle und Propofol: GABA-Rezeptoren)
Medikamente aus dem Waffenarsenal der Natur?
Das Gift zahlreicher Tiere wie Spinnen, Schnecken oder Schlangen enthält einen Cocktail aus verschiedenen Toxinen, die unter anderem die Aktivität von Na+-Kanälen beeinflussen. Bisher waren solche Toxine eher für negative Schlagzeilen wie Todesfälle durch Muschel- oder Fischvergiftung verantwortlich. Das könnte sich bald ändern – denn sie haben ein hohes therapeutisches Potenzial.
Hypertonie kann genetisch bedingt sein: Wenn aufgrund eines Ionenkanal-Überangebots zu viel Natrium rückresorbiert wird, steigt der Blutdruck massiv an.
Foto: Fotolia/Picture Factory
An spannungsgesteuerten Na+-Kanälen wirken diese Toxine über eine Bindung an die α-Untereinheiten als Kanalblocker, konstitutive Aktivatoren oder Gating modifiers. Das aus dem Kugelfisch stammende Tetrodotoxin blockiert verschiedene Kanalsubtypen. Die mittlere letale Dosis liegt bei oraler Aufnahme bei 0,33 mg/kg Körpergewicht, in subletalen Dosen eignet es sich möglicherweise als Analgetikum bei Schmerzpatienten. Das aus dem Eisenhut isolierte Aconitin öffnet dagegen Na+-Kanäle, was ebenfalls tödliche Folgen haben kann (12).
Die Komponenten des Gifts der Kegelschnecke greifen sowohl an liganden- als auch spannungsregulierten Na+-Kanälen an. Vielversprechende Kandidaten für neue Analgetika sind einige Conotoxine, die eine »Vorliebe« für bestimmte spannungsaktivierte neuronale Na+-Kanäle zeigen (13). Allerdings handelt es sich häufig um Peptide mit instabilen Disulfidbrücken, die im Körper durch Proteasen degradiert werden. Außerdem bindet kein Toxin ausschließlich an einen Kanal. Derzeit arbeiten viele Forschungsgruppen daran, die pharmakologischen Eigenschaften der Conotoxine zu verbessern und ihre Selektivität weiter zu erhöhen (8). Jedoch sind alle Na+-Kanal blockierenden Conotoxine noch in der präklinischen Erprobung.
Anders das ω-Conotoxin (Ziconotid), das spezifisch Ca2+-Kanäle hemmt: Es wird zur Behandlung schwerer chronischer Schmerzen eingesetzt (13).
Großes therapeutisches Potenzial haben auch Toxine, die mit relativ hoher Selektivität ASIC-Subtypen inhibieren. Insbesondere die aus dem Gift der schwarzen Mamba isolierten Mambalgine erweisen sich im Tierexperiment als gute Analgetika. Bei ähnlicher Effektivität haben sie verglichen mit Morphinen geringere Nebenwirkungen (Atemdepression) und lösen keine Toleranzentwicklung aus (14). /
Literatur
Heidi Schooltink studierte Biologie an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen. Dort wurde sie 1992 am Institut für Biochemie der Medizinischen Fakultät mit einer Arbeit über den hepatischen Interleukin-6-Rezeptor promoviert. Danach arbeitete sie am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg über rekombinante Antikörper. Die Autorin ist seit 2002 als freiberufliche Wissenschaftsjournalistin und Lektorin tätig.
Dr. Heidi Schooltink
Theodor-Heuss-Weg 6
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E-Mail: hschooltink@aol.com