Vorsicht Fälschungen |
01.03.2011 16:11 Uhr |
Von Christina Hohmann, Mainz / Das EU-Parlament hat eine Richtlinie zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen beschlossen. Mit großem Aufwand soll der legale Vertriebsweg noch sicherer gemacht werden. Das eigentliche Problem wird damit allerdings nicht erfasst – der illegale Versand.
Laut Weltgesundheitsorganisation sind weltweit zwischen 7 und 10 Prozent der Arzneimittel gefälscht. Während die Quote in einigen Ländern Afrikas über 50 Prozent beträgt, liegt sie in Europa in der legalen Vertriebskette deutlich niedriger – laut WHO-Schätzung bei unter 1 Prozent. Das sagte Dr. Mona Tawab vom Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) auf der Veranstaltung »Gesundheitsrisiko Arzneimittelfälschungen«, initiiert vom Gesundheitspolitischen Impuls Rheinland-Pfalz, hinter dem unter anderem das Landesgesundheitsministerium steht.
Wer im Internet Arzneimittel bestellt, kann leicht an illegale Händler geraten. Bei Testkäufen des ZL waren knapp 60 Prozent der im Netz bezogenen Arzneimittel gefälscht.
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Seit 1996 wurden 40 Fälle von Arzneimittelfälschungen mit Deutschlandbezug bekannt. Dabei habe es sich meist nicht um Totalfälschungen, also Medikamente mit weniger, dem falschen oder gar keinen Wirkstoff gehandelt, sondern um illegale Umverpackungen von Originalware, so Tawab.
In Deutschland habe man früh auf das Problem der Arzneimittelfälschungen reagiert, es bestehe eine lückenlose Überwachung vom Hersteller bis zur Apotheke. Zudem seien Apotheker verpflichtet, jeden Tag stichprobenartig Medikamente zu überprüfen und dies zu dokumentieren. Gut gemachte Fälschungen könnten auf diese Weise zwar nicht erkannt werden, aber Unregelmäßigkeiten würden auffallen. Diese zusätzliche Kontrolle erhöhe die Sicherheit des Vertriebsweges weiter. »Der legale Vertriebsweg ist sicher«, so Tawabs Fazit.
Zu wenig oder gar kein Wirkstoff
Eine Gefahr für deutsche Patienten stelle allerdings der illegale Versandhandel dar. Das ZL habe eigene Testkäufe getätigt, Wirkstoffnamen gegoogelt und dann die entsprechenden Präparate bei verschiedenen Anbietern bestellt. »50 bis 60 Prozent der so bezogenen Arzneimittel waren gefälscht, sie enthielten entweder keinen oder zu wenig Wirkstoff«, berichtete die Apothekerin. Der Test habe nur illegale Websites einbezogen, betonte Tawab. Legale Internetapotheken seien genauso sicher wie die Apotheke vor Ort. Doch für Verbraucher sei es schwierig, seriöse von unseriösen Anbietern zu unterscheiden.
Dr. Axel Thiele vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stimmte Tawab zu, dass die legale Vertriebskette sicher sei. Mit der Mitte Februar vom EU-Parlament beschlossenen Richtlinie werde dieser Vertriebsweg »mit hohem Aufwand noch sicherer gemacht«. Die Kosten, die die Umsetzung der Richtlinie mit sich bringt, werden auf 10 bis 12 Milliarden Euro für ganz Europa geschätzt. Das Regelwerk müsse noch vom EU-Rat verabschiedet und dann in nationales Recht implementiert werden.
Thiele rechnet damit, dass die Richtlinie in Deutschland bis Mitte oder Ende 2012 umgesetzt wird. Der Richtlinie zufolge sollen verschreibungspflichtige Arzneimittel verschiedene Sicherheitsmerkmale erhalten, darunter einen 2-D-Matrixcode, der unter anderem die Chargennummer, das Verfallsdatum und eine individuelle Nummer für jede Arzneimittelpackung enthält. Diese Nummer macht das Medikament nachverfolgbar. Vor der Abgabe in der Apotheke kann der Apotheker die Nummer in einer Datenbank aufrufen. Ist die Nummer dort vorhanden, kann das Medikament abgegeben werden und die Nummer wird gelöscht.
Einheitliches Sicherheitslogo
Sollte die Nummer nicht existieren oder bereits gelöscht worden sein, liegt vermutlich eine Fälschung vor. Diese muss dann gemeldet werden. Hierfür soll ein Frühwarnsystem eingerichtet werden. Zudem sieht die Richtlinie vor, den Vertriebsweg stärker zu kontrollieren und eine zentrale Stelle zur Überwachung des Internets zu schaffen, so Thiele. Weiterhin sollen die EU und ihre Mitgliedsstaaten im Internet Register mit behördlich genehmigten Versandapotheken einrichten. Diese sollen durch ein europaweit einheitliches Sicherheitslogo auf der Website erkennbar sein.
Die Pharmaindustrie begrüße die neue Richtlinie, sagte Dr. Stephan Schwarze von Bayer Schering Pharma. In Schweden habe man bereits ein Pilotprojekt mit dem 2-D-Matrixcode durchgeführt, das sehr erfolgreich verlaufen sei. Die Codierung erlaube eine Identifizierung der einzelnen Packung. Vom Hersteller wird die Nummer aufgebracht, in der Apotheke wird sie abgelesen. »Dies bedeutet, dass in der Apotheke ein Lesegerät für 2-D-Codes vorhanden sein muss«, so Schwarze. Beim schwedischen Pilotprojekt war das Identifizieren kein Problem. »99,9 Prozent der Lesevorgänge dauerten weniger als eine Sekunde«, so Schwarze. »Die Apotheker waren sehr zufrieden.«
Auch in Frankreich habe man auf Aufforderung der staatlichen Aufsichtsbehörde einen 2-D-Matrixcode etabliert. Der enthalte bislang nur eine Chargennummer, und noch keine individuelle Nummer. Dieser zweite Schritt könne aber jederzeit folgen. Ein solches System könne die Industrie sehr rasch auch in Deutschland einrichten, sagte Schwarze. »Es gibt Bestrebungen, dies schnell zu tun.« Er hält es für ein geeignetes Instrument, die Sicherheit zu erhöhen.
»Wir müssen den legalen Vertriebsweg sauber bekommen«, sagte auch Peter Stahl, Vizepräsident der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz. Unter 1 Prozent Fälschungen in der legalen Vertriebskette klinge sehr wenig, doch bei etwa 730 Millionen abgegeben Packungen pro Jahr wären dies immer noch 7 Millionen Packungen, die betroffen sein könnten. Die Apothekerschaft sei bereit, sich zu engagieren, ein sicheres und transparentes System zu schaffen, so Stahl.
Verbraucher aufklären
Mit technischen Mitteln allein könne man das Problem der Arzneimittelfälschungen jedoch nicht in den Griff bekommen, sagte Schwarze. Man müsse daher auch verstärkt die Bevölkerung aufklären und auf die möglichen Gefahren von Medikamenten, die auf illegalen Websites bestellt werden, hinweisen. Hier sei Zusammenarbeit notwendig: »Alle Stakeholder sollten sich beteiligen«, so Schwarze. Stahl sah hier vor allem die Heilberufler in der Verantwortung: Ärzte und Apotheker könnten zum Beispiel über Informationstage versuchen, die Verbraucher für das Thema zu sensibilisieren. /