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Arzneimittelversorgung

Frostige Atmosphäre

14.02.2012  17:43 Uhr

Von Werner Kurzlechner, Berlin / Während die ersten Preisverhandlungen auf AMNOG-Basis begonnen haben, ist die Atmosphäre zwischen Kassen und Herstellern eisig. Der GKV-Spitzenverband empfiehlt »mehr Präzision« schon bei der Zulassung.

Die Atmosphäre zwischen Krankenkassen und Pharmaindustrie ist beim Thema Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) immer noch so frostig wie sibirisches Winterwetter. Das zeigte sich beim MCC-Kongress »Kassengipfel« in Berlin an der spitzen Reaktion von Wolfgang Kaesbach, Abteilungsleiter Arznei- und Heilmittel beim Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), auf die Ausführungen seiner Vorrednerin Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (VfA).

 

Fischer hatte den international zunehmenden Kosten- und Wettbewerbsdruck der Branche beklagt und deshalb Eile auch bei den schnellen Verfahren der Nutzenbewertung nach dem AMNOG angemahnt. »Wir brauchen klare und schnelle Entscheidungen, damit wir keine Chancen verspielen«, so die ehemalige Barmer-GEK-Chefin. Ferner plädierte Fischer für einen fairen Interessensausgleich, nannte die Wahl der Vergleichstherapie und den Preisvergleich mit dem europäischen Ausland als ungelöste Streitpunkte und sorgte sich um die Vertraulichkeit der Erstattungsverhandlungen insbesondere für den Bereich der privaten Versicherungen.

 

Wer orientiert sich wirklich am Patienten?

 

Außerdem bemühte sich Fischer um eine grundsätzliche Einordnung. Mehr als fünf Milliarden Euro investierten die 45 Mitgliedsunternehmen ihres Verbandes jährlich in Forschung und Entwicklung, bis 2015 habe man insgesamt 359 potenzielle Wirkstoffe vor allem gegen Krebs, Infektionskrankheiten, Entzündungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Pipeline. Derzeit lasse sich ein Paradigmenwechsel beobachten, so Fischer weiter: »Es gibt eine Abkehr von der institutionellen Betrachtung zu mehr Patientenorientierung.« Das war die Steilvorlage für Kaesbach.

 

»Ich bin erstaunt, dass plötzlich der Fokus auf Patientenorientierung liegt – ich dachte, das wäre von Anfang an die originäre Aufgabe der pharmazeutischen Industrie«, lautete die Replik des Kassenmannes. Kaesbach gab sich insgesamt scharf in Richtung der Hersteller. Den von Fischer gebrauchten Begriff »innovativ« wolle er doch durch »neu« ersetzt wissen; ob ein Arzneimittel wirklich innovativ sei, werde durch die Zusatznutzenprüfung ja erst festgestellt. »Faire Preise heißt für uns, dass sich die Gewinne der Pharmaindustrie am Zusatznutzen der Patienten orientieren und nicht an den Wunschvorstellungen der Aktionäre«, so Kaesbach weiter. Initiativen der Unionsfraktion im Bundestag, schon jetzt am AMNOG nachzubessern, erteilte er eine klare Absage. Das komme viel zu früh.

 

Im Falle des Cholesterinsenkers Livazo mit Wirkstoff Pitavastatin habe der Hersteller kein Dossier eingereicht; deshalb habe ein Zusatznutzen nicht festgestellt werden können, das Medikament werde dem Festbetragssystem zugeführt.

 

Kaesbachs Ratschlag an die Hersteller

 

Schon begonnen haben die Preisverhandlungen im Fall des Thrombozytenaggregations­hemmers Ticagrelor (Handelsname Brilique). Hersteller Astra Zeneca verlangt bisher Jahrestherapiekosten von fast 1000 Euro; ein Zusatznutzen wurde für einige der insgesamt fünf Indikationsgebiete festgestellt – zum Teil sogar in beträchtlichem Ausmaß.

 

Kaesbach verdeutlichte, dass in solchen Fällen sämtliche Vergleichstherapien zur Feststellung eines Zusatznutzens herangezogen werden müssten. Sein Ratschlag an die Hersteller: schon bei der Zulassung präzise sein und sich auf relevante Indikationsgebiete beschränken. Im Übrigen zeige das Beispiel Ticagrelor, dass sich der Gemeinsame Bundesausschuss in der Praxis durchaus nicht an die Einschätzungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) klammere. /

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