Hilfe für den entzündeten Darm |
29.01.2007 11:32 Uhr |
Hilfe für den entzündeten Darm
Von Nicole Tietze
Etwa 165.000 Menschen in Deutschland leiden an einem Morbus Crohn. Die chronisch entzündliche Darmerkrankung ist nicht heilbar. Jedoch sprechen vier von fünf Patienten gut auf die modernen Medikamente an und führen ein ganz normales Leben.
Bei Morbus Crohn (Enteritis regionalis) handelt es sich um eine seltene, chronische, in Schüben auftretende entzündliche Erkrankung. Der gesamte Gastrointestinaltrakt kann betroffen sein, am häufigsten das terminale Ileum und proximale Colon. Da es sich um eine systemische Erkrankung handelt, sind auch Komplikationen außerhalb des Magen-Darm-Trakts möglich (1).
Die Europäische Crohn und Colitis Organisation (ECCO) hat namhafte europäische Experten zusammengebracht, um eine gemeinsame europäische Richtlinie zur Behandlung des Morbus Crohn zu entwickeln. Die Ergebnisse wurden 2006 in drei Artikeln veröffentlicht und gliedern sich in die Bereiche Definition, Diagnose, Pathologie und Klassifikation (15), Behandlung des akuten Schubs, medikamentös erzielte Remission und Operation (14) sowie postoperative Behandlung, Fisteln, Pädiatrie, Schwangerschaft, extraintestinale Manifestation und alternative Therapie (16).
Keine Heilung möglich
Der Name »Crohn« bezieht sich nicht auf den chronischen Verlauf der Krankheit, sondern auf den US-amerikanischen Gastroenterologen Burrill Bernard Crohn. Er beschrieb 1932 als Erster bei mehreren Patienten eine Entzündung des terminalen Ileums (Endabschnitt des Krummdarms, vor Einmündung in das Caecum). Bis heute sind weder eine medikamentöse noch operative Heilung des Morbus Crohn möglich; jedoch können die Entzündungsaktivität verringert und Rückfälle vermieden werden (1).
Die genaue Ursache ist unbekannt. Weitgehend wird von einer genetischen Prädisposition ausgegangen, die durch Umwelteinflüsse zum Ausbruch der Krankheit führt. Darauf weisen das ethnisch unterschiedlich gehäufte Auftreten (2) sowie die Häufung innerhalb von Familien (3) und bei Zwillingen (4) hin. Bei den meisten Patienten treten die ersten Symptome zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr auf. Immerhin jeder fünfte Patient erkrankt schon vor dem 14. Lebensjahr. Aufklärung und Beratung sind dann besonders wichtig.
Der Verlauf ist nicht vorhersehbar. Typischerweise verlaufen die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) in Schüben. Formen mit jahrelangen Ruhephasen sind aber ebenso möglich wie chronisch aktive Verläufe, die den Einsatz von Medikamenten und/oder Operationen nötig machen.
Obgleich der Morbus Crohn nicht heilbar ist, werden dank der therapeutischen Maßnahmen viele Patienten beschwerdefrei. Bei fast der Hälfte treten jedoch Fisteln oder Stenosen auf, die operativ entfernt werden müssen. Die Lebenserwartung ist aufgrund der heute zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten nicht eingeschränkt.
Vielfältige Symptome
Die meisten Patienten leiden bereits Jahre vor der ärztlich gesicherten Diagnose an Symptomen. Initiale Beschwerden sind unbestimmt und umfassen (1):
Bauchschmerzen, die mit Krämpfen einhergehen und vor allem im rechten Unterbauch auftreten;
breiige oder wässrige Diarrhö über mehrere Wochen;
Meteorismus;
selten sind auch Ösophagus und Magen involviert, dann kann es zu Oberbauchschmerzen und Erbrechen kommen.
Weitere mögliche Symptome sind Gewichtsverlust, der unter anderem dadurch entsteht, dass die Patienten sich besser fühlen, wenn sie nichts essen (5). Eine stark ausgeprägte Entzündung im Dünndarm führt zudem zur Malabsorption von Kohlenhydraten und Fetten (1) und in der Folge zu Mangelerscheinungen von Vitaminen und Spurenelementen. Besonders häufig tritt ein Vitamin B12-Mangel auf, da dieses im Dünndarm absorbiert wird (1, 6). Manche Patienten vertragen bestimmte Nahrungsmittel nicht mehr (6).
Etwa 30 Prozent der Betroffenen leiden an Begleiterkrankungen, die Organe außerhalb des Magen-Darm-Trakts betreffen (7):
Entzündungen der Iris oder Uvea (mittlere Augenhaut).
Arthritis,
Erythema nodosum (akute Entzündung der Subkutis),
tiefe Venenthrombose,
hämolytische Anämie.
Eine Osteoporose ist häufig eine Folge der Malabsorption sowie Nebenwirkung einer Cortisontherapie (8).
Zur Ursache der extraintestinalen Beschwerden gibt es keine gültige Theorie. Diskutiert werden zum Beispiel das Konzept der zellulären Wanderung (aktivierte Lymphozyten gelangen über die Lymphe in die Zirkulation) oder eine Induktion durch Bakterien. Ähnlich wie bei der Lymphozytenwanderung könnten intestinale Bakterien über die systemische Zirkulation zu entfernten Organen transportiert werden. Sollte der Morbus Crohn tatsächlich auf einem genetischen Defekt beruhen, ist dieser Defekt in jeder Körperzelle vorhanden (9). Zu klären ist dann allerdings, warum nicht alle Organsysteme betroffen sind.
Diagnostik oft langwierig
Die Diagnose ist nicht immer einfach. So können viele Untersuchungen notwendig sein, bevor ein Arzt die Diagnose Morbus Crohn absichern kann (11).
Die Blutuntersuchung kann den ersten Hinweis auf eine erhöhte Entzündungsaktivität im Körper, aber auch auf Anämie oder Vitaminmangel geben. Sonographisch kann die Entzündung im Dünn- oder Dickdarm lokalisiert werden (4). Auch Abszesse und Fisteln, eine häufige Begleiterscheinung des Morbus Crohn, werden dadurch erkannt. Sind nur Colon (Grimmdarm) und/oder terminales Ileum befallen, erlaubt die Koloskopie eine direkte Visualisierung dieser Darmabschnitte. Während des Verfahrens kann der Gastroenterologe zudem eine Biopsie vornehmen, die die Diagnosestellung erleichtert. Ist dagegen der Dünndarm erkrankt, kann die Computertomographie mithilfe von Bariumsulfat als Kontrastmittel Aufschlüsse liefern.
Ein Morbus Crohn ist manchmal nur schwer von einer weiteren Erkrankung zu unterscheiden: der Colitis ulcerosa. Beide Krankheiten fallen unter den Oberbegriff der CED.
Die Colitis ulcerosa ist eine ausschließlich auf die Mukosa beschränkte Entzündung des Dickdarms, die immer vom Rektum ausgeht und sich kontinuierlich im Colon ausbreitet. Beim Morbus Crohn dagegen kann der gesamte Gastrointestinaltrakt betroffen sein. Dabei ist die Speiseröhre am seltensten (0,5 Prozent der Fälle) und die letzte Dünndarmschlinge (terminales Ileum) am häufigsten betroffen (87 Prozent). Die Entzündungen treten diskontinuierlich auf und erfassen alle Wandschichten, was die Neigung zur Fistelbildung erklärt. Beiden Krankheitsbildern gemein ist der Durchfall, der bei einer Colitis ulcerosa fast immer blutig ausfällt (Tabelle 1).
Charakteristik | Morbus Crohn | Colitis ulcerosa |
---|---|---|
terminales Ileum betroffen | meistens | selten |
Colon betroffen | häufig | immer |
Rectum betroffen | selten | häufig |
Befall | diskontinuierlich | kontinuierlich |
Tiefe des Befalls | alle Schichten | Mukosa und Submukosa |
blutiger Stuhl | selten | häufig |
Pathogenese
In den entzündeten Regionen der Darmmukosa findet sich eine vermehrte Anzahl an B- und T-Lymphozyten. Beim Morbus Crohn überwiegt eine T-Helferzell-Typ-1-Antwort, charakterisiert durch die Produktion der proentzündlichen Zytokine Interferon-γ und Interleukin (IL)-2. Zudem sind alle Funktionen der Monozyten und Makrophagen gesteigert. Diese produzieren in erhöhtem Ausmaß die Zytokine TNF-α (Tumornekrosefaktor), IL-1 und IL-6. Durch den erfolgreichen Einsatz von TNF-α-Antikörpern bei schweren Crohn-Formen wurde die Rolle dieses Zytokins bei der Immunmodulation deutlich (11).
Ferner wurde festgestellt dass einem Entzündungsschub eine Barrierestörung des Darmepithels vorausgeht. Damit ist eine Schutzfunktion des Epithels nicht mehr gewährleistet. Ursachen und Gründe hierfür sind noch nicht geklärt (12).
Medikamente gegen den Crohn
Ziel der Therapie ist in erster Linie die Linderung der Symptome und die Verringerung der Anzahl akuter Schübe. Die Medikamente zielen daher vor allem auf eine Reduktion der Entzündung ab. Nach Erreichen einer Remission gilt es, rezidivierende Schübe zu verhindern (14). Je nach Schweregrad und Ort der Erkrankung empfiehlt die ECCO unterschiedliche Strategien. Zunächst eine Übersicht über die verfügbaren Arzneistoffe.
Aminosalicylate: Der Arzneistoff Sulfasalazin (Beispiel: Azulfidine®, Colo-Pleon®) wird im Dickdarm gespalten in die Wirksubstanz Mesalazin (5-Aminosalicylsäure, 5-ASA) und Sulfapyridin. Mesalazin hemmt die Synthese von Prostaglandinen und Leukotrienen. Da es bereits im oberen Gastrointestinaltrakt resorbiert wird, sind Mesalazin-Tabletten magensaftresistent überzogen und lösen sich bei pH 6 (Beispiel: Salofalk®, Claversal®, Beginn der Freisetzung im proximalen Ileum) oder bei pH 7 (Beispiel: Asacolitin®, Freisetzung im distalen Ileum und Colon) auf. Ist nur der letzte Darmabschnitt betroffen, eignen sich vor allem rektale Darreichungsformen wie Suppositorien oder Klysmen.
Etwa die Hälfte der peroral verabreichten Dosis wird resorbiert und über die Nieren als acetyliertes Mesalazin ausgeschieden. Eine Nierenschädigung durch Langzeittherapie kann nicht ausgeschlossen werden; bei Patienten mit Nierenfunktionsstörungen sollten alle drei bis sechs Monate rote und weiße Blutkörperchen sowie der Kreatininspiegel kontrolliert werden (14).
Die Dosierung beträgt peroral in der Akutbehandlung bis zu 4 g Mesalazin täglich, aufgeteilt in zwei bis drei Einzelgaben. Klysmen und Suppositorien mit 1 g Wirkstoff werden einmal täglich, am besten vor dem Zubettgehen, in den Darm eingeführt. Zur Akutbehandlung sind sie nicht zu empfehlen.
Laut ECCO wurde in einer Metaanalyse von drei placebokontrollierten Studien mit insgesamt 615 Patienten über 16 Wochen eine Reduktion des CDAI in der Mesalazin-Gruppe um minus 63 Punkte (Placebogruppe minus 45 Punkte) erzielt. Die Signifikanz sei jedoch »anfechtbar«. Folglich bewertet die ECCO 5-ASA bei Befall des Ileums und Colons als nicht effektiver als Placebo (14).
Um die Krankheitsaktivität der CED und ihren Schweregrad objektivieren und vergleichen zu können, wurden verschiedene Aktivitätsindices entwickelt. Dazu gehören der Crohn's Disease Activity-Index (CDAI) (12), der Harvey-Bradshaw-Index (HBI) und der Van-Hees-Aktivitäts-Index (VHAI).
Am gebräuchlichsten ist heute der CDAI. Gefragt wird zum Beispiel nach Allgemeinbefinden, Gewichtsverlust, Fieber, der Anzahl flüssiger Stühle pro Woche und weiteren Beschwerden. Ergibt sich ein CDAI von bis zu 150, befindet sich die Krankheit in Remission. Bei einem höheren CDAI handelt es sich um einen akuten behandlungsbedürftigen Schub. Werte über 300 weisen auf einen schweren akuten Schub hin. Eine Änderung um 60 Punkte im Vergleich zur Voruntersuchung wird als signifikant bewertet.
Glucocorticoide: Budesonid ist ein Glucocorticoid mit höherer Rezeptoraffinität als Prednisolon. In der oralen Zubereitung (Beispiel: Entocort®) wird der Wirkstoff pH-abhängig im distalen Dünn- und proximalen Dickdarm freigesetzt und wirkt dort lokal. Nach intestinaler Resorption unterliegt Budesonid einem ausgeprägten First-pass-Metabolismus zu kaum wirksamen Abbauprodukten, sodass deutlich weniger Nebenwirkungen auftreten als nach Prednisolon. Budesonid ist daher dem Prednisolon vorzuziehen.
Für die Schubtherapie des Morbus Crohn wird die Einnahme von einmal täglich 9 mg Budesonid über acht Wochen empfohlen. Die volle Wirkung setzt nach zwei bis vier Wochen ein. Soll eine bestehende Prednisolon-Therapie durch Budesonid ersetzt werden, sind einmal täglich 6 mg einzunehmen, bei gleichzeitiger Reduktion der Prednisolon-Dosis. In jedem Fall muss auch die Behandlung mit Budesonid über zehn bis vierzehn Tage ausschleichend abgesetzt werden.
Dauert die Therapie länger als zwölf Wochen, ist eine osteoprotektive Zusatztherapie mit Calcium und Vitamin D für alle Patienten sinnvoll, um der Glucocorticoid-induzierten Osteoporose vorzubeugen (14).
Im Hinblick auf zwei Studien mit jeweils über 100 Probanden bestätigt die ECCO die Wirksamkeit der Glucocorticoide Prednisolon und Budesonid bei Morbus Crohn.
Antibiotika: Bei bakterieller Entzündung von Fisteln und Abszessen im Bereich des Afters sind Antibiotika die Mittel der Wahl. Metronidazol (Beispiel: Flagyl®) konnte die Remissionsrate im Vergleich zu Placebo zwar nicht verbessern, jedoch wurde beim akuten Schub ein Rückgang auf der CDAI-Skala um 67 bis 97 Punkte erreicht (mit Placebo nur um einen Punkt). Ciprofloxacin (Beispiel: Ciprobay®) zeigt ähnliche Effekte wie 5-ASA. Für die Langzeittherapie scheiden beide Arzneistoffe aus. 50 Prozent der Patienten bekommen bereits bei kurzfristigem Einsatz Nebenwirkungen wie Übelkeit, metallischer Geschmack und ausgeprägte Alkoholunverträglichkeit (Metronidazol). Metronidazol führt bei Langzeitgebrauch zu peripheren Neuropathien mit Parästhesien. Ciprofloxacin ist kurzfristig besser verträglich, wird aber mit Sehnenentzündung und Achillessehnenruptur in Verbindung gebracht (14).
Da Antibiotika nicht zur Standardtherapie des Morbus Crohn gehören und keine größeren Studien vorliegen, fehlen Dosierungsempfehlungen für dieses Krankheitsbild.
Immunsuppressiva: Die Thiopurine Azathioprin (Beispiel: Azafalk®) und 6-Mercaptopurin (Beispiel: Puri-Nethol®) gelten als Mittel der zweiten Wahl bei Patienten, die nicht ausreichend auf Glucocorticoide ansprechen. Durch den zusätzlichen Einsatz kann die Glucocorticoiddosis verringert werden. Ein Therapieerfolg ist frühestens nach zwei Monaten zu erwarten, was gegen eine alleinige Gabe eines Thiopurins spricht. Empfohlen werden sie in Kombination mit Glucocorticoiden für Patienten mit schwerem Rezidiv oder Rezidiv nach Gabe von weniger als 15 mg Glucocorticoid sowie zur postoperativen Prophylaxe eines ausgeprägten Crohn-Leidens (großflächige Entzündung, Fisteln) (14).
Die ECCO empfiehlt täglich 1,5 bis 2,5 mg Azathioprin oder 0,75 bis 1,5 mg Mercaptopurin (jeweils pro kg Körpergewicht).
Der Folsäure-Antagonist Methotrexat wird im Off-label-Use eingesetzt, wenn Azathioprin oder 6-Mercaptopurin erfolglos waren oder deren Therapie aufgrund von Nebenwirkungen beendet werden musste. Zu Behandlungsbeginn werden wöchentlich 25 mg MTX intramuskulär gespritzt, da die Aufnahme über den Magen-Darm-Trakt individuell stark schwankt. Ist die Krankheit in eine inaktive Phase überführt, kann die Dosis auf 15 mg wöchentlich reduziert werden. Am Tag nach der Injektion sollten 5 mg Folsäure verabreicht werden, um die Nebenwirkungen auf die Schleimhäute (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Mundschleimhautentzündung) zu minimieren. Da sich unter Methotrexat eine Leberzirrhose entwickeln kann, ist die Behandlung bei Erhöhung der Leberwerte über das Zwei- bis Dreifache der Norm abzubrechen. Regelmäßige Blutuntersuchungen sind erforderlich.
Monoklonale Antikörper: Infliximab (Beispiel: Remicade®) ist ein chimärer monoklonaler Antikörper gegen TNF-α, der bei Crohn-Patienten bereits nach zwei Wochen die Entzündungsaktivität senkt und auch den Verschluss von Fisteln fördert. Gleichzeitig mit Infliximab sollte immer auch ein Immunsuppressivum gegeben werden (zum Beispiel Azathioprin oder Mercaptopurin), um die Antikörperbildung gegen den chimären Antikörper gering zu halten. Das Risiko einer Tuberkuloseerkrankung steigt bei Infliximab-Gabe um das Vier- bis Fünffache, Infektionen im Thorax schließen eine Behandlung aus (14).
Infliximab wird über zwei Stunden intravenös verabreicht. Die Wirkung tritt rasch ein, meistens fühlen sich die Patienten nach zwei bis drei Tagen, spätestens jedoch nach 14 Tagen deutlich besser. Die Wirkung hält sechs bis maximal 15 Wochen an. Die Infusionsbehandlung kann wiederholt werden.
Die bedeutendste Nebenwirkung ist das Auftreten schwerer Infektionen. Mit der Unterdrückung von TNF-α werden alle Entzündungsvorgänge, auch die für die natürliche Infektabwehr unerlässlichen, unterbunden. Daher können lebensbedrohliche Infektionen auftreten. Selbst Todesfälle wurden beschrieben. Die Wirkung der Behandlung kann im Verlauf eines Jahres abnehmen, was auf Antikörperbildung gegen den Mausanteil des chimären Antikörpers zurückgeführt wird. Auch allergische Reaktionen wurden beobachtet.
Die ECCO empfiehlt Infliximab, wenn eine Intoleranz gegen Glucocorticoide vorliegt oder eine Kombitherapie mit Glucocorticoid und Thiopurin die Krankheit nicht bessert.
Die EMEA sprach im Juli 2006 eine positive Empfehlung als Second-line-Therapie aus, der die Europäische Kommission im November 2006 folgte. Nach der erweiterten Zulassung kann Infliximab bereits angewendet werden, wenn nur eine vorangegangene Therapie fehlschlug (Glucocorticoid oder Immunsuppressivum) und nicht erst, wenn auch die Kombination wirkungslos blieb.
Derzeit wird an der Entwicklung rein menschlicher Antikörper geforscht. Für den neuen humanisierten TNF-α-Antikörper Certolizumab Pegol wurden Mitte 2006 viel versprechende Phase-III-Zulassungsstudien veröffentlicht. Die Zulassung wurde in den USA und Europa beantragt, eine Entscheidung steht aber noch aus.
Operation selten indiziert
Bei schweren Schüben der Erkrankung kann ein Krankenhausaufenthalt nötig sein. Eine Operation wird erst dann in Betracht gezogen, wenn schwere Komplikationen wie Stenosen oder Colonkarzinom auftreten oder eine medikamentenresistente Entzündung auf einen bestimmten Ort beschränkt ist. In diesem Fall wird der betroffene Abschnitt des Darms entfernt. Eine dauerhafte Heilung ist auch durch eine Operation nicht möglich.
Neue ECCO-Standards
Bei der medikamentösen Therapie soll der Arzt auf die individuelle Situation des Patienten eingehen. Verschiedene galenische Zubereitungen setzen den Wirkstoff in unterschiedlichen Abschnitten des Gastrointestinaltrakts frei. Extraintestinale Manifestationen erfordern eine systemische Therapie. Je nach Lokalisation und Aktivität der Krankheit geben die ECCO-Experten unterschiedliche Therapieempfehlungen für Erwachsene (14, 16).
Geringe Aktivität, Lokalisation beschränkt auf Ileum und/oder Colon: Bevorzugt werden 9 mg Budesonid täglich. Antibiotika werden nicht empfohlen. Bei Patienten mit milder Ausprägung kann auch auf eine Medikation verzichtet werden.
Moderate Aktivität, Lokalisation beschränkt auf Ileum und/oder Colon: 9 mg Budesonid täglich oder systemische Glucocorticoide. Eine zusätzliche Gabe von Antibiotika wird empfohlen, wenn septische Komplikationen vermutet werden.
Akuter Schub, Lokalisation beschränkt auf Ileum und/oder Colon: Zu Beginn steht eine Therapie mit systemisch wirksamen Glucocorticoiden. Bei einem Rückfall sollte ein Immunsuppressivum (Azathioprin oder Mercaptopurin) hinzugefügt werden. Infliximab kann erwogen werden, wenn die bisherige Therapie nicht anschlägt.
Lokalisation auf den Darm beschränkt, aber großflächig: Systemische Glucocorticoide, außerdem Azathioprin oder Mercaptopurin, verbunden mit einer Überwachung eventueller Mangelernährung. Schlägt die Behandlung nicht an, kann die Gabe von Infliximab erwogen werden.
Abwägen in der Schwangerschaft
Will eine Crohn-Patientin Nachwuchs bekommen, sollte sie möglichst in einer Remissionsphase schwanger werden, da sich der Schwangerschaftsverlauf dann nicht von dem anderer Frauen unterscheidet. Beschwerden sind möglichst frühzeitig und aggressiv zu behandeln, um Komplikationen zu verhindern. Eine aktive Krankheit birgt die Gefahr einer Frühgeburt sowie eines niedrigen Geburtsgewichts.
Klasse | Bedeutung |
---|---|
A | In Studien konnte kein Risiko gezeigt werden. |
B | Keine Anhaltspunkte für Risken beim Menschen. |
C | Ein Risiko kann nicht ausgeschlossen werden, Tierversuche zeigen Nebenwirkungen am Fetus. |
D | Es besteht ein Risiko; das Nutzen-Risiko-Verhältnis muss abgewogen werden. |
X | kontraindiziert |
Selbstverständlich muss das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Medikamente für jede Patientin individuell abgewogen werden (Tabellen 2 und 3). Allgemein kam die ECCO jedoch zu dem Ergebnis, dass eine aktive Krankheit das größte Risiko für Mutter und Kind darstellt. Daher wird eine medikamentöse Therapie wie bei nicht schwangeren Frauen empfohlen (16).
Einstufung | Schwangerschaft | Stillzeit |
---|---|---|
als sicher angesehen | 5-ASA (FDA-B) Ciprofloxacin (FDA-B) TNF-α-Antikörper (FDA-B) Glucocorticoide (nicht bewertet) | 5-ASA Glucocorticoide |
vermutlich sicher | Budesonid (FDA-C) Thiopurine (FDA-D) | Budesonid Thiopurine Infliximab |
kontraindiziert | Methotrexat (FDA-X) | Methotrexat Ciprofloxacin |
Morbus Crohn ab Babyalter
Jährlich erkranken schätzungsweise drei von 100.000 Kindern in Deutschland an Morbus Crohn. Bei einem Viertel der Patienten manifestiert sich die Krankheit vor dem 18. Lebensjahr. Eine Altersgrenze nach unten gibt es nicht, selbst Kleinstkinder können erkranken.
Die Symptome sind ähnlich wie bei Erwachsenen: Leibschmerzen, Durchfälle und/oder Gewichtsabnahme. Zusätzlich kann sich das Wachstum verzögern. Eine frühe Diagnosestellung ist wichtig, damit die Kinder rechtzeitig eine adäquate Therapie erfahren und sich weitgehend normal entwickeln können. Da die Beschwerden aber häufig wenig aussagekräftig sind, ist eine ausführliche Untersuchung besonders wichtig. Die ECCO empfiehlt, zusätzlich zur Koloskopie und multiplen Biopsieentnahme, eine Endoskopie des oberen Gastrointestinaltrakts mit Biopsieentnahme sowie eine radiologische Untersuchung des Dünndarms. Die Untersuchungen erfolgen am besten unter Narkose.
Heute setzen viele Ärzte zunehmend auf eine aggressivere Therapie. Da für Aminosalicylate bei Kindern keine Studien vorliegen, empfiehlt die ECCO diese nicht. Um eine Remission herbeizuführen, werden eine enterale Ernährung oder Glucocorticoide empfohlen, wobei die enterale Ernährung wegen fehlender Nebenwirkungen vorzuziehen ist. Zur Remissionserhaltung sollten Kinder keine Glucocorticoide bekommen. Hier sind Thiopurine geeignet, bei Intoleranz auch Methotrexat. Erst wenn diese Maßnahmen keinen Erfolg haben, wird Infliximab empfohlen.
Für Patienten, die sich noch nicht in der Pubertät befinden und deren Wachstum durch die verschlechterte Nahrungsaufnahme oder Resorption bereits verzögert ist, ist auch eine Operation mit Entfernung der entzündeten Darmabschnitte hilfreich (16).
Diät kann Beschwerden bessern
Eine spezifische Diät für CED-Patienten ist nicht bekannt. Jedoch kann man mit einer angepassten Ernährung den Allgemeinzustand positiv beeinflussen (17). Je nach Phase der Erkrankung und persönlichen Unverträglichkeiten (30 Prozent der Erkrankten leiden zusätzlich an Laktoseintoleranz) werden unterschiedliche diätetische Ernährungsweisen empfohlen.
Im akuten Schub besteht durch Entzündungsprozesse, Durchfall und Fieber ein erhöhter Bedarf an Flüssigkeit, Kalorien und Proteinen. Die Kost sollte ballaststoffarm sein, das heißt: Weißbrot, weiches Gemüse, keine Salate, kein hartschaliges Obst. Bei Stenosen darf der Patient keine quellenden Nahrungsmittel, zum Beispiel Leinsamen, essen. Bei einer Steatorrhoe müssen der Nahrung mittelkettige Triglyceride beigefügt werden. Im Krankenhaus wird durch Ruhigstellung des Darms und parenterale Ernährung häufig Besserung erzielt (18). Privat greifen viele Patienten während dieser Zeit auf voll resorbierbare, ballaststoffarme Ernährung zurück (Beispiel Fresubin®).
In der Remission ist eine leichte Vollkost angesagt. Jedoch ist die Verträglichkeit von Obst und Gemüse sehr unterschiedlich. Gegartes, püriertes, weiches Obst und Gemüse wird im Allgemeinen gut vertragen, nicht jedoch rohes Gemüse, Zitrusfrüchte und unverdünnte Obstsäfte.
Sport stärkt Immunsystem
Mittlerweise konnte ein Zusammenhang zwischen »Stress« und einer vermehrten Schädigung der Darmschleimhaut nachgewiesen werden (19, 20). Hilfreich sind daher sowohl eine Psychotherapie als auch ausgleichende Betätigungen wie autogenes Training und progressive Muskelentspannung.
Auch moderater Ausdauersport beeinflusst laut einer noch nicht abgeschlossenen Studie des Klinikums der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main den Krankheitsverlauf und die Remission günstig. An der Studie nahmen bisher 80 Frauen und Männer zwischen 18 und 55 Jahren teil, bei denen sich die Erkrankung in der Remissionsphase befand. Keiner wurde vor der Studie gegen Morbus Crohn behandelt. Die Teilnehmer unterzogen sich einem dreimonatigen, von Sportmedizinern beaufsichtigten Programm mit zwei Laufeinheiten von je 90 Minuten pro Woche. Eine zusätzliche Trainingseinheit nahm der Patient selbst vor. Im Anschluss an die dreimonatige Sportintervention folgten sportärztliche »Hausaufgaben« über weitere neun Monate. Die Mediziner gehen von einer kontinuierlichen Stärkung des Immunsystems durch Sport aus.
Alternative Heilmethoden
Nach einer Studie aus dem Jahr 2005 soll die regelmäßige Einnahme einer bestimmten Wurmart bei Morbus Crohn hilfreich sein (21). Der Leiter der Studie, der Gastroenterologe Joel Weinstock von der Universität Iowa, USA, vermutet, dass das menschliche Immunsystem wegen der immer selteneren Infektionen durch Parasiten überaktiv auf körpereigene Stoffe und Zellen reagiert und so die Darmentzündung auslöst. Der mikroskopisch kleine Schweine-Peitschenwurm (Trichuris suis) überlebt im menschlichen Körper nur zwei Wochen, kann sich dort nicht vermehren und nicht auf andere Menschen übertragen werden. Nach sechsmonatiger Einnahme von Wurmeiern zeigten 80 Prozent der Patienten einen Rückgang des CDAI um durchschnittlich 177 Punkte. Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet. Eine behördliche Zulassung steht noch aus.
Eine neue Option stellt die Behandlung mit Weihrauch (Boswellia serrata) dar. In vitro wurde eine antientzündliche Wirkung nachgewiesen, die auf inhibitorische Effekte auf die 5-Lipoxygenase und damit die Bildung von Leukotrienen zurückgeführt wird (22). Diesen Effekt scheint eine doppelblinde randomisierte klinische Studie am Klinikum Mannheim mit 100 Crohn-Kranken zu bestätigen: Das Weihrauchpräparat (H15) senkte bei achtwöchiger Therapie den CDAI vergleichbar gut wie Mesalazin (23). Angesichts der geringen Teilnehmerzahl reicht die Aussagekraft der Studie für einen Wirksamkeitsnachweis aber nicht aus.
Im Oktober 2006 startete deshalb eine multizentrische Studie in acht deutschen Städten. Über 15 Monate soll untersucht werden, ob ein Weihrauchextrakt die Remissionsphase verlängern kann. Problematisch ist, dass es sich bei den Extrakten um nicht vollständig definierte Vielstoffgemische handelt. Außerdem besorgen sich viele Patienten Präparate über das Internet, deren Identität, Reinheit und Gehalt nicht gesichert sind. Weihrauch ist in Deutschland nicht zur Therapie des Morbus Crohn zugelassen.
Fazit
Auch wenn ein Morbus Crohn nicht heilbar ist, sprechen doch circa 80 Prozent der Betroffenen auf eine Behandlung gut an. Sehr viele kommen mit ihrer Krankheit gut zurecht und führen ein normales Leben. Für alle Patienten ist sicher auch der Gedanke sehr hilfreich, dass sich immer mehr Forschungsgruppen mit dem Thema auseinandersetzen, um neue wirksame Medikamente zu entwickeln.
<typolist type="1">
Podolsky, D. K., Inflammatory bowel disease. N. Engl. J. Med. 347 (2002) 417-429.
Sonnenberg, A., et al., Geographic variation of inflammatory bowel disease within the United States. Gastroenterology 100 (1991) 143-149.
Orholm, M., et al., Familial occurance of inflammatory bowel disease. N. Engl. J. Med. 324 (1991) 84-88.
Adler, G., Morbus Crohn Colitis ulcerosa. Springer Verlag, 2. Aufl. 1996.
Beattie, R. M., et al., Inflammatory bowel disease. Arch. Dis. Child 91 (2006) 426-432.
Cabre, E., Gassull, M. A., Nutrition in inflammatory bowel disease: impact on disease and therapy. Curr. Opin. Gastroenterol. 17 (2001) 342-349.
Stange, E. F., Colitis ulcerosa und Morbus Crohn. Uni-Med-Verlag Bremen, 1. Aufl. 1999.
British Society of Gastroenterology, Guidelines for osteoporosis in coeliac disease and inflammatory bowel disease. Gut 46 (2000) 1-8.
Gasché, Ch., Extraintestinale Manifestationen der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Chir. Gastroenterol. 14 (1998) 120-125.
Pimentel, M., et al., Identification of a prodromal period in Crohn´s disease but not ulcerative colitis. Am. J. Gastroenterol. 95 (2000) 3458-3462.
Lugering, A., et al., Infliximab induces apoptosis in monocytes from patients with chronic active Crohn´s disease by using a caspase-dependent pathway. Gastroenterol. 121 (2001) 1145-1157.
Oriishi, T., et al., Evaluation of intestinal permeability in patients with inflammatory bowel disease using lactulose and measuring antibodies to lipid A. Gut 36 (1995) 891-896.
Best, W. J., et al., Development of a Crohn´s disease activity index. Gastroenterol. 70 (1970) 439-444.
Travis, S. P. L., et al., European evidence based consensus on the diagnosis and management of Crohn´s disease: current management. Gut 55 (2006) 16-35.
Stange, E. F., et al., European evidence based consensus on the diagnosis and management of Crohn´s disease: definitions and
diagnosis. Gut 55 (2006) 1-15.
Caprilli, R., et al., European evidence based consensus on the diagnosis and management of Crohn´s disease: special situations. Gut 55 (2006) 36-58.
Riordan, A. M., et al., Treatment of active Crohn´s disease by exclusion diet: East Anglian multicenter controlled trial. Lancet 342 (1993) 1131-1134.
O'Sullivan, M., O´Morain, C., Nutrition in inflammatory bowel disease. Best Pract. Res. Clin. Gastroenterol. 20 (2006) 561-573.
Miners, J., Crohn´s Disease. New Experimental Treatment. NIH´s Word on Health 2001, ww.nih.gov/news/WordonHealth/dec2001/story02.htm
Farhadi, A., et al., Heightened responses to stressors in patients with inflammatory bowel disease. Am. J. Gastroenterol. 100 (2005) 1796-1804.
Summers, R. W., et al., Trichuris suis therapy in Crohn´s disease. Gut 54 (2005) 87-90.
Ammon, H. P. T., et al., Inhibition of leukotriene B4 formation in rat peritoneal neutrophils by an ethanolic extract of the gum resin exudates of Boswellia serrata. Planta Med. 57 (1991) 203-207.
Gerhardt, H., et al., Therapy of active Crohn disease with Boswellia serrata extract H 15. Z. Gastroenterol. 39 (2001) 1-17.
Die Selbsthilfeorganisation DCCV (Deutsche Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung e. V.) bietet Beratung zu allgemeinen, medizinischen und sozialrechtlichen Fragen und organisiert Treffen mit Gleichbetroffenen sowie Informationsveranstaltungen für Patienten und Angehörige.
Kontakt: Deutsche Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung (DCCV) e. V., Paracelsusstraße 15, 51375 Leverkusen; Telefon: (02 14) 8 76 08-0, Fax: (02 14) 8 76 08 88; www.dccv.de. Die Telefonberatung ist montags von 9 bis 12 Uhr und dienstags bis donnerstags von 14 bis 17 Uhr besetzt.
Nicole Tietze studierte Pharmazie an der Philipps-Universität Marburg (Approbation 2005). Zurzeit promoviert sie an der LMU München in der Pharmazeutischen Biotechnologie zum Thema nicht-virale Vektoren für den Gentransfer.
Anschrift der Verfasserin:
Nicole Tietze
Albert-Roßhaupter-Straße 62
81369 München
Links zum Titelbeitrag