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Trinknahrungen

Aus dem All ans Krankenbett

17.01.2011  14:35 Uhr

Von Vera Voigt, Lünen / Der erste bemannte Flug zum Mond erfüllte nicht nur lang gehegte Träume der Menschheit. Er führte auch zur Entwicklung von Astronautennahrung als Vorläufer heutiger Trinknahrung.

Seit Anfang der Sechziger Jahre wurden im Auftrag der nationalen Luft- und Raumfahrtbehörde der USA (NASA) von der Firma Pfrimmer spezifische Trinknahrungen kreiert, die Raumfahrer nicht zuletzt angesichts Platzmangels mit allen nötigen Nährstoffen versorgen sollten (Abbildung 1). Bewusst nicht zugesetzt wurden nicht resorbierbare Nahrungsfasern, um möglichst wenig Ausscheidungen und somit auch weniger Entsorgungsprobleme zu haben.

Zwar handelt es sich bei Astronautennahrung ursprünglich um eine spezielle, ballaststofffreie Kostart für gesunde Menschen unter Extrembe­dingungen. Doch wird der Begriff »Astronauten­kost«, wenn auch nunmehr unpassend, noch heute als Synonym für jegliche »künstliche« Trink- und Sondennahrung für Menschen, die nicht essen können oder dürfen, genutzt.

 

Orale enterale Ernährung

 

Bei der enteralen Ernährung wird der physiologi­sche Weg der Nährstoffzufuhr über den Gastro­intestinaltrakt erhalten. Vo­raussetzung ist eine noch ausreichende Verdauungs- und Resorp­tionsleistung. Die Gabe von Trinknahrung setzt voraus, dass der Patient keine Schluckprobleme hat. Ansonsten ist die Anlage einer Sonde erforderlich. Einige Trinknahrungen können über den Ernährungsschlauch appliziert werden. Die meisten Hersteller trennen mittlerweise allerdings allein schon aufgrund der Verpackung eindeutig zwischen Trink- und Sondennahrung.

 

Das Anreichern normaler Kost mit Nährstoffen beziehungsweise die Gabe von Trinknahrung ist nach der Modifikation normaler Ernährung erste ernährungstherapeutische Maßnahme vor der enteralen Ernährung über Sonde sowie der parenteralen Ernährung (Abbildung 2). Der Beratung und Information durch den Apotheker kommt hier große Bedeutung zu.

Enterale Ernährung in Form von Trink- und Zusatznahrung wird unter anderem bei Mangel- oder Unterernährung in der Geriatrie und Pädiatrie oder aber in der Palliativmedizin eingesetzt. Sie kann bei erhöhtem Energiebe­darf im Falle schwerer Infektio­nen indiziert sein. Sie dient der schnelleren Rekonvaleszenz. Es gibt spezielle Kostformen für spezifische Erkrankungen wie Leberinsuffizienz, Diabetes mellitus, Morbus Crohn, Krebs oder Mukoviszidose.

 

Empfehlungen zum Einsatz von »Enteraler Ernährung« geben die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) oder die European Society of Nutrition and Metabolism (ESPEN), gegliedert nach den Fachbereichen Intensivmedizin, Chirurgie, Onkologie, Gastro­ente­rologie, Hepatologie, Nephrologie, Diabetologie, Kardiologie, Pneumologie beziehungsweise Wasting bei HIV und anderen chronischen Infektionskrankheiten. Die detaillierte Kenntnis der Zusammensetzungen von Spezialprodukten in Anpassung an die jeweiligen Erfordernisse und Krankheitsbilder ist für den Apotheker unerlässlich.

 

Getränke, Suppen, Joghurts & Co.

 

Insbesondere in den letzten Jahren fand eine rasante Weiterentwicklung der Trinknahrungen statt. Heute gibt es eine Vielzahl von Herstellern, die eine breite, sich ständig verändernde Palette an Präparaten mit unterschiedlichen Eigenschaften anbieten.

 

So stehen applikationsfertige Produkte als Getränke (Abbildung 3), Suppen, Joghurts und mittlerweile auch in Form von Keksen oder Pulver zum Zubereiten von Trinknahrungen oder zum Anreichern von Speisen und Getränken zur Verfügung.

Die industriell gefertigten, sterilen, leicht zu handhabenden standardisierten Präparate definierter Zusammensetzung bieten zahlreiche Vorteile für den Anwender, für den die zeitaufwendige Zubereitung entfällt. Die hygienischen Bedingungen sind optimal. Als Verpackung für Trinknahrungen dienen bei Flüssigkeiten Tetrapacks und Trinkflaschen aus Kunststoff oder Glas in Portionsgrößen von circa 125 bis 300 ml. Zubereitungsfertige Pulver zum Anrühren werden in Dosen oder Tüten und teilweise besonders anwenderfreundlich in vorportionierten Beuteln angeboten. Ist die Nahrung auch für die Applikation über Sonde geeignet, findet sich ein entsprechender Hinweis auf der Verpackung.

 

Nach der Diätverordnung (DiätV) gehören Trinknahrungen zu den diätetischen Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke und werden als bilanzierte Diäten bezeichnet. Für die diätetische Behandlung kranker Menschen bestimmt, dürfen sie nur unter ärztlicher Aufsicht angewendet werden.

 

Die Richtlinie unterscheidet zwischen vollständig und ergänzend bilanzierten Diäten. Vollständig bilanzierte Diäten müssen hinsichtlich des Energie- und Nährstoffgehaltes bedarfsdeckend sein. Sie können nicht nur zusätzlich appliziert, sondern in vorgegebener Dosierung und Menge gemäß Tagesbedarf auch als einzige Nahrungsquelle genutzt werden.

 

Obwohl die ausschließliche Ernährung mit vollständig bilanzierter Trinknahrung möglich ist, wird diese vorwiegend ergänzend eingesetzt. Bei der kompletten enteralen Ernährung wird zumeist die Gabe von Sondennahrung in Erwägung gezogen.

 

Ergänzend bilanzierte Diäten sind nicht als alleinige Nahrungsquelle geeignet. Bestimmte Nährstoffe fehlen, sind unterdosiert oder aber in hohen Konzentrationen zugesetzt, die allerdings nicht die vorgegebenen Höchstmengen überschreiten dürfen. Eine ausschließliche Ernährung mit diesen nur ergänzend einzusetzenden Produkten, also zum Beispiel ProvideXtra® Drink, Calshake®, Fortimel® jucy, Enlive® Plus, Resource® fruit, ist nicht möglich.

 

Vorteil dieser Diäten ist, dass man mit ihnen gezielt einzelne Nährstoffe ersetzen oder, wenn Unverträglichkeiten oder spezielle Geschmacksempfindungen es erforderlich machen, meiden kann.

 

Neben Nährstoff-Standardformulierungen, die bei der überwiegenden Zahl von Patienten einsetzbar sind, existieren spezifische nährstoffmodifizierte oder stoffwechseladaptierte Diäten als Spezialnahrungen, die sich durch den Zusatz oder reduzierten Anteil ausgewählter Inhaltsstoffe auszeichnen.

 

Vitamine und Spurenelemente

 

Für Vitamine, Spurenelemente und Elektrolyte gibt die Diätverordnung Mindest- und Höchstmengen vor. Für Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette sowie für Ballaststoffe existieren keine Regelungen zum Gehalt in der Diätverordnung.

 

Hier werden die gemeinsamen DACH-Referenzwerte (D = Deutschland, A = Österreich, CH = Schweiz) der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE), der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung (ÖGE), der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährungsforschung (SGE) sowie der Schweizerischen Vereinigung für Ernährung (SVE) zur Ernährung im Rahmen einer »gesunden normalen« Nahrungszufuhr berücksichtigt.

 

Der Anteil an Kohlenhydraten in der täglichen Nahrung sollte mindestens 50 Prozent, der an Eiweißen zwischen zehn bis 20 Prozent und der an Fetten bis maximal 30 Prozent betragen.

 

Bei spezifischen Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus und Leberzirrhose oder Krankheiten wie Morbus Crohn, Pankreatitis und Nierenversagen kann eine andere Gewichtung erforderlich sein. Nach der Health-Claims-Verordnung, der Verordnung EG Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben zu Lebensmitteln, können Nahrungen als eiweißreich deklariert werden, die mehr als 20 Prozent der Kalorien durch Proteine liefern. Die detaillierte Kennzeichnung bilanzierter Diäten regelt Paragraf 21 der Diätverordnung.

 

Eiweiß, Kohlenhydrate und Fett

 

Die angebotenen Spezialprodukte unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich Art und Menge an Makronährstoffen. Es existieren sowohl nährstoffdefinierte als auch chemisch definierte Diäten. »Nährstoffdefiniert« bedeutet, dass die Makronährstoffe in hochmolekularer Form vorliegen und der Körper Verdauungsarbeit leisten muss.

 

Bei »chemisch definierten Substraten« sind einzelne Nahrungskomponenten bereits »vorgespalten«, somit also niedermolekular. Indiziert sind diese Präparate bei eingeschränkter Verdauungs- und Resorptionsleistung wie bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, beim Kurzdarmsyndrom oder bei der Pankreatitis.

 

Auch unterschiedliche Rohstoffe kommen bei der Herstellung zum Einsatz. Als Eiweißquelle dienen häufig Milch- und Sojaeiweiß. Sie müssen hitzestabil sein, um das Sterilisationsverfahren zu überstehen. In hochmolekularen Standardnahrungen liegen Proteine intakt, in niedermolekularen Spezialnahrungen (zum Beispiel Elemental 028®, ProvideXtra®, Peptamen®) hingegen hydrolysiert in Form von Oligopeptiden oder freien Aminosäuren vor. Daher die Bezeichnung »Oligopeptiddiät«. Diese Modifizierung des Proteins geht zwar zulasten des Geschmacks. Doch auch für Patienten mit einer Milcheiweißallergie gibt es somit geeignete Präparate.

 

Kohlenhydrate werden meist in Form von Maisstärke zugesetzt. Diese wird einer partiellen enzymatischen Hydrolyse unterzogen, um Schleimbildung beim Erhitzen zu vermeiden. Somit liegen zumeist Gemische von Mono-, Di-, Oligo- und Polysacchariden sowie unter anderem auch Maltodextrinen vor. Bei Diabetikernahrungen ist der Anteil an hochmolekularen Zuckermolekülen höher, um eine zu schnelle Resorption und einen raschen Blutzuckeranstieg zu vermeiden.

 

Laktosearm (≤1 g/100 g oder ml), streng laktosearm (≤100 mg/100 g oder ml), laktosefrei (≤10 mg/100 g oder ml): Der Laktosegehalt ist stets entsprechend deklariert und erleichtert die Auswahl geeigneter Produkte bei Patienten mit Laktoseintoleranz. Für Zöliakiepatienten gibt es keine Einschränkungen, da alle Trinknahrungen glutenfrei sind.

 

Der Fettanteil von Trinknahrung besteht aus ernährungsphysiologisch hochwertigen pflanzlichen Ölen mit gesättigten, einfach ungesättigten und mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Häufig werden Soja-, Raps-, Sonnenblumen- und Maiskeimöl verwendet. Spezielle Produkte enthalten zusätzlich Fischöle (Abbildung 4) zur Ergänzung von Omega-3-Fettsäuren oder mittelkettigen Triglyceriden (MCT-Fette).

Letztere haben neben einer höheren Energiedichte den Vorteil, von Gallensäuren unabhängig resorbiert und leichter verstoffwechselt zu werden. Nachteilig ist auch hier die negative Beeinflussung des Geschmacks. Zu beklagen ist zudem eine Erhöhung der Os­molarität, die die gastrointesti­nale Verträglichkeit mindert. Gerade für Patienten, die sich purin- und cholesterinarm ernäh­ren müssen, sind industriell gefertigte Trinknahrungen geeig­net, da sie in der Regel frei von diesen Problemnährstoffen sind.

 

Flüssigkeit und Ballaststoffe

 

Auch die für den menschlichen Körper so notwendige Flüssig­keit wird durch Trinknahrung zugeführt. Im Durchschnitt liegt der Wasseranteil bei 70 bis 80 Prozent. Insbesondere für Patienten, die auf ihre Trinkmenge achten müssen, ist diese Information wichtig. Es gibt zum Beispiel Spezialnahrungen für Nierenerkrankte in Pulverform, sodass die Flüssigkeitsmenge variiert werden kann.

 

Ernährt sich ein Patient ausschließlich enteral, sollte eine längerfristige Ernährung ohne verdauungsregulierende Nahrungsfasern nur in medizinisch begründeten Ausnahmen erfolgen. Zur besseren Unterscheidung kennzeichnen einige Firmen ballaststoffhaltige Nahrungen mit der Zusatzbezeichnung »fibre«.

 

Bevorzugt verwendet werden lösliche Ballaststoffe wie Pektin, Guar und Fructo­oligosaccharide (FOS). Zum Zusatz unlöslicher Nahrungsfasern dient vorwiegend Cellulose. Da die Verträglichkeit von der jeweiligen Ballaststoffzusammensetzung geprägt ist, kann sich bei Verdauungsproblemen wie Durchfall oder Verstopfung der Wechsel hin zu einem Produkt mit anderem Ballaststoffmuster lohnen.

 

Zur Erhöhung der Akzeptanz »künstlicher Ernährung« werden auch Trinknahrungen mit einem Zusatz natürlicher Lebensmittel angeboten. Pikante Varianten enthalten zwei Prozent Rinder-, Hühner- oder Putenfleisch zumeist in Kombination mit bis zu zehn Prozent Karotte, Kürbis, Zucchini und Mais. Süße Varianten sind durch den zwei- bis siebenprozentigen Zusatz von Apfel- und Birnenpüree gekennzeichnet. Dieser Zusatz kann einer Verstopfung entgegenwirken. Karottenhaltige Produkte hingegen können bei Durchfall helfen.

 

Normo-, iso- und hypokalorisch

 

Beträgt der Kaloriengehalt von Produkten zur enteralen Ernährung eine Kalorie pro Milliliter Nahrung, werden die Produkte als »normokalorisch« oder »isokalorisch« bezeichnet (zum Beispiel Fresubin® original Drink und Fortimel® regular). Liegt der Energiegehalt unter einer Kalorie pro Milliliter, handelt es sich um »hypokalorische« Formen.

 

Damit der Patient möglichst wenig Volumen zu sich nehmen muss, empfiehlt sich eine hohe Energiedichte. Viele Produkte enthalten daher mehr als eine Kalorie pro Milliliter und werden als »hyperkalorisch« bezeichnet (zum Beispiel Fresubin® energy, Fresubin® 2 kcal, Resource® 2.0, Resource® energy, Ensure® TwoCal, Enlive® plus oder Fortimel® compact).

 

Dem Kaloriengehalt sind aufgrund des Geschmacks und der Verträglichkeit Grenzen gesetzt. Die Firma Pfrimmer-Nutricia bietet mit Calogen® ein Produkt mit vier Kilokalorien pro Milliliter an. Diese konzentrierte Nahrung wird nur schluckweise in geringen Portionen zu 30 ml getrunken und ist für Patienten konzipiert, die aufgrund von Appetitlosigkeit und Übelkeit nur minimale Mengen zu sich nehmen können.

 

Auch die Osmolarität oder Osmolalität der Produkte spielt eine wichtige Rolle bei der Verträglichkeit. Die physiologische Osmolarität der Körperflüssigkeit beträgt circa 280 bis 320 Milliosmomol pro Liter. Bei Trinknahrungen ist eine Osmolarität von 500 bis 650 Milliosmomol pro Liter tolerabel. Trinknahrungen mit höherer Osmolarität können Diarrhöen zur Folge haben.

 

Wohlschmeckende Trinknahrungen gehen mit einer besseren Compliance einher. Ob Banane, Himbeere, Nuss, Pfirsich oder Orange, ob Gemüse, Schweinetopf oder Sommertomate: Mittlerweile gibt es mehr als 30 verschiedene Geschmacksrichtungen. Vanille, Schokolade und Erdbeere gelten als Klassiker.

 

Pudding, Keks oder Pulver

 

Die meisten Produkte schmecken süß, da hier die größte Nachfrage insbesondere durch Senioren besteht. Einige Patienten wünschen jedoch pikante Varianten, die leider nur in geringer Zahl applikationsfertig sind (zum Beispiel ProvideXtra® Tomate, Resource® Soup). Ihre Anwendung ist aufwendiger, da sie erwärmt werden sollten und häufig ein Nachwürzen erforderlich machen.

Gerade Patienten mit Schluckstörungen, die dennoch essen, haben oft Probleme mit sehr dünnflüssiger Nahrung oder Getränken, da diese im Mund nur schwer kontrollierbar sind. Zudem kann es durch die schnellere Fließgeschwindigkeit bei gleichzeitig verzögertem Schluckreflex leicht zum Verschlucken kommen. Eine Aspirationspneumonie kann die Folge sein. Diese Patienten profitieren von Nahrungsmitteln in Pulverform, die mit wenig(er) Flüssigkeit zu Speisen cremigerer Konsistenz angerührt werden können.

 

Zur Zubereitung »verfestigter« flüssiger Lebensmittel gibt es Instant-An­dickungspulver, die zum Beispiel modifizierte Stärke und Maltodextrin enthalten (unter anderem Nuti­lis®, Multi-Thick®, Thick & Easy®, Resource® ThickenUp und Optinuvit® Andickungspulver). Je nachdem, wie viel Pulver eingerührt wird, kann eine sirup-, honig- oder puddingartige Konsistenz erzielt werden. Sie können in kalte oder warme Speisen eingerührt werden, wobei eine Temperatur von 80 Grad Celsius nicht überschritten werden sollte. Zum gleichmäßigen Verrühren eignen sich Gabeln oder Schneebesen besser als Löffel.

 

Die Produkte Nutilis® und Resource® ThickenUp clear sind zusätzlich amylaseresistent, das heißt: auch im Mund bleibt die zähe Konsistenz erhalten. Der Speichel kann sie nicht verflüssigen. Die Zusatzbezeichnung »Clear« bedeutet, dass die Flüssigkeiten trotz Zusatz des Andickungspulvers klar bleiben.

 

Mittlerweile gibt es auch applikationsfertige, halbfeste bilanzierte Diäten auf dem Markt. Sie werden löffelfertig in Bechern angeboten (zum Beispiel Fresubin® creme, Fortimel® fruit, Fortimel® creme und Resource® creme).

 

Neben angedickter, jedoch noch trinkbarer flüssiger Nahrung (zum Beispiel Fortimel® complete) existiert auch mit quellfähigen Kohlenhydraten wie Stärke, Johannisbrotkernmehl et cetera angedicktes Wasser (zum Beispiel Nutilis Aqua®, Resource® Thickend Drink) zur Flüssigkeitssubstitution bei Schluckbeschwerden. Für Logopäden sind sie hilfreich in der Diagnostik und beim Training von Patienten mit Schluckbeschwerden. Sie sind eine Alternative zur Gabe von Wackelpudding, der allerdings geschmacklich besser toleriert und in Kliniken oftmals bei Schluckstörungen gegeben wird.

 

Mit dem Keks Optinuvit® Fingerfood existiert eine besondere Form der bilanzierten Diät, die sogar zur ausschließlichen Ernährung geeignet ist. Insbesondere Demenzkranke können mit diesen intensiv nach Vanille schmeckenden Keksen zum Essen animiert werden.

 

Mit Wasser oder Milch

 

Neben den beschriebenen gänzlich applikationsfertigen Nahrungen existieren Pulver zum An- und Einrühren in Flüssigkeiten oder Speisen zum Ersatz von Makro- und/oder Mikronährstoffen. Sollen lediglich Kohlenhydrate ersetzt werden, kann Maltodextrin verwendet werden. Eiweiß kann gezielt ergänzt werden mit Produkten wie zum Beispiel Resource® Protein 88 und Optinuvit® plus Eiweißkonzentrat. Präparate wie zum Beispiel Bical® oder Duocal® liefern eine Kombination aus Kohlenhydraten und Fetten. Vollständig bilanzierte Produkte sind zum Beispiel Ensure®, Energea P®, Milkraft® Trinkmahlzeit, Optinuvit® Aufbaunahrung, ReNutritioner® Standard und Resource® Meritene.

 

Alle Präparate können mit Wasser oder Milch zubereitet werden. Säfte sind nur bedingt geeignet, da die enthaltene Fruchtsäure die Eiweiße denaturieren kann. Ein Einrühren in Speisen ist ebenfalls möglich. Dabei ist die jeweilige Gebrauchsinformation zu beachten.

 

Ein erster wichtiger Anwendungshinweis in der Apotheke ist, Zusatznahrungen nicht zu normalen Mahlzeiten zu reichen, sondern als Zwischenmahlzeit zu nehmen oder anzubieten. Der aktuelle Appetit reicht zumeist nicht für die gleichzeitige Einnahme beider Mahlzeiten aus.

 

Um einer Übelkeit durch Übersättigung vorzubeugen, sollten Betroffene Trinknahrung langsam und in kleinen Schlucken trinken. Ein Umfüllen kleiner Mengen in gegebenenfalls dekorierte Gläser kann die Lust des Patienten auf Zusatznahrung steigern. Vor jeder Anwendung sollten die Nahrungen aufgeschüttelt werden.

 

Die Produkte können erwärmt, gekühlt und auch gefroren serviert, sie können zum Backen und Kochen verwendet werden. Süße Varianten werden meist gekühlt, pikante Sorten meist erhitzt bevorzugt. Auch beim Mischen verschiedener Geschmacksrichtungen wie Schokolade und Vanille sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.

Für die Verarbeitung in von Haus aus herzhaften Gerich­ten sind Produkte neutralen Geschmacks zu bevorzugen (zum Beispiel Fortimel® energy neutral oder Fresubin® energy neutral). Trinknahrungen sind bei Raumtemperatur zu lagern. Nach Anbruch sind Flüssigkeiten im Kühl­schrank aufzubewahren und innerhalb von 24 Stunden zu verbrauchen. Angerührte Zubereitungen müssen sofort verzehrt werden.

 

Standard- und Spezialprodukte

 

In den Arzneimittelrichtlinien (AM-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) als oberstes Beschlussgre­mium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland, das den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Form von Richtlinien bestimmt, ist die Verordnung diätetischer Lebensmittel und Produkte zur enteralen Ernährung für gesetzlich Krankenversicherte detailliert geregelt.

 

Die Paragrafen 18 bis 26 der im September 2010 in Kraft getretenen Fassung beschreiben die gesetzlich zugelassenen Ausnahmen zur Verordnungsfähigkeit von Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysaten, Elementardiäten und Sondennahrungen.

 

Als unproblematisch hinsichtlich ihrer Verordnungsfähigkeit gelten Standard-Elementardiäten, die vollbilanziert, normo- oder hochkalorisch und bei einer überwiegenden Zahl der Indikationen zur enteralen Ernährung einsetzbar sind. Nicht übernommen werden Kosten für hypokalorische Nahrungen und für Produkte zur ergänzenden Ernährung, wenn es sich nicht um spezielle Aminosäuremischungen und Eiweißhydrolysate handelt.

 

Erste Voraussetzung für die Verordnungs- und Erstattungsfähigkeit eines Produktes ist die fehlende und eingeschränkte Fähigkeit des Patienten zur ausreichenden Ernährung, die auch durch Modifizierung der normalen Ernährung und sonstige ärztliche, pflegerische und ernährungstherapeutische Maßnahmen nicht gestärkt werden kann.

 

Auf dem Rezept darf daher der entsprechende Hinweis, zum Beispiel die Formulierung »eingeschränkte« oder »fehlende Fähigkeit zur ausreichenden normalen Ernährung«, nicht fehlen. Als Indikation muss zudem die exakte Diagnose nach den Vorgaben der International Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD 10) wie zum Beispiel »Zustand nach Apoplex« oder »Tumorkachexie« stehen.

 

Es empfiehlt sich, sowohl die gesetzlichen als auch die privaten Krankenkassen im Voraus über die Verordnung der Kost zu informieren. Insbesondere bei Patienten, die auf längere Zeit Trinknahrung benötigen, ist die Absprache bezüglich einer Dauerverordnung sinnvoll. Ernährungstherapeutika fallen nach Paragraf 31 Absatz (1) SGB V erstattungsrechtlich unter Arzneimittel und sind richtgrößenrelevant. Das Feld 7 für Hilfsmittel auf den vorgedruckten Rezeptformularen darf daher nicht angekreuzt sein.

 

Für Erwachsene und Kinder

 

In Paragraf 23 der AM-RL werden die verordnungsfähigen Standard- und Spezialprodukte aufgezählt, die mit Angabe der Milliliter oder Kilokalorien zu verschreiben sind. Spezialprodukte für Patienten mit Nierenerkrankungen oder Verdauungs- und Verwertungsstörungen wie multipler Nahrungsmittelallergie, Fettverwertungsstörungen, ketogener Diät und Phenylketonurie werden gegebenenfalls von der Krankenkasse bezahlt.

 

Nach Paragraf 24 ist die Verordnung krankheitsadaptierter Spezialprodukte in der Geriatrie und für Tumorpatienten sowie für die Indikationen chronische Herz-Kreislauf- oder Ateminsuffizienz, Dekubitusprophylaxe oder -behandlung, Diabetes mellitus oder schwaches Immunsystem generell ausgeschlossen. In diesen Fällen muss, sollen sie erstattet werden, auf Standardprodukte zurückgriffen werden. Auch wenn Trinknahrungen über die gesetzlichen Anforderungen hinaus mit Mikronährstoffen angereichert sind, sind sie nach Paragraf 25 nicht mehr verordnungsfähig.

 

Paragraf 26 benennt bilanzierte Diäten, die nicht erstattet werden, wenn sie Mehrkosten im Vergleich zu Standardpräparaten verursachen. Dieses sind Produkte, die speziell mit Ballaststoffen oder aber speziell mit mittelkettigen Triglyceriden (MCT-Fette) angereichert sind und eine Fettverwertungsstörung nicht dokumentiert ist.

 

Es gibt Trinknahrungen, die von Erwachsenen und Kindern gleichermaßen verwendet werden können. Es existieren aber auch Spezialprodukte nur für Kinder wie zum Beispiel Frebini®, Nutrini® oder Clinutren® junior. Ihre Eignung und ihr Einsatz muss im Einzelnen gemäß Alter des Kindes sowie Art und Dosierung des Präparates vom Arzt überprüft und vorgegeben werden.

 

Butter und Sahne erlaubt

 

Ob jung, ob alt, ob mangel- oder unterernährt: Das natürliche Essverhalten des Patienten sollte so lang wie möglich erhalten werden, so lautet eine entsprechende Forderung der AM-RL. Gilt es gemäß Paragraf 21 den Ernährungszustand mithilfe natürlicher Lebensmittel zu optimieren, so können hier Butter, Sahne, Vollmilch, Zucker, Fruchtsäfte oder Öle zur kalorischen Anreicherung der Nahrung zum Einsatz kommen. Muss auf Cholesterinwerte geachtet werden, so ist Rapsöl zu Butter und Sahne eine gute Alternative.

Gute Anregungen und Vorschläge las­sen sich in Rezeptbüchern oder -heften verschiedener Hersteller von Trink- und Pulvernahrungen finden. Anregungen bieten auch Ernährungsexperten: So wird zum Beispiel im Sankt Christopho­rus-Krankenhaus in Werne erfolgreich ein von der dortigen Diätassistentin »eigenhergestelltes« eiweißreiches Kakaogetränk (200 g Kuhmilch 1,5 bis höchstens 1,8 Prozent, 25 g Kakaopul­ver, 10 g Eiweißpulver wie zum Beispiel Protein 88) zur Deckung des Kilokalo­rien-, Eiweiß-, Fett- und Kohlenhydrate­bedarfs eingesetzt.

 

In der Apotheke können ein sichtbarer Gewichtsverlust des Stammkunden, die Art und Anzahl der abzugebenden Medi­kamente sowie gezieltes Nachfragen auch bei Einkäufen der Angehörigen Anhaltspunkte für eine drohende oder bestehende Mangelernährung des Patienten sein. Der Apotheker sollte gegebenenfalls frühzeitig zur spezifischen Ernährung als Teil der Therapie raten.

 

Schon die entsprechende Präsentation der Produkte im öffentlichen Teil der Offizin schafft Aufmerksamkeit. Die Organisation eines Trinknahrungstages mit Verkostung bietet eine optimale Gelegenheit für Patienten, verschiedene Kostarten und Geschmacksrichtungen auszuprobieren. Die Akzeptanz der Nahrung ist entscheidend für den Erfolg der Ernährungstherapie.

 

Mit Tipps und Hinweisen zur Herstellung und Anwendung sowie entsprechenden Informationsbroschüren und Faltblättern kann die Apotheke Motivation und Compliance stärken, wobei bei einer Ernährungstherapie stets die Einbeziehung des behandelnden Arztes notwendig ist. /

Die Autorin

Vera Voigt ist Fachapothekerin für Klinische Pharmazie und trägt die Bereichsbezeichnungen Onkologische Pharmazie und Ernährungsberatung. Nach ihrem Studium an der WWU Münster (Approbation Januar 2003) betreute sie in der Klinik­apotheke der FSU Jena zwei Jahre lang die Zytostatikazubereitung. Seit Januar 2005 ist sie als stellvertretende Apothekenleiterin in der Apotheke der St.-Marien-Hospital GmbH in Lünen tätig. Neben der Arzneimittelausgabe sowie der innerbetrieblichen Fort- und Weiterbildung gehört die Betreuung der Stationen zu ihren Hauptaufgaben. Aus dieser Zusammenarbeit heraus gründete sie ein interdisziplinäres Ernährungsteam am St.-Marien-Hospital.

 

Vera Voigt

Klinikum Lünen St.-Marien-Hospital GmbH

Apotheke

Altstadtstr. 23

44534 Lünen

voigt.vera(at)klinikum-luenen.de

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