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Analyse aus Heidelberg

Arzneistoffe beeinflussen Mikrobiom stärker als gedacht

Häufig verordnete Medikamente können das Darmmikrobiom auf unterschiedliche Weise beeinflussen, berichten Heidelberger Forscher. Wie genau, haben sie für 28 häufige Arzneistoffe und einige Wirkstoffkombinationen untersucht.
Daniela Hüttemann
10.12.2021  09:00 Uhr

»Viele Medikamente wirken sich negativ auf die Zusammensetzung und den Zustand der Darmbakterien aus, aber andere, darunter Aspirin, können einen positiven Einfluss auf das Darmmikrobiom haben«, erläutert Studienleiter Professor Dr. Peer Bork, Direktor der wissenschaftlichen Aktivitäten am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg. »Wir haben festgestellt, dass Medikamente einen stärkeren Einfluss auf das Mikrobiom des Wirts haben können als Krankheiten, Ernährung und Rauchen zusammen.«

Schon 2018 hatte Borks Arbeitsgruppe zeigen können, dass jeder vierte Arzneistoff das Mikrobiom beeinflusst. Diesen September folgte ein Publikation, der zufolge Arzneistoffe in Darmbakterien akkumulieren können. Jetzt führte sein Team eine sogenannte Multi-Omics-Analyse an 2173 Probanden der MetaCardis-Studie durch, die allesamt an kardiovaskulären Erkrankungen litten. Dabei untersuchten die Forscher den Einfluss von Krankheiten und ihren Behandlungen auf das Mikrobiom. »Wir wollten die Auswirkungen von Krankheiten auf das Wirtsmikrobiom von den Auswirkungen von Medikamenten trennen, insbesondere bei Patienten, die mehr als ein Medikament gleichzeitig einnehmen«, so Erstautorin Dr. Maria Zimmermann-Kogadeeva, Gruppenleiterin am EMBL.

So konnten sie zeigen, dass Statine kombiniert mit Acetylsalicylsäure (ASS) oder Diuretika plus Betablocker für ein gesünderes Mikrobiom sorgten. Bei der zweiten Kombination stieg zum Beispiel der Anteil nützlicher Roseburia-Bakterien im Dünndarm an. Metformin dagegen förderte die Vitamin-B12-Aufnahme der Darmbakterien, was zu niedrigeren Spiegeln beim Menschen führte. Wer Protonenpumpeninhibitoren einnahm, hatte mehr Bakterien der Mundflora im Darm, vermutlich durch die verringerte Magensäure-Produktion. Die Studie bestätigte auch den negativen Einfluss von Antibiotika und eine mögliche Akkumulation dieses Effektes über die Zeit bei mehrfacher Antibiotika-Behandlung.

»Wir fanden heraus, dass das Darmmikrobiom von Patienten, die über fünf Jahre hinweg mehrere Antibiotika einnahmen, weniger gesund wurde. Dazu gehörten auch Anzeichen, die auf eine antimikrobielle Resistenz hinweisen«, sagt die andere Erstautorin der Studie, Dr. Sofia Forslund, ehemalige Postdoktorandin in der Bork-Gruppe und jetzt Gruppenleiterin am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin. Bei mehreren Antibiotika bestehe ein quantitativer Zusammenhang zwischen der Anzahl der verordneten Behandlungen und dem Fortschreiten eines Mikrobiom-Zustands, der mit dem Schweregrad einer kardiometabolischen Erkrankung einhergeht.

Die Gruppe berichtet aber auch über einen Zusammenhang zwischen der Dosierung von Arzneimitteln mit Wirkung auf das Herz-Kreislaufsystem, der Verbesserung klinischer Marker und der Zusammensetzung des Mikrobioms, was für direkte Arzneimittelwirkungen spreche. Aus Sicht der Forscher wird der Einfluss von Arzneimitteln auf das Mikrobiom immer noch häufig unterschätzt, vor allem wenn es sich um eine Dauermedikation handelt. Die aktuelle Studie, die jetzt im Fachjournal »Nature« veröffentlicht wurde, will hier sensibilisieren.

»Wir konnten zeigen, dass Medikamente die Signaturen der Krankheit verschleiern und potenzielle Biomarker oder therapeutische Ziele verbergen können«, so Bork. Die Forscher hoffen, dass ihre Ergebnisse bei der Umwidmung von Medikamenten, dem sogenannten Drug Repurposing, sowie bei der Planung individualisierter Behandlungs- und Präventionsstrategien hilfreich sein könnten.

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